Klassenanalyse Klassen sind
„durch die Teilung der
Arbeit bereits bedingt ...“. K. Marx, Deutsche
Ideologie, MEW 3, 33. Karl Marx unterschied die gesellschaftlichen Klassen nicht
wie ein Meinungsforscher, sondern wie ein Biologe, der seine aus der
Analyse gewonnenen Unterscheidungskriterien auf Lebewesen oder Pflanzen
anwendet, ohne fragen zu wollen, ob ihnen die Zugehörigkeit zu einer
Spezies passt oder nicht. „Die Eigentümer von
bloßer Arbeitskraft, die Eigentümer von Kapital und die Grundeigentümer,
deren jeweilige Einkommenquellen Arbeitslohn, Profit und Grundrente
sind, also Lohnarbeiter, Kapitalisten und Grundeigentümer, bilden die drei
großen Klassen der modernen, auf der kapitalistischen Produktionsweise
beruhenden Gesellschaft. In England ist
unstreitig die moderne Gesellschaft, in ihrer ökonomischen Gliederung, am
weitesten, klassischsten entwickelt. Dennoch tritt diese Klassengliederung
selbst hier nicht rein hervor. Mittel- und Übergangsstufen vertuschen auch
hier (obgleich auf dem Lande unvergleichlich weniger als in den Städten)
überall die Grenzbestimmungen. Indes ist dies für
unsere Betrachtung gleichgültig.“ K.
Marx, Kapital III, MEW 25, 892. Die Kriterien, nach denen Karl Marx diese gesellschaftlichen
Klassen bestimmte, sind nichts weiter als ihre jeweiligen
Eigentums-verhältnisse und die daraus abgeleiteten Einkommensquellen.
Diese sind durch die spezielle Arbeitsteilung einer Gesellschaft bestimmt.
Nach dieser rein ökonomischen Bestimmung gehören zunächst alle zur
Lohnarbeiterklasse, die keine Existenzmittel (Produktionsmittel) besitzen
außer ihrer Arbeitskraft und daher von ihrer Arbeit leben müssen.
Es sind Menschen, die
„nur so lange leben,
als sie Arbeit finden, und die nur so lange Arbeit finden, als ihre Arbeit
das Kapital vermehrt“. K.
Marx, Kommunistisches Manifest, MEW 4, 468. Dieses Kriterium, dass die Arbeit der modernen Lohnarbeiter „das Kapital vermehrt“ ist wichtig und muss noch erläutert werden, denn in Deutschland sind zwar derzeit rund 90 % der (Erwerbs-)Bevölkerung lohnabhängig, aber nicht alle gehören damit automatisch zur Arbeiterklasse, da sie nicht alle „Kapital vermehren“. „Arbeiterklasse“, „Proletariat“ oder „Lohnarbeiter“ sind dabei nur unterschiedliche Namen für ein und dieselbe Sache. Der Begriff „Proletarier“ kommt aus dem Lateinischen und heißt so viel wie „Besitzloser“. Karl Marx sprach vor allem in seinen ökonomischen Schriften von der „Klasse der modernen Arbeiter“ (K. Marx, Kommunistisches Manifest, MEW 4, 468) der „Klasse der Lohnarbeiter“ oder der „Lohnarbeiterklasse“ (K. Marx, Kapital II, MEW 24, 39).
1.
Nichtproletarische Klassen: Mittel- und
Unterschicht 1.1. Selbst arbeitende
Eigentümer (traditionelle Mittelschicht) Wer von seiner eigenen Arbeit lebt und dabei eigene
Produktions-mittel benutzt, gehört zum so genannten Kleinbürgertum, der
traditionellen Mittelschicht. Hierzu zählen auf dem Land der kleine Bauer,
in Stadt und Land der kleine Handwerker oder Krämer, der Arzt mit eigener
Praxis, der Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei und sonstige Freiberufler,
die ihr Arbeitsergebnis als ihre Ware in Form eines greifbaren Produkts
oder als Dienstleistung verkaufen. „Für
den Produzenten dieser Dienste sind diese Dienstleistungen Waren. Sie
haben einen bestimmten Gebrauchswert (eingebildeten oder wirklichen) und
einen bestimmten Tauschwert.“ K.
