Kapitalismuskritik, wie geht das?

  • Irgendwo bin ich auf das Buch Le nouvel Ésprit du Capitalisme von Luc Boltanski und Ève Chiapello (1999) gestoßen.
    Empfehlen kann ich das Buch nicht, denn die beiden Autoren durchforsten nur Lehrbücher für Manager und meinen, sie kämen dabei dem Kapitalismus auf die Schliche. Aber einen interessanten Gedanken haben sie doch, auf den ich hier näher eingehen will.
    Interessant finde ich, dass sie zweierlei Arten von Kapitalismuskritik ausmachen.
    Die erste Art ist die Kritik an Armut und Ungleichheit im Kapitalismus. Das nennen die Beiden „Sozialkritik“ und sagen, diese Sozialkritik hätte sozialistische und marxistische Ursprünge. So weit so gut.
    Außerdem gebe es noch eine zweite Kritik am Kapitalismus, weil er die Selbsttätigkeit und Selbstverwirklichung der (lohnabhängigen) Individuen unterdrücke. Das nennen sie „Künstlerkritik“ und behaupten, dass diese Kritik ihren Ursprung in der Lebensform der Boheme habe.
    Letzteres kann ich nicht nachvollziehen. Diese sogenannte Künstlerkritik deckt sich nach meiner Meinung mit der Marxschen Entfremdungskritik am Kapitalismus. So schrieb K. Marx zum Beispiel:
    Lohnarbeit ist „sich selbst entfremdete Arbeit, der der von ihr geschaffene Reichtum als fremder Reichtum, ihre eigene Produktivkraft als Produktivkraft ihres Produkts, ihre Bereicherung als Selbstverarmung, ihre gesellschaftliche Macht als Macht der Gesellschaft über sie entgegentritt.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert III, MEW 26.3, 255.

    Es ist Vulgärmarxismus wenn man das Elend im Kapitalismus allein und nur als materielle Armut wahrnimmt.
    Karl Marx ließ nie einen Zweifel daran, dass materielle Armut eine ständige Bedrohung für alle Lohnarbeiter ist, jedoch so gut wie nie alle Lohnarbeiter erfasst.
    „Unter den bisher unterstellten, den Arbeiter günstigsten Akkumulationsbedingungen kleidet sich ihr Abhängigkeitsverhältnis vom Kapital in erträgliche ... Formen. Statt intensiver zu werden mit dem Wachstum des Kapitals, wird es nur extensiver, ... Von ihrem eigenen anschwellenden und schwellend in Zusatzkapital verwandelten Mehrprodukt strömt ihnen ein größerer Teil in der Form von Zahlungsmitteln zurück, so dass sie den Kreis ihrer Genüsse erweitern, ihren Konsumtionsfonds von Kleidern, Möbeln usw. besser ausstatten und kleine Reservefonds von Geld bilden können. So wenig aber bessere Kleidung, Nahrung, Behandlung und ein größeres Peculium (anvertrautes Vermögen) das Abhängigkeitsverhältnis und die Ausbeutung des Sklaven aufheben, so wenig die des Lohnarbeiters. Steigender Preis der Arbeit infolge der Akkumulation des Kapitals besagt in der Tat nur, dass der Umfang und die Wucht der goldnen Kette, die der Lohnarbeiter sich selbst bereits geschmiedet hat, ihre losere Spannung erlauben.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 645f.

    Materielle Armut ist und bleibt ein Skandalon der kapitalistischen Gesellschaft und materielle Armut ist auch im modernen Metropolenkapitalismus eine ständige Bedrohung für jeden Einzelnen, aber nicht das einzige, nicht das verbreitetste Elend mit dem die Lohnabhängigen im Kapitalismus zu kämpfen haben.
    Materielle Armut ist nicht das bestimmende, das wesentliche Element der Lohnarbeiter:
    Der Lohnarbeiter ist „persönliche Quelle des Reichtums, aber entblößt von allen Mitteln, diesen Reichtum für sich zu verwirklichen. ... Der Arbeiter selbst produziert daher beständig den objektiven Reichtum als Kapital, ihm fremde, ihn beherrschende und ausbeutende Macht, und der Kapitalist produziert ebenso beständig die Arbeitskraft als subjektive, von ihren eigenen Vergegenständlichungs- und Verwirklichungsmitteln getrennte, abstrakte, in der bloßen Leiblichkeit des Arbeiters existierende Reichtumsquelle, kurz den Arbeiter als Lohnarbeiter.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 596.

