Wer ist heute die "herrschende Klasse"?

  • (Dieser Beitrag stand ursprünglich als kurze Notiz am Ende des Know-how-threads, und war als schlicher Beitrag zum DORT angesprochnen Thema gedacht. Er wurde dann hierher verschoben, und der thread mit einem Titel versehen, den ich aber für meinem Beitrag nicht passend fand, sodass ich ihn in "Wer bildet eigentlich heute die "herrschende Klasse"?" abgeändert habe.)
    Wir sollten nicht vergessen: Die Ablösung der Verfügung über Kapital vom Eigentumstitel betrifft keineswegs oder nur zu geringeren Teilen die Ebene der Unternehmensleitung. Darüber hat sich längst eine viel bestimmendere Sphäre etabliert, in der die gesamtwirtschaftlich bedeutsamen, die strategischen Entscheidungen getroffen werden: jene, in der der Kredit und das angelegte Vermögen der Gesamtgesellschaft (auch hier: weitgehend abgelöst vom Eigentumstitel oder Anlagemotiv) verwaltet wird - und die zukunftsträchtigen ebenso wie die abzuschreibenden Projekte beurteilt werden. Die "bezahlten Angestellten" dieser Sphäre (ebenso wie die der grossen Unternemen*)) sind nicht nur am Erfolg der von ihnen gestalteten Geschäfte beteiligt (und das unterscheidet sie eben von Lohnabhängigen, abgesehn von den Grössenordnungen ihrer (oftmals schon längst für lebenslanges Auskommen sorgenden früheren) Einkünfte, weshalb sie sich schon auch mal bloss mit symbolischen Gehältern zufriedengeben); sie entscheiden, darüberhinaus, über das Schicksal von Nationen, Regionen, Belegschaften grosser Unternehmen. Die Einkünfte der Kapitalgeber sind bei dem allen nur noch störende Kost - die Geschäftstäigkeit gibt sich explizit selbst den Zweck vor als: aus Geld mehr Geld machen - und nichts andres. SIE sind es, die die Zukunft der globalisierten Welt in Händen halten, und diesem ihrem Zweck unterordnen; sie - und die Regierungen der wenigen massgeblichen Staaten, in deren Territorium die Reichtumsproduktion und Verfügung darüber sich konzentriert.
    DAS ist die herrschende Klasse. Und DAS sind keine bezahlten Lohnabhängigen.
    Und DAS sind die Leute, die sich selbst zutrauen, den globalisierten Produktionsprozess mithilfe ihrer Konkurrenz um zukünftige Profitabilität und "Standorte" auf einem optimalen Fortschrittspfad halten zu können.
    Es ist unsere Aufgabe (eine unserer vielen Aufgaben), zu zeigen, dass ihnen das, mit ihren Mitteln, nicht gelingen KANN. - Und das vielleicht darum: weil dieser (Fortschritts)Prozess nicht steuerbar ist. Von niemand.


    *) die grossen internationalen Unternehmen bringen aus eigener Kraft solche Massen verfügbaren Kapitals hervor, dass ihre Investitionstätigkeit (die ja durchaus nicht an der ursprünglichen Branche des Unternehmens und seinem "Kerngeschäft" klebenbleiben muss, sondern Diversifizierung und Konzern-Umbau einschliessen kann) mit derjenigen der Investoren verfügbarer Anlagevermögen (Versicherungen, Banken, Vermögensverwaltungen/Finanzdienstleister, Pensionskassen ua) vergleichbar ist.

  • Das sehe ich etwas anders als Du.


    Ja, die großen Geldtöpfe (Notenbanken und Geschäftsbanken) werden längst nicht mehr von Kapitaleignern persönlich verwaltet. Hier sitzen (überwiegend) bezahlte Funktionäre des Kapitals.
    Auch hier hat sich die Verfügungsgewalt über Kapital schon weitgehend vom Kapitaleigentum gelöst.


    Ja, die (hohen) Geldmanager im Finanzwesen sind keine normalen Lohnarbeiter.


    Aber ich bin keineswegs wie du der Meinung, dass diese Leute „strategische Entscheidungen“ treffen und über „das Schicksal von Nationen, Regionen und Belegschaften großer Konzerne“ entscheiden.
    Ich bin keineswegs der Meinung, dass diese Leute „die Zukunft der globalisierten Welt in Händen halten.“ Für völlig falsch halte ich die Auffassung, dass „DAS die herrschende Klasse“ sei.


    Offenbar wird das ein längeres Thema, deshalb habe ich mit deinem Beitrag einen eigenen Thread angelegt und dafür den Titel gewählt: "Sind Banker die "herrschende Klasse"?

    Die Frage ist: Welche Macht haben die Banker?
    Aus Sicht desjenigen, der um einen Kredit betteln muss, ist diese Macht unbeschränkt. Aus Sicht derjenigen, die kein oder zu wenig Geld bzw. Kapital haben, entscheiden die Kreditinstitute über Leben und Tod.


    Das ist aber nicht die Sicht der Konzerne. Für die großen Unternehmen ist eine reine Frage der zweckmäßigsten Buchführung, ob sie mit oder ohne Kredit wirtschaften. Die große Krise von 2008/2009 hat doch zweierlei gezeigt:


    Erstens die Ohnmacht der großen Kreditinstitute, die ohne Staatshilfe reihenweise in den Bankrott gerutscht werden. Und zweitens hat sich seither gezeigt, dass die meisten großen Nichtfinanz-Unternehmen Geld horten, also weder auf Kredit angewiesen sind, noch ihr Geld den Bankern anvertrauen wollen.


    Ja, die Kreditinstitute haben die Macht, Kredite zu verweigern. Für einen Kreditnehmer in Not (egal ob Privatmann oder Unternehmen) entscheidet diese Macht über Wohl und Wehe, über Existenz oder Nichtexistenz. Und aus dieser Macht gegenüber kredithungrigen (Klein)Unternehmen speist sich von alters her der Hass gegen die Geldverleiher und das „Geldjudentum“ und gleichzeitig auch die Überschätzung ihrer Macht.


    Diese Macht der Banken und Kreditgeber ist aber rein passiv.
    Sie müssen auf Kreditanträge warten. Wenn keine Kredite nachgefragt werden, sind die Finanzleute hilflos.


    Während die Finanzleute wesentlich passiv agieren, handeln alle anderen Unternehmen aktiv. Sie produzieren neue Produkte und schaffen neue Branchen, ohne dass es dafür schon einen Markt und eine Nachfrage gibt.


    Ich entsinne mich noch gut an eine Diskussion mit einer guten Freundin, die bei Ericsson in Schweden arbeitet. Sie war in den 90er Jahren mit nach Hannover gekommen, um die 3G-Übertragungsanlagen für Mobilfunktnetze auf der Cebit vorzustellen. Ich hatte damals noch nicht einmal ein Mobiltelefon und fand die Vorstellung, dass man überall mobil im Internet surfen könne, ziemlich überflüssig. Heute ist das ein Wahnsinnsmarkt.
    In solchen und durch solche Unternehmen wie Ericsson fallen Entscheidungen, die die Welt verändern, nicht in den Banken.
    Ein anderes, berühmtes Beispiel, wie produktive Anbieter im Kapitalismus einen Markt schaffen, den die potentiellen Käufer selbst noch gar nicht kennen, leistete sich die Stiftung Warentest.
    Als Stiftung Warentest im Jahr 1984 die ersten PCs für den privaten Gebraucht testeten, kamen sie zu dem Ergebnis, dass diese Dinger zu nichts nütze waren. In ihrem Testheft schrieben sie: "Obwohl es ein Hauptziel unseres Tests war, herauszufinden, welche heimischen Anwendungsgebiete es für einen kleinen Computer geben könnte, sind wir in monatelangen Prüfungen nicht fündig geworden."


    Wie es um die angebliche Macht der Geldverwalter steht, lässt sich auch an den Notenbanken ablesen: Die großen Notenbanken in den USA, Europa und Japan haben seit 2008 Milliarden und Abermilliarden Gelder in die Finanzwelt gepumpt - die folgende Grafik weist für solche "Stützungskäufe" mehr als 10.000 Milliarden Dollar aus.



    Was haben die Notenbanken mit dieser Geldschwemme erreicht? Die Aktienkurse sind gestiegen und die Bilanzen der Banken wurden mit dem billigen Geld saniert. Das ist alles. Die kapitalistische Wirtschaft ist nicht in Gang gekommen. Das Wirtschaftswachstum tendiert Richtung Null.
    Ein Kapitalistenspruch sagt richtig: Die Banken können (durch niedrige Zinsen) die Geldtröge füllen. Ob jedoch die Pferde (sprich die Unternehmen) saufen wollen, darauf haben die Banken keinen Einfluss. - Und sie haben auch keinen oder geringen Einfluss darauf, wohin die (kapitalistischen) Pferde laufen.
    Die Macht der Banken und Finanzinstitute wird maßlos überschätzt,
    meint Wal Buchenberg.


    Historischer Anhang:
    Karl Marx wies darauf hin, dass in der Frühzeit des Kapitalismus die Finanzkapitalisten tatsächlich soweit dominierten, dass sie durch hohe Zinsforderungen den gesamten kapitalistischen Profit oder sogar mehr einstreichen konnten.
    Der innerkapitalistische Kampf gegen das Finanzkapital ging also über Jahrhunderte darum, den Zins unter die Durchschnittsprofitrate zu senken, oder anders: den Zins zu einem (erträglichen) Teil des Durchschnittsprofits zu machen.


    Der Vergleich Zins - Durchschnittsprofit gibt also einen guten Vergleichspunkt für das Kräfteverhältnis zwischen Finanzkapital und Industriekapital.
    Heute ist aber der Zins auf einem historischen Tiefpunkt - nahe bei Null. Der niedrige Zins beweist die Schwäche und Einflusslosigkeit des Finanzkapitals in aller Deutlichkeit. Der niedrige Zins zeigt: Die Macht des Finanzkapitals ist nahe bei Null.
    Siehe dazu: Karl Marx über "Finanzkapital"

