Die kommende Krise

  • Als vorigen Monat in Shanghai die Aktienkurse stürzten, hieß es noch, das sei ein "hausgemachtes" Problem. Als vorige Woche die chinesische Notenbank ihre Währung in zwei Schritten abwertete, machte sich an den Börsen der Welt Nervosität breit. Droht eine neue Krise?


    Die Wachstumsraten der kapitalistischen (Gesamt)Wirtschaft geben da genaueren Aufschluss als Börsenkurse. Der Blick auf die obere Balkengrafik zeigt:
    - Die Weltwirtschaft hängt seit 2012 bei einer globalen Wachstumsrate von gut 3 Prozent fest.
    - Die kapitalistische Kernzone erreicht kaum ein Wachstum von 1 Prozent. (mittlere Balkengrafik).
    - Das Wirtschaftswachstum in der kapitalistischen Peripherie, die seit dem Jahr 2001 den Wachstums- und Profitmotor der Weltwirtschaft bildete, liegt zwar noch deutlich über dem Kernzonenwachstum, aber mit rückläufiger Tendenz. (untere Balkengrafik).


    Grafik:


    Die gewaltigen "Rettungsprogramme" für heimische Banken und Industrieunternehmen, die in den USA, in Europa und in China seit 2008 aufgelegt wurden, sind weitgehend verpufft. Die krisenhafte Überproduktion an Kapital, das weltweit nach Anlage sucht, und die krisenhaften Produktionsüberkapazitäten für Waren, die weltweit nach zahlungskräftigen Käufer suchen, sind nicht beseitigt.
    Was die FAZ über China zu berichten weiß: "Überkapazitätenim exportorientierten Industriegütersektor stoßen auf langsameresweltwirtschaftliches Wachstum" - gilt ebenso für die deutsche Industrie.


    Die Faktoren, die zur Krise von 2008 führten, sind nicht verschwunden.
    Ganz im Gegenteil: Die Lohneinkommen in der kapitalistischen Kernzone stagnieren, die private und die öffentliche Verschuldung steigt.
    Vor der Krise hatten die USA eine Staatsverschuldung von 64 Prozent des BSP, heute liegt die Schuldenlast bei 110 Prozent. In der Eurozone lag die Staatsverschuldung im Jahr 2007 bei 72 Prozent des BIP, inzwischen nähert sie sich der 100 Prozentmarke. Um diese Schulden zurück zu zahlen, müsste die Eurozone die komplette Wirtschaftsleistung eines Jahres an die reichen Staatsgläubiger abliefern, ohne dass nur ein Cent davon in die Hände der Lohnarbeiter und Staatsbediensteten käme. Niemand glaubt, dass das machbar sei. Aber immerhin muss diese Schuldenlast verzinst werden und portionsweise zurückgezahlt werden, sobald einzelne Kredittranchen ihr Fälligkeitsdatum erreichen. Ein wackeliger Schuldner hat es schwer, an frische Kredite zu kommen.


    Während Staaten wie Griechenland, Spanien, Portugal und Italien die Wirtschaftskrise in ihrem Land noch gar nicht überwunden haben, schlittern schon andere Staaten wie Brasilien, Russland und Argentinien wieder in die Krisenzone zurück.
    Wer für die Probleme in Griechenland nur die "Troika" oder die deutsche Regierung verantwortlich machen will, der hat wenig Ahnung vom Kapitalismus.
    Krisenfaktoren machen sich im globalen Kapitalismus weltweit bemerkbar, aber die globalen Krisenfaktoren wirken auf der jeweiligen nationalen Grundlage. Solche nationalen Grundlagen zur Abfederung von Krisenfolgen sind u.a. geringe Staatsschulden, niedrige Unternehmensschulden, ein relativ hoher Lebensstandard der Lohnabhängigen und eine breit aufgestellte Wirtschafts- und Infrastruktur mit möglichst viel Beschäftigung in Landwirtschaft, Handwerk und Industrie.


    Dieses Polster für Antikrisenmaßnahmen ist nicht nur in Südeuropa, sondern in ganz Europa "abgeschmolzen". Die Krise von 2008/09 war schon schmerzhaft. Die kommende Krise wird noch heftiger schmerzen. Die Probleme, die heute Griechenland hat, werden morgen halb Europa in Atem halten.