    Wenn sich die Lohnarbeiter die kapitalistischen Produktionsmittel aneignen, eignen sie sich nicht nur die Reichtumsquellen an, um die Armut zu beseitigen, sie eignen sich auch die Mittel zu ihrer Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung als freie Individuen an. Beides ist Eines.


    Und es gehört zur Tragik der sozialistischen und kommunistischen Bewegung, dass sie diesen Zusammenhang nicht bewahrt hat. Es gehört zur Tragik der sozialistischen und kommunistischen Bewegung, dass sie ihre Kapitalismuskritik auf die materielle Armut fokussiert hat. Damit entfernte sie sich zunehmend vom Lebensgefühl und der Interessenlage der Lohnarbeitermehrheit in den kapitalistischen Metropolen.


    Noch ein letztes:
    Scheinbar gibt es noch eine dritte Form der Kapitalismuskritik, die bisher nicht zur Sprache kam:
    Es gibt noch die Theorie, dass in den Kapitalismus interne Fehler eingebaut sind, die zu seinem Zusammenbruch führen. Ja, für diese Theorie lassen sich auch Argumente bei Karl Marx finden.
    Tatsache ist aber: Die Theorie, dass der Kapitalismus eine historische und damit eine endliche Produktionsweise ist, ist keine Kritik am Kapitalismus. Es ist ebenso wenig eine Kritik am Kapitalismus wie die Feststellung, dass jeder Mensch endlich und sterblich ist, eine Kritik am Menschen ist.
    Und die Feststellung, dass die Erde, so wie wir sie kennen, endlich ist und irgendwann mal erkaltet oder in der Sonne verglüht, ist keine Kritik an der Erde.
    Dass der Kapitalismus historisch und endlich ist, ist eine Kritik an der Theorie, der Kapitalismus sei eine überzeitliche, ewige und unveränderliche Produktionsweise. Dass der Kapitalismus historisch und endlich ist, ist keine Kritik am Kapitalismus.


    Jede Kritik findet ja an dem kritisierten Gegenstand Mängel, die zu beseitigen sind. Jede Kritik deckt also negative Eigenschaften auf und enthält gleichzeitig einen Handlungsappell, diese schlechten, mangelhaften Eigenschaften zu beseitigen. Beides fehlt der kapitalistischen Zusammenbruchstheorie.
    Die Zusammenbruchstheorie fokussiert nicht auf Mängel und Nachteile des Kapitalismus, sondern auf seine Instabilität.
    Und die Zusammenbruchstheorie enthält keine Aufforderung, keinen Handlungsappell an irgend jemanden.


    Für Kritik am Kapitalismus gibt es traditionellerweise diese beiden Bereiche: Die materielle Armut und die Unterdrückung und Unterwerfung der abhängigen Arbeiter durch die Kapitalisten und aller Volksteile durch den bürgerlichen Staat.
    Möglicherweise/höchstwahrscheinlich sind diese beiden Kritikfelder noch zu ergänzen durch die zerstörerischen Folgen des Kapitalismus für unsere natürliche Umwelt.


    Als unser aller emanzipatorisches Ziel lässt sich nennen:
    Wenn sich die Lohnarbeiter die kapitalistischen Produktionsmittel aneignen, nehmen sie den Profiteuren die Mittel für den Raubbau an der Natur. Die wirklichen Produzenten eignen sich damit nicht nur die Reichtumsquellen an, um die Armut zu beseitigen, sie eignen sich auch die Mittel zu ihrer Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung als freie Individuen an.

