Ein Ende der Welt, die wir kennen

  • Am 9. Januar 2017 publizierte die „National Intelligence“ der USA, eine Art Aufsichtsrat der US-Geheimdienste, einen öffentlichen Report, „to help senior US leaders think and plan for the longer term“.



    Hier folgen die Kernaussagen im englischen Original und in meiner (nicht unparteiischen) Übersetzung, aber ohne Kommentar:


    The next five years will see rising tensions within and between countries. Global growth will slow, just as increasingly complex global challenges impend. An ever-widening range of states, organizations, and empowered individuals will shape geopolitics. For better and worse, the emerging global landscape is drawing to a close an era of American dominance following the Cold War. So, too, perhaps is the rules-based international order that emerged after World War II. It will be much harder to cooperate internationally and govern in ways publics expect. Veto players will threaten to block collaboration at every turn, while information “echo chambers” will reinforce countless competing realities, undermining shared understandings of world events. In den nächsten fünf Jahren werden wir wachsende Spannungen innerhalb und zwischen den Ländern der Welt erleben. Das Wirtschaftswachstum bleibt schwach, gleichzeitig bekommen wir es mit immer komplizierteren Problemen in der Welt zu tun. Die Weltpolitik wird nicht mehr nur von einem einzigen Staat, sondern von immer mehr Staaten, Organisationen und einflussreichen Personen bestimmt.
    Ob es uns gefällt oder nicht, die kommende Weltsituation wird die globale amerikanische Vorherrschaft der Zeit nach dem Kalten Krieg beenden.
    Wahrscheinlich wird damit auch die auf (unseren) Regeln basierte internationale Ordnung enden, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstand.
    Es wird für uns viel schwieriger werden, mit anderen Staaten zu kooperieren, und die Erwartungen zu erfüllen, die unsere Bürger an die Regierung richten. Konkurrierende Mächte drohen unsere Versuche zur Zusammenarbeit ständig zu blockieren, während Informationsnetzwerke ständige konkurrierende Weltbilder erzeugen, die es erschweren, dass sich unsere Interpretation der Ereignisse durchsetzen kann.
    It will be tempting to impose order on this apparent chaos, but that ultimately would be too costly in the short run and would fail in the long. Dominating empowered, proliferating actors in multiple domains would require unacceptable resources in an era of slow growth, fiscal limits, and debt burdens. Es wäre verlockend, diesem offensichtlichem Chaos mit militärischer Gewalt eine Ordnung aufzuzwingen, aber auf kurze Sicht wäre das enorm kostspielig und auf lange Sicht würde es fehlschlagen. Um die an Zahl und Einfluss wachsenden Gegenspieler der USA in verschiedenen Weltregionen klein zu halten, würde es so hohe wirtschaftliche Ressourcen erfordern, wie sie in einer Zeit der Wachstumsschwäche, der begrenzten finanziellen Mittel und der Schuldenlasten unverantwortlich wäre.
    The global economy is shifting. Weak economic growth will persist in the near term. Major economies will confront shrinking workforces and diminishing productivity gains while recovering from the 2008-09 financial crisis with high debt, weak demand, and doubts about globalization. Die Weltwirtschaft verändert sich. Das schwache Wirtschaftswachstum wird sich in naher Zukunft nicht verbessern. Die wichtigsten Volkswirtschaften haben mit schrumpfenden Arbeiterzahlen und mit immer geringeren Produktivitätsgewinnen zu tun, und kämpfen immer noch mit der Hinterlassenschaft der Finanzkrise 2008-09: hohe Schulden, schwache Nachfrage und Misstrauen gegen die Globalisierung.
    Governing is getting harder. Publics will demand governments deliver security and prosperity, but flat revenues, distrust, polarization, and a growing list of emerging issues will hamper government performance. Unsere Regierungstätigkeit wird schwieriger. Die Öffentlichkeit verlangt von der Regierung Sicherheit und Wohlstand, aber stagnierende Staatseinnahmen, Misstrauen gegen Politiker, politische Polarisierung und die wachsende Zahl zusätzlicher Probleme werden die Effektivität der Regierung schwächen.
    More extreme weather, water and soil stress, and food insecurity will disrupt societies. Sea-level rise, ocean acidification, glacial melt, and pollution will change living patterns. Tensions over climate change will grow. Increased travel and poor health infrastructure will make infectious diseases harder to manage. Extreme Wetterbedingungen, Belastungen des Trinkwassers und des Bodens und Schwierigkeiten in der Nahrungsversorgung werden ganze Gesellschaften in Unruhe versetzen. Der Anstieg des Meeresspiegels, die Versauerung der Ozeane, das Abschmelzen der Gletscher und die Verschmutzung der Luft werden unsere Lebensbedingungen verschlechtern und zusätzliche Spannungen hervorrufen. Erhöhtes Reiseaufkommen und schlechte Gesundheitseinrichtungen machen es schwieriger, Infektionskrankheiten einzudämmen.
