Akkumulation als kapitalistische Form der erweiterten Reproduktion

  • Einfache Reproduktion bedeutet generell, dass die Reproduktion der produzierenden Menschen gewährleistet ist. Kommt es zu einem ständigen Mehrprodukt, erhöht sich das Reproduktionsniveau, was sich in Konsumvermehrung, erhöhter Vorratshaltung, Arbeitserleichterung, Risikoverminderung, Erhöhung der Freizeit u. a. darstellen kann. Es liegt dann erweiterte Reproduktion vor. Akkumulation heißt unter dieser Bedingung, dass ein Teil des Mehrprodukts zur Erweiterung der Reproduktionsbasis verwendet wird. Hierdurch käme es zu einer Erweiterung des zukünftigen Mehrprodukts. Unter nichtkapitalistischen Bedingungen würden emanzipierte Mitglieder eines Kollektivs über die Verwendung des Mehrprodukts selbst bestimmen und über die Erweiterung der Reproduktion selbst entscheiden.


    Einfache kapitalistische Reproduktion bedeutet, dass einerseits die Reproduktion der Lohnarbeiterklasse insofern gewährleistet ist, dass sie als Gesamtarbeitskraft tauglich bleibt und andererseits, dass eine Kapitalistenklasse durch die ständige Erzeugung eines Mehrproduktes erhalten wird (und sich durch Aneignung des MP auf höherem Niveau reproduzieren kann als die Lohnarbeiterklasse). Bei einem solchen System kommt es weder zu Akkumulation noch zur erweiterten Reproduktion, weil der gesamte Reproduktionsprozess durch die Reproduktion der Lohnarbeiterklasse festgelegt und beschränkt ist (durch ihre Anzahl und ihr Tauglichkeitsniveau) und andererseits das Mehrprodukt aufgezehrt wird. Das System der einfachen Reproduktion wird auf „natürliche“ Weise dadurch aufgelöst, dass die Kapitalistenklasse Kapital akkumuliert, indem sie einen Teil des Mehrprodukts in Kapital umwandelt (Kapitalakkumulation). Mit diesem Vorgang kommt jedoch das allgemeine Gesetz der Akkumulation zum Tragen, dass dafür sorgt, die Lohnarbeiterklasse nie über das zeitgenössische Minimum der Reproduktion hinauskommt und tendenziell dem Bestreben der Kapitalistenklasse ausgesetzt ist, sogar darunter gedrückt zu werden. Es wird zwar die Reproduktionsbasis erweitert, es wird zwar das Kapital vergrößert aber die Lohnarbeiterklasse kommt dennoch nie über ihr erbärmliches Reproduktionsniveau (das sich nach ihrer Tauglichkeit richtet) hinaus. Während die Lohnarbeiterklasse quasi die Arschkarte gezogen hat, sorgt diese Gesetzmäßigkeit dafür, dass auf Seiten der Kapitalistenklasse durch das anwachsende Mehrprodukt sich immer mehr Kapital bzw. Reichtum anhäuft.


    Diese von Marx herausgearbeitete Gesetzmäßigkeit macht deutlich, dass es sich bei der offizielle Lehre über den Segen des kapitalistischen Wachstums, das auch den Lohnarbeitern „Wohlstand“ bringen soll, um eines ihrer Dogmen handelt. Für die Lohnarbeiter gibt es keinen „Wohlstand“, für sie geht es immer nur um das für ihre Tauglichkeit notwendige Reproduktionsniveau. Das ist der selbstverständliche Maßstab der Kapitalisten für die Entlohnung und des Staates für seine Reformen mit denen er ständig an diesem Niveau herumzwackt und ausprobiert, wie weit es mit der Verarmung gehen kann. Aber es auch der Maßstab für die "Kämpfe", die die Vertreter der Lohnarbeiter für die Verbesserung von deren Lebensbedingungen führen. Je nach politischer Konjunktur liegen die Lebensbedingungen der Lohnarbeiter dann mal über, dann mal unter diesem Niveau, schwingen sozusagen um diese Niveau herum. Aber um die bewusste dauerhafte Anhebung dieses Niveaus und auf welche Art dieses erreicht werden könnte, geht aber auch bei den Lohnarbeitervertretern nie.


    Wie verläuft nun dieser Prozess im Kapitalismus?


    Das Bedürfnis, dass Geld zu Kapital werden soll, war vor und zu Beginn der kapitalistischen Produktionsweise schon da. Und es gab welche, die es in der Hand hatten und zu vermehren gedachten und es gibt heute auch welche, die darüber verfügen. Dabei ist es im Gegensatz zur offiziellen ökonomischen Lehre wenig interessant, die Motive und trostlosen Laufbahnen zu kennen, wie diese Tröpfe an das Kapital herangekommen sind, sondern dass sie, wenn sie es einmal haben, es erhalten müssen und von nun an keine Ruhe mehr finden, weil das im Kapitalismus eben nur geht, wenn sie es vermehren (es muss also nicht allein eine Bereicherungsabsicht dahinter stecken).


