(Auszüge)
Es ist ein Vorurteil, dass es immer und überall im alten Griechenland Sklaverei gegeben hätte. Es ist vielmehr ökonomisch naheliegend wie durch die Quellen ausreichend belegt, dass die Griechen zunächst ohne männliche Produktionssklaven wirtschafteten. Und erst mit männlichen Sklaven wurde zur Anhäufung von Reichtum produziert. (...)
Wenn Sklaven als „sprechende Sache“ bestimmt sind, die einem anderen gehört, so ist über die wirtschaftliche Verwendung und Funktion dieser Sache durch ihren Herrn noch nichts gesagt. Als Sache können Sklaven sowohl ein Spielzeug als auch ein Werkzeug sein, ein Luxusgegenstand oder ein Produktionsmittel. (...)
Unproduktive und produktive Sklaverei
Spielzeug und Luxusgegenstand waren alle Sklavinnen und Sklaven, die für die private Lust und persönliche Bedienung ihres Herrn arbeiteten. Sie vermehrten nicht den Reichtum ihres Besitzers, sondern verzehrten ihn. Sie waren zusätzliche Mäuler, die gestopft, zusätzliche Körper, die bekleidet werden mussten, ohne dass sie zur Vermehrung des Lebensnotwendigen beitrugen. Sie schufen für ihren Herrn keinen Reichtum, sondern allenfalls Bequemlichkeit.
Solche Luxussklaverei entwickelte sich überall schnell, wo sich Reichtum konzentrierte. Sie entwickelte sich auch bald überall in Griechenland, wo Reichtümer angesammelt wurden wie in Korinth. Aber unproduktive Luxussklavinnen und -sklaven waren das Resultat und die Begleiterscheinung von Reichtum, nicht eine Quelle von Reichtum.
Hatten diese Dienstleistungssklaven ihre Herrinnen und Herren „bedient“, dann lag ihre Arbeitskraft brach und wurde nicht gebraucht und nicht verwendet. Solche Dienstleistungssklaven sind ökonomisch vergleichbar mit Hausdienern des 19. Jahrhunderts oder Hausangestellten der heutigen Zeit: Sie zehren als unproduktive Arbeiter am Vermögen derjenigen, die sie beschäftigen. Sie schaffen für ihre Herrschaft Bequemlichkeit und freie Zeit, vermehren aber nicht deren Besitz.
Ganz anders produktive Sklaven, die in der Landwirtschaft, im Handwerk, im Transportwesen und in Bergwerken eingesetzt wurden: deren Arbeit war produktiv und vermehrte den Besitz ihrer Herren.
Alles, was diese produktiven Sklaven über ihren eigenen Lebensunterhalt hinaus produzierten, fiel als kostenloses Eigentum an ihre Herren und vergrößerte deren Reichtum. Diese produktive Sklaverei war bei den frühen Griechen nicht in Gebrauch.
Die eindeutige griechische Bezeichnung für Sklave war „doulos“. Homer gebrauchte dieses Wort nur ein einziges Mal für eine Frau (doulae). (...)
Allerdings war auch die homerische Gesellschaft schon so weit differenziert, dass es Reiche und Arme gab, Führer und Gefolge, freie und halbfreie Arbeit in verschiedenen Abhängigkeitsstufen, die teils altersmäßig, teils geschlechtsmäßig, teils verwandtschaftlich bedingt waren.
Solche Abhängigkeiten, wie sie Homer oder Hesiod als oiketes, therapon, pais oder padarion aufführen, waren jedoch nicht unbedingt von Dauer. Sie waren zeitlich durch freie Vereinbarung oder durch Erwachsenwerden begrenzt. Damit waren diese wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisse klar von Sklaverei unterschieden.
Erst die Produktion für den riesigen mittelmeerweiten Markt statt für den Eigenbedarf schuf den Ansporn zur Ausbeutung von Produktionssklaven. Solange Bedarfsproduktion vorherrschte, konnte Produktionssklaverei kaum eine Rolle spielen. (...)
Der zunehmende Güteraustausch zwischen den rund 700 griechischen Städten im Mittelmeerraum und den vielen weiteren außergriechischen Siedlungen und Wirtschaftsräumen schuf also sowohl die Möglichkeit als auch den Ansporn zur Warenproduktion und zur Steigerung der Warenproduktion. Als Resultat der griechischen Kolonisation entstand der Ansporn zu weiterer Produktionsausweitung.