Marx, Theorien über den Mehrwert I, MEW 26.1, 128. Zu
dieser Klasse der selbst arbeitenden Produktionsmittelbesitzer gehören in
Deutschland noch rund 7 % der Erwerbsbevölkerung. Vor 1900 stellten sie
die Mehrheit. Selbst arbeitende Eigentümer sind keine Kapitalisten, weil
sie als kleine Produktionsmittelbesitzer selbst arbeiten müssen und nicht
von den Früchten fremder Arbeit leben können.
„Zersplitterte
Produktionsmittel, die den Produzenten selbst als Beschäftigungs- und
Subsistenzmittel dienen, ohne sich durch Einverleibung fremder Arbeit zu
verwerten, sind kein
Kapital ...“
K. Marx, Kapital I, MEW 23, 731. Selbst wenn dieser
selbst arbeitende Eigentümer außer der eigenen Arbeit noch in geringem
Umfang fremde Arbeit nutzt, wird er dadurch noch kein Kapitalist, sondern
„nur ein Mittelding zwischen Kapitalist und Arbeiter“ (K.
Marx, Kapital I, MEW 23, 326). Die geschilderte Arbeitssituation mit eigenen
Produktionsmitteln schafft einerseits Gemeinsamkeiten mit den
Lohnarbeitern bis hin zur Scheinselbständigkeit, andererseits ergibt sie
fließende Übergänge vom Kleinbürger bis zum Kapitalisten. Ein Kleinbürger
mit wenigen Lohnarbeitern kann vielleicht ein „Viertelkapitalist“ oder ein
„Dreiviertelkapitalist“ sein, je nachdem wie viel Früchte fremder Arbeit
er sich neben seiner eigenen Tätigkeit noch
aneignet. Durch
neue Technologien und in neuen Branchen, wie z. B. der Computerbranche,
können solche selbst arbeitenden Produk-tionsmittelbesitzer durch die
„Reproduktion des Handwerks auf Grundlage der Maschinerie“
(K.
Marx, Kapital I, MEW 23, 484 Anm. 247) immer
wieder neu entstehen. „Sofern eine einzelne
Arbeitsmaschine an die Stelle der Kooperation oder der Manufaktur tritt,
kann sie selbst wieder zur Grundlage handwerksmäßigen Betriebs
werden.“
K. Marx, Kapital I, MEW 23, 484. Solche Arbeitsmaschinen, die die Kooperation vieler Arbeiter
ersetzten, waren historisch die Nähmaschine, der Elektromotor und jüngst
der Computer. Einige dieser „modernen Handwerker auf maschineller
Grundlage“ schaffen es, zum erfolgreichen Kapitalisten aufzusteigen wie
beispielsweise ein Bill Gates, andere werden proletarisiert. Sie verlieren
ihr Betriebseigentum und werden in Lohnarbeiter
verwandelt. Siehe auch den
Artikel: Selbständige 1.2. Lohnabhängige
Bedientenklasse 1.2.1. Öffentliche
Dienerklasse, Staatsdiener (neue Mittelschicht) Im ersten Band des
„Kapitals“ rechnete Karl Marx „Regierung, Pfaffen, Juristen, Militär usw.“
ausdrücklich aus der produktiven Lohnarbeiterklasse heraus. (K.
Marx, Kapital I, MEW 23, 469). Zu Marx’ Zeiten wurden die Staatsdiener noch hauptsächlich
durch Besteuerung der Reichen bezahlt. Dass heute die Lohnarbeiter die
Staatsmacht durch Lohn- und Verbrauchs-steuern weitgehend mitfinanzieren,
ist ein doppeltes Ärgernis und bewirkt keineswegs, dass Legislative und
Exekutive, dass Parlamentarier, Richter, Polizisten, Militärs oder
Professoren auf Seiten der Lohnarbeiter stehen. Die Erhaltung und
der Ausbau des Staatsapparates fügt der „direkten ökonomischen
Ausbeutung eine zweite Ausbeutung des Volkes hinzu.“
(K.
Marx, Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17, 540).
Dabei
werden die „Gebildeten der Massen“ gerne „in die unteren Stellen der
Hierarchie“ aufgenommen (K.
Marx, Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17, 544): „Je mehr eine
herrschende Klasse fähig ist, die bedeutendsten Männer der beherrschten
Klassen in sich aufzunehmen, desto solider und gefährlicher ist ihre
Herrschaft.“ K.
Marx, Kapital III, MEW 25, 614. Willy Brandt kam daher zu dem Schluss, dass der
Berufsverboterlass, mit dem alle Anhänger des Kommunismus aus dem
öffentlichen Dienst entfernt werden sollten, sein größter politischer
Fehler war. Die höheren Stellen des Staates sind in der Regel den
Bourgeoiskindern und ihrer Kapitalistenklientel vorbehalten.
