Individuen und Klasse

  • Zum Thema „Solidarität“ im Feynsinn-Blog postete ich folgenden Kommentar:


    Je weiter wir in der Geschichte zurückgehen, je unselbständiger und abhängiger von einem größeren Ganzen war jedes produzierende Individuum. Diese „gewachsene“ Abhängigkeit geht in der kapitalistischen Gesellschaft verloren. Hier scheint das Individuum über dem gesellschaftlichen Zusammenhang oder gar außerhalb der Gesellschaft zu stehen.

    In der traditionellen linken Vorstellung erschien jedoch die „Arbeiterklasse“ als ein naturhaft „gewachsenes Ganzes“, von dem jeder Einzelne bloßes Zubehör war. Je enger gewachsen (gemeinsames Arbeiten im Großbetrieb, gemeinsames Wohnen, gemeinsame Freizeit), desto besser. Das ist verloren, und viele Linke leiden noch unter diesem Verlust.


    Wo gemeinsame Arbeitsprodukte Warenform annehmen, wird ein bloß atomistisches Verhalten der Individuen zum Normalverhalten. Aller gesellschaftlicher und produktiver Zusammenhang, alle soziale Beziehungen scheinen nur durch das Geld gegeben und verursacht. Gleichzeitig schafft aber der Kapitalismus ein System des gesellschaftlichen Stoffwechsels, der universale Beziehungen, allseitige Bedürfnisse und universelle Vermögen herausbildet – dies jedoch nicht als individuelle Potenz wie beim Genie, sondern als gesellschaftliche Potenz, als kollektives Produkt des Zusammenwirkens Aller.


    Die Menschen müssen sich erst aus allen „naturhaft gewachsenen“ Beziehungen befreien. Erst dann können sie als universal entwickelte Individuen ihre sozialen Beziehungen, also ihre gesellschaftlichen Verhältnisse, ihrer eigenen gemeinschaftlichen Kontrolle unterwerfen.

    (Paraphrase aus verschiedenen Marx-Texten)


    Was daraus entstehen kann, ist keine Gefolgschaft (ein „Arbeiterstaat“), sondern eine „Gesellschaft, der einzigen, worin die selbständige und freie Entwicklung der Individuen keine Phrase ist, (und wo) die Vereinigung der Individuen bedingt (ist) eben durch den Zusammenhang der Individuen, ein Zusammenhang, der teils in den ökonomischen Voraussetzungen besteht, teils in der notwendigen Solidarität der freien Entwicklung Aller, und endlich in der universellen Betätigungsweise der Individuen auf der Basis der vorhandenen Produktivkräfte.“ (K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 424).

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