Aber woher sollte diese zusätzliche Produktionsleistung kommen?
Extensive Reichtumsproduktion
Bei gegebener Arbeitsproduktivität und gegebener technischer Ausstattung war eine Steigerung der handwerklichen und landwirtschaftlichen Produktion allein durch Zufuhr neuer Arbeitskräfte möglich. Für diese Zufuhr standen jedoch kaum freie Arbeiter zur Verfügung.
Es gab zwar durchaus freie Griechen, die sich für Lohn verdingen mussten, aber das waren Saison- und Gelegenheitsarbeiter, die sich nur so weit verdingten, wie sie das nötig hatten. Endete ihr Arbeitsverhältnis, dann endete auch ihre Arbeitsleistung. Zusätzliche Schranken für die Nutzung freier Arbeiter schufen der häufige Kriegsdienst, der viele solcher „kleinen“ Leute absorbierte, sowie eine Vielzahl von Feier- und Festtagen. Eine vermehrte Reichtumsproduktion machte die Vermehrung der Arbeitskräfte nötig.
Sklaven zur Bedienung im Haushalt, im weitesten Sinne „Dienstleistungssklaven“, hatte es längst gegeben. Nun setzten die Griechen auch dort Zwangsarbeiter, sprich Sklaven ein, wo sie an der Steigerung der Produktion für den Markt, das heißt an der Steigerung des Reichtums interessiert waren. Die jetzt zunehmende männliche Produktionssklaverei war auf ein wachsendes Mehrprodukt, das heißt auf wachsende Reichtumsproduktion ausgerichtet.
Intensive Reichtumsproduktion
Extensives Wachstum des individuellen und gesellschaftlichen Reichtums war mit freien Arbeitern in der Antike kaum möglich. Noch weniger war mit freien Arbeitern ein intensives Wachstum der Produktion möglich.
Intensives Wachstum stammt bei gleichbleibender Arbeiterzahl aus der Verlängerung der Arbeitszeit, Senkung der Lebenshaltungskosten der Arbeitskraft und Aus- und Fortbildung der Arbeitskräfte zur Steigerung der Produktivität.
Eine Verlängerung der Arbeitszeit war bei freien Arbeitern mit Werkvertrag so gut wie ausgeschlossen. War das vereinbarte Arbeitsprodukt geschaffen, dann war der Arbeitsvertrag beendet und der Tagelöhner ging nach Hause. Sein Auftraggeber hatte keine Verfügung über die brach liegenden Arbeitspotenziale dieses Arbeiters. Anders bei Sklaven. Ihre gesamte Lebens- und Arbeitskraft stand unter dem Kommando des Sklavenbesitzers. Es war seinem Kalkül und seinem Geschick überlassen, ob er den Sklaven schon in wenigen Monaten oder erst nach Jahren zu Tode schindete. Vor allem in der Bergwerksarbeit war die Lebensdauer der eingesetzten Sklaven so kurz, dass antike Autoren ihr Mitleid mit ihnen nicht verbargen. (...)
Allerdings wäre es falsch zu sagen, dass die gesamte Arbeitszeit des Sklaven für die Reichtumsproduktion des Sklavenbesitzers zur Verfügung stand. Eine bestimmte Zeit des Arbeitstages arbeiteten die Sklaven für ihren eigenen Lebensunterhalt. Sie mussten essen, wohnen und bekleidet werden. Soweit ihr Lebensunterhalt also dem Sklavenbesitzer Kosten machten, war das ein Abzug von der Gesamtarbeitsleistung des Sklaven.
Diese Zeit des Arbeitstages, in der der Sklave den Gegenwert seines Lebensunterhalt herstellte, kann „notwendige Arbeitszeit“ genannt werden. Sie war notwendig für den Erhalt des Sklaven. Diese notwendige Arbeitszeit war die Arbeitszeit, die auch ein selbstarbeitender Bauer oder Handwerker für seinen Lebensunterhalt arbeiten musste. Ein Handwerker oder Bauer konnte nach dieser Zeitperiode die Arbeit niederlegen, diese Entscheidungsfreiheit hatte ein Sklave nicht.
Der Arbeitstag des Sklaven muss also ökonomisch aufgeteilt werden in einen Zeitanteil, in dem der Sklave seine Kosten ersetzt (das war die für seinen Lebensunterhalt notwendige Arbeitszeit) und in einen Zeitanteil, in dem er Reichtum akkumuliert für seine Besitzer (sogenannte Mehrarbeitszeit).
