Know-How im Kapitalismus

  • 1. Der Mythos der kapitalistischen Genies
    Wissenschaft und Technologie ist neben der mehr oder minder ausreichenden Reproduktion der Lohnabhängigen das zweite Standbein des kapitalistischen Selbstbewusstseins. Auch ein Karl Marx war durchaus von den technologischen Errungenschaften im Kapitalismus beeindruckt und sah darin die materielle Basis einer Aufhebung des Kapitalismus durch eine selbstbestimmte und deshalb bedarfsgerechte Gesellschaft.
    „Die Entwicklung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit ist die historische Aufgabe und Berechtigung des Kapitals. Eben damit schafft es unbewusst die materiellen Bedingungen einer höheren Produktionsform.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 269.


    Aber Marx war weit entfernt von dem Geniekult, der in der kapitalistischen Heldengeschichtsschreibung gepflegt wird.Die Halbgötter der Kapitalistenklasse sind heute ein Steve Jobs und ein Zuckerberg, früher waren es Edison, Henry Ford, ein Benz, Krupp oder Siemens. Alle diese Tüftler und Erfinder haben es zu großem Reichtum gebracht. Alle diese Technikfreaks sind erfolgreiche Kapitalisten geworden. Ihre Heldensagen werden umrahmt von dem Kissenspruch: „Große Männer machen Geschichte!“ oder genauer: „Große Männer machen großes Geld.“


    Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass keine einzige Erfindung und keine einzige technische Entwicklung dieser Geistesriesen aus ihrer individuellen und alleinigen Denkarbeit stammt. In jedem einzelnen Fall stützten sie sich auf die Vorarbeiten und Entwicklungen Anderer. Edison erfand nicht die Glühlampe, sondern verbesserte nur den Glühfaden von längst patentieren Glühlampen. Alfred Krupp schlich sich unter falschem Namen in englische Stahlwerke ein, um hinter das Geheimnis ihrer Qualitätsstähle zu kommen. Die Masse der Kapitalisten im 19. und 20. Jahrhundert hatte durchweg keine Ahnung von Physik, Chemie oder auch Mechanik.


    Wissenschaft und Technik ist nur im seltenen Ausnahmefall eine Tat von großen Einzelnen. In aller Regel ist Wissenschaft und Technik Resultat der Kooperation und der Erfahrung vieler Menschen – seien es Zeitgenossen oder seien es die hinterlassenen Gedanken von Verstorbenen. Und selbst wo ein Einzelner Großes vollbringt, wie die Infinitesimalrechnung oder die Relativitätstheorie, so werden diese Gedanken erst wirksam, wenn sie von der ganzen Gesellschaft angeeignet und nutzbar gemacht werden.


    Als Gradmesser des technologischen Fortschritt gelten allgemein die Patentanmeldungen. Wie die folgende Grafik zeigt, sind es immer weniger einzelne Erfinder, die ein Patent anmelden.



    In Deutschland stammen nur noch 10 Prozent der Patentanmeldungen von einem Einzelerfinder – mit weiter fallender Tendenz. Und wo Einzelerfinder noch zu Gange sind, sind es technisch anspruchslose Konsumgüter wie Gartengeräte und Küchenutensilien. Zum erfolgreichen Kapitalisten wird man damit nicht. Eine Untersuchung in Berlin zeigte, dass dort nur 30 % der Erfinder überhaupt ein Einkommen aus ihrer Erfindertätigkeit erzielen.


    Die kapitalistische Technologie ist längst den Kinderschuhen entwachsen, mit denen „große Einzelne“ einen neuen Markt erschließen konnten. Selbst ein so alltägliches und simples Produkt wie der DVD-Player basiert auf 30 Patenten unterschiedlicher Firmen.

    2. Ein Kapitalist weiß wenig und riskiert viel
    Ja, die Kapitalisten nutzen immer ausgefeiltere, immer gewaltigere Technologien. Aber übersehen und verstehen sie diese Techniken und Technologien auch? Da darf man gehörige Zweifel haben. Ich bin zwar nur mit einem einzigen Kapitalisten näher bekannt, aber ich habe keineswegs den Eindruck, dass er mir wissenschaftliche und technologische Kenntnisse voraus hat, oder mir sonst geistig überlegen ist. Ich weiß allerdings von heutigen Unternehmen, dass sie für alle möglichen Situationen und Probleme firmenfremde Berater zu Rate ziehen.
    Heißt: Die heutigen Kapitalisten lassen sich von hochdotierten Lohnarbeitern beraten. Ein moderner Kapitalist muss nicht selber denken. Als Kapitalist kann er denken lassen. Guter Rat ist längst eine Ware, die Kapitalisten kaufen, wie sie Erfindungen, wissenschaftliche Erkenntnisse und technologische Lösungen kaufen.Auch Zeitschriften wie der britische Economist, liefern den Kapitalisten (gedruckte) Gedanken als käufliche Ware. Selbst die bezahlten Schreiberlinge des Economists halten so wenig von den intellektuellen Fähigkeiten der Kapitalisten, dass sie (in der Ausgabe vom 4. Oktober 2014) feststellen: Unternehmensführer seien oft „thought laggards“ (denkfaule Leute), die sich auf fremde Analysten und Unternehmensberater verlassen. Den denkfaulen Unternehmensführern empfiehlt der Economist allen Ernstes, sie sollten mal große Denker wie Thukydides oder Konfuzius lesen.


    Laut einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaft diw sind Unternehmerkapitalisten vor allem risikofreudiger als Lohnarbeiter und handeln nach dem Motto: „Wer nichts wagt, der nichts gewinnt!“Ist ja toll! Vor allem wo es sich um Großtechnologie handelt, gefährdet kapitalistische Risikofreude nicht nur die Gesundheit und Existenz der eigenen Lohnarbeiter, sondern auch die Lebensqualität in ganzen Landstrichen.
    Fracking ist dafür das aktuellste Beispiel.
    Wie die jüngste Vergangenheit in den USA und Europa zeigte, werden zugunsten der „Risikofreude“ und des Profits nur zu oft auch Gesetze gebrochen, die als Dämme gegen allzu große Risiken errichtet wurden.
    Eine Studie von 2013 kommt zu dem Ergebnis: „Deutsche Unternehmer balancieren zwischen Mut und Leichtsinn.“


    3. Was tun die Kapitalisten eigentlich?
    Die folgende Grafik zeigt im oberen Teil den Anteil der Selbstständigen an der Erwerbsbevölkerung seit 1882:


    Der Anteil der Selbstständigen an der Erwerbsbevölkerung in Deutschland hat sich von 25% im Jahr 1882 auf heute 11% mehr als halbiert. Die Selbstständigen sind eine aussterbende Gattung von Mensch.
    Allerdings sind nicht alle Selbstständigen auch Kapitalisten. Von rund 3,6 Millionen Selbstständigen in Deutschland beschäftigt rund die Hälfte keine Lohnarbeiter. Es sind traditionelle Gewerbetreibende, kleine Bauern, Handwerker und Händler.


    Der untere Teil der obigen Grafik zeigt die gegenwärtige Unternehmensstruktur in Deutschland: 2,3 Millionen Einzelunternehmer beschäftigen weniger als 50 Lohnarbeiter. Hinzu kommen noch weitere 1,25 Millionen kleine Aktien- und Personengesellschaften. Soweit diese Betriebe nicht im Low-Tech Dienstleistungsbereich tätig sind, sind diese Firmen Zulieferer für Großbetriebe und produzieren technisch wenig anspruchsvolle Kleinteile wie Türschlösser und Beleuchtung für Autos oder Kompressoren für Kühlschränke.
    Der kapitalistische Mythos behauptet, die Unternehmer seien Geistesriesen, die das Know-How der Gesellschaft prägen und revolutionieren. Tatsächlich sind es Pfennigfuchser, die tagaus, tagein die immer gleichen Schrauben oder Dübel produzieren lassen und darauf achten, dass kein Cent dabei verschwendet wird.
    Die Welt jedes dieser Kapitalisten ist meist nicht größer als eine Werkstatt oder eine Werkhalle, aber sie fühlen sich in diesen paar hundert Quadratmetern als Könige und Weltenlenker.
    Alle Kapitalisten machen ihren Job mit der mehr oder minder gleichen Managementsoftware von SAP oder anderen Firmen. Trotzdem halten sie alle Daten und Inhalte voreinander und vor ihren Lohnarbeitern geheim. Die Kapitalisten (wie auch die Staatsführer) haben einen Wissensvorsprung vor uns allen, der nur künstlich geschaffen und aufrechterhalten wird - durch bloße Geheimniskrämerei.


    Die wirklichen Weltenlenker an den Schalthebeln der kapitalistischen Wirtschaft sitzen in den Führungsetagen von rund 60.000 Unternehmen in Deutschland, die mehr als 50 Lohnarbeiter ausbeuten. Diese „Wirtschaftsbosse“ sind Funktionäre des Kapitals, aber nicht unbedingt Kapitalisten. Es sind überwiegend bezahlte und angestellte Lohnarbeiter. Diese bezahlten Manager nannte Karl Marx „die Seele unseres Industriesystems“. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 340.


    „Indem aber einerseits dem bloßen Eigentümer des Kapitals, dem Geldkapitalisten, der fungierende Kapitalist gegenübertritt und mit der Entwicklung des Kredits dies Geldkapital selbst einen gesellschaftlichen Charakter annimmt, in Banken konzentriert und von diesen, nicht mehr von seinem unmittelbaren Eigentümern ausgeliehen wird; indem andererseits aber der bloße Manager, der das Kapital unter keinerlei Titel besitzt, weder leihweise noch sonst wie, alle realen Funktionen versieht, die dem fungierenden Kapitalisten als solchem zukommen, bleibt nur der Funktionär und verschwindet der Kapitalist als überflüssige Person aus dem Produktionsprozess.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 401.

    „Das Kapital zeigt sich immer mehr als gesellschaftliche Macht, deren Funktionär der Kapitalist ist und die in gar keinem möglichen Verhältnisse mehr zu dem steht, was die Arbeit eines einzelnen Individuums schaffen kann aber es zeigt sich als entfremdete, verselbständigte gesellschaftliche Macht, die als Sache ... der Gesellschaft gegenübertritt. Der Kapitalist als Kommandeur der Arbeit verschwindet hinter dem Kapital als Sache.Der Widerspruch zwischen der allgemeinen gesellschaftlichen Macht, zu der sich das Kapital gestaltet, und der Privatmacht der einzelnen Kapitalisten über diese gesellschaftlichen Produktionsbedingungen entwickelt sich immer schreiender und schließt die Auflösung dieses Verhältnisses ein, indem sie zugleich die Herausarbeitung der Produktionsbedingungen zu allgemeinen, gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Produktionsbedingungen einschließt.Diese Herausarbeitung ist gegeben durch die Entwicklung der Produktivkräfte unter der kapitalistischen Produktion und durch die Art und Weise, worin sich diese Entwicklung vollzieht.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 274f.

    4. Was wissen und was können die Lohnabhängigen?
    Viele Leute, auch viele Linke, trauern der vorindustriellen Handwerkerkultur nach. Hier im Marx-Forum wird von Franziska explizit die Theorie vertreten, dass ohne individuelle Handwerkertechnologie sich keine nachkapitalistische Gesellschaft entwickeln könne.
    Tatsache ist, dass der Kapitalismus aus dem unmittelbaren Produkt eines individuellen Produzenten ein gesellschaftliches, ein gemeinsames Produkt eines Gesamtarbeiters gemacht hat. Das bedeutet auch, dass die Fähigkeiten und Kenntnisse, die ein einzelner Handwerker und Bauer besaß, auf einen vielköpfigen Gesamtarbeiter übergegangen ist. Kenntnisse und Fähigkeiten, die früher jeder einzelne Produzent besaß, sind im Kapitalismus auf das Team einer Werkstatt, einer Werkhalle, ja sogar auf eine ganze Industriebranche übergegangen.Das ist ein Verlust und ein Gewinn zugleich. Es ist ein Verlust, weil in jedem einzelnen Individuum nur noch eine Teilkenntnis des Ganzen und eine Teilfähigkeit verkörpert ist. Was in vorindustrieller Zeit ein Individuum wusste und konnte, ist im Kapitalismus auf einen kooperativen Arbeitskörper verteilt, der mit den Hilfs- und Facharbeitern beginnt und über die Ingenieure, Buchhalter und Controller bis zu den Managern reicht.
    „Das Ganze dieser Arbeiter, die Arbeitsvermögen von verschiedenem Wert besitzen, ... produzieren das Resultat ...; und alle zusammen, als Werkstatt, sind die lebendige Produktionsmaschine dieser Produkte... Es ist ja eben das Eigentümliche der kapitalistischen Produktionsweise, die verschiedenen Arbeiten, also auch die Kopf- und Handarbeiten – oder die Arbeiten, in denen die eine oder die andere Seite vorwiegt, - zu trennen und an verschiedene Personen zu verteilen, was jedoch nicht hindert, dass das materielle Produkt das gemeinsame Produkt dieser Personen ist ....“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert I, MEW 26.1, 386f.

    Losgelöst von diesem gemeinsamen Arbeitskörper, zum Beispiel wenn ein Lohnarbeiter arbeitslos geworden ist, ist seine individuelle (Teil-)Arbeitskraft wertlos. Er kann damit keine Ware herstellen. Er kann kein fremdes Bedürfnis damit befriedigen. Es wäre falsch daraus zu schließen, dass die brachliegende Teilarbeitskraft der Arbeitslosen grundsätzlich nutzlos geworden sei. Sie ist nur wertlos unter kapitalistischen Bedingungen.