  • Wal - der Titel, den ich dem von dir hierher verschobenen Beitrag bzw. damit eröffneten thread nachträglich geben wollte, lautet NICHT: ob BANKER die herrschende Klasse sind; die Frage wird vielmehr von mir weiter gestellt. Vor allem die Antwort, die ich gebe, zielt nicht auf "Banker", schon garnicht in dem Sinn, in dem du deren Tätigkeit auf "Bankkredite" als wesentliche Beteiligungsform einschränkst.
    Da es nicht deutlich wurde, habe ich oben in einem Edit bzw. Anm. die grossen Unternehmen als Quelle riesiger Massen an "Liquidität" und somit sie als Investoren (aus DIESEM Grund) bzw. deren Leitungen in die Kandidatenliste mit aufgenommen. Übrigens ebenso wie die Angehörigen der Regierungen (der massgeblichen Staaten), von denen offenbar garnicht mehr die Rede sein soll, wenn das alles bloss noch auf "Banker" reduziert sein soll.
    Die Frage, die dann doch sehr eng an die des Know-how-threads anschliesst, lautet eben nicht in erster Linie, WER heute herrschende Klasse ist, sondern: durch WAS sich die betreffende Gruppe auszeichnet.
    Und da kommen die Eigentümer*) des Kapitals, diese heutzutage oft durchaus anonyme Masse, über die bezahlten (und zwar so, dass sie am Erfolg interessiert sind) Sachwalter ihres Interesses eben doch ins Spiel - und zwar womöglich als Gegenspieler, wenn nicht eben doch Kontrolleure der Unternehmensleitungen:
    *) denk mal an solche unpersönlichen Eigentumsformen wie die Aktiengesellschaft - denk an solche nicht seltenen Fälle, wo die Unternehmensleitungen anfangen, die Aktien ihres Unternehmens mit den erzielten Gewinnen zurückzukaufen - das Unternehmen gehört sich dann gewissermassen selbst. Jedenfalls nicht den Managern (auch wenn die mit mehr oder weniger grossen Aktien-Paketen am Erfolg der eigenen Firma beteiligt sind.)
    Die stehen nämlich dauernd unter dem Druck, ihre Erfolge unmittelbar mit denen aller andern Unternehmen aller Branchen vergleichen zu müssen. Es sei denn - und das wirst du dann doch kaum je heutzutage irgendwo, und wenn, bloss als "startup" Übergangszustand (bis zum Börsengang) finden - , ein Unternehmen wäre derart ertragsstark, dass es seine eigene Erweiterung mit eigenen Gewinnen bestreiten kann.
    ((Trotz aller "Tendenz" variieren die Betriebsgrössen nach wie vor; und die Frage, welche die dem jeweiligen Unternehmenszweck möglichst angemessene Grösse und Rechtsform ist, ist eine der vielen delikaten und keineswegs wie aus der Pistole geschossen zu beantwortenden Problemstellungen der "Wissenschaft" der Betriebsführung....))


    Umgekehrt... worüber wird denn im Börsenhandel, oder auch in den Verhandlungen von Risikofonds, Unternehmensbeteiligungs-Projekten, auch mal joiint ventures usw (und, ja, dann auch bei der Kreditvergabe oder Begebung ener Anleihe, einem Börsengang usw) gesprochen?
    Über Produktion, Kosten, Märkte, Randbedingungen, Chancen.... also genau das, worüber die involvierten Konzernherren eben auch brüten.
    Da hat sich rein garnichts "emanzipiert" und verselbständigt - natürlich ist es die Entwicklung des realen Geschäfts, die gegenwärtige und in die Zukunft womöglich fortschreibbare, die hier einzig zählt. (Im Falle von Staaten und ihren Schulden um drei Ecken rum ebenfalls ... Da kommt, wie am Fall Ukraine zu besichtigen, dann auch der Gewaltapparat (und seine Finanzierbarkeit) ins Spiel, mit dem gedroht werden kann.. die EU hat da derzeit schlechte Karten.)

    Nochmal: Die Frage ist hier zunächst noch nicht, WER bestimmt - sondern welche Tätigkeit die eigentlich bestimmende ist; und.. worüber da, entlang welcher Kriterien, bestimmt wird.
    Materiell, vorgeblich, ist es "der technische Fortschritt" der Weltgesellschaft - die ständige Optimierung ihrer Reproduktion, keineswegs bloss durch quantitatives (das im Falle der "emerging markets" immer noch), sondern heute vor allem qualitatives Wachstum, speziell unterm Gesichtspunkt knapper werdender Ressourcen**) aller Art (ua billige Lohnarbeit) und riskanter werdender Standort-Wahlen.
    **) hierzu aktuell:
    https://de.nachrichten.yahoo.c…lvorkommen-072931672.html


    Was du mit deinem Know-how-thread beabsichtigt hattest, Wal, nämlich gewissermassen eine Art Eliten-Tausch nachzuweisen - das ist, wegen der heute üblichen Beteiligung der tatsächlichen Eigentumstitel-Besitzer und ihrer Vereinigungen bzw. Beauftragten als harten und sachkundigen Kontrolleuren der Geschäftsleitungen, sachlich nicht (mehr) ganz angemessen. Aber vor allem ist die Frage zu stellen: Über welche Art "Mechanismus" wollen die massgeblichen Entscheider den globalen Fortschrittsprozess kontrollieren, steuern, gestalten, beherrschen - an welchem Erfolgskriterium orientieren sie sich da - hat sich da IRGENDETWAS wesentliches geändert?
    Ist es nicht dieselbe Grösse wie seit eh und je - Markterfolg, gleich wie erzielt, in Gestalt von Gewinnen - die, nach Steuern und unvermeidlichen Dividenden- und Zinszahlungen - möglichst wieder mit demselben Ziel angelegt werden sollen - und so überhaupt jede noch so kleine Geldsumme, die irgendwo für kürzere oder längere Zeit brachliegt?
    Das ist das Ziel.
    Dass man ihm nicht genügen kann, weil es eben soviel produktive Anlagemöglichkeiten in so kurzer Zeit nicht gibt, ist doch ins System eingepreist. Darum gibts ja auch einen Kapitalmarkt - nicht nur Angebot, sondern auch Nachfrage... und "Preise"..


    Aber für UNS ist doch, falls wir Einigkeit über die Beschreibung dieser Verhältnisse erzielen, die Frage: Inwieweit bringt dieses Fortschrittsmittel Fortschritt? Inwieweit wird die behauptete Steuerung und Lenkung des von genau diesen "Lenkern" installierten weltweiten Produktionsprozesses und seiner Optimierung zum grössten Nutzen der grössten Zahl (denn so lautet die Legitimation!) überhaupt von ihnen leistbar? Sind ihre "Krisen" womöglich Ausdruck gigantisch sich anhäufender Fehl-Entscheidungen - die sie selbstverständlich unterlassen hätten... wenn das vorher absehbar gewesen wäre... Warum ist es das immer erst hinterher?

  • Hallo Franziska,
    ich hatte bewusst als Überschrift gewählt: "Sind Banker die "herrschende Klasse"?
    Ich hatte diese Überschrift gewählt, um die Fragestellung nicht ins Uferlose auszuweiten und dadurch unbeantwortbar zu machen.
    Auf diese Fragestellung "Welche Macht haben Banker" versuchte ich zu antworten.


    Eine vorläufige Antwort auf die Frage "Wer ist eigentlich die herrschende Klasse?" hatte ich durch zwei Marx-Zitate schon in dem Thema "Know-How im Kapitalismus" gegeben.
    Ich wiederhole diese Zitate nochmals:
    „Indem aber einerseits dem bloßen Eigentümer des Kapitals, dem Geldkapitalisten, der fungierende Kapitalist gegenübertritt und mit der Entwicklung des Kredits dies Geldkapital selbst einen gesellschaftlichen Charakter annimmt, in Banken konzentriert und von diesen, nicht mehr von seinem unmittelbaren Eigentümern ausgeliehen wird; indem andererseits aber der bloße Manager, der das Kapital unter keinerlei Titel besitzt, weder leihweise noch sonst wie, alle realen Funktionen versieht, die dem fungierenden Kapitalisten als solchem zukommen, bleibt nur der Funktionär und verschwindet der Kapitalist als überflüssige Person aus dem Produktionsprozess.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 401.

    „Das Kapital zeigt sich immer mehr als gesellschaftliche Macht, deren Funktionär der Kapitalist ist und die in gar keinem möglichen Verhältnisse mehr zu dem steht, was die Arbeit eines einzelnen Individuums schaffen kann aber es zeigt sich als entfremdete, verselbständigte gesellschaftliche Macht, die als Sache ... der Gesellschaft gegenübertritt. Der Kapitalist als Kommandeur der Arbeit verschwindet hinter dem Kapital als Sache.
    Der Widerspruch zwischen der allgemeinen gesellschaftlichen Macht, zu der sich das Kapital gestaltet, und der Privatmacht der einzelnen Kapitalisten über diese gesellschaftlichen Produktionsbedingungen entwickelt sich immer schreiender und schließt die Auflösung dieses Verhältnisses ein, indem sie zugleich die Herausarbeitung der Produktionsbedingungen zu allgemeinen, gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Produktionsbedingungen einschließt.
    Diese Herausarbeitung ist gegeben durch die Entwicklung der Produktivkräfte unter der kapitalistischen Produktion und durch die Art und Weise, worin sich diese Entwicklung vollzieht.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 274f.

    Was sagen diese Zitate aus?
    Ursprünglich hatten die Kapitalisten als Kommandeure der Lohnarbeit, als "Industriekapitäne" eine wichtige Aufgabe. Diese Aufgabe haben sie (weitgehend) an bezahlte Lohnarbeiter abgegeben. Das Geldkapital wird (weitgehend) durch bezahlte Funktionäre verwaltet. Auch aus dem Staatsdienst haben sich aktive Kapitalisten vollständig zurückgezogen. Das Kapital wird immer mehr zur anonymen gesellschaftlichen Macht.


    Erstens wird dem Kapital zunehmend Legitimation entzogen.
    Ich habe nie in einem Betrieb gearbeitet, in dem ein Kapitalist noch persönlich Regiment führte. Es gibt aber noch etliche davon, und es heißt, die Lohnarbeiter dort hätten oft ein gemütliches Untertanenverhältnis zu "ihrem" Kapitalisten.


    Und zweitens werden die Fäden zwischen den aktiven Machthabern in den Vorstands- und Ministersesseln immer länger und immer dünner. Das mindert die Kohäsion innerhalb der herrschenden Klasse.
    Regierungsleute werden sowieso durch Wahlen häufiger ausgetauscht. Würde noch das Beamtentum komplett abgeschafft, dann wäre das ein weiterer großer Machtverlust für die herrschende Klasse.
    Die Geschäftsführer des Kapitals in den Unternehmen wie auch das Staatspersonal entstammen zunehmend der Lohnarbeiterklasse. Die persönlichen Verbindungen zwischen den Interessenvertretern des Kapitals und der klassischen Kapitalistenklasse werden dünner.
    Ja, es kann eine Zeit kommen, in der die Kapitalistenklasse mehr oder minder komplett verrentet ist.
    Das meinte Marx, wenn er schrieb:
    "Der Widerspruch zwischen der allgemeinen gesellschaftlichen Macht, zu der sich das Kapital gestaltet, und der Privatmacht der einzelnen Kapitalisten über diese gesellschaftlichen Produktionsbedingungen entwickelt sich immer schreiender und schließt die Auflösung dieses Verhältnisses ein, indem sie zugleich die Herausarbeitung der Produktionsbedingungen zu allgemeinen, gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Produktionsbedingungen einschließt."
    Formelle Bedingung für eine gemeinschaftliche und gesellschaftliche Produktion ist allerdings, dass die Produktionsmittel keinem Privatmann gehören, sondern dass sie allen gehören und von allen gemeinsam verwendet werden. Diese formelle Bedingung wird durch den Kapitalismus mindestens vorbereitet, wenn nicht geschaffen. Was wir und alle anderen dann damit machen, steht auf einem anderen Blatt.