    The world’s population will be larger, older, and more urban, even as the rate of global population growth slows. The effects on individual countries will vary, however, as the world’s major economies age and the developing world remains youthful. Die Weltbevölkerung wird größer, älter und urbaner sein, auch wenn sich das Wachstum der Weltbevölkerung verlangsamt. Die Auswirkungen auf einzelne Länder sind jedoch verschieden, da die großen Volkswirtschaften (der kapitalistischen Kernzone) vergreisen und die Entwicklungsländer (in der kapitalistischen Peripherie) jugendlich bleiben.
    Worldwide, the number of people reaching working age during the coming two decades will decline sharply from the previous two– from 1.20 billion in 1995-2015 to 850 million in 2015-35, according to UN projections. Most of these new workers, however, will be in South Asia and Africa, many of them in economies already struggling to create new jobs in the modern global economy due to inadequate infrastructure, limited education systems, corruption, and lack of opportunity for women. Weltweit wird die Zahl der Erwerbsbevölkerung – in der Hauptsache Lohnarbeiter - in den kommenden zwei Jahrzehnten gegenüber den letzten beiden Jahrzehnten stark sinken - von 1,2 Milliarden in den Jahren 1995-2015 auf 850 Millionen (hauptsächlich Lohnarbeiter) in den Jahren 2015-35. Das zeigen Berechnungen der UNO. Die meisten der neu ins arbeitsfähige Alter kommenden Lohnarbeiter werden jedoch in Südasien und Afrika leben, in Volkswirtschaften, denen es zum Teil schon heute schwer fällt, zusätzliche Arbeitsplätze für eine globale Wirtschaft zu schaffen, wegen ihrer unzureichenden Infrastruktur, ihres mangelhaften Bildungssystems, wegen ihrer Korruption und ihrer geringen Chancen, die sie Frauen bieten.
    Migration flows will remain high during the next two decades as people seek economic opportunity and flee conflict and worsening environmental conditions. International migrants—or persons who reside outside their countries of birth—and forcibly displaced persons reached the highest absolute levels ever recorded in 2015, with 244 million international migrants and roughly 65 million displaced persons. Die Wanderungsbewegung von Migranten wird während der nächsten zwei Jahrzehnte hoch bleiben, da die Menschen bessere wirtschaftliche Chancen suchen und vor Konflikten und vor der Zerstörung ihrer Umwelt fliehen.
    Das Jahr 2015 erlebte mit 244 Millionen Flüchtlingen und rund 65 Millionen Vertriebenen einen nie zuvor gesehenen Höchststand.
    Economies worldwide will shift significantly in the near and distant futures. Wealthy economies will try to halt recent declines in economic growth and maintain lifestyles even as working-age populations shrink and historically strong productivity gains wane. Die Schwerpunkte der Weltwirtschaft werden sich in der nahen und fernen Zukunft deutlich verschieben. Wohlhabende Volkswirtschaften müssen versuchen, einen weiteren Rückgang ihres Wirtschaftswachstums zu stoppen und ihren Lebensstandard zu halten, selbst wenn die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter schrumpft und ihre bisherigen, einmalig starken Produktivitätszuwächse schwinden.
    Governments will increasingly struggle to meet public demands for security and prosperity. Fiscal limits, political polarization, and weak administrative capacity will complicate their efforts, as well as the changing information environment, the growing stock of issues that publics expect governments to manage, and the proliferation of empowered actors who can block policy formation or implementation. This gap between government performance and public expectations—combined with corruption and elite scandals—will result in growing public distrust and dissatisfaction. It will also increase the likelihood of protests, instability, and wider variations in governance. Die Regierungen der reichen Welt werden es schwer haben, die gesellschaftlichen Forderungen nach Sicherheit und Wohlstand zu erfüllen. Begrenzte Steuereinnahmen, die politische Polarisierung und der begrenzte Umfang der öffentlichen Verwaltung behindern ihre Bemühungen. Erschwerend kommen noch hinzu: die veränderten Bedingungen der Medien und der Informationsbeschaffung, die steigenden gesellschaftlichen Erwartungen an die Regierungen, und die Zunahme einflussreicher Persönlichkeiten im In- und Ausland, die in der Lage sind, Regierungsmaßnahmen zu hintertreiben. Diese Kluft zwischen der tatsächlichen Regierungsleistung und den Erwartungen der Öffentlichkeit wird – noch genährt durch Skandale und Korruption der herrschenden Eliten - zu einem zunehmenden Misstrauen gegen „Die-da-oben“ und zu wachsender sozialer Unzufriedenheit führen. Massenproteste, politische Instabilität und Wechsel im Regierungssystem werden wahrscheinlicher.
    Originaltext: https://www.dni.gov/index.php/…ming-the-global-landscape
    Wal Buchenberg, 13. Januar 2017