    Nach meiner Entlassung aus dem Schuldienst begann ich meinen „Marsch durch die Betriebe“. Ich arbeitete als Hilfsarbeiter in einem Metallbetrieb, der Hydraulikteile herstellte, in einem Chemiebetrieb, der Elektrokabel gummierte, in einem Papierbetrieb, wo große Papierrollen auf handelsübliche Formate herunter geschnitten wurden. Davor hatte ich schon in einem Elektrobetrieb in der Montage von Vorschaltgeräten, bei Kugelfischer in Schweinfurt in der Rollenlagermontage und auf verschiedenen Baustellen im Hausbau gearbeitet.


    Auf meine scheinbar breite Bildung als Akademiker und vielseitig verwendbarer Arbeiter war ich nicht wenig stolz.
    Umso größer war für mich der Schock, als ich bei Ford Köln (auf Kosten des Arbeitsamtes) eine Umschulung zum Werkzeugmacher machen konnte. Der Schock traf mich, als ich feststellen musste, wie wenig ich von dem wusste und beherrschte, was nur zum Grundbestand der damaligen Metallherstellung und Metallverarbeitung gehörte. Ich hatte mir eingebildet, dass ich Viel und viel Wichtiges wusste. Diese Einbildung und diesen Stolz haben mir meine Ausbilder bei Ford, zwei Facharbeiter und ein Ingenieur, gründlich ausgetrieben.
    Die Einbildung, dass man als Einzelner so viel mehr wissen könne, dass man für alle Anderen und an ihrer statt Entscheidungen treffen könne und treffen müsse, entstammt vorindustriellen Vorbildern und Mythen. Diese Einbildung teilen viele Linke mit den Kapitalisten. Ich denke, diese Einbildung hat schon viel wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schaden angerichtet und richtet weiter Schaden an.
    Die große Masse der Lohnabhängigen teilt diese Einbildung nicht. Ein guter Ingenieur weiß, wie schmal sein technisches Wissen und erst recht seine praktischen Fertigkeiten sind. Ein guter Facharbeiter weiß, wie begrenzt seine Fähigkeiten und Kenntnisse sind. Und beide wissen, wie wenig sie außerhalb des kapitalistischen Produktionsapparates erreichen und produzieren können.
    Ich denke, dieses allgemeine Wissen um die Begrenztheit individuellen Kenntnisse ist die erfahrungsmäßige Grundlage für die breite Ablehnung der Atomkraft, des Frackings oder anderer Großtechnologien. Das Wissen um die individuelle Begrenztheit ist Grundlage für das allgemeine Misstrauen gegenüber unseren Machthabern in Politik und Wirtschaft. Und dieses begründete Misstrauen richtet sich auch gegen alle Linken, die sich als Avantgarde fühlen und meinen, die Verhältnisse mit Waffengewalt umstürzen zu können.Für Kapitalisten ist Risikofreude typisch, Sorgfalt und Vorsicht für die Lohnabhängigen.


    Die Ersetzung individueller Arbeit und individueller Kenntnissen durch kooperative Arbeit und kollektive Kenntnisse ist ein Gewinn, weil die Gesamtmasse der Kenntnisse und Informationen, die in unserer Gesellschaft verfügbar sind, immer größer werden und von einzelnen Individuen gar nicht mehr überschaubar sind. Die individuelle Produktionsweise ist eine zwergenhafte Produktion mir zwergenhaften Kenntnissen. Die kooperative Produktion konnte über die zwergenhafte Kenntnisse hinauswachsen, weil und insoweit die „Zwerge“ kombiniert wurden und als Kollektiv tätig wurden. Als Kollektiv wirkten die Lohnarbeitszwerge unter dem Kommando des Kapitalisten.
    „Der Befehl des Kapitalisten auf dem Produktionsfeld wird jetzt so unentbehrlich wie der Befehl des Generals auf dem Schlachtfeld. Alle unmittelbar gesellschaftliche oder gemeinschaftliche Arbeit auf größerem Maßstab bedarf mehr oder minder einer Direktion, welche die Harmonie der individuellen Tätigkeiten vermittelt und die allgemeinen Funktionen vollzieht, die aus der Bewegung des produktiven Gesamtkörpers im Unterschied von der Bewegung seiner selbständigen Organe entspringen. Ein einzelner Violinspieler dirigiert sich selbst, ein Orchester bedarf des Dirigenten. Diese Funktion der Leitung, Überwachung und Vermittlung, wird zur Funktion des Kapitals, sobald die ihm untergeordnete Arbeit kooperativ wird.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 350.

    In den Augen vieler Linker steht diese Funktion der Leitung des kooperativen Arbeitskörpers in Widerspruch zur Emanzipation der Lohnabhängigen, im Widerspruch zu einem selbstbestimmten Arbeiten und Leben. Diese Linken können sich selbstbestimmte Arbeit nur als individuelle Arbeit vorstellen. Deshalb können sich diese Linken auch keine selbstbestimmte Arbeit auf Basis der kapitalistischen Technologie vorstellen.
    Dagegen hatte schon Karl Marx eingewandt, dass sich in den Aktiengesellschaften und noch mehr in den Kooperativbetrieben, die unterdrückerische und ausbeuterische Seite der Leitungsarbeit zurücktritt, „indem der Manager von den Arbeitern bezahlt wird statt ihnen gegenüber das Kapital zu vertreten.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 401.

    Sobald die angestellte Unternehmensführung nicht mehr von den Kapitaleignern ausgewählt und bezahlt wird, sondern zum Beispiel von der Belegschaftsversammlung oder der Kommuneversammlung, wird deren Leitungstätigkeit der Kontrolle der Kapitalisten entzogen und der Kontrolle der Gesellschaft unterstellt.
    Die freie Arbeit (Hervorhebung von w.b.) entwickelt sich innerhalb der kapitalistischen Produktion als gesellschaftliche Arbeit. Dass sie Eigentümer der Produktionsbedingungen werden, heißt also, dass diese den vergesellschafteten Arbeitern gehören und diese als solche produzieren, ihre eigene Produktion unter sich als vergesellschaftet unterordnen.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert III, MEW 26,3, 514.

    Das wäre allerdings nur der erste, aber große Schritt zu einer nachkapitalistischen, emanzipierten Gesellschaft. Damit sich die kapitalistische Arbeitsteilung nicht reproduziert und verfestigt, muss die lebenslange Rollenverteilung an einen Beruf oder eine Tätigkeit aufgelöst und beseitigt werden. Dazu gehört ein ständiger Wechsel der Tätigkeiten, der teilweise schon im Kapitalismus zur Gewohnheit wird. Dazu gehört vor allem aber auch eine andere Ausrichtung des Bildungssystem.


    „Um die gesellschaftliche Produktion in ein umfassendes und harmonisches System freier Kooperativarbeit zu verwandeln, bedarf es allgemeiner gesellschaftlicher Veränderungen, Veränderungen der allgemeinen Bedingungen der Gesellschaft, die nur verwirklicht werden können durch den Übergang der organisierten Gewalt der Gesellschaft, d.h. der Staatsmacht, aus den Händen der Kapitalisten und Grundbesitzer in die Hände der Produzenten selbst.“ K. Marx, Forderungen der IAA, MEW 16, 195.

    Die „Staatsmacht in den Händen der Produzenten selbst“ muss aus Gründen der Übersichtlichkeit und der Selbstbestimmung kommunal organisiert sein. Was kommunal entschieden und produziert werden kann, kann und muss von den jeweiligen Kommunemitgliedern entschieden und produziert werden. Was über das kommunale Netzwerk hinaus noch möglich und nötig ist, können wir gerne denen zur Entscheidung überlassen, die einmal vor dieser Frage stehen werden.


    Gruß Wal Buchenberg

  • Nein Wal, leider funktioniert Reproduktion heutzutage nichtmal mehr in der schon stark zurückgenommenen Grössenordnung einer Planung auf kommunaler Ebene. Unerbittlich bewegen sich alle Vorschläge einer Emanzipation im Rahmen der bestehenden Produktionsarchitektur zwischen dem Pol: mehr Verfügung, und dem andern: höhere Produktivität durch gesteigerte Arbeitsteilung und passend entwickelte Technologie.


    Die Arbeiter mögen ihre eigenen Manager bezahlen... die Kommune-Versammlung Beschlüsse fassen - sie alle sind unmittelbar existenziell durch die heute ausgebildete Produktionsarchitektur abhängig gemacht von Wissen und Produktionsweisen, die sie NICHT beherrschen und NICHT steuern. Und selbst wenn dort überall Produzenten in Versammlungen in Einzelbetriebe und Kommunen zusammen entscheiden (und dabei zu Konsens finden; was ja keine Selbstverständlichkeit ist) - den weltweiten Zusammenhang, in den sie sich alle, durch die bisherige (unselige, Marx ist hier aus meiner Warte energisch zu widersprechen) Entwicklung eingebaut vorfinden, haben sie damit nicht im Griff. NIEMAND HAT IHN IM GRIFF UND KANN IHN IM GRIFF HABEN. Niemand kann irgendetwas von der Art eines "Entscheidens", bewussten, kenntnisreichen Steuerns und Gestaltens, Absichten oder Hypothesen Entwickelns auch nur entfernt ins Auge fassen, der sich diesem Monstersystem gegenüersieht, das (aus Gründen eines primitiven Zutrauens in die Leistungsfähigkeit seiner Rechnngsweisen und Regulation durch Märkte, Preise, Geld) besessen war von nur einer einzigen Erfolgsgrösse: Produktivität - keineswegs bloss der der Arbeit. Die Kritik am Profit und der Konkurrenz speist sich wesentlich aus der Feststellung der Schäden, die ausschliessliche (!) Beachtung DIESES Gütekriteriums beim Aufbau einer rationalen Produktions-Architektur anrichtet. (Produktionsarchitektur heisst: ein Zusammenhang von Technologien und Produktionsstätten zum Zwecke der Reproduktion arbeitsteilig darin und damit Tätiger in grösserer Zahl (bis hin zur Weltbevölkerung).


    Das Schlimme ist: Wer die Übersicht verliert, kann keine alternative Struktur bauen.
    Übersichtlichkeit SELBST ist ein Gütekriterium, Gestaltbarkeit duch die Produzenten ist eins.
    Wenn sie dem Wssen misstrauen, rational misstrauen MÜSSEN, dann ist diese Art Wissen kein wirklich beherrschtes, die Technik, die sich daraus entwickelt, ist keine wirklich beherrschte.


    Es gibt weitere Güte-Kriterien, speziell unter heutigen Start-Voraussetzungen, die in einer neuen und endlich bewusst gestalteten arbeitsteiligen Produktions-Struktur (die eben darum die Vorbedingungen ihrer Plan- und Gestaltbarkeit erstmal erfüllen muss!) rationalerweise zu beachten sind:
    1. der Umgang mit weltweiten Naturvoraussetzungen unserer Reproduktion;
    2. der Umgang mit den unmittelbaren Naturvoraussetzungen unserer Reproduktion in Gestalt unserer eignen biologischen Konstitution,
    3. der Umgang mit dem derzeit nichtmal im Ansatz angehbaren Problem(komplex), weltweit bestehende kulturelle Gefälle-Beziehungen stabil und irreversibel aufzulösen (und anschliessend dauerhaft dafür zu sorgen, dass Nachkommende, Nachwachsende nicht in historisch überwundene Standpunkte und Lernformen zurückfallen);
    4. die Reparatur von Schäden, die die gegenwärtige primitive (Zu)Grosstechnologie und primitive Art ihrer Kombination nach dem einzigen Kriterium der steigerbaren Produktivität und des Ausbaus abstrakter Möglichkeiten (und kompletter Missachtung der genannten 4 Punkte) angerichtet hat.


    Es ist absurd, jemandem, der ununterbrochen von Technik, Wissenschaft, Produktionsarchitektur usw spricht, und sich damit gegen die einseitige "Politisierung" der radikal-linken Diskussion wendet, eine Befürwortung "individueller Handwerkertechnologie" zuzuschreiben. Das ist weder ex- noch implizit von mir vertreten worden und wird auch nie vertreten werden. Mir gehts um FORTSCHRITT über derzeit mir als unendlich primitiv erscheinende Wissenschaft, Technologie und Produktionsstruktur hinaus. Die Produktionstechniken, an deren Entwicklung im Agrarbereich ich teilnehme, zeichnen sich durch jede Menge VERFEINERTE Wissenschaft und Komplexität der Betrachtungsweisen und anzuwendende Technolgien aus. Das Gegenteil von dem, was da behauptet wurde. Ich bitte (keineswegs zum ersten Mal, und keineswegs bloss Wal) solche Zuschreibungen künftig zu unterlassen, sie treffen den Sachverhalt nicht. Kritik einer unterkomplexen und zu primitiven Produktions-Architektur ist nicht mit Technikkritik zu verwechseln. Die Kritik einer industriellen technologischen (Entwicklungs- und Forschungs-)Strategie ist nicht mit Zivilisationskritik zu verwechseln. Eher geht es um Höher-Entwicklung und anspruchsvollere Reproduktionsweisen.


    Edit: Ich muss auf den falschen button gekommen sein - normalerweise (dis)like ich nie irgendwas, schon garnicht eigne Beiträge. Seltsamerweise scheint die Forumssoftware das Selbst-Liken technisch (und in meinem Fall eben aus Versehen) zu ermöglichen. Dafür gibts dann wieder keine Möglichkeit, ein solches verehentlich geetztes like zu entfernen. :thumbdown:

  • Hallo Franziska,
    eine Idealisierung von "Handwerkertum" habe ich aus einer Vielzahl deiner Beiträge geschlossen. Mag sein, dass ich damit falsch liege, aber die Idealisierung des "Handwerkertums" ist nicht mein Thema. Ich will das nicht weiter vertiefen.
    Ich habe in meinem Beitrag versucht aufzuzeigen, wer im heutigen Kapitalismus über Know-How verfügt und warum.