    Gruß Wal

  • Der Beitrag wurde an verschiedenen Stellen bearbeitet und erweitert. (13.11. 11:21)


    Ich glaube, dass mit den beiden Marx-Zitaten von Wal erneut ein ganz entscheidender Punkt angesprochen wird - ein Punkt, den wir in einem sich über mehrere threads erstreckenden Dialog immer wieder berühren oder umkreisen. Denn:


    Bei allen Änderungen, die sich aus der Ablösung der Eigentumstitel (etwa als Aktie, Unternehmensanleihe) von der tatsächlichen Verfügung über die direkt oder indirekt damit verbundenen Produktionsmittel ergeben - es BLEIBT etwas, und keine der damit einhergehenden "Vergesellschaftungs"- und Funktionalisierungs-Entwicklungen kann DARAN etwas ändern:
    Die Gesamt-Reproduktion der (Welt)Gesellschaft und ihr Fortschritt, obwohl ein beständiger Güterfluss, in dem jede einzelne (Re)Produktionsstation existenziell von allen andern abhängt (und das heute in ganz anderen Grössenordnungen als zu Marx' Zeiten!)
    , soll angeblich erfolgreich geplant werden können durch Entscheidungen über Produktionsparameter der Einzelstationen, OHNE Wissen über das, was die andern Entscheider an den andern Stationen tun, aber in der sicheren Erwartung, dass deren Entscheidungen Auswirkungen auf die eigene Produktionsstätte haben werden. - Die Summe all dieser unverbundenen unkoordinierten Entscheidungen macht sich dann als ein SACHZWANG geltend, auf den sich ALLE Beteiligte einstellen sollen - als der Zwang, durch beständige "Produktivitätssteigerung" aus Geld mehr Geld zu machen, und jedes solche "Mehr" möglichst wieder auf die gleiche Weise zu verwenden. Falls einem das nicht schnell genug, und in angemesenen Grössenordnungen (verglichen mit dem Durchschnitt der andern "Entscheider") gelingt, droht einem solchen Entscheider, von der Beteiligung am Mit-Entscheiden über die (Re)Produktion immer mehr ausgeschlossen zu werden - im Mass, wie er diesem Sachzwang (der Konkurrenz) dann eben nicht gerecht geworden ist. (Insofern kann man sehr wohl sagen Die Angehörigen der herrschenden Klasse konkurrieren darum, in welchem Ausmass jeder von ihnen bestimmen also herrschen darf über den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess. Nicht mehr die Privilegien der Eigentums-Rechtsausübung sind entscheidend, sondern die Verfügung über Optionen zur Produktions-Umgestaltung und Innovation. Wobei sich die "Funktionäre" des Kapitals nebenbei für ihre Tätigkeit nicht zu knapp bedienen (darüber entscheiden ja auch sie und ihresgleichen, niemand sonst), was "Eigentum" im ursprünglichen Sinn anlangt...)


    Das Fundament für diese verrückte Art der Einrichtung und Steuerung der (Welt)Reproduktion und vor allem ihres Fortschritts ist das Versprechen, dass sie sich anders nicht, so aber eben geradezu OPTIMAL zumindest besser als auf jede andere Weise steuern lässt. Soviel von diesem Versprechen bis heute auch schon zurückgenommen wurde - es bleibt die Behauptung: diese Art der Steuerung des weltweit installierten modern-arbeitsteiligen Riesenprozesses (seiner technologisch hochgerüsteten Produktivkräfte) sei die für IHN einzig mögliche; er ist entweder SO zu steuern und zu koordinieren, oder garnicht.
    (Darin ist eingeschlossen, dass den Marktkräften längst immer aufwendigere staatliche Aufsichts-, Rahmungs- und Korrektur-Massnahmen stützend zu Hilfe kommen müssen, um das sichtliche "Marktversagen" an immer mehr Stellen schlecht und recht zu kompensieren - übrigens auch eine Tendenz (Verrechtlichung, Bürokratisierung, Politisierung), die man der "Funktionalisierung" und "Sozialisierung" des Eigentums als weitere, in die gleiche, verkorkste und eben misslingende "Vergesellschaftungs"-Richtung weisende an die Seite stellen könnte.)

    Aber die Frage ist nicht bloss, ob anstelle von Einzelnen über Einzelbetriebe "die Gesellschaft" das Entscheiden übernehmen könnte - sondern vielmehr, ob das Entscheiden über Einzelbetriebe auf den so überaus produktiven Reproduktionsprozess der Gesellschaft ausgedehnt werden kann. Nicht nur das Subjekt, das OBJEKT dieses Entscheidens bildet hier das vorrangige Problem.
    Und... dies Problem ist Resultat eines viel fundamentaleren Sachzwangs, der sich im Verbund mit der Frage des Produktionsverhältnisses auftut: Sind die Produktivkräfte, die so verwaltet und organisiert werden sollen, überhaupt PRODUKTIV? Ist der Produktivitäts- und der an ihn sich anschliesende Fortschrittsbegriff hier womöglich DURCH die Anbindung, Fesselung an eine bestimmte Art der Koordination (durch Konkurrenz von Einzelbetrieben; durch "Schätzung" oder Messung der "Reproduktivität" durch EINE kardinale Geldgrösse) extrem eingeschränkt auf EINE seiner Dimensionen, unter Ausschluss aller andern? Und ist es auf DIESE Art und Weise, wie die Marxsche Formel von der Fesselung der Produktivkraft-Entwicklung durch das Produktionsverhältnis (als allgemeines Muster für Epochenübergänge) hier ihre Anwendung findet?
    Man kann ja noch zustimmen, wenn der kapitalistischen Produktionsweise zugestanden wird, dass sie, nun ja, gerade eben und mit unsäglicher Ressourcenvergeudung, aber immerhin, imstande war, die aus der kulturell weltweit durchgesetzten MODERNITÄT folgenden Optionen für eine systematische Exploration der möglichen technologischen Optionen und und Aufgabenstellungen umzusetzen. Da stehen wir also nun da mit einem (an all seinen derzeitigen Grenzen durch weitere Forschung erweiterbaren) Riesen-Werkzeugkasten.
    Der Einsatz dieser Werkzeuge in der realen Re-Produktion aber ist in einer Weise (als Konkurrenz um erfolgreiches Mehr-Geld-Machen) geplant und ausgeführt, die nur als irrwitzig bezeichnet werden kann.
    Die Kritik der kapitalistischen Produktionsweise greift demzufolge zu kurz, wenn sie daran nur das (freilich unbestreitbare, und schon für sich absolut skandalöse) Moment der Ausbeutung (der Nicht-Verfügung der lohnabhängigen Masse der Gesellschaft über ihre eigene Reproduktion sowie Grösse, Art und Verwendung möglicher Mehrprodukte) angreift, und immer noch ist nicht alles gesagt, wenn man die Rücksichtslosigkeit dieser Produktionsweise gegen Naturressourcen aller Art, angefangen bei unseren eignen, ebenso wie gegenüber historischen Fortschritts-Potentialen (eine kulturelle "Human"-Ressource, die nicht niger verschleudert und ohne jede Ein- und Vorsicht behandelt wird) beklagt und anklagt. Ja sogar das wäre noch nicht ausreichend, wenn dieser Produktionsweise ihre Unfähigkeit nachgewiesen würde zur Steuerung der von und in ihr in Gang gesetzten Riesenprozesse, die allesamt mit unheimlicher Geschwindigkeit jeder Kontrolle entgleiten.


    Es ist nämlich womöglich nicht so, dass man daraufhin nur einfach das Produktionsverhältnis, das hier zur Fessel wurde, auswechseln müsste.


    Man MUSS es auswechseln, von Anfang an - denn mit DIESER Organisatioon durch Markt und Konkurrenz geht garnichts weiter.


    Aber man muss nicht glauben, mit dem Neustart auch schon die zugehörigen und völlig unentwickelten Produktions- oder Produktivkraft-Dimensionen in der Tasche zu haben: nämlich ihre Angemessenheit an die fundamentalen ZWECKE einer rationalen Reproduktion: Naturgemässheit, Bedürfnisgemässheit, und, so könnte man das ausdrücken, Kulturgemässheit - nämlich dem historisch erreichten Fortschritt im Verhältnis zu Welt und Selbst zuverlässig und reproduzierbar gerecht werdend.
    Diese Zweckmässigkeiten und die ihnen gerecht werdende materielle (Re)Produktion müssen vielmehr, wie noch in jedem solchen Epochenübergang bisher, mühsam, sorgfältig, langsam im Rahmen des neuen Produktionsverhältnisses von Null (also dem heutigen Zustand) ausgehend erarbeitet und aufgebaut werden.
    DAS ist die bittere und ernüchternde Botschaft, die, im Fall, dass das so zutrifft, die radikale Linke der zeitgenösischen Gesellschaft (zuallererst sich selbst, sofern sie sie noch nicht begriffen hat) mitzuteilen hätte. Aber... vielleicht weiss, oder zumindest AHNT die Gesellschaft den Sachverhalt längst selbst?


    PS: Es gibt hier gewissermassen zwei sehr fundamental unterschiedene Weisen, wie man die "historisch-materialistische Arbeitshypothese" konkretisieren sollte (sie lautet grob: immer wieder in der Geschichte stösst die Entwicklung der Produktivkräfte an die Grenze des sie znächst erfolgreich entfaltenden Produktionsverhältnisses und macht ein neues erforderlich):
    Die eine Interpreration (die bisher unter Marxisten übliche) besagt: Die Produktivkraft-Entwicklung ist eine quantitative, es ist einfach technisch immer mehr möglich, und das seit Beginn der Zivilisation; bloss, dass bestimmten dabei erreichten Niveaus der Entwicklung dann die zugehörigen Prodktionsverhältnisse, die bei primitiveren technologischen Niveaus die einzig angemessenen waren, auf einmal immer mehr versagen und zum Hemmschuh für sich abzeichende Fortschritts-Optionen werden.
    Die andere Interpretation (die auch mit der allgemeinen Formel vereinbar ist) lautet hingegen: Produktivkraft-Entwicklug und materieller Fortschritt ist keine quantitative Sache - es so anzusehen, ist eigentlich die Fortschreibung der Fortschrittsart einer ganz bestimmten Epoche (der modernen: Anwachsen des Systems an Variantenreichtum und Komplexität technologischer Optionen); was sich an einer Epochen- und somit Fortschrittsgrenze bemerkbar macht, ist vielmehr jedesmal eine neue Fortschritts-Dimension, oder produktive AUFGABENSTELLUNG, in die hinein selbst die bisherige Fortschrittsrichtung aufzulösen und hineinzunehmen ist. Dh Fortschritt wurde bis dahin zu einfach definiert. Und nicht nur, dass genau darum die Frage, wie man diese völlig neue Aufgabenstellung geselslchaftlich-arbeitsteilig organisiert, sich in dramatisch neuer Form stellt - die Aufgabe SELBST ist ja eine völlig neue; und selbst von der vergangenen Epoche einiges Nützliche zu erben und mitzunehmen ist, muss beinah alles sonst neu aus dem Boden gestampft werden. Und anders... ist die Stagnation und chronische Krisenhaftigkeit, in die der alte Epochenzustand geraten ist, nicht zu beheben. - Die These lautet: An solch einer Epochengrenze stehen wir. (Das freilich ist die Grobversion; womöglich gibt es eine differenziertere Form der These, die den Übergang in eine neue Produktionsweise als notwendig in zwei MATERIELL unterschiedene Phasen zerfallend beschreibt - und, nein, hier ist NICHT an das Zwei-Phasen-Modell Sozialismus/Kommunismus zu denken, sondern an ganz andere...)