    Wal Buchenberg

  • Hallo Wal, mir erscheint sehr wichtig, was du da angefangen hast: Die linksradikalen Kritikpunkte am Kapitalismus sowohl zusammenzutragen als auch zu unterscheiden; und sich zu fragen, in welchem Verhältnis diese Punkte zueinander stehen. (Vielleicht auch noch: sich zu fragen, warum verschiedene Kritikpunkte von verschiedenen Gruppen besonders betont werden...)


    Mir wäre zunächst wichtig, auf einen Zusammenhang hinzuweisen, dessen Bedeutung ich schon mehrfach (vor allem zuletzt im AWT-thread) hervorgehoben habe:
    Die KRITIK am Kapitalismus (oder seine "Delegitimierung") setzt voraus, dass man sicher sagen kann, wie er funktioniert - was er notwendig an Wirkungen erzeugt, an was er grundsätzlich, durchgehend "schuld" ist, oder welchen Verlauf er sicher oder mit grosser Wahrscheinlichkeit nehmen wird.
    Man müsste dann diese sicheren oder sehr wahrscheinlichen Wirkungen BEWERTEN können; man muss sich sicher sein können (und das begründen), warum die grösste Zahl der Angehörigen kapitalistischer Gesellschaften diese Bewertung (spätestens wenn sie sie kennen und begreifen) teilen werden.
    Dann müsste man sagen können, durch was man den Kapitalismus ersetzen will: Und auch da muss man die erwartbaren Wirkungen und Verläufe mit guten Gründen vorhersagen können. Oder man muss (mit guten Gründen) sagen können, was es für Folgen hat, ihn "abzuschaffen" und "ersatzlos zu streichen".
    Und auch diese Folgen des Ersetzens und/oder Streichens muss man bewerten.
    Man muss dann noch nachweisen, dass die Bilanz im zweiten Fall absehbar deutlich besser ausfällt, als im Fall des Fortbestehens von Kapitalismus.
    Und bei all dem sollte man nicht vergessen, dass auch die Befürworter des Kapitalismus Argumente für ihn anführen - dass sie über ihn nicht so ganz anders reden als viele Linksradikale über den Sozialismus, dass er nämlich das bessere Wirtschafts- und Produktions-Organisationssystem darstellt, und - da spalten sie sich in ähnlich viele Fraktionen (oder soll man sagen: Konfessionen?) auf wie die Linksradikalen - dass er eigentlich garnicht seine Leistungsfähigkeit voll entfaltet, und in verschiedensten Hinsichten sehr reformierunugs-bedürftig ist (dazu machen sie Vorschläge - bis hin zur reformistisch-sozialdemokratischen Linken.)


    Die beiden Hauptrichtungen der an Marx' Kapital sich anschliessenden Kapitalismus-Kritik sind in der Tat nur dann auseinanderzuhalten, wenn man die ökonomische Theorie dahinter nicht kennt oder nicht anerkennt: Dass nämlich die Lohnabhängigen seit Beginn des Kapitalismus von der Verfügung über das von ihnen produzierte Mehrprodukt ausgeschlossen sind: Von Anfang an konnten und können sie bis heute nicht bestimmen, wieviel sie dafür mehr als zu ihrem aktuellen Lebensunterhalt notwendig arbeiten wollen; sie können Art und Richtung der Mehrproduktion, die ihnen da zwangsweise auferlegt wird, nicht bestimmen. An diesen Verfügungs-Verhältnisssen ändert sich auch auf Dauer nichts: Während der von ihnen produzierte Reichtum an Produktionsmitteln in unfassbarer Weise wächst, bleiben die Lohnabhängigen immer weiter von ihm und der Verfügung über ihn ausgeschlossen. Schlimmer noch. Die Konkurrenz, der vielgelobte Hauptantrieb der modernen Marktwirtschaft, wirkt sich so aus, dass mit allergrösster Wahrscheinlichkeit immer grössere Teile der (Welt)Bevlkerung vom Zugang auch nur zu dieser Quelle ihres Lebensunterhalts ausgeschlossen werden oder gleich garnicht erst in ihre Nähe gelangen. Alle andern Lebens- und Produktionsmöglichkeiten aber werden weltweit systematisch von kapitalistischen Unternehmen (meist mit Gewalt) zerstört und/oder angeeignet; es gibt darum weltweit zur Lohnarbeit und Lohnarbeitslosigkeit auch keine Alternative.