    Leider habe ich den Eindruck, dass du auf keine meiner Thesen, Beispiele und Argumente eingegangen bist.
    Deshalb finde ich in deiner Antwort auch keinen Ansatzpunkt zu einer Diskussion. :(


    Sorry und Gruß
    Wal

  • Sehr zurecht hast du nicht nur über das Know-how und seine "Besitzer" gesprochen, sondern über deren Misstrauen in die grosstechnische Kombinierbarkeit der vielen, nur allzu beschränkten Einzel-Kompetenzen. Derzeit wird da ja weitestgehend dem Markt vertraut, und/oder eben doch genialen Planern, Kommissionen, Experten- und Berater-Stäben, die es hoffentlich richtig machen (und sich zutrauen, es zu können... wer überprüft es? wer kontrolliert sie?)


    Genau darum, Wal, dachte ich auf DIE zentrale Frage deines Beitrags geantwortet zu haben:


    Wie sind die Einzelarbeiten, Einzelbetriebe, Einzelkommunen und ihre Arbeit planmässig, von den Produzenten zu kennen, zu überblicken und zu einem planmässig gestalteten Geamt-Reproduktionsprozess zu kombinieren (und danach zu steuern, zu kontrollieren), wenn die Zusammenarbeit nicht mehr als Zusammenhang von Privatarbeiten, vermittelt durch Märkte, Kaufen und Verkaufen, Geld und Preise, organisiert werden soll?
    Anders ausgedrückt:
    Durch was oder wen soll die ILLUSIONÄRE Steuerung und Gestaltung durch diese ökonomischen "Mechanismen" ersetzt werden?
    Oder so:
    Wie kann IRGENDJEMAND den mittlerweile, historisch entstandenen Riesenzusammenhang der Einzel-Produktionen, ihre extreme Abhängigkeit von weitesträumig (global) verteilten Produktionsstätten bereits auf kommunaler Ebene (Beispiel im zuletzt besprochenen Diskussionszusammenhang des threads "Arbeiterforderungen von 1848" waren die heute üblichen Maschinenparks in der Landwirtschaft*), und den kommunalen Versorgungsbetrieben**), incl. kommunale Kraftwerke), und das darin verarbeitete, womöglich problematische Wissen überblicken?)


    Genau das hattest du, dachte ich, thematisiert. Inwiefern habe ich deiner Meinung nach nicht GENAU DARAUF mit meiner Antwort gezielt? Habe ich ein von dir genanntes Moment übersehen, das dich optimistisch sein lässt, was lokale Kombinierbarkeit (Steuerbarkeit, Gestaltbarkeit) der Technologien allein auf dem gegenwärtigen Produktivitätsniveau anlangt (mit dadurch implizierter Abhängigkeit von weltweiten, heute durch (Kredit)Geld (und noch viel andres: Verträge, Staatsgewalten, Zentralbanken) prekär genug vermittelten Produktflüssen)?
    Dann mache mich bitte darauf aufmerksam.
    Ich kann dir versichern, Wal, dass ich nicht das allergeringste persönliche Interesse daran habe, die Perspektiven ungünstiger oder schwieriger auszumalen, als sie (ohnehin) sind.


    *) dies darum, weil Wat immer wieder die Nahrungsmittelproduktion zu den in kommunale Verfügung (zurück) zu holenden Fundamentalaufgaben zählte
    **) Beispiele für Abhängigkeit: Ersatzteile, Ersatz, Treibstoff und Hilfs-Stoffe, GPS (bei Ausfall sind die komplexen fahrenden Maschinen der Agrarindustrie schwer steuerbar)

  • Du formulierst meine Fragestellung so um, dass sie unbeantwortbar wird.


    Der Kapitalismus macht den Schritt von der Einzelarbeit zur gesellschaftlichen Arbeit, zunächst nur in Form und auf der Ebene des Betriebes oder der Fabrik samt ihrer Zulieferer.


    Schon diesen Schritt leugnest du ab, indem du „Einzelarbeit“ mit „Einzelbetrieb“ gleichsetzt.


    Von Marx und den heutigen Kommunalisten wurde vorgeschlagen, die gesellschaftliche Arbeit zunächst auf der Kommune zusammenzufassen und darüber hinaus als Netzwerk von Kommunen.
    Auch diesen Schritt leugnest du ab, indem du „Einzelarbeit“ mit „Einzelkommune“ gleichsetzt.


    Alles ist dir ein „Einzel“ – außer vielleicht eine globale Totalität. Du siehst deshalb keinen Anhaltspunkt für Optimismus.
    Das bleibt dir unbenommen.


    Mein Anspruch hier ist keineswegs aus Franziska eine Optimistin zu machen. Mein Anspruch ist hier, aufzuzeigen, welche Möglichkeiten der heutige Kapitalismus birgt und welche nicht.


    Alle Möglichkeiten, die sich im Kapitalismus und über den Kapitalismus hinaus bieten, gelingen nur über die Beteiligung Vieler oder gar Aller. Mit individuellem Wissen und dem Wissen von notwendigermaßen elitären Minderheiten lässt sich ebenso wenig erreichen wie mit individueller Praxis oder der Praxis von notwendigermaßen elitären Minderheiten.
    Das ist die Kernthese meines obigen Textes.


    Nebenbei geht es mir auch darum, die traditionellen Lügen und Mythen, die (auch von dir) über die Theorien von Karl Marx verbreitet werden, beiseite zu räumen.
    Gruß Wal

  • Wenn es doch so wäre, wie du sagst, Wal: dass das Vereinzelte immerhin heute zusammengefasst ist nur bis hin zum Kommune-Niveau und auf die Weise gesellschaftlich und vergesellschaftet.
    Wenn es doch so wäre, dass die Produktions-Wirklichkeit bloss franziska eine "globale Totalität" ist.
    Leider ist die lokalste Nahrungsmittelproduktion, und eben alle andern Produktionen auch, sofern konkurrenzfähig, also nennenswert, von globalen Lieferzusammenhängen abhängig.
    Und sie sind das in beinah allen Hinsichten ERSATZLOS.
    Im thread "Arbeiterforderungen von 1848" habe ich das als den Mangel ausgedrückt: Sie können nicht einfach auf etwas niedrigere, mit lokalen Mitteln bestreitbare Produktivitätsniveaus zurückgefahren werden. Dieses Alles-oder-Nichts, dieser ungeheure Mangel an Flexibilität als Preis der ungeheuren Produktivität ist ein Merkmal der derzeit durch die marktwirtschaftliche ökonomische Form kaum vermeidbaren Gesamt-Produktions-Struktur, die die mittlerweile weltweit vernetzte Reproduktion in ihrem fortgeschrittenen derzeitigen Zustand annimmt.


    Das ist das Problem, von dem ich nicht weiss, wie (selbst) eine in sich einige Produzentenschaft, lokal, national oder international, es lösen soll, wenn sie die gegenwärtige Produktionsstruktur, ihrer Produktivität wegen, beibehalten will UND sich zugleich Verfügung darüber verschaffen will (ohne ihre Verständigungszusammenhänge aufzubrechen.)


    Marx lobt den Kapitalismus, weil er die Produktivität entwickelt. DARIN ist ihm (mal abgesehn von all den externalisierten Kosten, die eigentlich mit in die Bilanz eingehen müssten) nicht zu widersprechen, und ich korrigiere meine dahingehende Klammer-Bemerkung oben.
    Ich widerspreche aber, wenn jemand (das muss garnicht Marx oder Marxisten sein) behauptet: Dass die ausschliessliche Beachtung von Produktivität, im kapitalistischen Sinn, für die Produzenten wirklich brauchbare Produktivkräfte hervorgebracht hat. Die Produktivkraft-Dimension "Produktionsarchitektur" (Kombination von Technologien zu einem sinnvoll reproduktiven und erweiterbaren Gesamtprozess) auf die ich seit neuestem immer wieder verweise (ebenso wie die Strategie ihrer und ihrer Elemente Entwicklung: von mir so genannte technologische Strategie; man könnte auch sagen: "Fortschrittsentwurf"), ist, durch Verwendung marktwirtschaftlicher ökonomischer Formen unter modernen Vorgaben, in eine Sackgasse gelaufen: Das Produktionsverhältnis behindert und beschädigt die Produktivkraftentwicklung, existenziell und massiv.
    (Und zwar darum, weil auch die Kapitalisten, wie du, Wal, selbst ausführst, so tun, als beherrschten sie die Märkte und damit auch ihre Produktionszusamenhänge, die tollen Planer und genialen Wirtschaftslenker, zusammen mit nicht weniger lenk-fähigen Staatsmenschen. Nichts können sie, auch andre können es nicht - bloss verschwindet das Problem nicht, wenn die aufgeblasene Selbsteinschätzung dieser Herrschaften kläglich in sich zusammensinkt, und die Massen ihnen endgültig das Vertrauen entziehen.)


    Marx will ich nicht mutwillig entstellen, drum bin ich dankbar für Korrekturen.
    Ich hatte Marx so verstanden, dass er Markt als Vermittlung einer gesamtgesellschaftlich-arbeitsteiligen Reproduktion ansieht - die Einzel- und Privatarbeiten (der Betriebe) werden dabei zu einer GESAMTarbeit auf gesellschaftlicher Stufenleiter verbunden - also nicht nur Einzelarbeiten kooperativ im Rahmen des Einzelbetriebs - sodass sogar die Stellung einer solchen Waren-produzierenden Privat(betriebsgesamt)arbeit im Rahmen der gesellschaftlichen, ob sie sich nämlich als Teil der Gesamtarbeit der Gesellschaft (der notwendigen wie der letztlich realisierten Mehrarbeit) erweist, als Kriterium des Ausmasses der Werthaltigkeit von Waren dient.
    Also bei Marx: Verbund von Einzelarbeiten nicht nur auf Betriebsniveau, als innerbetriebliche Kooperation - sondern auf gesellschaftlicher Stufenleiter. Das dann als Zusammenhang unabhängig voneinander, ja sogar GEGENeinander produzierender Privat(arbeiten, betriebe) betrieben, ist doch eine der zentralen kritischen "Widerspruchs"-Formeln, die Marx gegen die Marktwirtschaft wendet. Unterstellt (bei Marx) ist aber: dass es einen wie schädlich und widersprüchlich immer organisierten gesamt-gesellschaftlich-arbeitsteiligen Zusammenhang auf nationalem wie sogar internationalem, also Weltmarkt-Niveau gibt (schon damals; heute erst recht). Nur diese Meinung hatte ich ihm zugeschrieben.
    Wo ist hier das Missverständnis (Lüge, Mythos) meinerseits?
    -------------------------------------------------------------------------------

    Alle Möglichkeiten, die sich im Kapitalismus und über den Kapitalismus hinaus bieten, gelingen nur über die Beteiligung Vieler oder gar Aller. Mit individuellem Wissen und dem Wissen von notwendigermaßen elitären Minderheiten lässt sich ebenso wenig erreichen wie mit individueller Praxis oder der Praxis von notwendigermaßen elitären Minderheiten.
    Das ist die Kernthese meines obigen Textes.


    Dieser These stimme ich SELBSTVERSTÄNDLICH zu. Ihre Richtigkeit ist bereits vorausgesetzt, wenn man sich die Frage stellt: Wie angesichts der derzeitigen Produktivkraft-Organisation die Möglichkeiten zr Beteiligung Vieler oder gar Aller, sobald sie es wollen, von ihnen selbst oder wem immer technisch AUFZUBAUEN ist.
    Über welche Zwischenschritte.
    Unter Berücksichtigung welcher Zielsetzungen und (hinderlicher, zu überwindender) Randbedingungen.
    Die Unbeantwortbarkeit der Frage würde die These abschwächen zum frommen Wunsch, und zur bitteren Einsicht, dass eben weiter nicht zu kommen ist. Das kann doch nicht unsere Lösung sein. Also lasst uns ruhig und unaufgeregt konstruktiv über die gangbaren Wege nachdenken.


  • Marx will ich nicht mutwillig entstellen, drum in ich dankbar für Korrekturen.
    Ich hatte Marx so verstaden, dass er Markt als Vermittlung einer gesamtgesellschaftlich-arbeitsteiligen Reproduktion ansieht - die Einzel- und Privatarbeiten (der Betriebe) werden dabei zu einer GESAMTarbeit auf gesellschaftlicher Stufenleiter verbunden - also nicht nur Einzelarbeiten kooperativ im Rahen des Einzeletriebs - sodass sogar die Stellung einer solchen Ware-produzierenden Privat(betriebsgesamt)arbeit im Rahmen der gesellschaftlichen, ob sie sich als Teil der Gesamtarbeit der Gesellschaft (der notwednigen wie der letztlich realisierten Mehrarbeit) erweist, als Kriterium des Ausmasses der Werthaltigkeit von Waren dient.
    Also bei Marx: Verbund von Einzelarbeiten nicht nur auf Betriebsniveau, als innerbetriebliche Kooperation - sondern af gesellschaftlicher Stufenleiter. Das dann als Zusammenhang unabhängig voneinander, ja sogar GEGENeinader prodzierender Privat(arbeiten, betriebe) betrieben, ist doch eine der zentralen kritischen "Widersprchs"-Formeln, die Marx gegen die Marktwirtschaft wendet.
    Wo ist hier das Missverständnis (Lüge, Mythos) meinerseits?


    Hallo Franziska,
    Vom Markt war in meinem Beitrag nie die Rede, weil es sich hier nicht um bewusste gesellschaftliche Arbeit handelt.
    Wenn du über Karl Marx redest, wäre es ein großer Fortschritt, wenn du seine diesbezüglichen Gedanken auch zitieren würdest, was ja zum wissenschaftlichen Mindeststandard gehört.
    Da du so gut wie nie deine Behauptungen über Marx belegst, kann ich und auch sonst kein Leser entscheiden, ob du Korrektes, Lügen, Missverständnisse oder Mythen über Marx verbreitest.