  • Diese Zweckmässigkeit und die ihnen gerecht werden materielle (Re)Produktion muss vielmehr, wie noch in jedem solchen Epochenübergang bisher, mühsam, sorgfältig, langsam im Rahmen des neuen Produktionsverhältnisses von Null (also dem heutigen Zustand) ausgehend erarbeitet und aufgebaut werden.


    Dann mal hier meine threadübergreifende Reaktion:


    Diese Zweckmäßigkeit ist an keiner Stelle vom Schreibtisch oder vorher, also vor einem beginnenden Prozeß der Aneignung, zu klären.
    Du kannst mE für objektive Anforderung (sorry) halten, was Du willst - was davon subjektive Anforderung, also subjektiv zu halten ist, entscheiden nicht und hoffentlich niemals einzelne.


    Ich finde es nach wie vor müßig davon vorher konkreter sprechen zu wollen als in Phantasiegebilden. Das meine ich nicht einmal negativ.


    Nur - was tatsächlich zweckmäßig ist, können nur die entscheiden, die auch damit arbeiten müssen, um dann davon und damit zu leben!


    Halte uns bitte nicht für so unbedacht.
    Wenn wir soweit sind, uns in Bewegung zu setzen, wissen bzw. kriegen wir auch heraus, was dann in dem Moment und auf längere Sicht zweckmäßig ist.
    Schließlich arbeiten die allermeisten von uns mit dem jetzt gerade so vorhandenem 'Zeug'. Und wenn wir das so ingesamt toll fänden, würden wir uns nicht mal in Bewegung setzen...


    Sorry und liebe Grüße - Wat.

  • Ich finde es nach wie vor müßig davon vorher konkreter sprechen zu wollen als in Phantasiegebilden. Das meine ich nicht einmal negativ. Nur - was tatsächlich zweckmäßig ist, können nur die entscheiden, die auch damit arbeiten müssen, um dann davon und damit zu leben.


    Hallo Wat.
    ich finde, das ist ein bisschen hart geurteilt. Es geht zur Zeit ja gar nicht ums Entscheiden. Es geht zur Zeit allein ums Gedanken machen.
    Wir beide haben ja auch hier einen gemeinsamen Entwurf vorgelegt, wie bedarfsgerechtes Wirtschaften mit heutiger Technologie und Ausbildungsstand zu bewältigen wäre. Ist dieses Modell der "Kommune Bochum" nur ein "Phantasiegebilde"?
    Die linke Kritik, die bisher dazu kam, berief sich mehr oder minder auf persönliche Dummheit oder persönliche Faulheit: "Wie soll ich den wissen, was meine Bedürfnisse sind?"
    Mein Rat dazu: Schreib mal auf präzise auf, was du in einer Woche verbraucht hast, dann weißt du schon ziemlich genau, was du nächste Woche brauchst. Nur mit so einer Aufstellung lässt sich bewusst entscheiden: Was brauche ich denn? Welche meiner Bedürfnisse sind nicht "verhandelbar"? Was gehört zu den "nice to have-Dingen"? Da schwärmen Linke von "Planwirtschaft", aber halten ihre individuellen Bedürfnisse für nicht planbar. Das ist reichlich lächerlich.
    Es gibt Wohn- und Lebensverhältnisse, wo der nächste Laden eine Flugstunde entfernt ist. Spätestens unter solchen Lebensverhältnissen lernt jeder schnell, was auf der eigenen Bedarfsliste stehen muss. Ich habe von einem Fall gehört, wo eine vierköpfige Familie, die in Alaska lebt, ihren Großeinkauf nur einmal jährlich (mit dem Buschflieger) macht - und das klappt!
    Und natürlich sammelt der kapitalistische Einzelhandel auch Erfahrungswerte über den privaten Verbrauch. Auch solche Daten sind nutzbar. Man könnte daraus zum Beispiel eine Vorschlagsliste kreieren, die der/die Einzelne dann nur ankreuzen oder anklicken muss.


    Außerdem denke ich schon, dass die Bestandsaufnahme dessen, was mit den heutigen Produktionsmitteln machbar ist und was nicht, kann und soll heute schon begonnen werden.
    Ich glaube allerdings, dass eine grobe Bestandsaufnahme nicht viel mehr als eine Negativliste zustande bringt:
    Keine Kriegswaffen, keine Atomenergie, keine Großprojekte (außer vielleicht in Kommunikationstechnologie?) - bis hierher ist diese Liste längst schon mehrheitsfähig.
    Mir ist unsere ganze bisherige Diskussion zu dieser Problemstellung, die ja wesentlich von Franziska angeschoben wird, viel zu unkonkret und viel zu "grundsätzlich".
    Gruß Wal

  • Na Wat,

    Ich finde es nach wie vor müßig davon vorher konkreter sprechen zu wollen als in Phantasiegebilden. Das meine ich nicht einmal negativ.


    dann sprich doch wenigstens von den Phantasiegebilden! ;)
    Die Weigerung, dass man der freien Entscheidung der späteren Akteure (die auf Grund ihrer Masse zu völlig anderen Entscheidungen kommen würden) nicht vorweggreifen will, ist nichts als das Bekenntnis der Ahnungslosigkeit.
    Es ist ja gerade nicht so, dass da tausende von funktionierenden und wünschenswerten Konzepten auf den Tischen liegen würden, und man sich dann in der komenden Mehrheit schon auf eins derjenigen oder eben ein ganz anderes einigen wird, wenn es denn endlich mal zu einer allgemeinen Kritik der Gesellschaft kommt.


    Es ist gerade andersherum, dass es genau nicht zu einer allgemeinen (schon nicht theoretischen und deswegen schon gar nicht praktischen) Kritik kommt, weil es eben nicht ein einziges theoretisches Konzept einer Utopie gibt, das die praktische Infragestellung des gegenwärtigen rechtfertigen würde.


    Hätte man ein Konzept, könnte man die Veränderung anstreben und auf dem Weg dahin dann auch vielleicht erkennen, dass es noch bessere gibt und zu einem von denen streben.

    Klar, dass unter diesen Bedingungen einige Kommunisten auf eine absolute (nicht nur im Verhältnis zu dem Gesellschaftlichen Recihtum relative) Verarmung der Massen hoffen und sie aus den Zahlen immer wieder herauslesen wollen. Ich hoffe, nur es kommt nicht noch der Schritt, diese Verarmung gleich anzustreben.


    Denn nur der Hungernde und Frierende hat nur seine Hoffnung und sonst nicht. Erst für jene ist das Argument der Hoffnung der Bremer Stadtmusikanten "etwas Besseres als den Tod findest du überall" tauglich.
    Aber finden sie im Wald mit der Räuberhütte ein Haus über dem Kopf und Essen auf dem Herd, gehen sie nicht wieder los ohne Ziel = ohne Vision von mehr Komfort.


    Nun etwas zum Threatthema:
    Es kling wie ein Kinder-/Gesellschaftsspiel z.B.: "Wer ist der Werwolf".
    Meine Ausgangsfrage dazu ist:
    Was stört an Herrschafft? Deren Kritik setzt ihr hier aber alle anscheinend voraus.
    Es gibt ein Interesse der Herrschaft, was dem meinem zuwieder ist, und die Machtmittel der Herrschaft diesem Interesse Geltung zu verschaffen.
    Jetzt stellt sich die Frage nach dem eigenen Interesse. Ist es ein nicht an den kapitalistischen Bedingungen relativiertes, sondern ein absolutes an persönlichem Wohlbefinden, dann ist es ja vielleicht das Interesse, aus Geld mehr Geld zu machen, was dem eigenen Interesse an angenehmen Leben vermeintlich zuwider ist. Dafür brauchte es aber eben jene obige Alternative. Da diese nicht ersichtlich und viele gar grundsätzlich an ihr zweifeln und so auch ziemlich Arme Interesse am Eigentum haben und gerne sehen, wie ihre paar spargroschen Zinsen bringen, sind sie selber Teil der Herrschaft und bekennen sich gelegentlich bei den Wahlen auch dazu.
    Jene, die ihr Interesse aber bei dem Zweck der Gesellschaft, "aus Geld mehr Geld" zu machen, wirklich negiert sehen, weil sie eben innere ;) Kenntnis über eine Alternative gewonnen zu haben glauben, müssen auch alle diese Subjekte als Herrschaft begreifen. Auch wenn eine Elite als mächtiger erscheint als die sie stützende Masse, so ist doch wohl klar, dass das bloße Abschaffen dieser Elite (mittels Killerkomando oder durch spezielle Gesetze der Korruptionsbekämpfung oder Bankenaufsicht, ...) nicht die Herrschafft selber abschafft.


    Die andere gefühlte Herrschaft ist die Innerbetriebliche:

    Erstens wird dem Kapital zunehmend Legitimation entzogen.
    Ich habe nie in einem Betrieb gearbeitet, in dem ein Kapitalist noch persönlich Regiment führte. Es gibt aber noch etliche davon, und es heißt, die Lohnarbeiter dort hätten oft ein gemütliches Untertanenverhältnis zu "ihrem" Kapitalisten.

    (Es wird vielleicht dem einzelnen Kapitalisten mal die Legitimation entzogen, aber doch dem Kapital nicht!)
    Ja da geht es eben nur noch um Zusammenarbeit aus Konkurrenzgründen gegen andere Unternehmen, oder um kleine relative Machtkämpfe (wie zwischen Gewerkschaft und Unternehmensführung), die dann noch immer die jeweilige Grenze an den Alternativmöglichkeiten für Kapitalrendite und Arbeits(-losen-)einkommen haben.
    Will man aber Herrschaft als die Möglichkeit sehen in der Welt Dinge zu verändern, ohne dabei den Wertmaßstab des Kapitals zu grunde zu legen, dann muss man einen anderen haben. Welchen?
    (Ohne es hier etwa ausdiskutieren zu wollen, sondern nur um hier kein Missverständnis aufkommen zu lassen: ich will hier nicht letztlich die Existenz antagonistischen Klassen leugnen, sondern halte sie "nur" nicht für den Grund des Kapitalismus sondern für eine Erscheinung.)

  • Diese Zweckmäßigkeit ist an keiner Stelle vom Schreibtisch oder vorher, also vor einem beginnenden Prozeß der Aneignung, zu klären.
    Du kannst mE für objektive Anforderung (sorry) halten, was Du willst - was davon subjektive Anforderung, also subjektiv zu halten ist, entscheiden nicht und hoffentlich niemals einzelne.


    Nun, da könnte ich entgegnen: Leute können natürlich "subjektiv" denken, was sie wollen, und sich mit andern darin einigen; bloss ist nicht immer gesagt, dass sie so können, wie sie denken. Ob man da auf mich hört, oder nicht; ob man es womöglich selber einmal erwägt, wenn ich es an- und ausspreche, oder versucht es schnellstens zu vergessen und nicht dran zu denken, ändert am OBJEKTIVEN Sachverhalt leider nichts.
    (Das haben objektiv bestehende Sachverhalte so an sich..)