„Hier bringt die
Bourgeoisie ihre überschüssige Bevölkerung unter und ergänzt in der
Form von Staatsgehalten, was sie nicht in der Form von Profiten, Zinsen,
Renten und Honoraren einstecken kann.“ K.
Marx, 18. Brumaire, MEW 8, 151. So
bezahlte ein sächsischer Ministerpräsident seine privaten Bediensteten aus
dem Steuersäckel. Auch die Flugbereitschaft, persönliche Wachdienste,
kostenlose Bahntickets, großzügige Renten, Übergangsgelder etc. für
Staatsbeamte und Politiker gehören in diese
Kategorie. 1.1.2. Private
Dienerklasse Hauspersonal,
Chauffeure, Gärtner, Geliebte, Masseure, kurz alle Angestellten, die durch
ihre bezahlten Dienste den Reichen das Leben verschönern, sind die private
„Bedientenklasse, die direkten Lohnarbeiter der müßigen Kapitalisten“
(K.
Marx, Kapital II, MEW 24, 481).
Diese Privatdiener
sind der von dem Mehrprodukt lebende „Teil der dienenden Klasse, der nicht von
Kapital, sondern von Revenue (= Mittel für Privatkonsum) lebt“
(K.
Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 305 Anm.). Es besteht ein
„wesentlicher Unterschied“ zwischen „dieser dienenden und der arbeitenden Klasse“ (K.
Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 305 Anm.). Unproduktive Arbeit
ist Arbeit, die vom geschaffenen Reichtum zehrt. „...
Unproduktive Arbeit ... ist Arbeit, die sich nicht gegen Kapital, sondern
unmittelbar gegen Revenue (= Mittel für
Privatkonsum)
austauscht, also gegen Lohn oder Profit (natürlich auch gegen die
verschiedenen Rubriken, die als Teilhaber am Profit des Kapitalisten
partizipieren, wie Zins und Renten).“ K.
Marx, Theorien über produktive und unproduktive Arbeit, MEW 26.1,
127. Gemeinsam mit allen
Lohnarbeitern haben diese unproduktiven und lohnabhängigen Dienstleister,
dass sie keine Produktions- und Existenzmittel besitzen und daher ihre
Arbeitskraft verkaufen müssen. Aber ihren Lohn zahlen die Kapitalisten
nicht als Vorschuss aus ihrem Kapital, um von ihnen ein vergrößertes
Produkt und daraus ein vermehrtes Kapital zu erhalten. Die Kapitalisten
und Grundbesitzer (und teilweise auch gutbezahlte Lohnarbeiter) bezahlen
diese Dienstleister aus ihrem privaten Konsumtionsfonds für private
Bedienung. Daher haben diese Bediensteten gemeinsame Interessen mit ihren
Herren: Je reicher der Herr, desto mehr fällt auch für den Bedienten ab.
Sie empfangen „für
ihre Dienste einen Teil der Luxusausgabe der Kapitalisten ... (diese
Arbeiter selbst sind insgesamt Luxusartikel)“. K.
Marx, Kapital II, MEW 24, 409. Siehe auch den Artikel: Produktive und unproduktive Arbeit Karl Marx nahm an, dass die lohnabhängige private und
öffentliche Dienerklasse im Kapitalismus anwächst: „Endlich erlaubt die
außerordentlich erhöhte Produktivkraft in den Sphären der großen
Industrie, begleitet, wie sie ist, von intensiv und extensiv gesteigerter
Ausbeutung der Arbeitskraft in allen übrigen Produktionssphären, einen
stets größeren Teil der Arbeiterklasse unproduktiv zu verwenden ...“ K.
Marx, Kapital I, MEW 23, 469. Im England von 1861
war die lohnabhängige Privatdienerklasse zahlenmäßig größer als die
produktive Arbeiterklasse. Heute macht ihr Anteil an der
Erwerbsbevölkerung in Deutschland nur noch rund 5 % aus, da der private
Luxus der Reichen nicht mehr wie früher in jedem Haushalt in Form von
Bediensteten vorrätig gehalten wird, sondern zunehmend als Ware bzw.
