"Die Kapitalisten sollen zahlen!"

  • „Die Kapitalisten sollen zahlen!“ ist eine verbreitete linke Losung.
    „Die Kapitalisten sollen zahlen!“ klingt radikal nach Klassenkampf.
    „Die Kapitalisten sollen zahlen!“ gibt scheinbar Antwort in allen Gelddingen. Noch Fragen?
    Es gäbe viele Fragen:
    An wen sollen die Kapitalisten zahlen?
    Wie viel sollen die Kapitalisten zahlen und wie oft?
    Sollen sie aus ihrem Privatvermögen zahlen oder aus ihrem Unternehmensvermögen?
    Wer kann die Kapitalisten zur Zahlung zwingen und wie?


    Auf diese Fragen gibt es keine praktikablen Antworten.


    Die Losung „Kapitalisten sollen zahlen“ ist eine Placebo-Forderung ohne praktischen Wert. Selbst wenn man sich die Mühe machte, Antworten zu finden, lässt diese Losung einen zentralen kapitalistischen Grundsatz außer Acht: „Geld regiert die Welt!“ Heißt: „Wer zahlt, bestimmt!“


    Man kann nicht beides haben: Selbstbestimmung der Emanzipationsbewegung und Geld von den Kapitalisten. Wo Kapitalisten auch nur einen Teilbetrag zahlen, da bestimmen sie auch. Das gilt für Unternehmen, für Organisationen und Parteien und das gilt für den Staat insgesamt.
    Andersherum: Wer den Einfluss der Kapitalisten zurückdrängen will, der muss auch ihren Geldfluss zurückdrängen. Das ist der Kerngedanke des weltweiten Kampfes gegen Korruption. Das ist der Kerngedanke der Bewegung für direkte (kommunale) Selbstverwaltung der Sozialversicherungen.


    Es gibt dafür historische Beispiele. Vorläufer des modernen Sozialstaats waren die Knappschaftskassen der Bergarbeiter. Die Knappschaftsvereine waren Versicherungen gegen die Risiken der Lohnarbeit:
    „1. In Krankheitsfällen erhalten die Mitglieder ärztliche Behandlung und eine wöchentliche Unterstützung ...
    2. Invaliden erhalten eine Pension, je nach Dauer des Dienstalters, also auch ihrer Beiträge zur Knappschaftskasse , von einem Zwanzigstel bis zur Hälfte des letztverdienten Lohnes.
    3. Bei dem Todesfall eines Mitglieds erhält seine Witwe eine Unterstützung von einem Fünftel bis einem Drittel der Pension ..
    4. Begräbnisgelder bei Todesfällen in der Familie.“ (F. Engels, Über die Knappschaftsvereine der sächsischen Bergarbeiter, MEW 16,345).
    Knappschaftsvereine des 19. Jahrhunderts waren die Blaupause und das Modell des modernen Sozialstaats. Wie beim Sozialstaat zahlten sowohl die Arbeiter in die Knappschaftskasse wie die Kapitalisten. Wie beim Sozialstaat hatten die Arbeiter keinerlei Einfluss auf Verwaltung und Auszahlung ihrer Beitragsgelder.


    Dagegen bildete sich eine Bewegung zur Selbstverwaltung der Knappschaftskassen durch die Mitglieder. 1869 verabschiedete ein Arbeiterkomitee in Zwickau eine Resolution, die auf Selbstverwaltung der Kassen abzielte.
    „Die Hauptpunkte sind: 1. Alle Knappschaften sind in eine gemeinsame Knappschaft zu vereinen. 2. Mitglieder bewahren ihre Ansprüche, solange sie in Deutschland wohnen und ihre Beiträge bezahlen. 3.Eine Generalversammlung aller erwachsener Mitglieder bildet die höchste Autorität.“ (F. Engels, Über die Knappschaftsvereine der sächsischenBergarbeiter, MEW 16, 346).


    „Eine gemeinsame Knappschaft“ entspräche heute einer gemeinsamen Bürgerversicherung.
    Punkt zwei sollte die üble Praxis verhindern, dass Arbeiter mit ihrem Job auch ihre Ansprüche aus der Versicherungskasse verlieren. Das ist in der heutigen Sozialversicherung wenigstens für Lohnarbeiter mit Normalarbeitsvertrag ausgeschlossen.
    Punkt drei zielte auf Selbstverwaltung. Soweit so gut.


    Friedrich Engels, der über die Selbstverwaltungsbewegung in Sachsen berichtete, kritisierte jedoch in scharfen Worten, dass die Kapitalisten in diese Sozialkasse der Lohnarbeiter einzahlen sollten.
    „Welche naive Unterstellung in der Tat, dass die Kapitalisten, bisher unbeschränkte Herrscher über die Knappschaftsvereine, ihre Gewalt an eine demokratische Generalversammlung von Arbeitern abtreten und trotzdem Beiträge zahlen werden! Das Grundübel besteht gerade darin, dass die Kapitalisten überhaupt beitragen. Solang dies dauert, ist ihnen die Leitung des Knappschaftsvereins und der Knappschaftskasse nicht zu entziehen. Um wirkliche Arbeitergesellschaften zu sein, müssen die Knappschaftsvereine ausschließlich auf Arbeiterbeiträgen beruhen. ... Mögen die sächsischen Bergarbeiter stets bedenken: Was er immer zur Knappschaftskasse zahle, der Kapitalist erspart ebensoviel und mehr am Arbeitslohn. ... Unter allen Umständen jedoch bleibt die Scheidung des Geldes der Arbeiter vom Geld der Kapitalisten eine unerlässliche Vorbedingung zu jeder Reform der Knappschaftsvereine.“ (F. Engels, Über die Knappschaftsvereine der sächsischenBergarbeiter, MEW 16, 347).


    Ich denke: Wo immer die Losung „Die Kapitalisten sollen zahlen“ verbreitet wird, dort herrscht ziemliche Unkenntnis über die Macht des Geldes und die Macht der Kapitalisten.
    Wer immer die Forderung „Die Kapitalisten sollen zahlen“ aufstellt, der meint es nicht ernst mit Antikapitalismus und Selbstverwaltung.


    Wal Buchenberg, 10.02.2017

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