    Der Sachverhalt, um den es (thread-übergreifend, immer wieder) geht, stellt sich bedauerlicherweise unabhängig von kommunal vorhandenen Kompetenzen und auch Produktions-Optionen dar als existenzielle technologische Abhängigkeit der gesamten regionalen Reproduktion (angefangen bei so elementaren Dingen wie Nahrungsmittel- und Energieproduktion) vom Nachschub aus der globalisierten Weltwirtschaft. Regionalisierug und Kommunalisierung sind, anders als im halb noch vorindustriellen Frankreich der 1870er Jahre, wo dieses Modell durchaus vielversprechend gewesen wäre, heutzutage mit unglaublichen technologischen Umrüstungen (Substitution) verbunden. Es ist technisch undenkbar, dies nachhaltig oder, mit unserm Wort hier, REPRODUKTIV regional zu machen (ein anderer Ausdruck dafür wäre: regional autark), ohne lange Zeiträume der Entwicklung (dazu gehören derzeit auch Erfindung, Entwicklung, Erprobung von Verfahren, die es noch garnicht gibt) und des Aufbaus (sinnvolles Zusammenarbeiten der verwendeten Technologien) der neuen regionalen/kommunalen Reproduktion einzuplanen - Zeiträume, in denen dennoch die Versorgung der dort Wohnenden gesichert sein müsste. Was ohne entwicklungs-lähmende Rücksichtnahme auf die Weltmarkt-Einbettung der Kommune nicht möglich ist.
    Weder von einer Analyse der Mentalitäten und Verteilung der Motive und Bereitschaften zu einem solchen Übergang in der Bevölkerung (je differenziert nach Zeiten akuter Krise, oder chronischer Krise, oder Nichtkrise) ist ein synchroner solcher Übergang zu erwarten, noch ist er machbar (dies aus dem genannten Grund), noch ist er überhaupt wünschenswert. Weil in solch einem MOMENT synchronen Übergangs einfach ZUVIELE PROBELME ZUGLEICH zu lösen sind.


    Das sage ICH. Und ich... gehöre auch dazu.
    Wohin kommen wir, Wat, wenn du jedem, der mit dir oder unseresgleichen anfängt über die Probleme des Übergangs zu reden, die ER/SIE sieht, über den Mund fährst mit: das wird nicht JETZT entschieden, drum darf da JETZT nicht drüber geredet werden, sondern da müssen SIE, die DANN "sich in Bewegung setzen", sich erst beraten, und erst DANN. Und selbst wenn du dazu gehörst - du darfst dir keine Gedanken machen. Weil... jetzt ist ja noch nicht DANN. Und DANN... wird alles ganz anders (niemand weiss, wie; bloss DASS..)


    Es ist der klassische altlinke Gedanke: ERST der Übergang, ERST die Aneignung, ERST der "Bruch" - DANN (dann ist nämlich erst "dann"!)... sehn wir weiter.
    Irrtum.
    Ich kenn nicht EINEN Lohnabhängigen, mit dem ich geredet hab, der nicht GENAU DAS als allererstes (und schnell auch -letztes) fragt: Und wie soll das, bitteschön, gehn? Für den bist du eine gläubige Traumtänzerin. Jehovas Zeugin auf links. Sorry - genau so reden die über uns, genau so denken die über uns. "Die". Genau die, von denen du immer zu sagen pflegst, dass "sie" "dann" die Entscheidungen treffen sollen. "Sie" setzen sich aus genau dem Grund garnicht erst in Bewegung.
    Und, sorry, bitte lies es nochmal genau: AUS GENAU DIESEM GRUND. Sag mal so einem deine beiden Sätzchen oben, die du MIR immer vorhältst:

    Diese Zweckmäßigkeit ist an keiner Stelle vom Schreibtisch oder vorher, also vor einem beginnenden Prozeß der Aneignung, zu klären.
    Du kannst mE für objektive Anforderung (sorry) halten, was Du willst - was davon subjektive Anforderung, also subjektiv zu halten ist, entscheiden nicht und hoffentlich niemals einzelne.


    Da verabschiedet der sich freundlich, und sagt seinerseits: sorry.

  • AgneS : Wenn ich dich richtig verstanden habe, sagst du: Die Kritik am Kapitalismus ist erst vollendet, wenn wir eine (oder auch mehrere?) Alternative zum Kapitalismus haben.


    Ich meine dazu: Die Kritik am Kapitalismus kann nicht mit einer Alternative (Utopie) beginnen. Denn erst, wer die Warenproduktion mittels Lohnarbeit verstanden hat, findet eine Alternative jenseits der Warenproduktion und jenseits von Lohnarbeit.
    Sofern diese Stufe der Kritik am Kapitalismus geleistet ist, ist allerdings eine Suche nach Alternativen berechtigt und nötig.
    Was nicht funktioniert: Die Kapitalismuskritik im engeren Sinne gegen die Suche nach Alternativen auszuspielen und in Gegensatz zu bringen.

    @Franziska: Dein Text hat mich gründlich verärgert!
    Das ist die – sorry – immer gleiche Leier:
    Eine Alternative zum Kapitalismus sei nicht machbar, „technisch undenkbar“, „zu viele Probleme zu lösen“ - all das vorgeschoben als „Argumente der Massen“.
    Diese Spiegelfechterei kann und will ich wirklich nicht mehr hören und lesen. Mich interessiert nicht die Meinung von einem ominösen XY, mit dem Franziska irgendwann und irgendwo einmal gesprochen hat.


    Auch ich kenne weitaus mehr Leute, die dem Kommunismus skeptisch gegenüberstehen, als Leute, die mindestens Sympathie mit dem Kommunismus haben. Wenn solche Leute hier mitdiskutieren wollen, bitteschön, dann sollen sie das. Du musst nicht mir - und anderen - in Erinnerung rufen, dass der Kommunismus eine Minderheitenmeinung ist, das weiß ich sehr gut.

    Schreib doch einfach, was du, Franziska, für möglich und was du für nicht möglich hältst. Darüber lässt sich dann reden.
    Aber dass du dich hinter fremden Argumenten „der Bevölkerung“ versteckst, das bin ich gründlich leid.


    Das ist meine Bitte an Euch beide, Franziska und Agnes: Wenn Ihr den Entwurf einer selbstbestimmten Alternative zum Kapitalismus für nötig haltet, dann setzt euch doch bitte auch selbst an diese Aufgabe und lasst endlich das Mantra: „Ihr Linke müsst eine Alternative liefern!“
    Dieses Mantra nervt!

    Gruß Wal

  • Vorbemerkung nach Abfassung des Beitrags: Die Diskussion ist schneller, als ich antworten kann. Die nachfolgende Antwort hat leider den voranstehenden Beitrag von Wal nicht berücksichtigt, und bezieht sich auf den davor. Allerdings sind erste Elemente einer Antwort auch enthalten: denn in dem Beitrag hier wird explizit die Verbindung von Analyse des gegenwärtigen Entwicklungsstandes der kap.Prduktionsweise und den Problemen einer nachkapitalistischen, kommunalistischen Alternative hergestellt.
    Es geht leider nicht mehr bloss um die Analyse der Lohnarbeit und ihrer Ausbeutung. Es geht längst auch um die Frage der (möglicherweise ständig misslingenden) Verwaltung von technologischem Fortschritt und seiner Konsequenzen durch die kap. Planungs- und Steuerungsinstrumente, die einzig auf "abstrakte Produktivitätsteigerung" orientieren; und es geht um die Steuerung dieser Fortschrittsbewegung in Gestalt des KREDITS und von INVESTITIONEN (weshalb die Herren über beides, und bittesehr nicht den popligen Bankkredit an den Kleinunternehmer, sondern das akkumulierbare Investitionskapital der Weltgesellschaft, zusammen mit den Regierenden der massgeblichen Staaten heute eben die herrschende Klasse sind; so wurde behauptet). Genau das hat die weiter unten in diesem Beitrag behaupteten Konsequenzen. Wenn aber sachliche Erörterungen von Sachverhalten euch regelmässig ärgern, sobald sie von EUERN Voraussetzungen weggehen und dagegen argumentieren, und man jedesmal erstmal gegen emotionale Ausbrüche anschreiben muss... warum soll man sowas tun? Warum soll man euch ärgern? Damit ist niemand gedient.
    (Meine Antwort im letzten Beitrag galt Wat und nicht dir, Wal. Auch dein Beitrag argumentiert eher gegen Wat. Mein Hauptargument gegen Wats Entgegnung lautet, ähnlich wie er dann auch von AgneS kam: Es wird kein "dann" geben, und kein "danach", wenn nicht ZUVOR die Beteiligten sich eine für sie (von mir aus "subjektiv") hinreichende Vorstellung von dem gemacht haben, was für Chancen sie haben und was sie tun wollen und müssen. Die Tour: erstmal Umsturz, dann sieht man weiter, und vorher darf man nicht drüber reden (auch keinen Entwurf "Kommune Bochum" und dergleichen) - das ist zB reinste MG/GSP-Tour. Zumindest ICH mach die nicht mit. (Wenn man schon nur noch von sich selbst reden soll, was mir SEHR recht ist, ich brauch mich nicht verstecken hinter andern. (Wenn die konkreten Einwände dann aber bitte nicht wieder abgetan werden (das gabs hier verschiedentlich, zB auch von Mario Ahner) in der Art von "Wer bist du kleiner Hansel/Gretel denn schon, verglichen mit der grossen Lohnabhängigen-Klasse da draussen, die schon wissen wird, was sie tut, wenn sie nur erstmal loslegt, wo sie doch alle Kompetenzen in ihr versammelt hat!")
    Das behauptete Mantra ist hier von mir nicht aufgestellt worden. Ich sehe, und ich denke, alle andern, die hier mitdiskutieren sehen genauso die Anforderung nicht als eine "an die Linke", sondern vorrangig an sich selbst gestellt. Die Alternativen speziell meinerseits wurden mehrfach in meinen früheren Forumsbeiträgen angesprochen, und können jederzeit konkretisiert werden. Schliesslich bin ich praktisch in dieser Richtung tätig. Vor allem auch der Zusammenhang zur Kapitalismus-Analyse könte und sollte weiter konkretisiert werden - das wird, sehr zurecht, hier immer wieder parallel und im Zusammenhang diskutiert.)

    Jetzt der ursprüngliche Beitrag:


    Wal.. die "Problemstellung" wird "von Franziska angeschoben", weil sie eben keineswegs bloss die Bedarfsermittlung oder -planung betrifft, sondern die elementare Frage, wie die als Resultat der Entwicklung der kap. Produktionsweise uns verfügbaren (speziell regional verfügbaren) Produktionsmittel in gesellschaftliche Kontrolle übernommen werden können - OB sie das können, ob sie es auf regionaler Basis können usw.
    Es geht um Reproduktion und Produktion, und Restriktionen, denen sie - darum geht die Debatte - unterliegen.