Dienstleistung gekauft wird: beim Schönheitschirurgen, im Luxusrestaurant,
beim privaten Flugdienst, im Luxushotel usw. Die lohnabhängigen Staatsdiener (Beamten) machen im heutigen
Deutschland rund 7 % der Erwerbsbevölkerung aus. Insgesamt umfasst
die unproduktive Dienerklasse also rund 12 % der
Erwerbsbevölkerung. 1.3. Lumpenproletarier
(Unterschicht) Das
Lumpenproletariat,
„das in allen großen Städten eine vom industriellen Proletariat genau
unterschiedene Masse bildet, ist ein Rekrutierplatz für Diebe und
Verbrecher aller Art, von den Abfällen der Gesellschaft lebend, Leute ohne
bestimmten Arbeitszweig, Herumtreiber, dunkle Existenzen,
verschieden nach dem Bildungsgrade der Nation, der sie angehören, nie den
Tagediebcharakter verleugnend; ...“. K.
Marx, Klassenkämpfe 1848–1850, MEW 7, 26. Ausdrücklich zählte
Karl Marx im „Kapital“ „Vagabunden (Obdachlose), Verbrecher,
Prostituierte“ zum „eigentlichen Lumpenproletariat“. (K.
Marx, Kapital I, MEW 23, 673.) Lumpenproletarier betreiben einen individuellen Erwerb mit
zweifelhaftem, wenn nicht kriminellen Ruf. Als Anhaltspunkt für die
heutige Größe dieses Lumpenproletariats lässt sich vielleicht die Zahl der
erwachsenen Tatverdächtigen für Raub und Einbruchsdiebstahl – der
illegalen Eigentumsübertragung in Handarbeit – von rund 55.000 nehmen,
plus der Zahl der erwachsenen Tatverdächtigen für Betrug – der illegalen
Eigentumsübertragung in Kopfarbeit – von rund 240.000. (Zahlen aus dem
Jahr 2000). Siehe auch den
Artikel: Lumpenproletariat 2. Produktive
Lohnarbeiterklasse (Proletariat) Karl Marx sah im
Wesentlichen nur zwei Unterteilungen der produktiven
Lohnarbeiterklasse: Hinsichtlich der
Qualifikation betonte Karl Marx die „Scheidung der
Arbeiter in geschickte und ungeschickte“ (K.
Marx, Kapital I, MEW 23, 371) bzw. in „komplizierte
Arbeit“ und „einfache Arbeit“ (K.
Marx, Kapital I, MEW 23, 59), das heißt
qualifiziertere und unqualifizierte Arbeit. Zweitens
unterschied Marx die Zirkulationsarbeiter von den direkt produktiven
Lohnarbeitern. 2.1. Qualifizierte und
unqualifizierte Lohnarbeiter In
Deutschland haben derzeit von allen Erwerbstätigen rund 25 % keinen
Berufsabschluss (niedrig qualifizierte Arbeitskraft = einfache Arbeit), 63
% einen Berufsabschluss (normal qualifizierte Arbeits-kraft =
mittel-komplizierte Arbeit), 12 % einen Hochschulabschluss (höher
qualifizierte Arbeitskraft = komplizierte
Arbeit). Entsprechend der Marx’schen Werttheorie schafft höher
qualifizierte oder komplizierte Arbeit höheren Wert und damit größeren
Mehrwert für das Kapital. Andererseits sind die Ausbildungs- und
Reproduktionskosten dieser Arbeitskraft höher, sie muss also auch mit
höherem Lohn bezahlt werden. Siehe auch den Artikel: Lohn Ihr höherer Lohn ist daher keineswegs Ausdruck einer geringeren Ausbeutung als bei ihren weniger qualifizierten Kollegen. „... Ich muss diese Gelegenheit zu der Feststellung benutzen, dass, genauso wie die Produktionskosten für Arbeitskräfte verschiedener Qualität nun einmal verschieden sind, auch die Werte der in verschiedenen Geschäftszweigen beschäftigten Arbeitskräfte verschieden sein müssen. Der Ruf nach Gleichheit der Löhne beruht daher auf einem Irrtum, ist unerfüllbarer, törichter Wunsch. Auf Basis des Lohnsystems wird der Wert der Arbeitskraft in derselben Weise festgesetzt wie der jeder anderen Ware; und da verschiedene Arten Arbeitskraft verschiedene Werte haben oder verschiedene Arbeitsmengen zu ihrer Produktion erfordern, so müssen sie auf dem Arbeitsmarkt verschiedene Preise erzielen.“ K. Marx, Lohn, Preis und Profit, MEW 16, 131. Höher qualifizierte
Lohnarbeiter kosten das Kapital zwar mehr Lohn, liefern aber auch
Mehrwert. „... Unterschiede, ...