    Ich habe mir ja die Mühe gemacht, das sperrige Gesamtwerk von Marx in lexikalische Häppchen zu servieren.
    Schau einfach mal in dem Karl-Marx-Lexikon nach, bevor du dich über den alten Kerl auslässt.
    Zum jetzigen Thema dieses Threads vor allem hier: Gesellschaftliche Arbeit


    Gruß Wal

  • Völlig richtig, Wal - der Markt nutzt keine solche Arbeit. Wir reden nur leider über eine Situation, wo die (dann hoffentlich halbwegs an einem Strang ziehenden) ehemaligen Lohnabhängigen mit den desaströsen Folgen von 2 Jahrhunderten (Welt)Markt(wirtschafts)-Entwicklung - desaströs für die Produktivkraft-Dimension "(technischer, planerischer usw) Gesamtzusamenhang der Einzelproduktionen" - zurechtkommen müssen. Und diese Folgen sind für bewusste Planung, ohne vorangehenden sorgfältigen Neuaufbau einer in dieser Hinsicht erstmals beherrschbar gemachten Produktionsweise, auch von perfekt im Konsens operierenden Kommunarden schwer zu bewältigen.
    Sage ich und bitte um Korrektur, falls möglich.
    Die Stichworte zur Begründung nochmals:
    1.Lokale regionale nationale Produktivkräfte sind auf jedem Verarbeitungsniveau (Roh- bis Fertigprodukte) abhängig von international erzeugten Produktionsmitteln und Hilfsstoffen.
    2. Abrüstung auf vertretbare niedrigere Prodktivitätsniveaus ("Substitution"), um der Abhängigkeit zu entgehen, ist meist kaum oder garnicht möglich.


    --------------------
    Der von mir herangezogene Beleg bezog sich auf das allgemein bekannte Faktum, dass es im Kapitalismus national wie international eine gesellschaftlich-arbeitsteilige "Gesamtarbeit" gibt. Diese Kategorie geht in die Bestimmung des "Werts" bei Marx ein. Richtig ist natürlich, dass DIESE Gesamtarbeit marktvermittelt, also nicht "bewusst geplant" ist. Richtig ist auch, dass bewusstes Planen und geplantes Kooperieren, über Einzel-Handwerke hinaus, im kap.Betrieb stattfindet, teilweise auch in der lokalen Versorgungsstruktur der (politischen) Kommunen, oder sogar noch höherer "Gebietskörperschaften" (wie die Verkehrswege, Kommunikations- Strom- und Eisenbahnnetze).
    Gerne anerkenne ich das als Marxsche Einsicht, und werde trotzdem mein Problem - im Moment jedenfalls - nicht los: Dass bis auf die Ebene dieser heute bereits bewusst-kooperativ organisierten "gesellschaftlichen" Produktionseinheiten die fatalen, nicht einfach "substitutionsmässig" korrigierbaren Abhängigkeiten elementarster Produktionsschritte hinunterreichen - Abhängigkeiten von weit darüber liegenden (und eben bislang nicht geplanten, und in ihrer heutigen Gestalt auch nicht wirklich bewusst plan- und steuerbaren) Produktionsebenen.
    Die Produktivitätsentwicklung durch immer weiträumigere Arbeitsteilung FESSELT in der Folge die lokalen Produzenten in fataler Weise an die irrationale Organisationsform, in der diese Entwicklung überhaupt nur so sorglos, so fahrlässig, so undurchdacht (von den einschlägigen Akteuren) in Gang gesetzt und so weit vorangetrieben werden konnte.

  • Völlig richtig, Wal - der Markt nutzt keine solche Arbeit. Wir reden nur leider über eine Situation, wo die (dann hoffentlich halbwegs an einem Strang ziehenden) ehemaligen Lohnabhängigen mit den desaströsen Folgen von 2 Jahrhunderten (Welt)Markt(wirtschafts)-Entwicklung - desaströs für die Produktivkraft-Dimension "(technischer, planerischer usw) Gesamtzusamenhang der Einzelproduktionen" - zurechtkommen müssen. Und diese Folgen sind für bewusste Planung, ohne vorangehenden sorgfältigen Neuaufbau einer in dieser Hinsicht erstmals beherrschbar gemachten Produktionsweise, auch von perfekt im Konsens operierenden Kommunarden schwer zu bewältigen.
    Sage ich und bitte um Korrektur, falls möglich.


    Hallo Franziska,
    ja der Kapitalismus hatte und hat desaströse Folgen für die Natur und damit auf unsere Lebensgrundlage.
    Aber hast du oder haben wir eine wirkliche Bestandsaufnahme dieser Probleme?
    Auch diese Bestandsaufnahme müsste auf lokaler Ebene erfolgen: Zustand der Böden, der Gewässer, der Pflanzen- und Tierwelt etc., aber auch Zustand der Verkehrssysteme, der Schul- und Wohngebäude, Zustand der Maschinerie, Verfügbarkeit oder Fehlen einzelner Technologien)
    Noch hast du und noch haben wir keine Bestandsaufnahme der technischen und sachlichen Basis jeder Kommune.
    Bevor das auch nur in Ansätzen geleistet ist, kann Franziska alle möglichen Schreckensszenarien an die Wand malen. Es handelt sich dabei aber immer nur um "Malerei", um Phantasie, nicht um Fakten, nicht um Wissenschaft.
    Mein Text "Know-How im Kapitalismus" gibt keine Prognosen ab, welche Fragen in welcher Zeit gelöst werden können. Der Text geht allerdings auf die Frage ein, WER überhaupt in der Lage sein könnte, die anstehenden und künftigen Probleme anzupacken. Meine Antwort: Nur durch Kooperation sehr Vieler ist das überhaupt möglich. Nur durch die Kooperation Vieler kommen die vielen Aspekte, das ganze Für und Wider, alle Optionen und Risiken auf den Tisch, so dass diese Vielen dann auch halbwegs rationale Entscheidungen treffen können.
    Und diese Kooperation Vieler muss selbstverständlich die heutige, nur betriebliche Form der Arbeitskooperation transzendieren, so dass die Produzenten ihre Produktion nach den vorhandenen Bedürfnissen, und nicht nach der vorhandenen Zahlungsfähigkeit richten. Die nächste Form dieser Kooperation kann und muss auf der Ebene verlaufen, wo die Menschen zusammen leben und zusammen produzieren. Das können Kommunen von 5000 oder von 500.000 Menschen sein. Wahrscheinlich gibt es auf jedem gegebenen technischen Niveau eine optimale Größe für die selbstverwalteten Kommunen. Auch diese Größenordnung kann man nur praktisch erproben und nicht heute schon prophezeien.
    Der gesellschaftliche Austausch innerhalb der Kommune und zwischen den Kommunen verläuft jedenfalls nicht mehr über den Markt, sondern über Vereinbarungen und Abmachungen zwischen den wirklichen Produzenten. Die in Branchen gegliederten Teilbetriebe der Kommune liefern jeweils ihre Teilarbeiten für das gemeinsames Endprodukt, das sie dann gemeinsam nach dem von ihnen bestimmten Plan konsumieren. Ausgangspunkt und Zielpunkt dieses gemeinsamen Plans ist jedenfalls die gemeinsame Erfassung und Bestimmung der vorhandenen Bedürfnisse.



    Die Stichworte zur Begründung nochmals:
    1.Lokale regionale nationale Produktivkräfte sind auf jedem Verarbeitungsniveau (Roh- bis Fertigprodukte) abhängig von international erzeugten Produktionsmitteln und Hilfsstoffen.
    2. Abrüstung auf vertretbare niedrigere Prodktivitätsniveaus ("Substitution"), um der Abhängigkeit zu entgehen, ist meist kaum oder garnicht möglich.


    Ad 1: Auf diese Frage habe ich an anderer Stelle - wie ich finde - ausreichend geantwortet: Also nochmals meine dortige Antwort im Wortlaut:
    „Im Jahr 2008 hatte das kapitalistische Deutschland Roh-, Hilfsstoffe und Energieträger im Wert von 350 Mrd. Euro aus dem Ausland bezogen. Das waren rund 12 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung (BIP). Man kann also damit rechnen, dass auch ein genossenschaftlich organisiertes Deutschland in dieser Größenordnung, sagen wir Produkte im Umfang von 15 Prozent seiner Wirtschaftsleistung aus dem Ausland beziehen muss.“

    Der Bezug von Rohstoffen ist nur dann ein unlösbares Problem, wenn man annimmt, dass eine nachkapitalistische Gesellschaft nur
    Low-Tech-Produkte produziert („Handwerkertum“). (Dein Punkt 2: "Abrüstung auf niedrigere Produktivitätsniveaus")


    Für eine Gesellschaft, die High-Tech-Produkte herstellt, ist der Bezug von Rohstoffen keine unüberwindliche Schwierigkeit. Sie tauscht einen Teil ihrer High-Tech-Produkte (auf dem heutigen technischen Niveau rund 10 bis 15 Prozent ihrer Gesamtarbeitszeit) gegen die Gesamtheit der eingeführten Roh- und Hilfsstoffe und Energieträger.
    Bei diesem Austausch handelt es sich zwar noch um Warenverkehr, aber dieser Warenverkehr benötigt kein Geld, sondern kann über Bartertausch ablaufen.
    In der Bronzezeit – also lange vor der Entstehung von Geld – wurde auch ein Großteil des Zinns, das für die Herstellung der Bronze in Asien benötigt wurde, aus England und Nordeuropa geliefert. Dieser Bartertausch funktionierte ohne Geld und ohne Zwang, allein durch die Attraktivität der damaligen „High-Tech-Produktion“ im hoch entwickelten Nahen Osten.


    Gruß Wal

  • Kann deine Ausführungen soweit nachvollziehen, Wal. Ich meine ebenfalls, dass eine Bestandsaufnahme nur möglich ist, wenn möglichst viele Kommune-Einwohner_innen entscheiden und die öffentliche Macht in der Hand der Kommunarden liegt und die Gemeinden sich föderieren.


    Das mag sogar eine Art Nationalversammlung zur Ausarbeitung einer Verfassung der assoziierten Kommunen voraussetzen insofern aber keinen Staat im klassischen Sinn mehr darstellen, da es kein abstraktes Allgemeininteresse mehr gibt, sondern dieser (Halb-)"Staat" nur als eine von den Gemeinden abgeleitete Instanz zu verstehen wäre, welche kein abgehobenes Gewaltmonopol mehr hätte (siehe hierzu Bookchins, Lohoffs, Pfreundschuhs und Kurz' Überlegungen zur Kommunalisierung und Rätedemokratie).


    Ein historisches Beispiel wäre der Versuch des Aufbaus eines freiheitlichen Kommunismus im Spanien des Bürgerkriegs von 1936 bis 1939. Der Fehler der (Anarcho-)Syndikalisten lag einzig darin, dass sie aufgrund luftiger Theorien die Existenz politischer Macht einfach leugneten und statt Barcelona in eine Kommune nach dem Vorbild der Pariser Kommune zu verwandeln, sogar später mit den bürgerlichen Kräften eine Volksfront bildeten. Mit den bekannten Folgen.


    Bei deinem Modell der Kommune Bochum steht für mich nur die Frage im Raum, wie all die Bedürfnisse erhoben werden. Es kann wohl schwerlich darum gehen individuell wöchentlich vorauszuplanen und das stets einer Planungsschaltstelle zu melden.


    Abgesehen von der mangelnden Spontaneität des Individualkonsums hätten wir es wahrscheinlich mit einem gigantischen bürokratischen Aufwand zu tun.


    Fraglich ist auch, wie Luxusgüter zu bemessen sind, wenn es keine Gewichtung der Arbeiten gibt. Die Frage der konsumtiellen Begrenzung ist meiner Meinung nach bei all diesen Modellen gleichermaßen unzufrieden beantwortet.


    Aber gut, womöglich lässt sich das heute alles gar nicht beantworten. Nur genau das sind eben jene Fragen - und auch teils die von Franziska - welche den meisten Diskutanten so im Kopf herumschwirren, wenn sie über (libertären) Kommunismus/Sozialismus/Kommunalismus diskutieren.

  • Alles Gesellschaftliche oder Kollektive fängt beim Einzelnen an. Das menschliche Individuum steht im Mittelpunkt des Lebens und nicht ein Abstraktum (die Gesellschaft, die Natur, der Wert usw.) etwas Höheres (Götter, Nation, Rasse usw.) oder ein Ideal (Humanität, Arier usw.) oder sonst vom ihm Entfremdetes (Geld, Ware etc.) über das es sich identifiziert und über das sich die Individueen aufeinander beziehen. In jedem zentralen Prinzip, das den Einzelnen unter eine bestimmte Betrachtungsweise zwingt, ist die Unterdrückung des Einzelnen angelegt.


    Das Gesellschaftliche oder Kollektive entwächst dem Einzelnen. Zum Wohl jedes Einzelnen kann eine Gesellschaft oder ein Kollektiv nur funktionieren, wenn jedes Gesellschaftsmitglied oder Kommunarde soviel weiß und deshalb begriffen hat, wie ein gemeinsamer Reproduktionsprozess und dessen stetige Erweiterung beschaffen sein muss (worin natürlich die Kritik am gegenwärtigen kapitalistischen RP beinhaltet ist). Nur an so etwas Handfestem wie dem Wissen vom gemeinsamen Reproduktionsprozess (die menschlichen Aktivitäten im Austausch mit der Natur die Lebensbedingungen zu erhalten und zu verbessern) kann die Unterdrückung von Menschen durch andere Menschen für immer aufgehoben werden und ist somit notwendige Voraussetzung für menschliche Emanzipation.


    Wissen in diesem Sinne bedeutet nicht wissenschaftliches Spezialwissen auf einem Gebiet, sondern das vollständige Verständnis des gesamten Reproduktionsprozesses und da vor allem, wo es um so handfeste Dinge geht, mit denen die Grundbedürfnisse Trinken, Essen, Wohnen, Kleiden, Energie, Gesundheit befriedigt werden müssen. Von da aus kann sich das allgemeine Wissen dann weiter entwickeln und das kann einen ziemlich hohen wissenschaftlich-technischen Grad erreichen.


