Herrschaftsfreie Diskussion im Internet?

  • Im letzten Jahrhundert hatten wir noch geglaubt, das Internet verwirkliche die Utopie einer herrschaftsfreien Diskussion. Wir meinten, das Internet sei der letzte Kooperations-Baustein, der für selbstbestimmte Menschen in einer emanzipierten Gesellschaft ohne Lohnarbeit und ohne Kapital noch fehlte. Was ist daraus geworden?


    Das Internet wurde zum allgegenwärtigen Bazar. Was als ebay der kleinen Leute anfing, ist zum Marktplatz der Konzerne geworden, die jeden von uns mit Werbung, Werbung, Werbung überschütten. Kaufen und Verkaufen – Kapital hat das Internet erobert. Immer weniger Angebote im Netz sind kostenlos. Selbst Wikipedia nervt mit Spendenaufrufen.


    Dann ist Internet eine endlose Spielwiese mit Tausenden von Games, mit denen kontaktlose Zeit totgeschlagen wird. Die angebliche „Kontaktbörse Internet“ produziert kontaktarme und sozial behinderte Menschen.


    Und die herrschaftsfreie Diskussion?
    Das Marx-Forum preist sich als „strömungsübergreifend“ an. Darüber spotten nun Linke, die selbst lange im Marx-Forum geschrieben haben. Nein, Linke wollen nicht strömungsübergreifend. Linke können nicht strömungsübergreifend.
    Wie im realen Leben klumpen und kleben die Linken online und offline in kleinen Winkeln und Grüppchen und schirmen sich von Einsprüchen und Widersprüchen ab.


    Auf der Straße empören sich Linke gegen Fremdenhass, aber wehe!, sobald ein "Fremder" sich in einen linken Winkel verirrt, dann ist Hauen und Stechen angesagt. Herrschaftsfreie Diskussion ist das nicht. Aber herrschaftsfreie Diskussion ist eine notwendige Vorbedingung für eine herrschaftsfreie Gesellschaft.


    Das linke Credo heißt: Für oder Wider, Demo oder Gegendemo, Israel oder Palästina, Amazon oder Buchladen, Putin oder Nato – Tertium non datur (dritte Möglichkeiten sind nicht erlaubt)!


    Das vielseitige und vielfältige digitale Medium Internet reproduziert das einfach gestrickte "digitale" Denken nach altchristlichem Muster: "Eure Rede sei: Ja - Ja! Nein - Nein! Was darüber ist, das ist vom Übel." (Matthäus 5,37)
    Das "Sowohl als Auch" ist in diesem digitalen Denken ebenso von Übel wie ein "Weder - Noch",
    meint Wal Buchenberg.

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