in der Höhe des Arbeitslohns, beruhen großenteils auf dem schon ...
erwähnten Unterschied zwischen einfacher und komplizierter Arbeit und
berühren, obgleich sie das Los der Arbeiter in verschiedenen
Produktionssphären sehr verungleichen, keineswegs den
Ausbeutungsgrad der Arbeit in diesen verschiedenen
Sphären. Wird z. B. die Arbeit
eines Goldschmieds teurer bezahlt als die eines Taglöhners, so stellt die
Mehrarbeit des Goldschmieds in demselben Verhältnis auch größeren Mehrwert
her als die des Taglöhners.“
K. Marx, Kapital III, MEW 25, 151. Heute müssen wir sagen: Wird die Arbeit einer Lufthansapilotin teurer bezahlt als die einer Stewardess, so stellt die Mehrarbeit der Pilotin für das Kapital der Lufthansa in demselben Verhältnis auch größeren Mehrwert her als die der Stewardess.
An anderer Stelle stellte Marx fest: „Ist die Arbeit eines Goldschmieds teurer als die eines Arbeiters, so ist die Mehrarbeitszeit des Goldschmieds im selben Verhältnis teurer als die des Ungelernten.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert II, MEW 26.2, 386. Ebenso Friedrich Engels: „Bei zwei Arbeitern, auch desselben Geschäftszweigs, wird sich das Wertprodukt der Arbeitsstunde immer nach Intensität der Arbeit und Qualifikation verschieden stellen; ...“ F. Engels, Anti-Dühring. MEW 20, 186. Auch
den Begriff „Arbeiteraristokratie“, in den später viel hineingeheimst
wurde, bezog Marx nur auf beste Bezahlung aufgrund bester Qualifikation,
auf den „bestbezahlten Teil der Arbeiterklasse, ... ihre
Aristokratie“ (K.
Marx, Kapital I, MEW 23, 697). Es hat nichts mit der Marx’schen Klassenanalyse zu tun, wenn
der Begriff „Arbeiteraristokratie“ polemisch mit bestimmten Tätigkeiten,
z. B. Gewerkschaftsfunktionen, verbunden
wird. 2.2. Kopf- und
Handarbeiter In der Marx’schen Unterscheidung von einfacher und komplizierter Arbeit verschwinden alle Unterschiede von Kopf- und Handarbeit. Meist ist lohnabhängige Kopfarbeit für das Kapital qualifiziertere oder komplizierte Arbeit. Wie jedoch die Werkzeugmaschinen die Dequalifizierung der Großzahl der geschickten Handwerker mit sich brachten, so erzwingen heute Computer die Dequalifizierung der Großzahl der Kopfarbeiter. Ein Kopf-Lohnarbeiter kann einerseits für das Kapital fertige Produkte herstellen, wie beispielsweise ein Lehrer „gedrillte Schülerköpfe“ an einer Privatschule herstellt: „Steht es frei, ein Beispiel außerhalb der Sphäre der materiellen Produktion zu wählen, so ist ein Schulmeister produktiver Arbeiter, wenn er nicht nur Kinderköpfe bearbeitet, sondern sich selbst abarbeitet zur Bereicherung des Unternehmers. Dass letzterer sein Kapital in einer Lehrfabrik angelegt hat, statt in einer Wurstfabrik, ändert nichts an dem Verhältnis.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 532. Andererseits kann Kopfarbeit als notwendige Teilarbeit in die kombinierte Arbeit des produktiven Gesamtarbeiters eines Unternehmens oder der ganzen Gesellschaft eingehen. „Wie im Natursystem Kopf und Hand zusammengehören, vereint der Arbeits-prozess Kopfarbeit und Handarbeit. ... Das Produkt verwandelt sich überhaupt aus dem unmittelbaren Produkt des individuellen Produzenten in ein gesellschaftliches, in das gemeinsame Produkt eines Gesamt-arbeiters, d. h. eines kombinierten Arbeitspersonals, dessen Glieder der Handhabung des Arbeitsgegenstandes näher oder ferner stehen. Mit dem kooperativen Charakter des Arbeitsprozesses selbst erweitert sich daher notwendig der Begriff der produktiven Arbeit und ihres Trägers, des produktiven Arbeiters. Um produktiv zu arbeiten, ist es nun nicht mehr nötig, selbst Hand anzulegen; es genügt, Organ des Gesamtarbeiters zu sein, irgendeine seiner Unterfunktionen zu vollziehen.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 531. „Gesamtarbeiter“ ist der wissenschaftliche Begriff für die
Lohnarbeiterklasse, für das moderne Proletariat. Karl Marx sprach
daher vom „Kampf zwischen dem
Gesamtkapitalisten, d. h. der Klasse der Kapitalisten, und dem
Gesamtarbeiter, oder der Arbeiterklasse“.