Allerdings akkumulierte ein Sklave in seiner Mehrarbeitszeit nicht für einen einzigen Besitzer. Der Sklave war zu einem gewissen Preis gekauft worden. Der Einkaufswert musste vom Sklaven erst einmal abgearbeitet werden, bevor seine Arbeit für den neuen Besitzer Reichtum schuf.
Je nach Kaufpreis konnte das Jahre dauern. Der Einkaufspreis eines Sklaven war ein Abzug vom Gewinn des neuen Herrn und ging als Wert an den Vorbesitzer des Sklaven.
Nur was die Sklaven über ihren Einkaufspreis plus ihren eigenen Lebensunterhalt hinaus erarbeiteten, war der Gewinnzuwachs des neuen Herren.
Bevor Sklavenbesitzer ihren Reichtum durch Sklavenarbeit vermehren konnten, hatten schon Sklavenbesitzer ihren Reichtum durch den Sklavenhandel vermehrt. Die Griechen verdienten als Sklavenbesitzer am Sklavenhandel, bevor sie selbst produktive Sklavenarbeit ausbeuteten.
Da ein gekaufter Sklave seinen Kaufpreis erst amortisieren musste, konnte es also vorkommen und musste es vorkommen, dass ein Sklave seinem neuen Herrn nicht das einbrachte, was der Kaufpreis versprochen hatte.
Der Sklave war vielleicht teuer eingekauft worden und war nicht so kräftig, so geschickt, so fleißig, so gesund, dass er seinen Kaufpreis amortisieren und darüber hinaus Reichtum für seinen Herrn akkumulieren konnte. In diesem Fall machte der neue Besitzer mit seinem Sklaven sogar Verlust. Er musste sehen, ihn wieder loszuwerden. Nicht anders war die Situation für alte und kranke Sklaven. Sie brachten ihren Herren zunehmend weniger ein. Viele Besitzer von unrentablen, alten oder kranken Sklaven werden versucht haben, solche Sklaven loszuwerden, sie um jeden Preis loszuschlagen.
In der griechischen Komödie traten Sklaven nur als hässliche Alte auf, als nutzlose und dumme Geschöpfe.
Die je nach den individuellen Eigenschaften des Sklaven schwankende Rentabilität der Sklavenarbeit musste zu einer ständigen Fluktuation auf dem Sklavenmarkt führen, sodass zunehmend auch ärmere Griechen sich einen Sklaven billig erwerben konnten, so wie sich heutzutage auch niedrige Einkommensbezieher für wenig Geld ein gebrauchtes Auto kaufen können.
Ob sie sich dann auch den Unterhalt der klapprigen Mühle leisten können, ist eine andere Frage. Ähnlich wie heute die Zahl der Autos konnte damals die Zahl der Sklaven ständig zunehmen, ohne dass sich der wirtschaftliche Gewinn aus der Sklavenarbeit auf alle gleichmäßig verteilt hätte.
Soziale Differenzierung durch Sklavenarbeit
Die produktive Verwendung von Sklavenarbeit wurde in den griechischen Stadtgemeinden seit 600 v. Chr. zum Alltag. Aber die Verwendung von Sklaven und der Nutzen durch Sklavenarbeit waren nicht gleichmäßig verteilt und konnten es nicht sein. Junge, kräftige Sklaven mit produktiven Fähigkeiten waren teuer. Nur alte, verbrauchte Sklavinnen und Sklaven waren preiswert. Wer höhere Summen in produktive Sklaven investieren konnte, konnte auch höhere Summen an ihnen verdienen.
Die Reichtumsproduktion der Sklaven wurde zum Sprengmittel, das die frühere Homogenität der Polisgesellschaft zerstörte, indem es die soziale Differenzierung in Arm und Reich vorantrieb. Das soll anhand des folgenden Modells anschaulich gemacht werden.
Das Modell hat keine absoluten Größen nötig.