    Dem steht nun nicht entgegen, dass es kein Spezialwissen geben kann, dass also weiterhin Forschung betrieben wird usw.. Nur ist so eine Forschung zweckfrei. Das heißt, jeder kann sich soviel Wissen aneignen, wie ihm lieb ist und von der Forschung bzw. den Experten geht keine Macht aus. Solche „Experten“ beeinflussen den reproduktiven Prozess nur, wenn es von den Gesellschaftmitgliedern oder Kommunarden gewünscht ist. In diesen können ihre Ergebnisse eingehen oder auch nicht und, und wenn, dann immer im Rahmen der Verständlichkeit und Übersichtlichkeit für die Einzelnen.


    Das gilt auch für das Kollektiv. Generell lassen sich durch das positive Zusammenwirken Einzelner im Kollektiv ganz sicher produktive Skalenvorteile erzielen. Voraussetzung für ein Gelingen ist allerdings Überschaubarkeit und gleicher Wissenstand, damit das Zusammenwirken reibungslos ablaufen und als Ganzes ein stabiles System bilden kann. Wenn man hingegen wie Wal das Kollektiv als ein positives Ergebnis der kapitalistischen Produktion betrachtet, man sich dann einfach den Kapitalismus wegdenkt, die ihm zu Grunde liegende Produktionsstruktur oder Produktionsarchitektur aber beibehält, ist das etwas ganz anderes. Denn damit werden ja auch die durch diese Produktionsweise festgelegten Machtstrukturen mit übernommen (und die wird man, weil es ja Mächtige und Bevorteilte gibt, auch niemals wieder loswerden). Und innerhalb dieser Struktur ist das Kollektiv für die Mehrheit der Einzelnen dann nicht mehr von Vorteil. In s o einem Kollektiv werden m. E. die Interessen und Bedürfnisse des Einzelnen wahrscheinlich in einer anderen Form aber sonst wohl genau so untergebuttert werden wie im Kapitalismus.


    Es ist m E. deshalb auch falsch zu sagen, es sei wegen der Nichtüberschaubarkeit gar nicht anders möglich, als kollektiv zu produzieren. Nein, es ist umgekehrt darauf hinzuarbeiten, dass der (Re)Produktionsprozess überschaubar gestaltet wird(und das gilt auch für Kollektive und Kommunen selbst, denn was weiß ein Kollektiv x in A, das von Gütern eines andern Kollektivs y in B abhängt, was das dort treibt). Dabei müssen wir, ich hatte es an anderer Stelle gesagt, auf das Einfache, das Essentielle hinarbeiten. Das heißt aber nicht, wie Wal vermutet, hin zur Bauern- und Handwerkertechnik, sondern allgemeines Wissen in allerhöchstem Grad von den Dingen und Vorgängen die uns dort erwarten und dort bewältigt werden müssen. Vom Kapitalismus können wir diesbezüglich aber nichts lernen, der macht mit und ohne Kollektiv so ziemlich alles hin.


    Beste Grüße
    Kim

  • Das heißt aber nicht, wie Wal vermutet, hin zur Bauern- und Handwerkertechnik, sondern allgemeines Wissen in allerhöchstem Grad von den Dingen und Vorgängen die uns dort erwarten und dort bewältigt werden müssen. Vom Kapitalismus können wir diesbezüglich aber nichts lernen, der macht mit und ohne Kollektiv so ziemlich alles hin.


    Wir haben schon gelernt!


    Ja, ich will den Kapitalismus loswerden. Nein, es ist nicht so, daß er nur schlechtes für uns Menschen brachte.


    Daß wir ausreichend herstellen können, nicht nur ständig Mangel auflösen müßten, ist erst so, seit wir durch diese Produktionsweise, dieses Produktionsverhältnis in die Lage versetzt sind.
    Die heutige (erlebte) Knappheit ist künstlich durch diese Produktionsweise erhalten.
    Daß wir nicht ausreichend das herstellen, was wir tatsächlich bräuchten, ist faktisch durch diese Produktionsweise, dieses Produktionsverhältnis gegeben.


    Wir haben viel gelernt.


    Wir können uns unter einem Kommando wunderbar koordinieren, da muß der 'Kommandeur' nicht mal daneben stehen.
    Außerhalb eines Betriebes ist der 'Kommandeur' der Markt. Innerhalb eines Betriebes ist es das vorgegebene Arbeitsergebnis.


    Und diese Kooperativität soll nicht (mehr) möglich sein, wenn wir uns vorher gemeinsam auf ein (Produktions-)Ziel verständigen?


    Das will ich sehen und erleben!
    _____________________________________________________________________________________


    Im übrigen ist Produktionsweise nicht hauptsächlich die Technologie, auch wenn diese durchaus bisher dazu beitrug, die einzelnen Gesellschaftsordnungen 'zu befördern'.
    Ohne Katastrophen gibt es auch keinen Rückfall auf einen vorherigen Stand der (Produktivkraft-)Entwicklung, der allerdings binnen kürzester Zeit immer wieder aufgeholt wurde.


    Produktivkraftentwicklung ist nicht rückabwickelbar und das nicht nur, wenn sich einige erträumen, daß der Kapitalismus wieder und dann dauerhaft "Soziale Marktwirtschaft" wird. Produktivkraftentwicklung ist auch dann nicht dauerhaft rückabwickelbar, wenn es um andere Gesellschaften geht.


    Wer "Wasser aus Wand" und "Licht von Decke" kennt, wird sich nicht dauerhaft wieder damit begnügen, eine Kerze zum Abends Lesen und Schreiben anzuzünden und sein Wasser aus dem Brunnen vom Marktplatz zu tragen..., 'tschuldigung.


    Es würde mE geschaut, wie das einmal erreichte technologisch vielleicht anders (gesünder, effektiver, whatever) hergestellt werden kann, aber nicht so ohne weiteres ob überhaupt, wenn es keine zwingenden Gründe dafür gäbe - und falls es welche gäbe - sind das die (an-)erkannten Gründe der Mitglieder der zukünftigen Gemeinschaft, auf die sie sich verständigt haben, während sie gemeinsam ihre Bedürfnisse befriedigten.


    Ich könnte jetzt die logische Entwicklung aus Einzelherstellung und 'Handwerkertum' aufmalen... ich lasse es, es scheint ja so zu sein, daß der eine oder andere, der sich so vehement gegen historische Erfahrungen wehrt, sie unbedingt selbst machen möchte...


    "Allgemeines Wissen in allerhöchstem Grad von den Dingen und Vorgängen die uns dort erwarten und dort bewältigt werden müssen?"


    Gemeinsam haben wir alles Wissen der jetzigen Welt!


    "Zukünftiges Wissen schon Heute haben" hört sich so nach die Zukunft beleihen können und Glaskugel schauen an...^^


    Was es mE bräuchte, wäre erst einmal allgemeines Wissen bei jedem Einzelnen.
    Das stimmt.
    Das wäre die Grundlage. Wer darauf aufbauend mehr (für sich und andere) will, gern.
    Aber immer ein Schritt nach dem anderen und für meinen Geschmack bitte in praktikablen Relationen.


    Welcher wäre das in diesem Punkt?

    Liebe Grüße - Wat.

  • Wat, deinen Hinweis auf die polytechnische Ausbildung teile ich. Ebenso die Forderung nach Offenlegung aller betrieblichen Daten im Bochumer Programm. Der offene Zugang zu Wissen und Informationen jeglicher Art ist DER zentrale Punkt zur Ermöglichung einer kommunistischen/kommunalistischen Gesellschaft. Dennoch wischst du meiner Meinung nach die von Kim vorgetragene Zusammenfassung der Argumentation Franziskas zu leicht vom Tisch.


    Denn letzten Endes ist der (Re-)Produktionsprozess für den Einzelnen eben nicht simpel überschau- und nachvollziehbar. Für den Einzelnen ist der (global-)kapitalistische Gigantismus und Komplexitätsgrad überhaupt nicht mehr greifbar. Er kann sich selbst nicht mehr verorten und bricht unter der Last in dieser Unüberschaubarkeit auch noch (freie) Entscheidungen treffen zu müssen zusammen. Nicht umsonst bekommen in Krisenzeiten reaktionäre Kräfte Zulauf. Sie versprechen nämlich Einfachheit, Überschaubarkeit und klare Regeln (würde behaupten etwas, das gerade Männer in Krisenzeiten anzieht).


    Wohlbemerkt meine Ausführungen beinhalten eine gewisse philosophische Überspitzung. Ich behaupte aber, gerade das Entfremdungsgefühl hat viel mit dieser Unüberschaubarkeit zu tun, die einem irgendwie das Gefühl der Heimatlosigkeit in der Welt gibt. Auch dürfte ohne Überschaubarkeit die Aufhebung der (heutigen) Arbeitsteilung nicht nachhaltig machbar sein (jedenfalls im emanzipatorischen Sinn und nicht in Form einer Arbeitsverteilung per Kommando).


    Ich meine aber, eine derartige Herstellung von Überschaubarkeit (Dekomplexisierung, Dezentralisierung, Modularität) wird nicht von Beginn an möglich sein aber muss auch keinen Rückfall in (High-Tech-)Handwerkerei bedeuten. Davon war meiner Beobachtung nach, jedenfalls bei Kim, nie die Rede.


    Robert Kurz schreibt in seinem Pamphlet "Antiökonomie und Antipolitik" zu diesem Thema:

    "Ein wichtiger Aspekt dabei ist die "praktische Untersuchung", das kritische Aufrollen der gesamten stofflich-sinnlichen Reproduktion der Gesellschaft (auch dort, wo aktuell noch kein autonomer Sektor entwickelt werden kann), um die Unsinnigkeit und Gemeingefährlichkeit des Systems zu beweisen.


    Es gilt also, etwa nach dem ironischen Motto "Bürger beobachten ihre eigene Reproduktion", den gesamten weltweiten Vernetzungszusammenhang auf der materiellen Ebene zu entschlüsseln und radikal zu kritisieren, die "Betriebsgeheimnisse" von Unternehmen und Verwaltungen aufzudecken, das der Gesellschaft unbekannte Terrain der Ressourcenflüsse zu erforschen (etwa in der Art der Rekonstruktion jener grotesken Reise eines Joghurtbechers), die Netzwerke von Verkehr, Energie, Information, "Entsorgung", Kanalisation usw. auszuspähen und kritisch darzustellen, mit einem Wort: Anti-Politik als eine Art rücksichtslose "sozialökologische Enthüllungspolitik" zu betreiben. (...)


    Im Sinne dieser neuen Vorgehensweise ist es vielleicht möglich, in modifizierter Form gewisse Ideen der Operaisten und vor allem der Situationisten erneut aufzugreifen. Der operaistische Begriff der "Untersuchung" ist als eine Art "praktische Soziologie" (mit dem Thema der "Zusammensetzung der Klasse" und ihrer Veränderungen) noch soziologistisch beschränkt; er müßte als eine "praktische Wertkritik" neu gefaßt werden. In diese Richtung weist das situationistische Thema einer Untersuchung des sozialökonomischen Terrains von Städten und Regionen sowie von "Feldern" der soziokulturellen Reproduktion. Man könnte dabei an "Felder" wie die Nahrungsmittelproduktion und ihre kapitalistische Geschichte, an das System der Mobilität ("Automobilmachung"), an Architektur, Wohnungs- und Städtebau usw. denken.


    Es wäre durchaus spannend und in mancher Hinsicht vielleicht sogar abenteuerlich, die materielle Reproduktions- und Gebrauchswertstruktur des Kapitalverhältnisses systematisch zu erforschen und kritisch zu enthüllen. Diese Vorgehensweise könnte begleitet sein von Kampagnen gegen die Ideologie und Kultur der "Arbeit", wie sie seit dem Protestantismus die westlichen Gesellschaften und heute die ganze Welt beherrscht.


    Die weiterzutreibende theoretische Kritik und Analyse von Wertform, "abstrakter Arbeit" und Krise könnte sich so ein weitgefächertes anti-politisches Tätigkeitsfeld erschließen, das den Prozeß der sozialökonomischen Entkoppelung begleitet und vorbereitet."


    Soweit so gut. Die Frage bleibt nur weiterhin: Wie sähe eine derartige Überschaubarkeit aus und muss sie der sozialen Befreiung vorausgesetzt sein (Franziskas These) oder ist sie Produkt des "Aufrollens" der (Re-)Produktion im Zuge einer sozialen Aneignungs- und Aufhebungsbewegung (Kurz', Lohoffs und meine These)?

  • Wie sähe eine derartige Überschaubarkeit aus und muss sie der sozialen Befreiung vorausgesetzt sein (Franziskas These) oder ist sie Produkt des "Aufrollens" der (Re-)Produktion im Zuge einer sozialen Aneignungs- und Aufhebungsbewegung (Kurz', Lohoffs und meine These)?


    Gibt es auch was dazwischen oder davor?


    Dieses Entweder/Oder scheint mir nicht aufzuheben, was hier angemerkt wird.


    Das Bochumer Programm zb. geht doch mE nicht gleich von Aneignungs- und Aufhebungsbewegung aus. Davor braucht es doch auch mE schon was.
    Daß es überhaupt zu einer Aneignungs- und Aufhebungsbewegung käme, braucht doch eine Grundlage, einen (durchaus auch individuellen) Ausgangspunkt.


    Und den sehe ich eher im unmittelbaren (Er-)Leben.