    Die Themen und Probleme, die hier angesprochen worden sind, sind für die Leser und Teilnehmer des Marx-Forums weder neu noch überraschend.


    Vergleiche dazu:


    Die kommende Krise


    Wohin geht unser Land?


    Flucht nach Europa


    Globalismus: Deutschland und Ameropa


    Die demokratische Krise


    Produktivität der kapitalistischen Kernzone lässt nach


    Lohnarbeit der kap. Peripherie


    Unser Kriseneuropa-2014-2015/


    Wohlstandsburg. Zur Ideologie der Ausländerfeindschaft

  • die analysten der us dienste sind doch nicht dumm, natürlich sehen sie, dass es bergab geht, dass der einstige hegemon ökonomisch pleite, moralisch bankrott, politisch angeschlagen aber militärisch (noch) führend ist.
    und, bei aller sozialen und produktivistischen dynamik und innovationskraft, die natürlichen reichtümer sind begrenzt (unaufhebbarer widerspruch zw produktivkräften und produktionsbedingungen oder kapital <> natur). umso blutiger wird der Inner-imperialistische konkurrenzkampf um die letzten ressourcen, einflussphären, rohstoffe, absatzmärkte usw


    Der kapitalismus aber wird nicht einfach zusammenbrechen oder sich friedlich verabschieden, vorher drohen massivste Verheerungen, faschismus und künftig auch wieder innerimperialistische Großkriege. Der Kapitalismus hinterlässt in den Peripherien schon jetzt zunehmend „gescheiterte Staaten“, Chaos und Verwüstung. Das System ist derart destruktiv, dass ein zerstörtes territorium besser erscheint als eines, welches dem gegener zufällt oder auch nur ansatzweise eine Alternative darstellen könnte.

  • aber die nachholende entwicklung hat natürlich grenzen: weder kann jeder chinese ein auto fahren, schon aus ökologischen gesichtspunkten, noch kann der lebensstil des westlichen imperialismus verallgemeinerbar, weil er ja auf der ausplünderung des südens besteht. zudem konnten die imperialistischen kernmächte zu zeiten ihres take offs ihre surplus bevölkerungen in die kolonien exportieren, im 20 jahrhundert aber arbeitskräfte aus den peripherien anwerben. beides ist den staaten des südens nicht möglich.

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