Angenommen wird dabei ein gewisses Verhältnis der notwendigen Arbeitszeit der Gesellschaft (Arbeit zur eigenen Reproduktion) zur Mehrarbeit (Arbeit zur Überschussproduktion = Anhäufung von Reichtum). Vorausgesetzt wird damit auch ein gewisses Verhältnis der notwendigen Arbeitszeit zur Gesamtarbeitszeit, der Summe aus notwendiger Arbeitszeit und Mehrarbeitszeit. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass mit dem Steigen oder Sinken der Arbeitsproduktivität dieses Verhältnis sich ändert. Je niedriger die Arbeitsproduktivität ist, desto größer ist im Verhältnis die notwendige Arbeit zur Mehrarbeits- oder Gesamtarbeitszeit der Gesellschaft.
Als Anhaltspunkt für das Verhältnis von notwendiger Arbeit zur Mehrarbeit bei den Griechen stütze ich mich auf eine Inschrift aus dem Jahr 329/328 v. Chr., auf der das Getreideopfer aus Attika an das Heiligtum von Eleusis verzeichnet ist. Von diesem Opfer machte Gerste elf Zwölftel, Weizen ein Zwölftel aus. Gerste war aber das Grundnahrungsmittel des Volkes, Weizen ein Luxusnahrungsmittel der Wohlhabenden. Man kann aus diesem Verhältnis auf das ungefähre Größenverhältnis des damaligen gesellschaftlichen Überflusses zum Lebensnotwendigen in Attika schließen.
Ich nehme daher ein Verhältnis von 1 zu 12 als Größenverhältnis des damaligen Mehrprodukts (= gesellschaftliches Überschussprodukt über das Lebensnotwendige) zur Gesamtarbeit. In Arbeitszeit gerechnet hieße das, dass die notwendige Arbeit im Durchschnitt elf Stunden und die Mehrarbeitszeit eine Stunde betragen hätte.
Man muss annehmen, dass sich dieses Verhältnis im Laufe der Zeit geändert hat und von Gebiet zu Gebiet unterschiedlich war. Solche Unterschiede können wir hier außer Acht lassen, denn die in der folgenden Rechnung aufgezeigte Wirkung ist auch mit beliebigen anderen Zahlenverhältnissen festzustellen.
Ich nehme weiter an, dass in der griechischen Antike die Sklavenarbeit durch geringere Lebenshaltungskosten und durch längere Arbeitszeiten – wie oben dargestellt – produktiver war als freie Lohnarbeit. Ich unterstelle daher im folgenden Modell, dass Sklavenarbeit aus zehn Stunden notwendiger Arbeit und zwei Stunden Mehrarbeit bestanden hat. Auch hier kommt es nicht auf präzise und absolute Größen an.
Die Anwendung von produktiver Sklavenarbeit führte notwendig zu erheblichen Unterschieden im Reichtum, führte notwendig zu sozialer Differenzierung. Das verdeutlicht folgende Modellrechnung.
Falls ein freier griechischer Bauer oder Handwerker seinen gesamten Ertrag aus dem eigenen Mehrprodukt (dem Überschussprodukt über seinen notwendigen Lebensunterhalt) aufsparte, dann konnte er (bei dem gegebenen Verhältnis der Gesamtarbeit zur Mehrarbeit von 12 zu 1) in einem Jahr ein Zwölftel seines Einkommens sparen. Also dauerte es (alle Wechselfälle ausgeschlossen) zwölf Jahre, bis dieser freie griechische Bauer oder Handwerker seinen bisherigen Besitz verdoppeln konnte.
Betrachten wir nun einen griechischen Handwerker, der zusammen mit zwei Sklaven produzierte. Unter der Voraussetzung, dass Sklavenarbeit zwei Zwölftel oder ein Sechstel Mehrprodukt lieferte, konnte der Sklavenbesitzer im Jahr zwei Sechstel aus der Mehrarbeit seiner Sklaven und ein Zwölftel aus eigenem Mehrprodukt aufsparen. Er hätte (alle Wechselfälle ausgeschlossen) seinen Besitz in sechs Jahren verdoppelt.
Nehmen wir nun einen griechischen Sklavenbesitzer mit sechs Sklaven, der selbst nicht mitarbeitete, sondern einen besonders ausgebildeten Sklaven als Aufseher hielt. Anschaffung und Unterhalt dieses unfreien Sklavenaufsehers sei so teuer, dass er seinem Besitzer kein Mehrprodukt lieferte. Dann erhielt der Sklavenbesitzer ohne eigene Arbeit pro Jahr von fünf Sklaven je ein Sechstel Mehrprodukt, zusammen fünf Sechstel. Der Sklavenbesitzer würde seinen Besitz in knapp drei Jahren verdoppeln.