    Als wahllos herausgegriffene Beispiele:

    • Daß der Strom aus AKWen kommt, was ich nicht möchte.
    • Daß ich für Wasser bezahlen muß, obwohl ich ohne keine drei Tage überlebe.
    • Daß die Butter, die ich essen möchte und kaufen muß, um die ganze Welt gekarrt wird, von Kühen ist, die irgendwo in Irland übers Feld stapfen.
    • Daß in der Schule Stunden ausfallen und gelehrt wird, was nur bedingt 'tauglich' ist usw.
    • Daß da Stadtabgeordnete was beschließen, in angeblich meinem Namen beschließen, wovon ich vorher nicht mal was wußte oder es so nicht wußte, daß ich dann nicht mal gefragt werde...
    • Heute muß ich unzählige Stunden am PC damit verbringen, mir Infos einzuholen, auf 'Nebenwegen' im Internet, weils auf dem Hauptweg der offiziellen Informationen entweder keine oder wie sich zu oft schon herausstellte, richtigerweise nur woanders viel vollständigere oder ganz andere gibt.


    Das und vieles mehr kommt mE lange vor einer Aneignungs- und Aufhebungsbewegung ist aber uU schon Emanzipationsbewegung, was Überschaubarkeit einleiten kann.


    Btw. Warum sollte jemand etwas abschaffen oder ändern wollen, was er so ganz in Ordnung findet - habe ich auch zu keiner Minute gemacht.

  • 1. Ein Problem in unseren Diskussionen ist, dass wir sehr oft über Themen reden, bei denen jede eingenommene Position bloss Sinn macht auf dem Hintergrund von Voraussetzungen auf andern Themengebieten.
    Am leichtesten fällt es uns noch zu sagen, was wir uns am Ende WÜNSCHEN - worauf das alles hinauslaufen SOLL, das Ziel.
    Aber dann... gibt es die riesigen unerledigten Differenzen im bezug auf das was IST, die Analyse des Bestehenden - auch, was einem daran (wie leicht) vermeidbar schlecht erscheint, die Kritik. Dazu kommt: was mit welcher Wahrscheinlichkeit sich wie entwickeln WIRD - worauf man vorbereitet sein SOLLTE, muss, darf; die Prognose.
    Dies letztere ist dann schon kaum noch abzutrennen von dem, worüber wir uns meist am heftigsten streiten: was für wen zu tun ratsam ist, was getan werden KANN oder KÖNNEN WIRD und herbeigeführt werden SOLLTE, eine Strategie.


    Viele Diskussionen über den einzuschlagenden Weg hier sind verkappte (und wie mir scheint, darum auch so verbissen geführte) Debatten darüber, was dafür vorausgesetzt werden darf oder muss.
    -------------------------------
    2. Um die Lage zu charakterisieren, in der wir (alle heute lebenden Zeitgenossen) uns aus meiner Sicht befinden, möchte ich kurz einen Blick auf frühere fundamentale*) Epochenübergänge werfen. (Dabei ziele ich auf die Aussagen von Wat oben: Wir haben gelernt, wir können...)


    Es gibt da vor allem zwei, die man grob als Übergang ins Mittelalter ("den Feudalismus"), und den in die Moderne bezeichnen kann.
    Grob gesagt, könnte man die objektive Aufgabe, vor die sich die vergesellschafteten Menschen im Mittelalter gestellt sahen, so beschreiben: Die bekannten zivilisatorischen Errungenschaften eines antiken Grossreichs mit den regional vorhandenen Produktivkräften wieder herzustellen, ohne auf die privilegierten Reichtumsquellen des Grossreichs und die Logistik der Verteilung dorther stammender Überschüsse (agrarische Mehrprodukte) in seine Fläche zurückgreifen zu können.
    Sie konnten die Aufgabe nicht lösen, indem sie das Grossreich wieder herstellten. Dazu fehlten ihnen ja genau dessen Mittel. (Das Grossreich selbst war nicht haltbar gewesen. Das war der wichtigste Grund.)
    Sie konnten nicht mehr zurück.
    Grob gesagt, könnte man die vergleichbare Aufgabe beim Übergang in die Moderne so ausdrücken: Man war konfrontiert mit einer Unzahl an äusserst ideenreichen Produktionsverfahren und attraktiven Lebensgestaltug-Möglichkeiten, die durch Fernhandel miteinander in Beziehung kamen und sich wechselseitig kennenlernten. Alle waren regional, traditional, geordnet vor allem dies geordnet-traditionale war allen TrägerGesellschaften der verfeinerten spätmittelalterlichen Lokalkulturen gemeinsam. Wenn man nun anfing, all die technischen Optionen und Ansätze aus neuem Wissen, all die attraktiven Lebensformen und -möglichkeiten zusammenzustellen, um daraus eine neue Lebensform zu machen, in der sie alle irgendwie (erst einmal arbeitsteilig) unterzuringen und und kreativ weiteruverarbeiten waren, war EINES klar: das würde NIE MEHR WIEDER zurückmünden in eine traditionale Ordnung. Jeder Gedanke an so etwas "Geschlossenes", Tradierbares, Geordnet-Überschaubares verbot sich von selbst.
    Sie konnten nicht mehr zurück.

    *) es gibt innerhalb von Epochen äusserst wichtige und durchaus "epochale" Übergänge, wie die Entstehung des Christentums; die Renaissance/Reformation; die aber nicht mit neuen Aufgabenstellungen verbunden sind (charakteristisch das lange Nebeneinanderlaufen dieser "Epochen" mit dem von ihnen Überwundenen, Überholten)
    -------------------------------------------
    3. Worin besteht die Errungenschaft der Moderne (speziell der kaitalistisch verfassten; es gab auch eine staatssozialistische), auf die wir zurückblicken?
    Die eine: Der gigantische Werkzeugkasten mit seinen Techniken und Prognostiken, den die technologisch orientierte Naturwissenschaft vor us hingestellt hat.
    Die andre: Dass die Menschheit als ganze, global, planetar, in Beziehung getreten ist.
    Was steht aber nun auch fest?
    Um das zu beantworten, habe ich - um einige neue Aspekte daran zu betonen - ein neues Wort vorgeschlagen: Produktionsarchitektur, und bin in penetranter Weise immer wieder darauf zurückgekommen. Wie Wat schon sagte: Eine Produktionsweise erschöpft sich nicht, ihre Produktivkräfte erschöpfen sich nicht in den Werkzeugen ihres Technologien-Systems. Sie müssen unter bestimmten Zielen zu dauerhaft robust-stabilen Reproduktions- und Fortschrittsformen kombiniert werden. Etwas derartiges legt der gegenwärtige Zustand nahe - aber AUSSCHLIESSLICH in Gestalt von Defiziten, die zu beklagen sind. Die betreffen im wesentlichen drei eng verknüpfte Themen: Unsere gegenwärtige Weise der Reproduktion und des Fortschritts beachtet keine Naturanforderungen Bedürfnisanforderungen Verständigungs- und Konsensbildungsanforderungen - ja sie kennt und erforscht sie nicht einmal, man könnte zugespitzt aber nicht verkehrt sagen: Sie hat nichtmal einen Begriff davon - keinen Begriff, wie das zu erforschen wäre.
    Wer sich das klarmacht, der kann nicht zurück.
    --------------------------------------
    4. Diese Aufgabe kann nur durch eine Vergesellschaftungsform angegangen werden, die komplett-zwangfreies gemeinsames Lernen aller Mitglieder unterstellt: Jeder in den wesentlichen Hinsichten auf dem Stand aller (Erwachsenen); jeder imstand wie alle andern, zu beurteilen, was wesentlich und unwesentlich ist, und darin mit allen (nicht mit jedem andern persönlich, versteht sich; versteht sich? aber wie geht das?) verständigt.


    5. Die Frage ist, wie man das, mit welchen Zwischenschritten aus dem gegebnen Stand heraus aufbaut - wer das will? wer das (von sich aus) macht? wer es kann? was sie brauchen?


    6. Die Überlegung Wats im Beitrag vor diesem finde ich vielversprechend und aus meiner Sicht wert, weiter verfolgt zu werden. (Ich hatte sie vor meinem Posting nicht gesehen.)

  • Zwei Fragen an Wal wegen der letzten Antwort an mich:
    1. Gut - alle vor Ort Tätigen machen ordentlich ihre Berichte. Wem schicken sie sie? Alle allen?
    (Robert Kurz im von Mario zitierten Text hält da immerhiin einen ganzen Forschungsprozess für nötig; wer, der arbeitet, hat nebenbei dafür Zeit???)
    2. Die Importe ohne den gegenwärtigen Aussenbeitrag betrugen in der BRD 2013 lt. Stat.Bundesamt 1117 Mrd.Euro, bezogen auf das komplette BIP von 2809 Mrd. sind das knapp 40%. Dabei ist noch nichtmal die Frage, wie man das verdient. Es ist die Frage, in welchem Ausmass man lokal ABHÄNGIG ist und entweder schmerzlich in den Weltmarkt eingegliedert oder schmerzlich davon ausgeschlossen (zB durch Sanktionen gegen die kommunalistische Wirtschaftsform, die da äusserst verletzlich ist)
    PS: Es ist am Ende dann auch noch ein bisschen die Frage, wovon die Kommunarden da profitieren, solange es das noch gibt, was sie ansonsten bereits heftigst kritisieren: grade die Hightech-Industrie? Koltan? Wie gut dass WIR Hightech-Standort sind und nicht Nigeria.. her also mit euerm Öl (egal wies gewonnen wird), dann kriegt ihr (per Barter-Tausch) auch die Laptops, die euch derzeit noch fehlen.. (ein Glück, dass sie euch fehlen... komparative Vorteile nannte man das früher, und die schreibt man möglichst fest, damit man noch lang davon profitieren kann.)
    Falls aber die Kommunarden bloss noch Fairtrade Produkte kaufen... kriegen sie teils garnichts, weils nicht fair getradet wird... oder aber... die Rechnung wird schnell sehr teuer... Solidarische Hilfe und Entwicklung ist derzeit kein Posten im Kommune-BIP?

  • Hallo Franziska,
    ich nenne es schlechte Diskussionskultur, wenn ich oben schreibe, um einen Anhaltspunkt für die stoffliche Abhängigkeit des Gebiets der BRD vom Ausland zu gewinnen:
    „Im Jahr 2008 hatte das kapitalistische Deutschland Roh-, Hilfsstoffe und Energieträger im Wert von 350 Mrd. Euro aus dem Ausland bezogen. Das waren rund 12 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung (BIP). Man kann also damit rechnen, dass auch ein genossenschaftlich organisiertes Deutschland in dieser Größenordnung, sagen wir Produkte im Umfang von 15 Prozent seiner Wirtschaftsleistung aus dem Ausland beziehen muss.“


    Du kommentierst oder kritisierst meine Angabe nicht, setzt aber unkommentiert und ohne zu erläutern, wieso deine Zahl aussagekräftiger sein sollte, dagegen, dass die kapitalistische BRD insgesamt Waren im Wert von 40% des BSP importiert.


    Auch deine inquisitorische Frage, an wen innerhalb einer selbstverwalteten Kommune individuelle Bedarfsanmeldungen geschickt werden sollen, dient nicht der sachlichen Klärung, sondern fischt nach Haaren in der Diskussionssuppe.


    Durch bohrende Detailfragen und durch bloßes Gegeneinanderstellen von Daten wird nichts klarer. Mit diesem Diskussionsstil reden wir weiter aneinander vorbei.
    Für mich ist das Thema hier beendet.
    Sorry und Gruß
    Wal

  • Wal: Der Hinweis auf den Anteil der Gesamtimporte am BIP zielte darauf, dass die aktuelle Abhängigkeit von Importen bzw. die Verflechtung mit "auswärtigen" Volkswirtschaften, steht hier für: Produktionsstätten in entfernteren Regionen, weit über die von dir genannte Zahl hinausgeht. Diese Abhängigkeit bezieht sich eben nicht bloss auf Rohmaterialien und Hilfsstoffe, die lokal nicht substituierbar sind, sondern auch auf zB Produktionsmittel (Ersatzbeschaffung und Ersatzteile).
    Insgesamt wird damit die Befürchtung ("Schreckensszenario") erhärtet, dass die regional hierzuland vorfindliche Produktionsstruktur für eine Umrüstung auf Bedarfsdeckung für die lokale Bevölkerung extrem schlecht vorereitet ist. Sie eignet sich extrem schlecht - sowohl für unmittelbare "Übernahme" des vorhandenen Produktionsmittelapparats zu Zwecken der Bedürfnisbefriedigung (etwa regionale Nahrungsmittel-Herstellung in der gewohnten Weise: hierauf vor allem bezog sich der Hinweis auf die Abhängigkeit von Gütern aus der globalen Produktion), als auch für eine Umrüstung. Dass man alles Gewünschte hochproduktiv-industriell in beinah beliebigen Mengen herstellen kann, gilt für den globalen derzeitigen Produktionsapparat, und setzt ua den gigantischen Aufwand für die dazu benötigte Transportinfrastruktur voraus. Nicht hingegen gilt dies für jede seiner Parzellen, die durch wachsende Produktivität und Spezialisierung nur immer abhängiger vom Weltmarkt wird. Und die ist nur auf sehr fatale Weise zu durchbrechen - sowohl bei Teilnahme, als auch bei Abkoppelung.


