[size=12]Es gibt immer noch Karikaturen, die als Kapitalisten fette Männer mit Zigarre zeigen. Wenn man bei Leuten dann nachfragt, wie viele Kapitalisten sie mit Namen benennen können, bringt man die Leute zum Grübeln. (Unter „Kapitalist“ verstehe ich – im Sinne von Karl Marx – die großen Kapitaleigner.) Außer vielleicht die Brüder Albrecht, die Familie Quandt und Warren Buffet sind Kapitalisten eine selten gewordene Art.
Im Rampenlicht der Geschichte standen früher so große Namen wie Rothschild, Krupp, Siemens, Daimler. Ihre Unternehmen gibt es noch, aber an ihrer Spitze stehen keine Personen gleichen Namens. Wer kennt schon einen Christoph Franz (Lufthansa), einen Reinhard Ploss (Infineon), einen Reto Franioni (Dt. Börse) oder einen Stefan Heidenreich (Beiersdorf)?
Dass ein Kapitalist selbst ein Unternehmen persönlich führt, ist - vor allem in großen Unternehmen – zur Seltenheit geworden. Diese beschwerliche Aufgabe delegierten die Kapitalisten meist an bezahlte Manager. Längst wird der Kapitalismus nicht mehr von den Kapitaleignern regiert, sondern von hochbezahlten Lohnarbeitern.
Ja, selbst um die Verwaltung und Vermehrung ihrer Millionen und Milliarden kümmern sich Kapitalisten nicht mehr persönlich, sondern übertragen dieses eintönige Geschäft in aller Regel an fremde Vermögensverwalter. Diese Vermögensverwalter sitzen entweder in Banken oder in eigens für dieses Geschäft gegründeten Finanzfonds. Auch das ist eine eigene Welt, in die Lohnabhängige kaum Einblick bekommen.
Der weltgrößte Vermögensverwalter ist BlackRock. BlackRock verwaltet weltweit Kapital im Wert von 3.000 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das gesamte (Sach)Kapital in Deutschland hat einen Wert von gut 15.000 Milliarden.
Von außen gesehen ist BlackRock nur eine kleine Firma mit 11.000 Angestellten mit recht bescheidenen Gehältern, 5000 Computern und 70 Büros in 24 Ländern. Mit diesem unscheinbaren Äußeren ist BlackRock aber wirtschaftlich größer und mächtiger als Staaten mit 50 Millionen Einwohnern.
BlackRock ist der größte Kapitaleigner der Welt.
Als größter Kapitaleigner der Welt, besitzt er Anteile von allen großen (westlichen) Unternehmen. Bei Apple, Exxon Mobil, Microsoft und vielen anderen Unternehmen ist BlackRock der größte Einzelaktionär, bei Google der zweitgrößte:
Selbstverständlich ist BlackRock auch der größte Kapitaleigner in Deutschland, dem rund 6% aller deutschen Großfirmen gehören.
Rechte wie linke Verschwörungstheorien suchen hinter jedem Ereignis und hinter jedem Firmenschild Personen, die sie als „Drahtzieher“ namhaft machen können. Jede solche Verschwörungstheorie ist eine säkularisierte Gottesidee, die sich die Geschichte nicht ohne „Weltenlenker“ erklären kann.
Ich hatte schon darauf hingewiesen: BlackRock besitzt so gut wie kein eigenes Kapital. Alles Kapital, das BlackRock besitzt, verwaltet es in fremdem Namen. BlackRock ist ein Kapitalverwalter. BlackRock ist kein wirklicher Kapitalist, sondern ein Dienstleister für das Kapital.
Wer sind also diese wirklichen Kapitalisten, die hinter BlackRock stehen und es lenken?
Hinter BlackRock stehen keine Kapitalisten, sondern wiederum andere Kapitalgesellschaften: Finanzinstitute und Banken, die wie BlackRock nicht mit eigenem, sondern mit fremdem Kapital wirtschaften.
BlackRock ist eine Schachtel. BlackRock ist die Schachtel in der Schachtel von US-Banken und einer britischen Großbank, die wiederum im Schachtelbesitz von anderen Finanzinstituten sind, darunter auch BlackRock.
Wie bei einer Zwiebel kann man von BlackRock Schale um Schale entfernen, und ganz innen ist – nichts!
Das BlackRock-Kapital gehört ganz vielen Kapitalisten und gleichzeitig keinem von Ihnen. Mit BlackRock hat sich das Kapital sozialistisch organisiert.
Die große Krise
BlackRock ist die Reaktion der Kapitalisten auf die große Krise des Jahres 2008.
Bis zu dieser großen Krise war BlackRock nur eine Investmentgesellschaft wie viele andere – mit dem bedeutsamen Unterschied, dass BlackRock von Anfang an Risikoberechnungen ins Zentrum seiner Investmententscheidungen gerückt hatte. Die Computer von BlackRock sammeln Millionen und Abermillionen Daten, die irgendwie und irgendwann Einfluss auf ein Unternehmen oder eine ganze Branche haben können: Das sind nicht nur Wirtschaftsdaten und Börsenkurse, sondern plötzliche Regierungswechsel in den Staaten der Erde, Demonstrationen und Streiks, Erdbeben, Kälte- und Dürreperioden usw. Alle diese Daten werden von „Aladdin“, so heißt das Computersystem von BlackRock, mit einem umfangreichen Algorithmus durchforstet und analysiert. In kurzen Abständen spuckt dann der Computergeist Aladdin seine Bewertungen aus.