    In der marxistischen Tradition der Kapitalismuskritik wird also klar gesagt: Die Quelle für beide Kritikrichtungen (Armut/Ungleichverteilung von Einkommen; Mangel an Verfügung über Art, Ausmass, Richtung des Einsatzes der Produktionsmittel) ist dieselbe, man kann garnicht das eine Übel weghaben wollen ohne auch das andre zu beseitigen. Daran ändert sich auch durch eine eventuelle Korrekturbedürftigkeit im Detail der dahinter stehenden ökonomischen (Arbeitswert-)Theorie von Marx nichts.


    Leider trifft diese Kritik nicht mehr ins Zentrum der Rechtfertigung des Kapitalismus als eines notwendigen ÜBELS, als das er (ähnlich wie die Demokratie) höchst defensiv heute besprochen wird.
    Und da wundert mich, Wal, dass du eine weitere Richtung der Kapitalismus-Kritik, die zugegeben viel schwächer ausgearbeitet und weniger lautstark geltend gemacht wurde und wird, nicht immerhin erwähnt hast: die an Kapitalismus als einem tauglichen STEUERUNGSINSTRUMENT einer ansonsten nicht beherrschbaren, nicht organisierbaren, unübersehbar chaotischen modern-arbeitsteiligen Produktion auf gesellschaftlicher, ja globaler Stufenleiter.
    In dieser Funktion soll Kapitalismus unersetzlich sein - so seine Befürworter; die anerkannt negativen Nebenfolgen, die für diese durch nichts zu ersetzende Steuerungsleistung inkaufzunehmen sind, müssen dann eben politisch korrigiert werden: Der Staat ist der (ua. sozialpolitische, zentralbank-aufsichtsführende) Reparaturbetrieb, der (ua. gesetzliche, politische) Rahmensetzungs- und auch allgemeine (ua. Infrastruktur, Wirtschafts-politische) Randbedingungen-Formungs-Betrieb des Kapitalismus (den er in seiner "Kernkompetenz" nichtsdestotrotz, eigenem Verständnis der kapitalistisch-demokratischen Staatsvertreter zufolge, nicht ersetzen kann).


    Solange dieser Ideologie nicht vonseiten einer ökonomischen Theorie widersprochen werden kann, ist die bisherige linksradikale Kritik zwar nicht gänzlich entkräftet - Armut und (Mit)Bestimmungsausschluss gelten auch unter Kapitalismus-Befürwortern, wie du oben selbst andeutest, als mehr oder weniger grosser Skandal - ; sie verliert aber entscheidend an systematischer Durchschlagskraft, und löst sich auf in eine unübersehbare Vielzahl von Einzelgefechtsfeldern, wo hin und her gestritten werden kann, ob die reformistischen politischen Korrekturen oder womöglich sogar das unkorrigierte Wirkenlassen der Marktkräfte die heilsameren kompensatorsichen Wirkungen zeitigen - oder ob sie das niemals leisten werden, und die Marxsche Skepsis gegen die Reparierbarkeit der Systemschäden eben doch die Oberhand behält.


    Die von dir angeführten und verworfenen Zusammenbruchstheorien sind eine traditionelle linksradikale Form, die Verteidigung des Kapitalismus auch auf diesem Feld zu unterminieren: Kapitalismus KANN demnach der selbst proklamierten Aufgabe garnicht gerecht werden, einen optimalen technischen Fortschrittspfad aus jeder Ausgangslage heraus zu bahnen.
    Theorien dieser Art haben die Adressaten der linksradikalen Agitation meist nur in Form von reichlich dogmatischen Behauptungen erreicht ("schon wieder Krise - Kapitalismus kann halt nicht anders, das Ende ist nahe"). Ansonsten wurden sie von ökonomischen Fachleuten aufgegriffen und unter ihnen debattiert - mit durchaus ähnlichem Ausgang wie im Falle der "Ausbeutungskritik": Ja, es gibt Korrekturbedarf, der Staat muss beaufsichtigen, aktive Wirtschaftspolitik treiben - aber eine GRUNDSÄTZLICHE Neigung zur andauernden, langfristigen Instabilität (oder auch bloss "Suboptimalität") scheint ökonomisch nicht begründbar.