    Die Frage "wer verschickt das an wen?" war nicht inquisitorisch, sondern eine Frage.
    Sie bezog sich nichtmal auf "Bedarfsanmeldungen", sondern die Rede war in deiner Antwort an mich, auf die ich erwidert habe, erstmal von allen möglichen "Bestandsaufnahmen":

    "Zustand der Böden, der Gewässer, der Pflanzen- und Tierwelt etc., aber auch Zustand der Verkehrssysteme, der Schul- und Wohngebäude, Zustand der Maschinerie, Verfügbarkeit oder Fehlen einzelner Technologien",
    Daraus folgt ja an sich noch kein Bedarf, schon garnicht ein "individueller".
    Die Frage betrifft aber den Einwand, dass arbeitende Kommunarden in der Tat grosse Probleme haben, Bestandsaufnahmen dieser Art und überhaupt das "ihre gemeinsame" Produktion betreffende und FÜR ENTSCHEIDUNGEN BENÖTIGTE Wissen, das bei Beibehaltung dieser Art Produktionsstruktur anfällt, auch nur jeder für sich zu verarbeiten; geschweige denn, dass sie sich darüber verständigen.
    Es ist im übrigen sehr die Frage, ob derzeit, sei es im Management, sei es in der Staatsverwaltung solche (ja durchaus, wie ich schon sagte, oft genug akribisch, wissenschaftlich erhobenen) Datenmassen und "Bestandsaufnahmen" von IRGENDWEM verarbeitet und in rationale, allgemein mitgetragene Entscheidungen, deren Gründe dann auch noch (für wen?) kommunizierbar sind, umgesetzt werden können. In der derzeitigen Situation führt dieser durchaus bemerkte Mangel an Ein- und Vorsicht leider nicht zu Konsequenzen: Die so überaus produktive Produktionsstruktur ist alternativlos. Wollte man sie bezogen auf jene Werte, die für alle offensichtlich in ihr missachtet werden, abändern, könnte dies nur durch geplante und weitreichende Eingriffe stattfinden. Dafür fehlt jede Bereitschaft.
    Die Struktur selbst widersetzt sich ihrem Umbau.
    Das war die grundlegende These, die dadurch erhärtet werden sollte.
    Und sie stellt einen Widerspruch dar zur bisherigen Auffassung der meisten radikalen Linken, dass die Produktivkräfte im Kapitalismus gerade durch ihre spezifische Hoch-Entwickeltheit (nämlich Produktivität) eine besonders günstige und entgegenkommende Vorbedingung für ihre Aneignung durch die grosse Bevölkerungsmehrheit darstellten - und für Weiterverwendung im Sinne von deren Bedürfnissen.

  • Es könnte sein, dass in meinem sehr akademisch klingenden Statement oben ein erster Ansatz zu finden ist zur Erklärung für Ausmass und Härte des Konflikts selbst unter "Kommunalisten", der sich an der Frage des "Übergangs" entzündet.
    Der Ansatz knüpft an an das in der Anmerkung scheinbar beiläufig Gesagte, und er lautet:
    Obwohl die "epochal neue" Aufgabenstellung sich für uns, vage genug, am "historischen Horizont" abzuzeichnen beginnt, steht der wirklich "fundamentale" Übergang derzeit garnicht an.
    Sondern eben eher das historisch langwierige Vorbereiten und Entstehen von Strukturen im Schoss der bestehenden (in ihnen, neben ihnen). Und das allenfalls - angesichts der uns soviel reichlicher als Früheren zur Verfügung stehenden geschichtlichen Erfahrung - mit ein bisschen mehr Bewusstsein von dem, was da geschieht.
    Die bisherige linksradikale "Nah-Erwartung" ging davon aus, dass sich das alles in EINEM Anlauf, und womöglich gleich im Anschluss an den letzten Epochen-Schritt, erledigen lässt.
    Und jetzt rückt das alles so weit weg, womöglich weit jenseits unserer Lebensspanne, in die Zukunft.
    Und... es kommt noch etwas hinzu.
    Die linksradikale Grundüberzeugug war: dass sich mit einer einmaligen, punktuellen eben revolutionären "Abschaffung" des Kapitalismus, einem politischen "System"-Wechsel, auch in Gestalt einer "Aneignungsbewegng", alle wesentlichen Hindernisse für das, was man sich wünscht, beseitigen lassen: durch die genau damit schon bewerkstelligte Kollektivierung, Vergesellschaftung.
    Meine Debatten-Beiträge in diesem Forum bisher deuten mein Vermutung an, dass es eher umgekehrt verläuft:
    Die Bewältigung der Anforderungen einer rationellen Vergesellschaftung verdrängt primitivere solche Formen (Kapitalismus, bürgerlicher Staat), sie muss aber auch erstmal geleistet sein.
    Und... primitive Kollektivität ist kein blosses "Überbau"-Merkmal.
    (Das war die sehr richtige Bemerkung Wats im thread "Arbeiterforderungen von 1848": "
    Es nützt ja nix, eine herrschende Klasse (egal welche) abzulehnen, aber nicht auch die Bedingungen, daß es sie braucht(!), zu ändern." Davon, wie ich diesen Satz aufgeriffen habe, nahm ja die nachfolgende Debatte dort und dann hier ihren Ausgang.)
    Die Anforderungen, die eine rationale und auf rationale Zielsetzungen bezogene Vergesellschaftung stellt, erstrecken sich vielmehr wesentlich auf die Art der genutzten Produktivkräfte: Die müssen auf eine solche Verwendung hin erstmal neu entworfen und (erstmals) bewusst aufgebaut werden.
    Die Anschlussfrage, die sich da stellt, wenn es sich so verhält, lautet: Wer wird das machen? Wer hat das Motiv, sich an einen solchen Neuaufbau "im Schosse des Alten" zu machen?
    Ich glaube, dass das Forum zur Beantwortung dieser Frage, die derzeit ja auch bloss ich aufwerfe, mit all den (umstrittenen) Voraussetzungen (die derzeit auch bloss ich sehe), nicht auch noch bereit sein wird.
    Vielleicht muss man sich damit zufriedengeben, dass der eingangs erwähnte "Ansatz", als Möglichkeit, über die weiter nachzudenken wäre, zur Sprache gekommen ist. Mehr kann nicht erwartet werden.

  • Die Anforderungen, die eine rationale und auf rationale Zielsetzungen bezogene Vergesellschaftung stellt, erstrecken sich vielmehr wesentlich auf die Art der genutzten Produktivkräfte: Die müssen auf eine solche Verwendung hin erstmal neu entworfen und (erstmals) bewusst aufgebaut werden.


    Mir biegt es die Fingernägel nach außen, wenn ich so etwas und so lese. Schon die Sprache...^^


    Die Anschlussfrage, die sich da stellt, wenn es sich so verhält, lautet: Wer wird das machen? Wer hat das Motiv, sich an einen solchen Neuaufbau "im Schosse des Alten" zu machen?


    Wer dazu wirklich Antworten möchte, kann sie finden.
    Diese Fragen wurden in diesem Forum schon hunderte Mal beantwortet; dieser Thread öffnet damit..., deshalb werde ich das jetzt nicht zum x-ten Mal wiederholen - und mache 'Urlaub'.

  • So sehr ich Franziskas Überlegungen nachvollziehen kann, drehen wir uns dennoch im Kreis. Deshalb kann ich, abgesehen von ihrer Art und Weise zu formulieren (wenn man denn schon den Anspruch des Begreifens und verallgemeinerten Wissens hegt ;) ), den Unmut der Diskussionsbeteiligten verstehen. Egal welches Argument man vorbringt, es wird stets die Unmachbarkeit entgegen gehalten. Soweit ja nicht schlimm.


    Nur wo bleibt die - wünschenswert unschwurbelige - Darstellung einer alternativen Produktionsarchitektur? Und: Wird wirklich davon ausgegangen, das alles baut sich quasi in Landkommunen neben der kapitalistischen Gesellschaft auf und hat epochale Wirkkraft? Damit wären wir meiner Meinung nach wieder bei den Verfechtern des Klitschen-Sozialismus und der Peer-Ökonomie.


    Für den Außenestehenden klingt es so: Alles nicht machbar, da Kommunismus Voraussetzungen bedarf, die wir nicht haben und die aus dem Gegebenen gar nicht hervorgehen können (nur irgendwie daneben, wie ist unklar). Mich überrascht es da nicht, dass die Mehrheit der Lohnabhängigen, die mit dir diskutieren, Franziska, dann am Ende meinen: Jut, dann lassen wir es eben, wenn es sowieso aussichtslos ist.


    Also, werd' mal ein wenig konkreter, sonst können wir die Debatte auch sein lassen, wenn wir hier nur links-akademisch-adornitisch vor uns hindiskutieren.


    Konkret: Wie sähe denn so eine postkapitalistisch-emanzipative Produktionsarchitektur aus? Was müsste da gegeben sein und was wäre emanzipatorische Technologie? Oder besser gesagt solche, die so etwas ermöglicht. Ich habe ja des Öfteren auf Open Source Ecology verwiesen. Hier kommt dann aber nur das Gegenargument des Technizismus. Ok, mag hinhauen. Aber für mich ist die ganze Geschichte, was du denn vorschlägst, irgendwie nicht wirklich (be-)greifbar. Womit wir ja bei deinem eigenen Anspruch angelangt wären.


    (edit: unsachlich-polemische Sprache gelöscht von w.b.)

  • Hallo Mario,
    ich glaube, du hast den Grund für meine Missstimmung falsch verstanden.
    Mein Insistieren auf "guten Diskussionsstil" zielte darauf ab, dass auf die Fakten, Argumente und Fragestellungen, die in dem Eingangstext eines Threads aufgeworfen wurden, auch konkret eingegangen wird, und dass nicht ständig ein Themenwechsel ("Produktionsarchitektur" o.a.) versucht wird.


    Mein Eingangstext befasst sich mit dem Personenkreis, der für eine Beseitigung der Warengesellschaft und der Lohnarbeit nötig ist, und mit der zentralen Rolle, die dabei die Kooperation der wirklichen Produzenten spielt - erst recht, wenn die konkrete Arbeitskraft dieser Produzenten bei jedem Einzelnen von uns nur zu einer Teilarbeit taugt.
    Mein Text befasst sich halt nicht mit "Produktionsarchitektur".


    Wenn du jetzt Franziska aufforderst, sie solle ihren Begriff "Produktionsarchitektur" konkretisieren, habe ich gegen diese Bitte nichts einzuwenden, aber ich bitte darum, dass das nicht in diesem Thread gemacht wird.


    Gruß Wal

  • Hallo Kim,
    entschuldige, dass ich erst heute die Zeit und Ruhe habe, auf deinen Text zu antworten!

    Alles Gesellschaftliche oder Kollektive fängt beim Einzelnen an. Das menschliche Individuum steht im Mittelpunkt des Lebens und nicht ein Abstraktum (die Gesellschaft, die Natur, der Wert usw.) etwas Höheres (Götter, Nation, Rasse usw.) oder ein Ideal (Humanität, Arier usw.) oder sonst vom ihm Entfremdetes (Geld, Ware etc.) über das es sich identifiziert und über das sich die Individueen aufeinander beziehen.


    Da kann ich jeden Satz mit unterschreiben. Allerdings würde ich in meinen nachfolgenden Sätzen ergänzen wollen: Jedes Individuum findet schon eine bestimmte Gesellschaft vor. Jedes Individuum wächst in eine bestimmte Gesellschaft hinein. Deshalb gilt auch: "Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse." (Marx, Thesen über Feuerbach)

    Das Gesellschaftliche oder Kollektive entwächst dem Einzelnen. Zum Wohl jedes Einzelnen kann eine Gesellschaft oder ein Kollektiv nur funktionieren, wenn jedes Gesellschaftsmitglied oder Kommunarde soviel weiß und deshalb begriffen hat, wie ein gemeinsamer Reproduktionsprozess und dessen stetige Erweiterung beschaffen sein muss (worin natürlich die Kritik am gegenwärtigen kapitalistischen RP beinhaltet ist).


    Auch in diesem Gedanken finde ich Meines wieder. Engels hat das prägnante so formuliert: „Die Gesellschaft kann sich selbstredend nicht befreien, ohne dass jeder Einzelne befreit wird.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 273.


    In dieser Zielsetzung sind wir ganz beieinander.

    Nur an so etwas Handfestem wie dem Wissen vom gemeinsamen Reproduktionsprozess (die menschlichen Aktivitäten im Austausch mit der Natur die Lebensbedingungen zu erhalten und zu verbessern) kann die Unterdrückung von Menschen durch andere Menschen für immer aufgehoben werden und ist somit notwendige Voraussetzung für menschliche Emanzipation.


    Mit der raschen Bestimmung von "notwendigen Voraussetzungen für die menschliche Emanzipation" wäre ich vielleicht vorsichtiger. Im Zweifelsfall findet man immer noch eine "Voraussetzung für die Voraussetzung". Jedenfalls geht es hier nicht mehr um eine Zielsetzung, sondern um die notwendigen und richtigen Mittel, die uns zu dem Ziel "Befreiung der Individuen" führen.



    Wissen in diesem Sinne bedeutet nicht wissenschaftliches Spezialwissen auf einem Gebiet, sondern das vollständige Verständnis des gesamten Reproduktionsprozesses und da vor allem, wo es um so handfeste Dinge geht, mit denen die Grundbedürfnisse Trinken, Essen, Wohnen, Kleiden, Energie, Gesundheit befriedigt werden müssen. Von da aus kann sich das allgemeine Wissen dann weiter entwickeln und das kann einen ziemlich hohen wissenschaftlich-technischen Grad erreichen.


    Da weiß ich nicht, ob wir uns richtig verstehen und nicht aneinander vorbeireden. Natürlich bin ich der Meinung, dass jedes erwachsene Individuum in einer emanzipierten Gesellschaft ein vollständiges Wissen davon haben muss, welche Fragestellungen sich aktuell stellen, welche Zielsetzungen gemeinsam gefunden und entschieden werden. Das nenne ich Urteilsfähigkeit. Diese Urteilsfähigkeit muss jeder Einzelne von uns haben, der an dem gemeinsamen Entscheidungsprozess teilnimmt bzw. teilnehmen soll. Das muss aber nicht heißen, dass jeder Einzelne auch jeden einzelnen Schritt der Umsetzung der gemeinsamen Entscheidung überschauen können muss. Ja, jeder Einzelne muss Zugang zu allen möglichen Informationen haben, auch zu den Prozessinformationen, die die Produktion in actu betreffen.
    Als Beispiel: Jeder von uns kann beurteilen, ob ihm ein Stuhl fehlt, und ob ein vorhandener Stuhl bequem und stabil ist, auch wenn er noch nie im Leben selbst einen Stuhl hergestellt hat. Ja, je mehr produktive Wissen jeder Einzelne hat, desto besser für ihn und für die Gesellschaft. Aber ich denke nicht, dass das gesamte Produktionswissen in jedem Einzelnen verkörpert sein muss, bevor man von einer emanzipierten Gesellschaft sprechen kann.