    Voraussetzung kapitalistischer Akkumulation ist, dass ein Mehrprodukt vorliegt und ein funktionierendes Reproduktionssystem aus dem es extrahiert werden kann. Der dann vom Mehrprodukt abgezogene, nicht von der Kapitalistenklasse konsumierte, für die erweiterte Reproduktion vorgesehene Teil wird im Kapitalismus zu Kapital, erweitert somit die Kapitalmenge (Aus G wird G’) und damit die Basis der Kapitalakkumulation. Damit ist der Zweck benannt warum Kapitalisten akkumulieren: Aus dem ursprünglichen Kapital soll, besser muss, eben immer mehr werden. Neben den subjektiven Gründen ist es vor allem der objektive Grund, neben den anderen Kapitalisten bestehen zu müssen, die zur Akkumulation zwingt. Die kapitalistische Konkurrenz ist ja ein dauernder brutaler und rücksichtsloser Kampf der Kapitalisten ums Überleben (in dem die Lohnarbeiter als abhängige Variable ihren Schaden erfahren). Durch die Konkurrenz untereinander, durch die ständigen technischen und anderen Veränderungen sind sie gezwungen zu reagieren und dafür brauchen sie ständig Kapital, wobei es am besten ist, wenn man eine möglichst Große Menge davon hat. Und damit ist auch schon das ganze zugrunde liegende blöde Prinzip benannt: Ständige Erweiterung der kapitalistischen Produktionsbasis und/oder Erhöhung der Kapitalproduktivität. Das ist es was den Kapitalismus treibt und für das Elend für die Mehrheit der Menschheit und den Reichtum bei einigen wenigen sorgt.


    Ausweitung der Produktionsbasis oder Erhöhung der Produktivität ist im Grunde ja nicht schlecht, nur wenn dieser Prozess eben den Zwängen der kapitalistischen Produktion unterliegt, wirkt sie kontraproduktiv für die Bevölkerungsmehrheit. Weil es nicht um eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen der Lohnarbeiter geht, verläuft die Kapitalakkumulation generell nicht vorrangig im Konsumgütersektor ab sondern im Produktionsmittelsektor, wo durch ständige Innovationen die Produktionsbasis erweitert und produktiver wird. Die innovativen Güter zirkulieren aber zum großen Teil nur in diesem Sektor, der somit über eine Weile aus sich selbst heraus wächst (Produktion um der Produktion willen) und keinen direkten Einfluss auf die Konsumgüterproduktion hat. Alles geht dabei solange gut, bis die Kapitalisten feststellen, dass sie zu viele Kapazitäten aufgebaut haben, woran sich die Krise anschließt.


    Neben dem Produktionsmittelsektor als primärem Sektor für Kapitalakkumulation verläuft diese auch über den Staatsgütersektor. Der Staat, seine Einrichtungen und die für ihn Dienenden sind nur möglich, weil im den beiden anderen Sektoren (PM und KG) durch das Mehrprodukt die notwendigen Mittel freigesetzt werden. Mit diesem Mehrprodukt wird neben dem Unterhalt der Staatsdiener die Kapital- und Produktionsbasis um einen Sektor erweitert, wo von nun an selbständig Kapitalakkumulation durch die Erzeugung von Staatsgütern stattfindet. Gleichwohl wirkt die Erweiterung der Kapitalbasis in diesem Sektor auch auf die Akkumulation in den beiden Sektoren Konsumgüter- und Produktionsmittelproduktion zurück, wodurch die Akkumulationsmöglichkeiten im gesamten Reproduktionssystem gefördert werden.


    Äquivalent wie im Staatsgütersektorsektor verläuft die Kapitalakkumulation im Luxusgütersektor. Dieser Sektor leitet sich aus den anspruchsvollen Bedürfnissen der Kapitalisten her und wird wie der Staatsgütersektor aus dem im Konsum- Produktionsmittelsektor erzeugten Mehrprodukt geschaffen und unterhalten. Es ein eigenständiger Produktionssektor mit dem die Kapital- und Produktionsbasis aus dem Mehrprodukt erweitert wurde und neue Kapitalakkumulation möglich wird, die auf den Konsum- und Produktionsmittelsektor zurück wirkt und so die Gesamtkapitalakkumulation auf eine höhere Stufe hebt. Ferner kann die Einführung innovativer Produktionsweisen und Güter aus dem Produktionsmittelsektor im Luxusgütersektor zur Erhöhung der Skalenerträge bei der Luxusgüterproduktion führen, wodurch Spielräumen für Preissenkungen entstehen und ehemalige LG zu normalen KG herabsinken können (so z. B. das Automobil durch Einführung des Taylorismus).