    Und dann gibt es noch eine weitere Entlastungsstrategie, die einem bei den unerledigten Kritikpunkten begegnet: Sie folgen demnach nicht aus dem Kapitalismus, sondern haben wesentlich andere, ausser-ökonomische Ursachen, die man nicht dem Wirtschaftssystem und seinen Spielregeln anlasten darf. Auch hier besteht demnach Regelungsbedarf. Aber auch hier versagen Versuche sowohl marxistischer als auch anderer Kapitalismus-Kritiker, dem System eine innerökonomisch begründete prinzipielle Unfähigkeit anzulasten, mit bestimmten Herausforderungen zumindest LANGFRISTIG fertigzuwerden - es garnicht, oder nur soviel schlechter zu können als jede Alternative, dass ein aufwendiger Umsturz und Übergang zu einer solchen Alternative lohnt.


    Schliesslich hat Kapitalismus aus Sicht relativ vieler Leute, auch Nicht-Kapitalisten im engeren Sinn, einige prinzipielle VORTEILE, die sich unter dem Namen FREIHEIT zusammenfassen: Man muss sich eben nicht ständig mit andern und politischen Aufsichtsorganen abstimmen, einschränken, zurücknehmen - im Rahmen seines Eigentums darf man doch tun und lassen, was man möchte. Viele wollen garnicht mehr; viele wollen garnichts andres, als solche Eigentümer sein oder es werden, sobald sie die Chance dazu haben.


    Angesichts solcher "kleinbürgerlicher" Wünsche haben Linksradikale bislang nur noch böse schimpfen können...

  • Ich komme erst jetzt dazu, auf einen weiteren Punkt des Eingangsbeitrags einzugehen - die von den beiden dort erwähnten Autoren so genannte. "Künstlerkritik" - jene, die Marx längst schon mit seiner Entfremdngstheorie vorweggenommen zu haben scheint. Es soll eine Kritik am "Kapitalismus" sein - einem offenkundig, nicht zuletzt auch in vielen linken Theorie-Diskursen, nicht mehr weiter zerfällbaren historischen Gebilde, das man entweder als Ganzes (wahr)nimmt oder garnicht.
    Demgegenüber erinnere ich ja mit einiger Penetranz an die Idee des noch relativ jungen Marx, dies Gebilde unter zwei Gesichtspunkten zu analysieren, Produktionsverhältnis, Produktivkräfte - zwei Kategorien, die sich nur scheinbar unwiderruflich zu einer monolothischen "Produktionsweise" vereinen - die Dynamik der "Produktivkräfte (unterstellen wir sie mal als "gegebene", "unaufhaltsam sich von selbst durchsetzende" Kraft DES Fortschritts von Technologie und Wissenschaft) soll es ja sein, die - nach der "historisch-materialistischen Arbeitshypothese" (wie ich sie mal vorsichtig nennen möchte) - allererst den Eintritt in dieses neue Produktionsverhältnis, als gesellschaftlicher (Organisations)Form, dieser technischen Errungenschaften, sobald sie in der Welt sind, erzwingen. So, wie sie unaufhaltsam, beflügelt durch dieses ihnen ZUNÄCHST sehr angemessene Produktionsverältnis "entfesselt", es von sich abstossen und als veraltet und nur noch hinderlich zusammenbrechen lassen: Der durch ihn beflügelte Fortschritt der Technik selbst ist es, der den Kapitalismus zusammenbrechen, zumindest in die Krise geraten lässt. - Die Marxsche Ökonomie sollte, wesentliches Motiv, als Resultat sichere Belege für diese Hypothese beibringen; viel kam nicht heraus, aber durchaus Erwägenswertes: die Tendenz zum Wachstum der Lohnarbeitslosigkeit und der "Reservearmee", Hand in Hand mit der immer anspruchsvolleren, somit kostenträchtigeren, wiewohl kostengünstigeren technischen Ausstattung der Industrie-Arbeitsplätze - dem Wachstum der "Kapitalintensität" (vgl. dazu den einschlägigen thread ) und dem umstrittenen Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate AUFGRUND des konkurrenz-getriebenen und erzwungenen Fortschritts der (ua Arbeits)Produktivität.