    Dem steht nun nicht entgegen, dass es kein Spezialwissen geben kann, dass also weiterhin Forschung betrieben wird usw.. Nur ist so eine Forschung zweckfrei. Das heißt, jeder kann sich soviel Wissen aneignen, wie ihm lieb ist und von der Forschung bzw. den Experten geht keine Macht aus. Solche „Experten“ beeinflussen den reproduktiven Prozess nur, wenn es von den Gesellschaftsmitgliedern oder Kommunarden gewünscht ist. In diesen können ihre Ergebnisse eingehen oder auch nicht und, und wenn, dann immer im Rahmen der Verständlichkeit und Übersichtlichkeit für die Einzelnen.


    In meinem Eingangstext oben habe ich versucht zu zeigen, dass es keine Universalgenies mehr gibt und es keine Universalgenies mehr geben kann. Das heißt auch: Es gibt keine Individuen, die sich abstrakt und allgemein als "Experten" sehen oder bezeichnen können. Andersherum: Jeder Einzelne von uns ist "Experte" in einer anderen Frage. Und erst wenn die vielen Meinungen zusammenkommen, darunter auch von (selbsternannten?) Experten, entsteht ein kollektives Wissen, das jeder Expertenmeinung überlegen ist.


    Das gilt auch für das Kollektiv. Generell lassen sich durch das positive Zusammenwirken Einzelner im Kollektiv ganz sicher produktive Skalenvorteile erzielen. Voraussetzung für ein Gelingen ist allerdings Überschaubarkeit und gleicher Wissenstand, damit das Zusammenwirken reibungslos ablaufen und als Ganzes ein stabiles System bilden kann.


    Dazu habe ich eben schon ausgeführt: "Gleicher Wissensstand" in jeder einzelnen Fragestellung ist ein Ding der Unmöglichkeit. Und es ist als Produktionsvoraussetzung auch eine unsinnige Voraussetzung.
    Karl Marx hat die Kooperation der gesellschaftlichen Arbeit mehrmals mit einem Orchester verglichen. In einem Orchester müssen alle Beteiligten Noten lesen und verstehen können. Insofern ist die Grundlage für ein gemeinsames Urteil gegeben, ob die Musiker ein bestimmtes Stück spielen wollen oder nicht. Die Geiger müssen aber für diese Entscheidung nicht unbedingt Klavier oder Horn spielen können. Und Marx hat auch darauf hingewiesen, dass ein Orchester, ein gesellschaftlicher, kooperativer Arbeitskörper, auch einen Dirigenten brauch. Aber der Dirigent hat in einem emanzipierten Orchester keinerlei Befehlsgewalt weder über das Programm, noch über einzelne Musiker, und wahrscheinlich kann jeder Musiker irgendwann mal in Rotation den Dirigenten geben.

    Wenn man hingegen wie Wal das Kollektiv als ein positives Ergebnis der kapitalistischen Produktion betrachtet, man sich dann einfach den Kapitalismus wegdenkt, die ihm zu Grunde liegende Produktionsstruktur oder Produktionsarchitektur aber beibehält, ist das etwas ganz anderes. Denn damit werden ja auch die durch diese Produktionsweise festgelegten Machtstrukturen mit übernommen (und die wird man, weil es ja Mächtige und Bevorteilte gibt, auch niemals wieder loswerden). Und innerhalb dieser Struktur ist das Kollektiv für die Mehrheit der Einzelnen dann nicht mehr von Vorteil. In s o einem Kollektiv werden m. E. die Interessen und Bedürfnisse des Einzelnen wahrscheinlich in einer anderen Form aber sonst wohl genau so untergebuttert werden wie im Kapitalismus.


    Dass die kollektive oder gesellschaftliche Arbeit ein positives Resultat des Kapitalismus ist, hat sich allerdings nicht Wal ausgedacht, sondern ist der Grundgedanke von Karl Marx.

    Siehe dazu: Karl Marx über Arbeit
    und: Karl Marx über gesellschaftliche Arbeit


    Ja, unter vielen Linken ist dieser Grundgedanke verloren gegangen, was ich für sehr bedauerlich halte. Für noch schlimmer halte ich es, dass die wenigsten Linken überhaupt zur Kooperation willens oder fähig sind, weder untereinander unter Linken, noch innerhalb ihres gesellschaftlichen Umfeldes. Darin sehe ich die Hauptursache für die marginale Rolle, die die Linke in unserer Gesellschaft spielt. Wenn sich die Einstellung dieser Linken zur Kooperation Vieler im gemeinsamen, einheitlichen Interesse nicht ändert, werden die Lohnabhängigen den Kapitalismus ohne solche Linken oder gar gegen den Widerstand dieser Linken beseitigen müssen.


    Es ist m E. deshalb auch falsch zu sagen, es sei wegen der Nichtüberschaubarkeit gar nicht anders möglich, als kollektiv zu produzieren. Nein, es ist umgekehrt darauf hinzuarbeiten, dass der (Re)Produktionsprozess überschaubar gestaltet wird(und das gilt auch für Kollektive und Kommunen selbst, denn was weiß ein Kollektiv x in A, das von Gütern eines andern Kollektivs y in B abhängt, was das dort treibt). Dabei müssen wir, ich hatte es an anderer Stelle gesagt, auf das Einfache, das Essentielle hinarbeiten. Das heißt aber nicht, wie Wal vermutet, hin zur Bauern- und Handwerkertechnik, sondern allgemeines Wissen in allerhöchstem Grad von den Dingen und Vorgängen die uns dort erwarten und dort bewältigt werden müssen. Vom Kapitalismus können wir diesbezüglich aber nichts lernen, der macht mit und ohne Kollektiv so ziemlich alles hin.


    Ich denke, moderne Technologie ist nicht anders als kollektiv zu haben.
    Unüberschaubar ist der heutige Produktionsprozess weil von privaten Produzenten blind für den Markt produziert wird.
    Der Produktionsprozess wird dann überschaubar, wenn zu Beginn ein gemeinsamer Beschluss der wirklichen Produzenten steht, was für wen in welcher Menge und Qualität produziert werden soll. Sie wissen dann, was sie tun und warum sie es tun.
    Und der Produktionsprozess bleibt während der Arbeit überschaubar, wenn die Tätigkeit der "Dirigenten" bzw. Projekt- oder Produktionsleiter funktioniert und die Einzelschritte der Produktion von Controllern begleitet und ihre Daten in dem gemeinsamen Informationsplattform veröffentlicht werden.


    Beste Grüße auch von mir
    Wal

  • Die Ideologen des Kapitals behaupten ja, die moderne (Wirtschafts)Welt sei so komplex, dass sie ohne Steuerung und Leitung durch die Kapitaleigner in Chaos und Krisen versinke. Diese Steuerung und Leitung der Wirtschaft durch die Kapitalisten ist längst Geschichte.


    Das Verschwinden der Kapitaleigner von den Kommandohöhen der kapitalistischen Wirtschaft ist ein säkularer Trend in Richtung nachkapitalistischer Wirtschaft. Karl Marx maß diesem Trend eine hohe Bedeutung bei. Heutige Linke zucken gegenüber diesem Trend mit den Achseln und ignorieren die Fakten.
    Die Fakten sprechen allerdings eine deutliche Sprache nur und vor allem bei den größeren Betrieben, wie aus der Grafik hervorgeht:



    Die Grafik weist für die gut 60.000 Unternehmen in Deutschland mit mehr als 50 Lohnarbeitern noch 2.187 Unternehmer aus, die als Kapitaleigner ihr eigenes Unternehmen führen. Das sind ganze 3,6 Prozent. 96,4 Prozent der größeren Unternehmen werden in Deutschland von lohnabhängigen Managern geführt.


    Der „Economist“ bringt in seiner aktuellen Ausgabe einige Daten zu Familienunternehmen, die ebenfalls diesen säkularen kapitalistischen Trend zur Überflüssigmachung der Kapitalisten aufzeigen.
    Laut Economist werden 85% aller Großunternehmen mit mindestens 1 Milliarde Dollar Umsatz in Südost-Asien von der Gründerfamilie geleitet.
    In Lateinamerika werden 75% der Großunternehmen noch von Kapitalistenfamilien gesteuert.
    In den USA beträgt der Anteil der Familienunternehmen nur noch 15 Prozent.


    In den kapitalistischen Entwicklungsländern herrschen tatsächlich noch die Kapitalisten in Person über die Wirtschaft – wie im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert in den kapitalistischen Kernzonen.
    Heute ist bei uns „der Kapitalist als überflüssige Person aus dem Produktionsprozess“ verschwunden. (K. Marx, Kapital III, MEW 25,401).
    Moderne Großunternehmen „sind nicht Eigentum einzelner Kapitalisten, die ihr Geschäft selbst leiten, sondern von Aktiengesellschaften, deren Betrieb von bezahlten Angestellten geleitet wird, von Dienern, die in jeder Hinsicht die Position höhergestellter, besser bezahlter Arbeiter einnehmen. ...Die gesellschaftliche Funktion des Kapitalisten ist hier auf besoldete Diener übergegangen; aber der Kapitalist streicht nach wie vor in Gestalt seiner Dividenden die Bezahlung für jene Funktionen ein, obwohl er sie nicht mehr ausübt.“ F. Engels, Gesellschaftsklassen, MEW 19, 288f.

    „Es ist Privatproduktion ohne die Kontrolle des Privateigentums.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25,454.


    Gruß Wal Buchenberg


  • Welche Art "Qualifikationen" (aber, hm... warum soll das eigentlich in Anführungszeichen stehen?) diese Höhergestellten benötigen, davon vermittelt der nachfolgende Beitrag im Handelsblatt eine Ahnung:
    http://www.handelsblatt.com/un…nisiert-ist/10951272.html
    Das ist darum nicht ganz unerheblich, weil wir hier mal erfahren, nach welchen Grundsätzen sich die massgeblichen Akteure im Kapialismus SELBST sich das Wesen ihrer "gesellschaftlichen Funktion" der "Steuerung und Leitung" vorstellen. Die "Persönlichkeit" zählt, die "Reputation" und offenkundig das Bilden von Seilschaften. Insgesamt: Subjektive Meinungen, auf die sich jemand mit seiner ganzen Existenz versteift, und die ihm andre, als einer Autorität, abnehmen (ah, nein, es muss ja heissen: abkaufen).
    Tja... wo Entscheidungen über die Lenkung gesellschaftlicher Ressourcen SO getroffen werden (man erinnert sich dann kurz auch mal an den ganzen Coaching-Zirkus, wo diese Artisten des Führens und des unternehmerschen Enthusiasmus ihre Ausbildung bekommen), da wundert es einen nicht, dass diesen Herrschaften (und, nebenbei all denen, die noch an sie und ihre wunderbare Effizienz glauben) der Betrieb, oder besser die Umtriebe, denen sie vorstehen, steuerbar erscheinen.
    Ich frag mich sowieso seit langem: Wie ahnungslos, wie zurückgeblieben, wie provinziell, oder von mir aus auch, wie komplett-hermetisch aus seiner eigenen komplett bornierten "Elite" rekrutiert muss man eigentlich sein, um sich heute noch zur "Führung(s'kraft')" berufen zu fühlen?

  • Sterben die Kapitalisten aus? Die Vereinigung der (Klein)Kapitalisten DIHK sorgt sich um die Zukunft der Kapitalistenklasse, „über 40 Prozent der Seniorunternehmer“ finden keine Nachfolger mehr.
    Es handelt sich dabei um kapitalistische Unternehmen, die noch von den Kapitaleignern persönlich gemanagt werden, und die den Betrieb nicht an angestellte Manager, sondern an einen privaten Käufer übergeben wollen.
    Der DIHK warnt: „Setzt sich diese Entwicklung fort, wird es im Jahr 2050 rund eine Million Selbständige weniger geben.“

  • Hallo
    Das kann man als ein Plädoyer gegen kollektive Produktion sehen oder aber als Kritik gegen die Zumutungen kapitalistischer Kooperationen und was daraus in nachfolgenden Gesellschaften werden könnte. Nur Kim kann das aufklären.
    Gruß Jens

  • Alles Gesellschaftliche oder Kollektive fängt beim Einzelnen an. Das menschliche Individuum steht im Mittelpunkt des Lebens und nicht ein Abstraktum (die Gesellschaft, die Natur, der Wert usw.) etwas Höheres (Götter, Nation, Rasse usw.) oder ein Ideal (Humanität, Arier usw.) oder sonst vom ihm Entfremdetes (Geld, Ware etc.) über das es sich identifiziert und über das sich die Individueen aufeinander beziehen. In jedem zentralen Prinzip, das den Einzelnen unter eine bestimmte Betrachtungsweise zwingt, ist die Unterdrückung des Einzelnen angelegt.


    Hallo,
    der Text ist schwer zu fassen, ich probiere es trotzdem mal.
    Man kann es auch so rum sehen, erst eine Gesellschaft bringt Einzelne hervor. Der Einzelne ist das Ergebnis einer Gesellschaft. Ein Einzelner kann nur aus einer Gesellschaft hervorgehen (abgesehen von Experimenten im Reagenzglas) ohne sie (die Gesellschaft) würde es ihn nicht geben. Es gibt in Wirklichkeit abstrakte Dinge wie Gesellschaft, Natur, Wert aber einen Mittelpunkt des Lebens gibt es m.E. nicht. Das ist m.E. nur eine Vorstellung. Ein zentrales Prinzip, wenn es in der gesellschaftlichen Praxis verankert ist, erzwingt bestimmte Handlungsweisen, wie ich es betrachte (darüber denke), ist etwas anderes.
    Gruß Jens

  • Newly created posts will remain inaccessible for others until approved by a moderator.