K. Marx, Kapital I, MEW 23, 249. Indem die moderne Lohnarbeit ihren kooperativen, d. h.
gesellschaftlichen, Charakter entfaltete und auf immer mehr
Gesellschaftsmitglieder verteilt wurde, verschwand notwendig das
abgesonderte und enge „Arbeitermilieu“, dem allein unsere Linken
hinterhertrauern. „Alle intellektuellen Arbeiten, die direkt in der materiellen Produktion konsumiert werden“, schloss Karl Marx ganz wie Adam Smith, „natürlich ein in die Arbeit, die sich fixiert und sich realisiert in einer käuflichen und austauschbaren Ware ... Nicht nur der direkte Hand-arbeiter oder Maschinenarbeiter, sondern Aufseher, Ingenieur, Manager, Commis (= Geschäftsführer) etc., kurz die Arbeit des ganzen Personals, das in einer bestimmten Sphäre der materiellen Produktion nötig ist, um eine bestimmte Ware zu produzieren, dessen Zusammenwirken von Arbeiten (Kooperation) notwendig zur Herstellung der Waren ist. In der Tat fügen sie dem konstanten Kapital ihre Gesamtarbeit hinzu und erhöhen den Wert des Produkts um diesen Betrag.“ K. Marx, Theorien über produktive und unproduktive Arbeit, MEW 26.1, 134. An anderer Stelle
erklärte Marx ebenso unmissverständlich: „Mit der Entwicklung
der spezifisch kapitalistischen Produktion wo viele Arbeiter an der
Produktion derselben Ware zusammenarbeiten, muss natürlich das Verhältnis,
worin ihre Arbeit unmittelbar zum Gegenstand der Produktion steht, sehr
verschieden sein. Z. B. die ...
Handlanger in einer Fabrik haben nichts direkt mit der Bear-beitung des
Rohstoffs zu tun. Die Arbeiter, die die Aufseher der direkt mit dieser
Bearbeitung zu tun Habenden bilden, stehen einen Schritt weiter ab; der
Ingenieur hat wieder ein anderes Verhältnis und arbeitet hauptsächlich nur
mit seinem Kopfe etc. Aber das Ganze dieser Arbeiter, die Arbeitsvermögen von
verschie-denem Werte besitzen, ... produzieren das Resultat, das sich ...
in Ware oder einem materiellen Produkt ausspricht;
und alle zusammen, als Fabrik, sind die lebendige
Produktionsmaschine dieser Produkte, wie sie, den gesamten
Produktionsprozess betrachtet, ihre Arbeit gegen Kapital austauschen und
das Geld der Kapitalisten als Kapital reproduzieren, d. h. als sich
verwertenden Wert, sich vergrößernden Wert. Es ist ja eben das
Eigentümliche der kapitalistischen Produktionsweise, die verschiedenen
Arbeiten, also auch die Kopf- und Handarbeiten – oder die Arbeiten, in
denen die eine oder die andere Seite vorwiegt, – zu trennen und an
verschiedene Personen zu verteilen, was jedoch nicht hindert, dass das
materielle Produkt das gemeinsame
Produkt dieser Personen ist oder ihr gemeinsames Produkt in
materiellem Reichtum vergegenständlicht; was andererseits ebenso wenig
hindert oder gar nichts daran ändert, dass das Verhältnis jeder einzelnen
dieser Personen das des Lohnarbeiters zum Kapital und in diesem eminenten
Sinn das des produktiven Arbeiters
ist. Alle diese Personen sind nicht nur unmittelbar in der Produktion von
materiellem Reichtum beschäftigt, sondern sie tauschen ihre Arbeit unmittelbar gegen das Geld als
Kapital aus und reproduzieren daher unmittelbar außer ihrem Lohn
einen Mehrwert für den Kapitalisten. Ihre Arbeit besteht aus bezahlter
Arbeit plus unbezahlter Mehrarbeit.“
K. Marx, Theorien über produktive und unproduktive Arbeit, MEW 26.1,
386f. 2.3.