    Die Produktivkräfte (hier von Wat gern mit den Produzenten selbst identifiziert) brauchen also den Kapitalismus, dann stört er sie zunehmend, und sie schaffen ihn sich vom Hals. Da sind sie dann schon riesengross und reif geworden, verglichen mit den mickrigen Ausgangspunkten. Aber analytisch spätestens, wenn nict praktisch lassen sie sich ohne Kapitalismus vorstellen, und bald womöglich auch ohne ihn organisieren.


    Also das ist, was uns vom Kapitalismus bleibt (manche loben ihn ja gerade dafür, schreiben ihm diese Geburts-Hilfestellung bei der (naja für einige Menschheitsgenerationen leider etwas schmerzvolle und opferreiche) Produktivkraft-Entfesselung als "historisches Verdienst" zu und bedanken sich in gewissem Sinn dafür. (Dass sich Staatssozialisten für mangelhafte Erbringung derselben Leistung kritisierten bzw. soweit erfolgreich, gelobt haben, wurde ihnen beides zum Vorwurf gemacht...)
    Die Frage ist nun, worauf sich eigentlich die Kritik der Entfermdung bezieht: auf die spezifisch kapitalistische Form der "entfesselten" Produktivkräfte?
    Wer meine Beiträge hier im Forum seit Beginn (oder auch nur meine Selbstdarstellung in meinem Profil) gelesen hat, wird wissen, dass ich das verneine.
    Stattdessen sage ich: Da bleibt durchaus etwas... Unschönes zurück. Iich nenne es:die Moderne.
    Ob oder ob nicht deren Errungenschaften ihrer vorübergehenden Verschmelzung mit dieser Vergesellschaftsform zu verdanken sind, will ich dahingestellt sein lassen.
    Dass wir ie MÄNGEL jedenfalls mitnehmen, scheint überall da durch, wo uns Linke in Erinnerung gebracht wird, dass auch der Sozialismus ein "Reich der Notwendigkeit" sein wird, mit - wie könnte es, angesichts von soviel Entfesselung, anders sein - überaus produktiven, aber leider darum auch in ihrem Betrieb reichlich anspruchsvoll gewordenen "Produktivkräften"; die (nach wie vor entfremdete) Arbeit geht da so schnell nicht aus, kann allenfalls unter mehr Leuzten als zuvor aufgeteilt werden, mehr auch darum, weil etliche, die es vorher nicht getan haben, mit anpacken werden. Und dann... kann man nur hoffen, dass das hoch anspruchsvolle Produktivitätsniveau zum Sprungbrett wird, um sich, man weiss nicht wie und wann, durch noch weitere Steigerung der Produktivität (hauptsächlich in der FREIZEIT der Produzenten erarbeitet!?), der ganzen Notwednigkeit zu entledigen und ins Reich der Freiheit einzutreten. Arbeit ist dann überhaupt schon das wichtigste Lebensbedürfnis aller...


    Ich gebe hier nur schnell diese Thesen zu Protokoll:
    Die sog. Künstlerkritik, ebenso wie die der Entfremdung, gilt der MODERNE. Was die - (analytisch) getrennt vom Produktionsverhältnis "Kapital" ausmacht, ist - ausser in den trivialen Oberflächen-Kategorien Aufklärung, Naturwissenschaft, technischer Fortschritt, Produktivität, grosse und grösste Industrie, Urbanisierung, zunehmende Naturbeherrschung - wenig durchschaut.
    In dieser ihrer undurchschauten Selbstverständlichkeit ist Moderne aber vor wie nach dem Kapitalismus vor allem eins: ALTERNATIVLOS.
    Es wird Zeit, darüber nachzudenken.


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