Wie weit sich unter diesen Verhältnissen die Schere zwischen Arm und Reich im Zeitraum von zwölf Jahren öffnen musste, veranschaulicht die Grafik.
Der selbstarbeitende griechische Bauer oder Handwerker ohne Sklaven hätte nach zwölf Jahren seinen Besitz verdoppelt, der Anwender von zwei Sklaven hätte in der gleichen Zeit seinen Besitz verdreifacht, der Anwender von fünf Sklaven versechsfacht. Allerdings wurden dabei wirtschaftliche Bedingungen unterstellt, wie sie optimistischer und günstiger nicht hätten sein können.
Nehmen wir die in der wirtschaftlichen Realität unvermeidlichen Wechselfälle wie Erkrankungen, Missernten, Teuerungen, Unterbrechungen der Zufuhr oder des Absatzes durch Kriege oder Naturkatastrophen in unsere Rechnung auf, dann müssen wir einen Teil des angehäuften Reichtums als Vorrat für Notzeiten abrechnen.
Erreicht diese Minderung des akkumulierten Reichtums in zwölf Jahren die Größenordnung eines normalen Jahreseinkommens, dann kommen wir an den Wendepunkt, wo der einzelne griechische Handwerker oder Bauer ohne Sklavenarbeit keinen Eigentumszuwachs mehr erzielen konnte. Wurde der Einkommensabzug durch Notzeiten noch größer, erlitt er einen Rückgang seines Einkommens und wurde ärmer. Ganz anders seine mit Sklaven wirtschaftenden Konkurrenten, die ihr Einkommen noch erhöhen konnten, auch wenn sie die gleiche Einbuße (ein einfaches Jahreseinkommen) erlitten: Bei Abzug eines einfachen Jahreseinkommens hätte der Handwerker mit zwei Sklaven nach zwölf Jahren noch eine Einkommenssteigerung auf das Doppelte erreicht, der Eigentümer von sechs Sklaven eine Steigerung auf das Fünffache.
Sobald die Sklavenarbeit einen gewissen Anteil der Gesamtarbeit ergriff und sobald die Warenproduktion einen gewissen Anteil der Gesamtproduktion ausmachte, war jeder Bauer und jeder Handwerker bei Strafe des allmählichen Ruins gezwungen, ebenfalls Sklavenarbeit anzuwenden und ebenfalls für den Markt zu produzieren. (...)
Die Sklavenarbeit untergrub die weitgehende Homogenität der frühen Polisgesellschaften, die vor allem auf der Kooperation der Bauern untereinander beruhten. Die frühere Interessengemeinschaft der Bauernkrieger, die ihr Land und ihre Interessen gegen Alteingesessene oder Eindringlinge gemeinsam verteidigten, wurde gesprengt.
Ökonomisch sichtbar wurde die Auflösung der Polisgemeinschaft am wachsenden Vermögen der Reichen und an der sozialen Differenzierung der Polisgesellschaft.
Der Schweinehirt von Odysseus hatte noch in alter Zeit vom Reichtum seines Herrn geprahlt: „Nicht zwanzig Männer zusammen haben so viele Reichtümer.“ (Odyssee 14, 96 f.) Das Zwanzigfache eines Durchschnittshaushaltes war also in der Welt Homers ein märchenhafter Reichtum.
Einige Jahrhunderte später, im 5. Jahrhundert v. Chr., war solcher individuelle Reichtum mehr oder minder alltäglich. Von dem Landgut eines gewissen Buselos in Eleusis wissen wir, dass es einen Wert von 12.000 Drachmen hatte, ohne dass dieser Reichtum irgendeinen Anlass zum Erstaunen gab. Der Besitz dieses Buselos war vierzigmal größer als die damalige athenische „Armutsgrenze“ von 300 Drachmen, bis zu der ein athenischer Bürger Anspruch auf staatliche Unterstützung hatte.
Politisch sichtbar wurde der Verlust der ursprünglichen Gemeinschaftlichkeit und Interessenidentität der Polisgesellschaft, sobald soziale Gruppen innerhalb einer Polis politische Bündnisse mit Gruppierungen in einer anderen Polis eingingen, was sich bis zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen in einer Polis zuspitzen konnte. Das aber war politischer Alltag in den wohlhabenden griechischen Städten der klassischen und der späteren Zeit. (....)
Gruß Wal Buchenberg