Zirkulationsarbeiter Hinsichtlich der Stellung der Lohnarbeiter zur
Mehrwertproduktion unterschied Marx die Produktionsarbeiter von den
kommerziellen oder Zirkulationsarbeitern. Dass die Handels-, Bank- und Versicherungskapitalisten zur
Kapitalistenklasse zählen, das haben Marxisten nie bezweifelt.
Seltsamerweise streiten sie sich aber immer noch darüber, ob die
Lohnarbeiter im Handel, bei Banken und Versicherungen zur (produktiven)
Arbeiterklasse zählen oder nicht. Marx stellte zwar fest, dass diese Zirkulationsarbeiter ein
anderes Verhältnis zur Mehrwertproduktion haben als die
Produktions-arbeiter, ließ aber nie einen Zweifel daran, dass die
Zirkula-tionsarbeit zur Vergrößerung des kapitalistischen Profits
beiträgt, dass ihre Arbeit also für das Kapital produktiv
ist. Der Unterschied ist kurzgefasst der, dass die Produktionsarbeiter den Mehrwert direkt produzieren, während der kommerzielle Arbeiter zwar nicht den vom Produktionsarbeiter geschaffenen Mehrwert, aber den Profit der Kapitalistenklasse vergrößert. „Der kommerzielle Arbeiter produziert nicht direkt Mehrwert.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 311. „Die Zirkulationskosten
als solche, d. h. die durch die Operation des Austauschs und durch eine
Reihe von Austauschoperationen verursachte Konsumtion von Arbeitszeit oder
... Werten, sind ... Abzug entweder von der auf die Produktion verwandten
Zeit, oder von den durch die Produktion gesetzten Werten. Sie können nie
den Wert vermehren. Sie gehören zu den toten Kosten der ... auf dem
Kapital beruhenden Produk-tion. ... Insofern das Kaufmannsgeschäft und noch mehr das eigentliche Geldgeschäft diese toten Kosten vermindern, fügen sie der Produktion zu, nicht dadurch, dass sie Wert schaffen, sondern die Negation der geschaffenen Werte vermindern. ... Befähigen sie die Produzenten mehr Werte zu schaffen, als sie ohne diese Teilung der Arbeit könnten, und zwar so viel mehr, dass ein Mehr bleibt nach Bezahlung dieser Funktion, so haben sie faktisch die Produktion vermehrt. Die Werte sind dann aber vermehrt, nicht weil die Zirkulationsoperationen Wert geschaffen, sondern weil sie weniger Wert absorbiert haben, als sie im anderen Fall getan hätten.“ K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 526f. Die Zirkulationsarbeit dient dem gesamten Kapital einer Gesellschaft als Hebel dafür, eine größere Menge Kapital in Profit zu verwandeln, als das ohne diese Zirkulationsarbeit möglich wäre. „Dass Ursachen den Profit erhöhen oder erniedrigen, überhaupt beeinflussen können, wenn der Mehrwert gegeben ist, übersieht Ricardo.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert II, MEW 26.2, 378. Und wie Ricardo übersahen das die meisten Marxisten. „Der
kommerzielle Arbeiter produziert nicht direkt Mehrwert. Aber der Preis
seiner Arbeit ist durch den Wert seiner Arbeitskraft, also deren
Produktionskosten, bestimmt, während die Ausübung dieser Arbeitskraft, als
eine Anspannung, Kraftäußerung und Abnutzung, wie bei jedem anderen
Lohnarbeiter, keineswegs durch den Wert seiner Arbeitskraft begrenzt ist.
Sein Lohn steht daher in keinem notwendigen Verhältnis zu der Masse des
Profits, die er dem Kapitalisten realisieren hilft. Was er dem Kapitalisten kostet, und was er ihm einbringt, sind verschiedene Größen. Er bringt ihm ein, nicht indem er direkt Mehrwert schafft, aber indem er die Kosten der Realisierung des Mehrwerts vermindern hilft, soweit er, zum Teil unbezahlte, Arbeit verrichtet.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 311. Die kommerziellen Lohnarbeiter im Handel, bei den Banken und
Versicherungen vermehren also durch ihre unbezahlte Arbeit das Kapital.