    (Es geht, nebenbei, und als nicht ganz unwichtiger Unterpunkt, auch um die Frage, ob man sich kollektiv des ZUSAMMENHANGS von (erfüllbarem) Bedürfnis und (abzuleistender) Arbeit (und der Art ihrer Verausgabung) kollektiv bemächtigen und ihn kontrollieren kann: überhaupt erst einmal so, dass die Koordination gelingt - vor allem die denkbaren Umgestaltungen, angesichts von Lernfortschritten im Umgang mit den Produktivkräften, und zwar ALLEN); aber eben auch so, dass der Konsens darüber gestiftet und die Entscheidungsfähigkeit aller gesichert bleibt - indem sie überhaupt WISSEN, was zur Entscheidung ansteht, und nicht anonymen Experten-Kulturen ausgeliefert sind. Echt, Wal - das sollte dir die ganze Zeit entgangen sein? Dass es DARUM und solche, die Produktion und Reproduktion und ihre kollektive Planung betreffende Fragen in "Franziskas" Problemstellung" geht und ging? Ist es dir entgangen? Oder hältst du es für unerheblich? Und was ist unkonkret, wenn ich von globaler Abhängigkeit (nur schon, und exemplarisch) der regionalen Produktion von Nahrungsmitteln und Energie von Ersatzteil- und Energielieferungen rede? Erinnerst du dich noch: 40% des BIP dienen der Bezahlung von Importen - das ist allein erst der internationalen Verflechtung (auch der nationalen Konzern mit ihren Auslandstöchtern, vgl. dazu Robert Schlossers Manuskript) geschuldet; wie mag die Zahl aussehen, wenn wir zB Bochums Importe aus der nationalen Wirtschaft betrachten - und die Notwendigkeiten der Import-Substitution, um sie allein auf die von dir angesetzten 15% für lokal nicht vorhandene Energieträger und Rohstoffe zu senken? Von Sanktionen, Boykott und schlimmerem gegen die abrtünnigen Kommunen (vgl. Donbass) noch ganz zu schweigen... Das ist "unkonkret"??? Und.. das hätte nichts zu tun mit dem Begriff von "Produktivität", den die heutige herrschende Klasse bzw. Produktionsweise mit ihren hochriskanten weltweiten Abhängigkeiten der Weltgesellschaft aufgenötigt hat? - Nein! - es ergibt sich vielmehr, so die zu diskutierende These, DIREKT aus der ANALYSE der derzeitigen entwickelten kapitalistischen Produktionsweise. Das ist "zu grundsätzlich"? Nun... was darüber hinausginge, würde ja auch sofort auf Wats Einwand treffen, dass es "dann" erst entschieden werden soll... Wie nun? )


    Es sollte niemand glauben, dass wir mit diesen Erörterungen uns allzuweit entfernt hätten vom Thema des threads (oder der Reihe aus threads, an die er anschliesst: schliesslich war der TE Beitrag einer am Ende des Know-how-threads, der die Antwort auf das immer gleiche Problem liefern sollte, das zuvor schon im 1848 (und noch davor im Alle planen alles) thread diskutiert wurde; keineswegs bloss von mir).
    Wir analysieren hier das Resultat der Produktionsweise, die überwunden werden soll. Und die Frage, ob und wie weit es Chancen oder Hindernisse für die Produktionsweise, speziell in technologischer HInsicht, liefert, die die zu überwindende ersetzen soll.
    Und... speziell geht es drum, inwieweit das spezifische Produktionsverhältnis, speziell mit seiner herrschenden Klasse und den Ansprüchen, denen sie behauptet gerecht werden zu können, für technologische und generell materielle (Stichwort: Produktionsarchitektur; einseitige Entwicklung von "abstrakter Produktivität" auf Kosten ALLER andern Entwicklungsdimensionen) Verhältnisse gesorgt hat, die eine für die Versorgung der Weltbevölkerung MÖRDERISCHE SACKGASSE darstellen. Und das sehr präzise und konkret aufgrund ihres Planungs- und Steuerungsmodus namens "aus Geld mehr Geld machen", auf einzelbetrieblicher Basis.


    Wal hat, in seiner Reaktion auf den Arbeitswerttheorie-thread im Frühjahr, nämlich in dem extra zu dem Zweck eröffneten thread "Warum Marx?", die im Kapitalismus, durch die damit verbundene Produktionsweise, erzeugte ARBEITS-Produktivität und die damit verbundenen Optionen, herausgearbeitet. Die Antwort darauf ist, dass diese Arbeitserleichterung (die bei kollektiver Aneignung der Prod.mittel allen zugute käme) mit ungeheuren Opfern auf andern Gebieten der materiellen Produktion erkauft ist, die eine nachkapitalistische freie Produzenten-Assoziation massiv zu spüren bekommen würde. Um diesen Zusammenhang zwischen der spezifischen Zurichtung der Produktivkräfte und ihrer technolgischen Ausrüstung durch die Restriktionen kapitalistischer Produktions-Organisation, und den Chancen und Hindernissen, die sie der Aneignung dieser Ausrüstung und dieses weltweit installierten Produktions-Apparats durch mehr oder weniger grosse Teile der Welt- oder auch regionaler Gesellschaften entgegensetzen, geht es.


    Ich bitte darum, dies als eine sachliche Erörterung aufzufassen von Einwänden gegen bestimmte Vorgehensweisen beim "Übergang" in eine emanzipierte Gesellschaft, die einige von uns sehen. Diese Einwände sollten sich auflösen lassen mit Argumenten. Anders gehen Einwände nicht weg.


    Wat macht gerne ihre spezielle biographische Erfahrung geltend.
    MEINE Erfahrung beruht auf einer zeitlich wahrscheinlich deutlich noch ausgedehnteren (als bei Wat) Tätigkeit, mit der ich Jahre meines Lebens zugebracht habe, nämlich Versuchen (und deren sorgfältiger Planung), Lohnabhängige für das Projekt ihrer Emanzipation zu gewinnen. Aufgrund dieser Erfahrungen kann ich mir nicht vorstellen, warum ihre Reaktion im Rahmen einer KRISE (akut, oder chronisch) wesentlich anders ausfallen sollte; also wenn ihre Reproduktion beschädigt wird. Darüber, ob DAS einen Unterschied machen wird (und man das vernünftigerweise so erwarten kann und darf oder muss), wurde hier bislang noch nicht genügend gesprochen; es scheint aber eine wichtige Voraussetzung im "Übergangs"-Szenario wenigstens von Wal, vielleicht auch Wat zu sein.

  • Hallo Franziska,
    wenn du der Meinung bist, der Kapitalismus sei ohne Ausweg, "eine mörderische Sackgasse", wie du dich ausdrückst, dann kann ich diese Meinung nur zur Kenntnis nehmen. Kommentieren und diskutieren kann ich das nicht.


    Jeder einzelne Satz über den Kapitalismus, den ich je geschrieben habe, sagt etwas anderes.


    Möglicherweise ist an diesem Punkt für mich nicht nur die Diskussion in diesem Thread, sondern sogar JEDE Diskussion mit dir an ein totes Ende gelangt.
    Sorry und Gruß!
    Wal

  • Wal, bitte lies nochmal nach: es geht um die materielle Struktur von Reproduktion und Versorgung der Weltbevölkerung, und die Behauptung, dass sie so, wie sie ist, ihrer kollektiven Aneignung massive Probleme bereitet. Dass DER KAPITALISMUS nicht überwindbar sein soll, ist absurd. Genau zu dem Zweck schreiben wir hier doch, wozu mache ich mir die Mühe, dies, nämlich genau was im Forumstitel steht: DIE BEDINGUNGEN unserer (! auch meiner!) Emanzipation zu diskutieren.
    Ich muss nicht rechthaben, und wenn das alles leichter geht, FREUE ich mich.
    Ich schreibe hier nicht zu meinem Vergnügen, sondern um Einsichten auszutauschen und zu Erkenntnissen zu gelangen.
    Ich schreibe hier nicht, um Leute zu ärgern oder das grundsätzliche Ziel, den Kapitalismus zu überwinden infragezustellen.


    Meine Analysen der derzeitigen Verhältnisse stelle ich in Auseinandersetzung mit den deinigen, Wal, zur Disposition; ich beharre nicht grundlos darauf, und bin auch nicht irgendwie emotional darauf fixiert.
    Meine Konsequenzen, die allerdings erst sinnvoll in Betracht gezogen werden können, wenn die Analysen nicht mehr bestritten werden (was umgekehrt genauso gilt!), wurden bereits angedeutet: Die radikale Linke soll ihre Wartehaltung aufgeben, und sich an den Aufbau einer robusten, nachhaltigen und tragfähigen dezentral zur Not überlebensfähigen kollektiv-eigentumsfrei organisierte Reproduktionsstrukur machen (ermöglicht durch Vermögens-Überlassung an die Kollektive), deren Errungenschaften, im Falle plötzlichen Bedarfs, auf andere Bevölkerungsteile ausgeweitet werden können. Wobei diese Rücksicht auf Notfälle einen enormen Zusatzanspruch darstellt, der die "Aufbau"-Probleme technologisch und materiell unter extreme Zusatzanforderungen setzt. Dieser Strategie-Vorschlag schliesst andere und weitere Initiativen nicht aus, die mit ihm zusammenwachsen können - ganz im Gegenteil. Ich denke tendenziell aber, dass eine solche (und so organisierte) technisch-reproduktive Komponente, angefangen bei der Nahrungsmittelversorgung (man kann froh sein, wenn allein die schon regional gelingen würde; bitte immer denken an den hoch-technologischen Maschinenpark, der da heute eingesetzt wird), und fortgesetzt über Häuser- und Wohnungsbau-/-renovierung (schon wieder: zur Not unabhängig von überregionalen Industrie-Baumaterialien) mitsamt deren Infrastruktur, sowie lokale Produktionsmittel-Erzeugung (schon sehr anspruchsvoll), für das Gelingen JEDER Emanzipation auf "kommunaler" Stufenleiter unerlässlich ist. Darüber würde ich gerne weiter diskutieren und die Gründe für und gegen weiter erörtern. Gern auch alle anderslautenden und den meinigen widersprechenden Analysen der Resultate der kapitalistischen Produktionsweise, wie sie sich aktuell entwickelt haben, und als Produktivkräfte im Rahmen einer Aneignungsbewegung auf kommunaler oder auch weiträumigerer Stufenleiter für Zwecke einer emanzipierten Gesellschaft nutzbar gemacht werden sollen.


  • Die Kritik am Kapitalismus kann nicht mit einer Alternative (Utopie) beginnen. Denn erst, wer die Warenproduktion mittels Lohnarbeit verstanden hat, findet eine Alternative jenseits der Warenproduktion und jenseits von Lohnarbeit.
    Sofern diese Stufe der Kritik am Kapitalismus geleistet ist, ist allerdings eine Suche nach Alternativen berechtigt und nötig.
    Was nicht funktioniert: Die Kapitalismuskritik im engeren Sinne gegen die Suche nach Alternativen auszuspielen und in Gegensatz zu bringen.

    Soweit kann ich dir schon zustimmen.
    Solange sich das kritische an der Kapitalismuskritik (dann vorerst noch ohne Alternatividee) an einem Wertmaßsstab :"ich wünschte es könnte anders sein" orientiert. Nur ist diese Art Kritik (noch) nicht mehr wert, als die Kritik des Wetters: "ich will keinen Regen, weil ich da nass werde," - mit all meinem Wissen um die Ursachen des Regens - solange es eben doch weiter regnet, weil ich sinnvolle keine Alternative dazu erreichen kann.