BlackRock und Aladdin durchforsten die Wirtschaft der Welt nach demselben Muster wie Google und andere Suchmaschinen das globale Internet durchforsten. Wie Google Internetseiten, Texte und Bilder bewertet und nach Relevanz sortiert, so bewertet und sortiert BlackRock nicht nur kapitalistische Unternehmen, sondern auch einzelne Wertpapiere und Verträge.
Die digitale und die reale Welt werden sich immer ähnlicher.
BlackRock war das einzige westliche Finanzunternehmen, dem die große Krise von 2008 nichts anhaben konnte. Als die westliche Finanzwelt in Scherben lag, war BlackRock der Rettungsanker der US-Regierung. BlackRock wurde von der US-Regierung beauftragt, die finanziellen Scherben zu analysieren und zu bewerten.
Alladin, der unbestechliche Geist von BlackRock, durchforstete alle „toxischen“ Papiere, die der US-Regierung und der US-Notenbank FED nach dem Zusammenbruch von Bear Sterns und AIG in den Schoß gefallen waren. Das waren Papiere und Verträge im Wert von 100 Milliarden Euro.
Nachdem das zur Zufriedenheit der Regierung und der Kapitalisten gelungen war, folgte die Bewertung aller Wertpapiere der bankrotten Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac plus weiterer Papiere im Wert von 1000 Milliarden Euro.
Ähnliche Krisenaufträge erhielt BlackRock anschließend von der irischen, britischen und der griechischen Regierung. BlackRock ist die kapitalistische Antwort auf die große Krise.
Kapitalismus im 21. Jahrhundert
Anders als die bisherigen Investmentfonds und Banken, denen die große Krise von 2008 bewiesen hatte, dass sie Kapital nicht vermehren, sondern vernichten, hat BlackRock keine Unternehmensstrategie.
BlackRock hat keine angestrebte Gewinnmarge.
BlackRock hat kein eigenes Unternehmensziel.
Wenn es bei BlackRock eine „Philosophie“ gibt, dann die, nie auf ein einzelnes Pferd setzen und die Eier immer in viele Körbe legen.
Anders als große Banken und als die „Heuschreckenfonds“ betreibt BlackRock keine Geschäfte auf eigene Rechnung, sondern handelt nur im Kundenauftrag. BlackRock ist eine globale „Genossenschaft der Kapitalisten“.
In BlackRock verkörpert sich kein eigener unternehmerischer Gestaltungswille, kein Ziel. BlackRock ist ein riesiges Flugzeug, das von einem Autopiloten namens Aladdin gesteuert wird, der in Millisekunden tausende Flugdaten verarbeitet, der aber keine Adresse eines Zielflughafen kennt. Um Energie zu sparen, folgt der Autopilot den großen Luftströmungen und weicht allen Stürmen und Tiefdruckgebieten aus. Das Flugzeug wird in der Luft betankt. In der Luft steigen sogar Passagiere zu oder steigen aus. Das einzige Ziel des Autopiloten ist, sich mit dem geringsten Aufwand in der Luft halten, ohne technischen Schaden, ohne Risiko möglichst viele Luftkilometer zurückzulegen. Die Ratio und Logik des Kapitalismus, größtmöglicher Erfolg mit dem geringstmöglichen Aufwand, haben BlackRock und Aladdin perfektioniert.
Der Kapitalismus des 19. Jahrhunderts war der Patriarchen-Kapitalismus der großen Vaterfiguren, der Firmengründer, der „Geldsäcke“ und „Industriekapitäne“ wie Rothschild, Krupp oder Siemens.
Der Kapitalismus des 20. Jahrhunderts war der Manager-Kapitalismus der „grauen Mäuse“. Im Manager-Kapitalismus hielten studierte Manager als hochbezahlte Offiziere die Firmenschiffe auf Profitkurs.
Der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts ist ein unpersönlicher, anonymer Algorithmus-Kapitalismus, der nicht mehr von Menschen, sondern von Computern und Rechenformeln gesteuert und gelenkt wird.
Im 19. Jahrhundert hatten die Lohnarbeiter in Massen für die Kapitalisten malocht. Das hat die Kapitalisten und ihre Unternehmen groß gemacht.
Das Kapital im 20. Jahrhundert hat es dahin gebracht, dass Lohnarbeiter nicht nur für die Kapitalisten malochen, sondern für sie auch denken und managen. Das Kapital des 20. Jahrhunderts hat sich hinter leitenden Managern verkrochen und ist licht- und arbeitsscheu geworden.
Der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts wird von Rechenformeln und Computern regiert.
Das Kapital im 21. Jahrhundert ist nicht nur arbeitsscheu und denkfaul geworden, das Kapital hat alle menschlichen Eigenschaften abgestreift und ist zur bloßen Maske geworden – eine Maske, die nichts enthält und nichts verbirgt außer abstrakte Konkurrenzbedingungen, die sich in mathematische Formeln gießen lassen.
Das Kapital im 21. Jahrhundert ist wie ein allmächtiger Gott, der hinter allem vermutet wird und ohne den sich scheinbar nichts bewegt.
Dieser Gott besteht aber nur aus Plastik und toten Metalldrähten, die ohne permanente Strom- und Datenzufuhr nicht funktionieren. Das Kapital im 21. Jahrhundert ist ein Götzenbild, das darauf wartet, auf den Müll geworfen zu werden.
Gruß Wal Buchenberg