    Im Kapitalakkumulationsprozess ist der Konsumgütersektor die abhängige Variable und stets indirekt betroffen. Erst durch die Ausweitung der Produktionsbasis in den anderen Sektoren, durch die damit zunehmende Zahl der Lohnarbeiter wird die allgemeine Reproduktionsbasis ausgeweitet bzw. kommt es zu allgemeiner erweiterter Reproduktion. Ferner wirken sich auch die Innovationen im Produktions- und Luxusgütersektor auf diesen Sektor aus. Sie finden hier ihren Niederschlag als Mittel zur Ausfechtung der Konkurrenz unter den Konsumgüterkapitalisten. Konsumgütergüterproduktion spielt eine untergeordnete Rolle im kapitalistischen Akkumulationsprozess. Akkumulation in diesem Sektor führt stets zur Senkung der Reproduktionskosten der Lohnarbeiterklasse und hat nie den umgekehrten Zweck.


    Damit bleibt als Fazit: Kapitalakkumulation führt zu erweiterter Reproduktion. Diese findet vorerst den Sektoren der Produktions-, Staats und Luxusgüterproduktion statt und führt dort zu einer enormen Ausweitung der (Re)produktions- und Kapitalbasis. Sie wirkt auf den Konsumgütersektor zurück. Dort wirkt sie jedoch nicht als qualitative nachhaltige Anhebung des Reproduktionsniveaus der Lohnarbeiter, sondern führt einerseits zu einer (zeitgemäßen, kulturellen) anderen Zusammensetzung der Konsumgüter andererseits durch Einführung von Innovationen aus den anderen Sektoren in den Konsumgütersektor des Weiteren zur Verbilligung der Reproduktionskosten (insbesondere auch durch Freisetzung von Lohnarbeitern) und damit langfristig zu einem tendenziellen Absenken des durchschnittlichen Reproduktionsniveaus der Lohnarbeiterklasse (Pauperismus, Verelendung).


    Kim B.

  • Hallo Kim,
    Danke für die sehr schöne Darstellung von dir!
    Dass die bloße Reproduktion der Lohnarbeiter im Kapitalismus nur gewährleistet ist, wenn und soweit die Kapitalisten Kapital vermehren (akkumulieren) können, ist hier sehr einfach und verständlich dargestellt.
    Ich denke, mit dieser Erkenntnis lösen sich viele scheinbare (ideologischen) Probleme, mit denen sich Linke herumschlagen:
    Zum Beispiel die Frage, warum die Lohnarbeiter für den Kapitalisten (und damit scheinbar auch für den Kapitalismus) malochen. Sie tun das nur deshalb und nur soweit, als ihre Existenz (=Reproduktion) davon abhängt.
    Nur über diesen Zusammenhang findet man eine Erklärung, warum unsere Gewerkschaftsführer ständig für mehr Wachstum eintreten ohne von ihren Mitgliedern deswegen abgewählt zu werden.
    Aber auch, wer das "Wachstum" als solches angreift, der versteht die Grundlagen des Kapitalismus nicht.


    Kapitalwachstum ist eben nur eine Seite der Medaille. Die andere - scheinbar "erfolgreiche" und "gute" - Seite des Kapitalismus ist die Reproduktion der Lohnabhängigen. Für die Lohnarbeiter ist Kapitalwachstum kurzfristig ein Segen, weil sich kurzfristig dadurch die Bedingungen der Lohnarbeit verbessern. Kapitalwachstum ist aber längerfristig ein Fluch, weil mit dem Steigen der Arbeitsproduktivität sich die "Verkaufsbedingungen" der Lohnarbeiter verschlechtern.
    Dieser Zusammenhang steht hinter jeder "Standortlogik".


    Gruß Wal

  • Danke für dein Lob, Wal. Ich denke, die Gesetzmäßigkeit der allgemeinen Akkumulation gehört zu den wichtigsten Erkenntnissen von Karl Marx. Wenn man sie verstanden hat und ernst nimmt, würde man kein so verrücktes Buch über das Lob von Wettbewerb und Wachstum schreiben, wie es Sarah Wagenknecht getan hat. Oder man würde „Wirtschaftswachstum“ nicht mehr als einen positiven Beitrag für den „Wohlstand“ der Lohnarbeiterklasse ansehen, sondern verstehen, dass das offizielle Geschrei nach Wachstum, allein nur den Wunsch der Oberen nach Stärkung der Nation und seiner Kapitalistenklasse bedeutet. Oder man würde solche Sprüche wie: „sozial ist was Arbeitsplätze schafft“ unmittelbar als Verarschung der Lohnarbeiter in dem Sinne entlarven, als dass ihnen nichts mehr am Herzen läge, als sich für Nation und Kapitalisten abrackern zu wollen. Usw. usw. …


    Beste Grüße
    Kim

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