Auswirkung der Staatsquote auf die Profitrate

  • Hallo.


    Mich plagt wieder einmal eine Frage bzgl. der Profitrate.


    In Rainer Roths Buch "Nebensache Mensch" [1] lese ich, dass die Staatsquote unter Missachtung der Sozialversicherungen schon seit Jahrzehnten um die 30% pendelt (s. 476). Bezieht man sie mit ein, erkennt man, dass sie tendenziell steigt. Das bedeutet also, dass durch die wachsende Arbeitslosigkeit, zunehmenden Aufstocker usw. der Konsum durch Staatsschulden gestützt wird. Eine steigende Staatsquote hat doch zudem den Effekt, dass der Staat über die Staatsverschuldung gleichzeitig die Schaffung fiktiven Kapitals unterstützt und damit den Ansprüchen des Finanzmarktes nachkommt; also das Vermögen der Vermögenden zu vermehren hilft.


    Wenn nun aber z.B. die Industrie oder die EZB fordert, dass die Staatsquote sogar auf nur 20% [2] zurückgeführt werden soll,frage ich mich: Was hat das für einen Sinn? Wäre das wirklich vorteilhaft für die Profitrate? Ist eine hohe Staatsquote bzw. eine durch hohe Staatsverschuldung gestüzte soziale Stabilität (Konsum durch Aufstockungen etc.) nicht rentabel für das Kapital?


    Oder geht es nur wirklich nur darum - wie Roth schreibt - , dass das dadurch frei werdende Kapital zugunsten der Unternehmen genutzt werden könnte?


    [1] http://www.robert-schlosser.de…ate/Nebensache-Mensch.pdf
    [2] http://www.welt.de/print-welt/…quote-auf-20-Prozent.html

  • Hallo K.


    Ich glaube, ich kann zur Klärung der Frage beitragen.


    1. Zu den Staatsschulden als Profitquelle:
    Die Verzinsung der Staatsschulden liegt in der Regel unter der normalen Profitrate. Staatspapiere dienen den Finanzinstituten zur Absicherung, als „Notgroschen“, sind aber als profitable Investition uninteressant – außer in Krisenzeiten. Die ungebremste Zunahme der Staatsschulden, mündet jedoch irgendwann in den Staatsbankrott. In den Augen der Kapitalisten darf die Staatsschuld nicht untragbar werden.


    2. Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen
    In der Regel übernimmt der Staat solche Investitionen, die nicht profitabel (=kapitalistisch) betrieben werden können, aber dennoch für den Kapitalismus nötig sind. Sobald sich jedoch eine Chance auftut, dass man mit bisher staatlichen Unternehmen Profit machen kann (Krankenhäuser, Müllverbrennung, Wasserwirtschaft etc.), dann melden Kapitalisten sofort ihren Anspruch an und fordern die Privatisierung solcher Unternehmen. Von hier aus wird ständig gegen die „zu hohe“ Staatsquote polemisiert.


    3. Sozialausgaben
    Die Sozialausgaben bestehen überwiegend aus dem privaten Konsum der zeitweilig oder dauerhaft außer Arbeit gesetzten Lohnabhängigen, deren Konsum von der Staatsbürokratie verwaltet und überwacht wird. Das ist der „dickste Brocken“ im Staatshaushalt.
    Sind diese Sozialausgaben „zu hoch“, dann wirkt das steigernd auf den Niedriglohnsektor und auch steigernd auf die (Brutto) Lohnkosten der Kapitalisten. Hier gibt es für Kapitalisten und ihre Interessenvertreter ständig Anlass, gegen „zu hohe“ Sozialausgaben zu polemisieren.


    4. Staatlicher Machtapparat (Gefängnisse, Militär)
    Das sind quasi die Versicherungskosten für das kapitalistische Eigentum. Für ängstliche oder aggressive Naturen unter den Kapitalisten sind diese Kosten immer zu niedrig. Für selbstsichere und erfolgreiche Kapitalisten, die mehr auf Zuckerbrot als auf Peitsche setzen, sind diese Ausgaben immer zu hoch.


    5. Staatliche Personalausgaben
    Die Kosten für Staatspersonal ergeben sich zwingend aus den Punkten 1 bis 4. Der individuelle Lohn vor allem der qualifizierten Staatsdiener muss jedoch deutlich unter dem Lohnniveau der privaten Wirtschaft liegen, sonst führt deren Konkurrenz zu einem Ansteigen der kapitalistischen Lohnkosten. Das erklärt die hohe Aufmerksamkeit, die jeder Lohnkampf im Öffentlichen Dienst in den Medien erfährt. Die Kapitalisten wollen die besten und qualifiziertesten Lohnarbeiter für ihre Profitproduktion. Um solche Leute zu locken, müssen sie höhere Löhne zahlen als der Öffentliche Dienst bietet.
    Gruß Wal

  • Danke, dass du so verständlich und nachvollziehbar die Interessen der unterschiedlichen Fraktionen der Bourgeoisie aufgedröselt hast. Das erhöht das Verständnis bei Duellen und Jauch & Co dann ungemein. :thumbsup:

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