    Das ist meine Bitte an Euch beide, Franziska und Agnes: Wenn Ihr den Entwurf einer selbstbestimmten Alternative zum Kapitalismus für nötig haltet, dann setzt euch doch bitte auch selbst an diese Aufgabe und lasst endlich das Mantra: „Ihr Linke müsst eine Alternative liefern!“
    Dieses Mantra nervt!

    Oh, ich saß und sitze, allein fehkt die simple Lösung!!!
    Ja, und das nervt auch mich, wie eben der Regen!
    Die provokannte immer wieder kehrende Frage an die selbstsicher erscheinenden Kommunisten stammt doch gerade aus der eigenen Suche nach der Alternative - was denn sonst?
    Bloß um dich und andere hier zu ärgern? dazu wäre mir die Zeit zu schade.
    Stellt sich eben noch die abschließende Frage, woher denn deine Selbstsicherheit als Kommunist bei dir kommt, wenn du dir bei der Kapitalistischen Alternative ebenso unsicher scheinst, wie ich.
    (Edit: "Kapitalistischen Alternative" gemeint war natürlich: "Alternative zum Kap.")

  • Stellt sich eben noch die abschließende Frage, woher denn deine Selbstsicherheit als Kommunist bei dir kommt, wenn du dir bei der Kapitalistischen Alternative ebenso unsicher scheinst, wie ich.


    Hallo Agnes,
    überlass mal bitte mir selbst die Aussage, wo ich unsicher bin und wo nicht.
    Solche Unterstellungen über die andere Person gehören zu den polemischen Folterwerkzeugen, die hier verpönt sind.
    Ansonsten: Niemand verlangt von jemandem komplette, fertige Lösungen. Wer es doch tut, dann auch nur in polemischer Absicht.
    Mit gegenseitigen Beschuldigungen kommt diese Diskussion nicht vom Fleck.
    Konstruktiv wird die Diskussion erst, wenn jeder seine verschlossenen Hände aufmacht und zeigt, was an Lösungsansatz da ist, auch wenn es nicht viel ist. Damit können wir dann ein neues Thema aufmachen.


    Gruß Wal

  • dann sprich doch wenigstens von den Phantasiegebilden!
    Die Weigerung, dass man der freien Entscheidung der späteren Akteure (die auf Grund ihrer Masse zu völlig anderen Entscheidungen kommen würden) nicht vorweggreifen will, ist nichts als das Bekenntnis der Ahnungslosigkeit.


    Sehr gern, ein Vorschlag dazu liegt vor - siehe bitte Wals "Modell Kommune Bochum".
    Ich habe mir erlaubt, bei seiner Ausarbeitung mit auf den Text und die Grafinken 'zu gucken'. Wenn Du Dir das Modell einmal durchliest, steht das dort auch drin (die Angela dort bin ich hier).
    Außerdem ist sogar der Vorschlag, wie wir in die Situation kommen könnten, das oder überhaupt ein Modell von Zukunft zu brauchen, also wie kommen wir dorthin, nicht unwesentlich mit meiner Beteiligung entstanden. ^^


    Wohin kommen wir, Wat, wenn du jedem, der mit dir oder unseresgleichen anfängt über die Probleme des Übergangs zu reden, die ER/SIE sieht, über den Mund fährst mit: ...


    Dafür darfst Du Dich gern bei mir entschuldigen.


    Schreib doch einfach, was du, Franziska, für möglich und was du für nicht möglich hältst. Darüber lässt sich dann reden.



    Mir reicht, was für möglich gehalten wird, von dem anderen hörte ich vorerst genug...
    ... und synchrone Übergänge zog ich nicht einmal ansatzweise in Erwägung, und ziehe sie auch bei der x-ten Wiederholung, daß diese nicht gingen, nicht.


    PS - ich bin sauer.


    LG - Wat.

  • Um zum Thema dieses Threads zurückzukehren:
    Ist Middelhof ein Lohnarbeiter oder ein Kapitalist? Oder was dazwischen? Oder keines von beidem?

    Der ehemalige Arcandor-Chef Middelhof ist wegen Veruntreuung im nachgewiesenen Wert von einer halben Million Euro zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden.
    Kein wirklicher Kapitalist, der als Kapitaleigner sein eigenes Unternehmen führt, muss irgendwem Rechenschaft darüber ablegen, was er mit seinem versteuerten Unternehmensgewinn anstellt. Er kann den Gewinn als Kapital anlegen oder auch privat verpulvern.


    Das aber wird dem Middelhof gerichtlich vorgeworfen, dass er einen Teil des Unternehmensgewinns von Arcandor privat verpulvert hat.
    Das Gericht sieht den Middelhof eben nicht als Eigentümer des Unternehmensgewinns. Middelhof war kein "normaler Kapitalist", dessen Existenzquelle gerade und ausdrücklich der Unternehmensgewinn ist. Die Einkommensquellen unterscheiden im Sinne von Karl Marx die sozialen Klassen.

    Middelhof war ein angestellter Treuhänder der Kapitaleigner des Arcandor-Konzerns. Als Treuhänder handelt er nur im Auftrag und im Namen der wirklichen Kapitaleigner. Seine Aufgabe war es für die Kapitaleigner den Profit (möglichst) zu mehren.
    Nutzte er jedoch das Unternehmensvermögen für Privatzwecke, die nicht vertraglich als Lohnvergütung abgesichert sind, dann handelt es sich um einen klaren Fall von Untreue.
    Juristisch ist das vergleichbar mit den Fällen, wo LohnarbeiterInnen bestraft werden, weil sie in einer Bäckerei ein Brötchen verspeisten oder einen fremden Pfandbon in die eigene Tasche stecken. Auch hier wird Kapitaleigentum von den Lohnarbeitern nicht vermehrt, sondern verzehrt.

    Es sind also nicht nur Bonuszahlungen, die hohe Manager an das Kapitalinteresse binden. Das Kapitaleigentum wird auf unterster bis höchster Hierarchie-Ebene nicht nur gegenüber Fremden, sondern auch gegenüber den eigenen Lohnarbeitern im Unternehmen durch Strafandrohung verteidigt und geschützt.


    Es gibt Middelhof-Versteher, die behaupten, Middelhof hätte als Workalkoholik nicht mehr zwischen Arbeit und Freizeit unterscheiden können. Das ist Unsinn.
    Er hat als angestellter Lohnarbeiter nicht zwischen Kapitaleigentum und seinem vertraglich zugesicherten Lohn unterscheiden können. Dafür wurde er vom Gerichts zum Kriminellen erklärt und hinter Gittern geschickt. Und das Gericht ist nur die rächende Hand des kapitalistischen Eigentums.
    Kapitalisten können sich über das Urteil freuen. Lohnarbeiter sollten sich die Schadenfreude verkneifen. Sie stehen alle unter der gleichen Strafandrohung.
    Gruß Wal Buchenberg

  • Hallo Wal,


    der hier genannte Middelhoff, hatte beim Ausscheiden bei Arcandor neben anderem Vermögen ein Festgeldkonto von 50 Mio € (an das er allerdings bis jetzt nicht rankommt). Danach war und ist er als Teilhaber an verschiedenen Hedgefonds tätig, um sein Geld zu vermehren. Ähnlich sieht es bei seinen ehemaligen Kollegen wie Ackermann oder Wiedeking aus, die jeweils hunderte von Millionen haben. Er arbeitet weiterhin auf eigene Tasche ganz oben kräftig bei der Knechtung der Lohnarbeiter und der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen mit.


    Diese Leute gehören, wie franziska m. E. zu Recht am Anfang feststellte, zur herrschenden Klasse. Auf der einen Seite setzen sie als Ausführende die Interessen der Kapitalisten durch, auf der anderen setzen sie als Privatiers oder Unternehmer ihre Interessen selbst mittelbar oder unmittelbar durch. Sie nehmen als Kapitaldiener und Kapitalisten den andern Lohnarbeitern den Reichtum weg. Sie sorgen als Unternehmenschefs und Kapitalisten für Armut und Elend und Zerstörung. Sie sind als Lohnarbeiter und Kapitalisten die Feinde der Lohnarbeiter.


    Aber noch etwas, vielleicht noch Wichtigeres, machen solche Prozesse stets deutlich, nämlich dass sie zeigen, dass sich deren Können als Spitzenmanager meistens auf Eigenschaften wie Blendung, Hochmut, Selbstüberschätzung, Risikofreude, Arroganz etc. etc. reduziert, während sie zu ihren erfolgreichen Zeiten noch zu Führungsfiguren, Visionären mit quasi übermenschlichen Eigenschaften stilisiert wurden. Letzteres ist Lobhudelei, Ersteres wohl Realität und eine Bestätigung dafür, welcher (trügerischen) Eigenschaften es tatsächlich bedarf, wenn eine ganze Ökonomie der Illusion unterliegt, sie sei durch Kapital, Geld und Preise zu steuern.


    Beste Grüße
    Kim

  • Hallo Kim,
    ich glaube, da gehen zwei Dinge durcheinander. Wenn ein Middelhoff über ein Konto mit 50 Mio Euro verfügt, dann unterscheidet ihn das selbstverständlich von der Lohnarbeiterklasse, die (im Schnitt) nicht mehr Lohn einnimmt, als sie zur eigenen Reproduktion verbraucht. In einem anderen Thread hatte ich auch auf dieses Argument von Marx hingewiesen, dass es eine Mindestgröße des privaten Vermögens erfordert, damit einer von fremder Arbeit und damit als Kapitalist leben kann. Diese Mindestgröße ist hier sicher überschritten.
    Eine ganz andere Sache ist aber der Inhalt der Tätigkeit, die ein angestellter Manager betreibt. Dass so ein Manager "kräftig bei der Knechtung der Lohnarbeiter mitarbeitet", das steht außer Zweifel, aber das macht ihn nicht zum Kapitalisten.
    Auch ein Polizist, der auf Demonstranten einknüppelt, oder ein Richter, der Protestierende in den Knast wirft, "arbeiten kräftig bei der Knechtung der Lohnarbeiter mit". Leitende Staatsdiener und leitende Kapitaldiener arbeiten im Dienste des Kapitals ohne selbst Kapitalisten sein zu müssen.


    Wer als Sohn/Tochter eines Kapitalisten zur Welt kommt, ist schon durch Geburt, durch die zu erwartende Erbschaft des Kapitals, zum Kapitalisten bestimmt. (Allerdings kann einem das Erbe entzogen werden oder man kann es individuell ablehnen.)
    Kein Mensch wird aber von Geburt an zum Geschäftsführer, zum Polizisten oder zum Außenminister bestimmt.
    Ein angestellter Kapitalknecht oder Staatsbüttel zu werden, sind Karrieren, die niemandem in den Schoß fallen.


    Es ist halt ein Merkmal des Kapitalismus, dass er - im Unterschied zu den Feudalherren - von Beginn an die politische Herrschaft vom Kapitalbesitz trennt (Verselbständigung des Staatsapparates) und als besonderes Merkmal des modernen Kapitalismus, dass er zunehmend das Kapitaleigentum von der aktiven Funktion des "Wirtschaftskapitäns" trennt, und Lohnarbeiter anstellt, um über Lohnarbeiter zu herrschen.