Daher sind sie (indirekt) produktive Lohnarbeiter, deren Ausbeutung
Kapital verwertet oder vergrößert. Im zentralen Abschnitt
des „Kapitals“, Band I, in dem Karl Marx die Besonderheiten der
produktiven Lohnarbeit im modernen Kapitalismus erläuterte, heißt es ganz
unmissverständlich: „Nur der Arbeiter ist
produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert oder zur
Selbstverwertung des Kapitals dient.“ K.
Marx, Kapital I, MEW 23, 532. Den kapitalistischen Mehrwert produzieren alle direkt
produktiven Lohnarbeiter (Hand- und Kopfarbeiter). Zur „Selbstverwertung
des Kapitals“ – das heißt zur Vermehrung des Kapitals – tragen auch die
Zirkulationsarbeiter im Handel, bei den Banken und Versicherungen bei,
ohne dass sie direkt an der Mehrwertproduktion beteiligt sind. Wer immer
die Zirkulations-arbeiter als „unproduktiv“ bezeichnet, der kann sich
weder auf die Marxsche Definition von unproduktiver Arbeit noch auf seine
Definition von produktiver Arbeit
berufen. Zirkulationsarbeiter und Produktionsarbeiter zusammen bilden den produktiven Gesamtarbeiter, der für das Kapital schafft und dabei Kapital schafft. Beide vergrößern als produktive Lohnarbeiter das Kapital, das sich ihre unbezahlte Mehrarbeit aneignet, – „Mehrarbeit, die jenes ohne Äquivalent (= ohne Gegenwert) erhält und die ihrem Wesen nach immer Zwangsarbeit bleibt, wie sehr sie auch als das Resultat freier vertraglicher Übereinkunft erscheinen mag.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 827. Die Unterscheidung von Produktions- und
Zirkulationsarbeitern spielt insofern eine ökonomische Rolle, als die
relative Zahl der Zirkulationsarbeiter mit der Entwicklung des
Kapitalismus tendenziell abnimmt. (Vgl. K. Marx, Kapital III, MEW
25, 310f.) Mit der Beseitigung
der Warenproduktion fallen mit der Zirkulations-arbeit auch die
Zirkulationsarbeiter ganz weg. Eine historische
Nebenrolle spielte diese Unterscheidung in Produktionsarbeiter und
Zirkulationsarbeiter, insoweit diese Unter-scheidung mit dem Unterschied
von höher und niedriger quali-fizierter Arbeit zusammenfiel.
„Der eigentlich
kommerzielle Arbeiter (im Handel, bei den Banken und
Versicherungen) gehört zu der besser bezahlten Klasse von
Lohnarbeitern, zu denen, deren Arbeit geschickte Arbeit ist, die
über der Durchschnittsarbeit steht. Indes hat der Lohn die
Tendenz zu fallen, selbst im Verhältnis zur Durchschnittsarbeit, im
Fortschritt der kapitalistischen Produktions-weise. Teils durch Teilung
der Arbeit innerhalb des Kontors; ... Zweitens, weil die
Vorbildung, Handels- und Sprachkenntnisse usw. mit dem Fortschritt der
Wissenschaft und Volksbildung immer rascher, leichter, allgemeiner,
billiger reproduziert werden, ... Die Verallgemeinerung
des Volksunterrichts erlaubt, diese Sorte aus Klassen zu rekrutieren, die
früher davon ausgeschlossen, an schlechtere Lebensweise gewöhnt waren.
Dazu vermehrt sie den Zudrang und damit die
Konkurrenz. Mit einigen Ausnahmen
entwertet sich daher im Fortgang der kapitalistischen Produktion die
Arbeitskraft dieser Leute; ihr Lohn sinkt, während ihre Arbeitsfähigkeit
zunimmt.“
K. Marx, Kapital III, MEW 25, 311f. 3.
Resümee Nach den hier erläuterten Kriterien der Klassenbestimmung von Karl Marx ergibt sich ungefähr folgende soziale Zusammensetzung der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft (berechnet auf die 42 Millionen Erwerbspersonen des Jahres 2004):
- produktive Lohnarbeiterklasse: 77
%; - lohnabhängige Dienerklasse (öffentliche und private): 12
%; - Lumpenproletarier: 1
%; - traditionelle, selbst arbeitende Eigentümer: 7
%; - Kapitalistenklasse und Grundbesitzer: 3 %. |
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Zur
Zitierweise: Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete
Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum
Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als
Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder
auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er
selbst hingewiesen: „Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund
Sterling bedeuten.“ Kapital II, MEW 24, 396. Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff. |