    Die jetzige Massenflucht aus den krisenhaften Randzonen in die "Wohlstandsburg" Europa ist nur ein Vorspiel für die gesamte Krisenepoche, die vor uns liegt,
    meint Wal Buchenberg


    Siehe zur kommenden Krise auch: Henrik Müller, Globale Rezessionsgefahr

  • Hallo Wal, ich stehe momentan irgendwie auf dem Schlauch. Die untere Grafik - Wachstum der Peripherie - ist mir nicht ganz klar. Hier soll also der Anteil der Peripheriestaaten an den Wachstumsraten der Weltwirtschaft dargestellt sein und nicht die eigenen Wachstumsraten, da zum Beispiel das chinesische Wachstum für 2015 prognostisch noch bei ausgerufenen 7 % liegen dürfte. Sollte also China z. B. seine 7 % Vorgaben tatsächlich einhalten, dann trägt es seinen Anteil dazu bei, dass die Weltwirtschaft um 3,5 % wächst.


    Die Kaufkraftparitäten dürften sich wohl an der Weltleitwährung orientieren?!


    68 schien, dass mit der ersten kapitalistischen Krise in Deutschland der Anfang vom Ende des Kapitalismus gekommen sei. 2003 und 2004ff schien der Niedergang bevorzustehen, als Deutschland dahinsiechte in der Vorhartzzeit. Für die aten Jahrgänge ist wohl die Fähigkeit des Kapitalismus frustierend; die Mittleren dürften sich mit dem Leben zwischen 40 und 50 im Kapitalismus 2015 konfrontiert sehen - die Altersarmut vor Augen, und die Jungen, für die 68 höchstens noch ein Synonym für die Beatles als Musik der Großeltern sind??


    Wichtig an deinem Beitrag war mir die Erkenntnis, dass dem europäischen und Kernzonenkapitalismus radikal die materielle Grundlage am Abgehen ist, Krisen in der gewohnten Art und Weise zu managen, auch wenn hier noch ein Stück gestreckt und gedehnt werden kann. Bzw. dies wird dann mehr oder weniger in jeder Kommune gegen den Bürger als Schild vorgetragen, um die Bürger an Streichungen und Verwahrlosungen von Straßen, Schulen usw. usf. einzubinden.

  • Hallo Wal, ich stehe momentan irgendwie auf dem Schlauch. Die untere Grafik - Wachstum der Peripherie - ist mir nicht ganz klar. Hier soll also der Anteil der Peripheriestaaten an den Wachstumsraten der Weltwirtschaft dargestellt sein und nicht die eigenen Wachstumsraten, da zum Beispiel das chinesische Wachstum für 2015 prognostisch noch bei ausgerufenen 7 % liegen dürfte. Sollte also China z. B. seine 7 % Vorgaben tatsächlich einhalten, dann trägt es seinen Anteil dazu bei, dass die Weltwirtschaft um 3,5 % wächst.


    Ja, genau so. Die angestrebte chinesische Wachstumsrate von 7% werden an der chinesischen Volkswirtschaft gemessen. Die etwas mehr als 1% Wachstum für 2015 in der unteren Balkengrafik sind an der gesamten Weltwirtschaft gemessen.
    Ebenso das Wachstum der Kernzone: Die USA haben ein Wachstum von rund 3% gemessen an ihrer eigenen Wirtschaftskraft, das ergibt einen Beitrag zum Weltwirtschaftswachstum von rund 0,5% (2015).


    Die Kaufkraftparitäten dürften sich wohl an der Weltleitwährung orientieren?!


    Nein, das nicht. Kaufkraftparität ist keine Währung sondern eine rechnerische Vergleichsgröße, die einen internationalen Warenkorb als Maßstab nimmt. In der Regel bildet die Kaufkraftparität die Wirtschaftskraft der Peripherie stärker ab als bei offiziellen Wechselkursen. Oder anders: Die Wachstumsraten der Peripherie in meiner Grafik wären kürzer, wenn sie im offiziellen Dollarkurs berechnet werden.



    68 schien, dass mit der ersten kapitalistischen Krise in Deutschland der Anfang vom Ende des Kapitalismus gekommen sei. 2003 und 2004ff schien der Niedergang bevorzustehen, als Deutschland dahinsiechte in der Vorhartzzeit. Für die alten Jahrgänge ist wohl die Fähigkeit des Kapitalismus frustrierend; die Mittleren dürften sich mit dem Leben zwischen 40 und 50 im Kapitalismus 2015 konfrontiert sehen - die Altersarmut vor Augen, und die Jungen, für die 68 höchstens noch ein Synonym für die Beatles als Musik der Großeltern sind??