    Diese vermittelte, indirekte Herrschaft des Kapitals ist zunächst aus der Not geboren, weil die Kapitalistenklasse zahlenmäßig klein ist - in Deutschland maximal 3 Prozent der Bevölkerung. Selbst wenn die Kapitalisten wollten, könnten sie gar nicht alles selbst und persönlich lenken und steuern. Deshalb müssen sie Macht delegieren.
    Bisher hatte die Kapitalistenklasse aber aus dieser Not eine Tugend gemacht:
    Marx wies darauf hin: "Selbst wo ein vermögensloser Mann als Industrieller oder Kaufmann Kredit erhält, geschieht es in dem Vertrauen, dass er als Kapitalist fungieren, unbezahlte Arbeit aneignen wird mit dem geliehenen Kapital. Es wird ihm Kredit gegeben als potenziellem Kapitalisten.
    Und dieser Umstand ..., dass ein Mann ohne Vermögen, aber mit Energie, Solidität, Fähigkeit und Geschäftskenntnis sich in dieser Weise in einen Kapitalisten verwandeln kann ..., befestigt die Herrschaft des Kapitals selbst, erweitert ihre Basis und erlaubt ihr, sich mit stets neuen Kräften aus der gesellschaftlichen Unterlage zu rekrutieren. Ganz wie der Umstand, dass die katholische Kirche im Mittelalter ihre Hierarchie ohne Ansehen von Stand, Geburt, Vermögen aus den besten Köpfen im Volk bildete, ein Hauptbefestigungsmittel der Pfaffenherrschaft und der Unterdrückung der Laien war. Je mehr eine herrschende Klasse fähig ist, die bedeutendsten Männer der beherrschten Klassen in sich aufzunehmen, desto solider und gefährlicher ist ihre Herrschaft. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 614.


    Die Zahl der "geborenen Kapitalisten" wird aber immer dünner. Der Zwang, "Führer" gegen die Lohnarbeiterklasse aus der Lohnarbeiterklasse selbst zu rekrutieren wird damit größer. Hierher gehört auch der lauter werdende Ruf nach Gleichstellung der Frauen in Führungspositionen. Das soll die Kapitalherrschaft stabilisieren, nichts weiter.


    Heutigen Linken gelten solche wissenschaftlichen Unterscheidungen nichts. Da sind alle Millionäre "Kapitalisten", alle die irgendwo Befehlsgewalt haben, gehören zur "herrschenden Klasse" und alle Reaktionäre sind "Faschisten".


    Für Karl Marx waren Differenzierungen wichtig.
    Siehe im Karl-Marx-Forum über Manager.
    Und Karl Marx über Macht im Kapitalismus



    Gruß Wal

  • Hallo Wal,


    ich denke, wir müssen unterscheiden zwischen Leuten wie Middelhoff und Konsorten die mit ihrer Verfügung über riesige Kapitalmengen, wie du an anderer Stelle festgehalten hast, tatsächlich die Weltenlenker sind und dem großen Rest der Manager, die einen Laden für einen oder mehrere Kapitalisten zusammenhalten und sich abbuckeln, um ihn im Konkurrenzkampf über die Runden zu bringen haben. Erstere gehören aus den von mir genannten Gründen zur Kapitalistenklasse, Letztere nicht.


    Ich halte diese Unterscheidung insbesondere deshalb für wichtig, weil diese Gruppe (der Spitzenmanager) das Bild vermittelt, als würde es, weil es sie gibt, gelingen die Reproduktion und ein Mehrprodukt für die Menschheit zu gewährleisten. Das Lächerliche dabei ist, das dieser Irrsinnsglaube am individuellen Erfolg gemessen wird und so das Unvermögen der Gesamtgruppe stets relativiert wird. Wenn einer, wie Middelhoff versagt, dann wird halt vordergründig nach dem nächsten gerufen, während dahinter die Zerrüttung von Mensch und Natur fortschreitet, womit man die Mühe umgeht zum Kern vorzudringen. Diese Leute verstehen viel von (luftigen) Geldgeschäften und haben Visionen, von denen sie erst im Nachhinein wissen, ob sie eintreten. Aber sie wissen so gut wie nichts über die tatsächlichen Zusammenhänge der menschlichen Reproduktion. Und dass sie ansonsten Flachpfeifen sind, das beweisen eben immer wieder solche Prozesse. So etwa geht heutzutage praktizierter Kapitalismus von oben - das ist die Lehre, die ich daraus ziehe.


    Beste Grüße
    Kim

  • Hallo Kim,
    ich habe den Eindruck, wir reden aneinander vorbei. Ich habe das jetzt nicht im Einzelnen nachgeprüft, aber ich denke In den deutschen Dax-Unternehmen ist wenigen Ausnahmen (Adidas? etc.) kaum ein Kapitaleigner im Vorstand. Weil diese bezahlten Manager die Geschäfte erledigen, die früher der wirkliche Kapitalist als Kapitaleigner und Unternehmer erledigt hat, sind das für dich und die meisten Linken einfach "Kapitalisten".
    Ich habe versucht, den Unterschied zwischen wirklichen Kapitalisten = Eignern des Kapitals und bezahlten Managern deutlich zu machen. Das ist mir in der Diskussion mit dir nicht gelungen.
    Der Unterschied ist jedoch auch und gerade von Belang, wo es um die Legitimierung des Kapitalismus geht, und wo es um das "Know-How", also um die Entwicklungsrichtung des Kapitalismus geht.
    Die meisten Kapitalisten sind Holzköpfe. Die meisten Top-Manager sind dagegen studierte Leute. Die Kapitalisten haben das Kapital als Eigentum und kennen keine andere Befehlsmacht als den Profit. Die Manager haben (mindestens zu Beginn ihrer Laufbahn) kein eigenes Kapital und sind den Auflagen und Anforderungen des Aufsichtsrats unterstellt.
    Der Aufsichtsrat ist das Gremium der Kapitaleigner. Der Vorstand bzw. die Geschäftsführung ist das Gremium der Manager.


    Wer will, kann das alles in einen Topf werfen. Ich finde, es gibt viele gute Gründe, das nicht zu tun.
    Der Hauptgrund ist einfach der, dass Herrschaft und Macht im modernen Kapitalismus zunehmend entpersönlicht wird. So wie das Proletariat weitgehend unsichtbar geworden scheint, so sind auch die Kapitalisten unsichtbar geworden. Marx nannte das: "Das Kapital zeigt sich immer mehr als gesellschaftliche Macht..."


    Wer wie ich auf die Marxsche Klassenanlyse nicht verzichten will, der muss halt aufzeigen, wie sich diese entpersönlichte, gesellschaftliche Kapitalmacht auflöst in die Eigner der Produktionsmittel auf der anderen Seite und die Anwender der Produktionsmittel auf der anderen Seite.
    Wem die Marxsche Klassenanalyse wurscht ist, der darf auch sagen: "Middelhof & Konsorten sind Kapitalisten" oder "Middelhof & Konsorten" sind die herrschende Klasse. Ich denke aber, von diesen einzelnen Gestalten und "Wirtschaftskapitänen" führt kein Weg zu der "gesellschaftlichen Macht des Kapitals" - es sei denn über Verschwörungstheorien.
    Hinzu kommt: Wer Middelhof & Konsorten für Kapitalisten hält, der erschwert sich den Übergang zum Kommunismus so sehr, dass dieser Übergang faktisch unmöglich wird.
    Eine nachkapitalistische Gesellschaft müsste nämlich nicht nur wie in der Marxschen Vorstellung zuerst und vor allem die Aufsichtsräte beseitigen und durch Belegschaftsversammlungen und/oder kommunale Räte ersetzen, -
    wer Geschäftsführer zu Kapitalisten erklärt, der muss nicht nur die Spitze der Hierarchie umkehren, sondern die gesamte Unternehmenshierarchie komplett beseitigen und die Geschäftsführerposition sofort und komplett abschaffen. Ich halte das für phantastisch und unmöglich.
    Gruß Wal

  • Wal: „Weil diese bezahlten Manager die Geschäfte erledigen, die früher der wirkliche Kapitalist als Kapitaleigner und Unternehmer erledigt hat, sind das für dich und die meisten Linken einfach "Kapitalisten".“


    Nein Wal, nicht deswegen, sondern wie ich ja versucht habe, deutlich zu machen, a) weil sie über ihr eigenes Vermögen mit dem Rest der Kapitalistenklasse verflochten sind (ich frage mich, wann man anfängt Kapitalist zu sein, wenn nicht bei 50 Mio € und mehr) und b) weil diese Figuren quasi völlig unabhängig in praxi entscheiden, wie mit dem Kapital verfahren wird. Sie werden vom Aufsichtsrat zwar kontrolliert, aber dort sitzen neben ein paar Gewerkschaftern ja wieder die gleichen Typen und selten die Kapitalisten selbst. Es ist ja gerade eine wesentliche Eigenschaft von Aktiengesellschaften, dass diese unabhängig von den Eigentümern geführt werden.



    Wal: „Der Aufsichtsrat ist das Gremium der Kapitaleigner. Der Vorstand bzw. die Geschäftsführung ist das Gremium der Manager. … Wer will, kann das alles in einen Topf werfen. »


    Die Anteilseigner im Aufsichtsrat sind meistens andere Unternehmen. Die stellen ihre Repräsentanten ab. Deshalb findet man dort die Vorstände und Vorsitzenden der anderen großen Unternehmen wieder. Ja, auch daran wird die Vermengung mit der Kapitalistenklasse deutlich.



    Wal: „Die meisten Kapitalisten sind Holzköpfe. Die meisten Top-Manager sind dagegen studierte Leute.“


    „Eine nachkapitalistische Gesellschaft müsste nämlich nicht nur wie in der Marxschen Vorstellung zuerst und vor allem die Aufsichtsräte beseitigen und durch Belegschaftsversammlungen und/oder kommunale Räte ersetzen. Wer Geschäftsführer zu Kapitalisten erklärt, der muss nicht nur die Spitze der Hierarchie umkehren, sondern die gesamte Unternehmenshierarchie komplett beseitigen und die Geschäftsführerposition sofort und komplett abschaffen. Ich halte das für phantastisch und unmöglich.“



    Du vermengst Topmanager mit einfachen Geschäftsführern. Um darauf hinzuweisen, ich spreche schon die ganze Zeit von den Topmanagern und nicht von dem großen Rest. Die Qualifikation und auch die Funktion von Topmanagern scheinst du völlig zu überschätzen. Diese Leute sind aus meiner Erfahrung zu etwa 90% Politiker. Sie müssen wie diese v. a. blenden, lavieren, taktieren, überreden, täuschen usw. können – es ist auf jeden Fall d a s Metier, das sie zu 100% beherrschen müssen. In einer nachkapitalistischen Gesellschaft kann man mit ihnen nicht viel anfangen (das beweisen eben Prozesse gegen Middelhoff und Konsorten). Da könnte man, wenn man wollte, auch einen nicht studierten Lappeduddel an ihre Stelle befördern, ohne dass sich was zum Schlechten ändern würde. Bei einem leitenden Ingenieur oder Forschungsleiter sähe das natürlich ganz anders aus.


    Beste Grüße
    Kim

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