    Ja, das ist ein wichtiger Aspekt in der Politik: Die einzelnen Generationen machten und machen ganz unterschiedliche Erfahrungen mit dem Kapitalismus. Und Aussagen über das "Bewusstsein" der Anderen, beziehen sich fast ausschließlich auf die Generation, zu der man die meisten Kontakte hat.
    Auch die Kommunikation zwischen den politischen Generationen ist nicht einfach. Mir sind (wie vielen Alt-68ern) Begrifflichkeiten wichtig. Ich hasse z.B. das schwammige Wort "neoliberal". Den Jüngeren sind Storys wichtiger als unpersönliche und unbewegliche Begriffe. Eine Story beinhaltet Personen und kommt zu einem Ziel. Für mich sind Begriffe eine Basis, die ein ganzes Denkgebäude tragen. Für die Jüngeren sind Begriffe wie Steine in einem Fluß, über die man springt, um ans andere Ufer zu kommen. :huh: Ich bin also bei jeder solcher Erzählung versucht, die Steine zu kritisieren, über die einer gesprungen ist. Für die Erzähler ist aber nur der Fluss und das andere Ufer wichtig. ||

    Wichtig an deinem Beitrag war mir die Erkenntnis, dass dem europäischen und Kernzonenkapitalismus radikal die materielle Grundlage am Abgehen ist, Krisen in der gewohnten Art und Weise zu managen, auch wenn hier noch ein Stück gestreckt und gedehnt werden kann. Bzw. dies wird dann mehr oder weniger in jeder Kommune gegen den Bürger als Schild vorgetragen, um die Bürger an Streichungen und Verwahrlosungen von Straßen, Schulen usw. usf. einzubinden.


    Darin sehe ich zur Zeit die wichtigste Aufgabe der griechischen Linken: Auf die kapitalistische Krise neu und anders zu reagieren als durch Maßnahmen und mit Geld. Es müsste nach Maßnahmen gesucht werden, die kein oder wenig (öffentliches) Geld kosten: Mietpreise in der Stadt radikal senken oder ganz verbieten, radikale Naturschutzmaßnahmen, öffentliche Versorgung (Strom, Wasser, Verkehr) kostenlos anbieten, Land wieder urbar machen und kommunal bewirtschaften.
    Leider ist die griechische Linke - wie die Linke in Deutschland - insgesamt total auf den Staat und auf "Organisationsfragen" (=Parteifragen) fixiert.


    Gruß Wal

  • Während die Teutsche Presse in Optimismus macht, schreibt der Economist zur aktuellen wirtschaftlichen Lage
    (in eigener, etwas salopper Übersetzung):


    "Während die "Emerging Markets"(=kapitalistische Peripherie) zusammenbrechen und die Chinesische Wirtschaft in einer Umstrukturierung steckt, bleiben die "rich economies"(=kapitalistische Kernzone) als einzige Motoren der Weltwirtschaft übrig. Das sind erschreckende Aussichten. ...
    Die Regierungen der reichen Welt haben ungewöhnlich geringen Spielraum, um ihre Wirtschaft anzukurbeln. Die Zinsraten können nicht weitergesenkt werden. Die Verschuldung bleibt so hoch, als stünde sie am Anfang einer aktiven Wachstumspolitik, aber niemand erwägt das ernsthaft. ...
    Wenige Leute hätten gedacht, dass die Weltwirtschaft so schnell und solche Schwierigkeiten gerät."

  • Was sagt der Chefvolkswirt der Deutschen Bank zu dem Absturz an den Börsen?
    Folkerts-Landau sagt: "Es gibt nicht genügend Liquidität. .... Wenn man keine Banken als Market Maker mehr hat, die kaufen können, wenn sonst keiner mehr kauft, dann kommt man in eine Kaskade des Versagens, und die Märkte geraten außer Kontrolle."



    Fangen wir mit dem Letzten an: "Die Märkte" - er meint hier die Aktienbörsen - seien "außer Kontrolle" Er meint also vorher, als die Aktienkurse stiegen und stiegen, sei alles "unter Kontrolle" gewesen. Das ist ein Glaube, der in keinem Ökonomie-Lehrbuch steht.


    Aber es kommt noch seltsamer: Die verlorene Kontrolle ("eine Kaskade des Versagens"!) hat ihren Grund darin, dass "keiner mehr kaufen kann, wenn sonst keiner mehr kauft".
    Er meint also: Banken seien "Market Maker", weil sie jeden Schrott kaufen, weil sie Papiere kaufen, die zusehends an Wert verlieren.


    Wenn wir die beiden Gedanken von Folkerts-Landau zusammenfügen, dann entsteht der irre Gedanke, dass "die Kontrolle" verloren geht, wenn Leute nur kaufen, was Wert hat und verkaufen, was an Wert verliert. "Kontrolle" gewönne man erst, wenn Leute ihr Geld für Dinge ausgeben, die an Wert verlieren oder nichts mehr wert sind. Solche Käufer seien "Market Maker", die die "Märkte kontrollieren" können.


    In der modernen Kunst gibt es die Vorstellung: Kunst sei das, was ein Künstler zu Kunst erklärt.
    Folkerts-Landau hat die Wahnvorstellung: Wert sei das, was ein "Market Maker" zu Wert erklärt.


    Solche Wahnvorstellungen herrschen im Kapitalismus.


    Gruß Wal Buchenberg

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