David Harvey´s Sicht des Profitratenfalls

  • Hallo.


    Im Buch von David Harvey "Das Rätsel des Kapitals entschlüsseln" auf Seite 96 schreibt er, dass sich an dem Punkt des Marxschen Profitratenfalls "kaum festhalten [lässt], da Innovationen in gleicher Weise Kapital oder Produktionsmittel einsparen können (z.B. durch einen effizienteren Energieverbrauch) wie Arbeit".


    Meint er damit, dass z.b. durch die gegenwärtig stark fallenden Strompreise der erneuerbaren Energien die Herstellungskosten für Maschinen fallen könnten und sich dies damit in der Kapitalzusammensetzung zugunsten der Arbeit ausfallen könnte (also zu einer steigenden Profitrate führt)? Was lässt sich hierzu aus Marxscher Sicht dagegen halten? Theoretisch ist es dann doch so, dass einfach mehr Maschinen für weniger Geld pro "Stück" hergestellt werden, es für den einzelnen Unternehmer sinnvoll und rentabel sein kann, sich gesamtwirtschaftlich aber trotzdem auf fallende Renditen auswirkt, oder? Denn werden die Maschinen günstiger, gehen sie zwar mit einem geringeren Wert in die Bilanzen ein, stellen dadurch vielleicht aber auch zunehmend viele Arbeitnehmer frei...oder habe ich hier einen Denkfehler?

  • Hallo,
    es ist immer unbefriedigend, wenn man darüber grübeln muss, was ein anderer meint oder denkt.
    Ich denke, was die Theorie der Profitrate und ihrer Tendenz zum Rückgang angeht, hat Marx alles schon umfassend gesagt. Er zählte alle Faktoren auf, die zu einem Steigen der Profite führen, wie ebenso alle Faktoren, die zu einem Fallen führen.
    Natürlich achten Kapitalisten "von Natur aus" auf die Faktoren, die zu einem Steigen (ihrer) Profitrate führen und übersehen gerne Faktoren, die zu einem Fallen der Profitrate führen.
    Welche Tendenz sich jedoch stärker bemerkbar macht, dass lässt sich nicht im eigenen Kopf durch Nachdenken feststellen, sondern nur durch Empirie, durch Erforschung der Wirklichkeit.
    Zu deiner obigen Frage: Ja, Innovation heißt technischer Fortschritt und technischer Fortschritt macht Arbeit produktiver oder spart Einsatz von Sachmitteln oder beides. Also steigert Innovation (in der Regel) die Profitrate. Das ist altbekannt.


    Gruß Wal

  • Wal hat recht: Empirie, das was tatsächlich da draussen läuft, ist natürlich letztlich, worum sich alles "theoretische Bemühen" dreht - sie richtig einschätzen und erklären zu können, ist das Ziel. ERKLÄREN (oder auch: begreifen, verstehen können usw) heisst nun freilich: Das bloss zufällig sich Ergebende (das auch (wieder) anders sein oder werden kann) von dem unterscheiden, was notwendig so ist und geschieht, wie wir es beobachten.
    Der (Streit-)Punkt, an dem du, Konkordanz, hier versuchst, etwas zu begreifen, ist: Ob die Profitrate langfristig NOTWENDIG, nämlich aufgrund fundamentaler "Spielregeln" des kapitalistisch verfassten Wirtschaftens, sinken muss - wenn sie es tut, muss man sich fragen, ob aus diesem, oder andern Gründen; und wenn nicht, warum die behauptete Wirkung ausbleibt. Darüberhinaus ist allein die Ermittlung der WIRKLICHEN Profitrate eine nicht ganz einfache Angelegenheit (die Kapitalisten haben allen Anlass, ihre Geschäfte der "Empirie" und öffentlichen Debatte sowohl vonseiten ihrer Konkurrenten, als auch der politischen Aufsicht, erst recht ihrer Gegner, zu entziehen...)


    ((Wir haben übrigens im Forum bereits verschiedentlich und immer wieder über diesen wichtigen Punkt gesprochen.))


    Harvey spricht einen wichtigen Punkt an: Es gibt ja nicht nur die langfristig eingesetzten Teile des Produktivvermögens, Gebäude, Maschinen, deren Kosten-Ersatz nur sehr langsam über den Verkauf der Waren, die an und in ihnen produziert werden, hereinkommt; sondern es gibt auch das Material an Roh- und Hilfsstoffen sowie Vorprodukten, dessen Kosten als "zirkulierendes" Kapital bezeichnet werden: Es heisst so, weil die Kosten für den gesamten Verbrauch dieses Materials pro Ware durch den Verkauf wieder an den Betrieb zurückerstattet werden, und für Produktion der nächsten Ware (Roh- und Hilfsstoffe, Vorprodukte) wieder verfügbar sind. Harvey glaubt, dass durch Innovation (und entsprechende teure Maschinen) die Kosten für diesen Teil des konstanten Kapitals c stark verbilligt werden können, und sich damit die Wirkung der immer teureren Produktionsanlagen auf die organische Zusammensetzung (steigende c-Anteile) neutralisieren lassen könnte. (Falls man die Maschinen selbst billiger produzieren kann, wäre das auch ein Faktor, seine Wirkung ist allerdings geringer zu veranschlagen - insofern gehen deine Vermutungen oben über die Verbilligung der Produktion speziell von MASCHINEN etwas in die Irre; billigere Energie hingegen verbilligt die Produktion überhaupt JEDER Ware - fast noch mehr als Arbeit wird ja heutzutage bei so gut wie jedem Produktionsschritt Energie verbraucht. Energiekosten gehören weitestgehend zum zirkulierenden Kapital (Heizkosten für die Produktiongebäude eher nicht); einen Preisvorteil erlangt man freilich bloss, wenn Maschinen den Energieverbrauch pro produzierter Wareneinheit senken.)
    Marx selbst hat diesen Einfluss der Verbilligung des zirkulierenden Kapitals in der Aufzahlung "entgegenwirkender" Ursachen miterwähnt, dazu gehört auch die gesteigerte Umlaufsgeschwindigkeit, Skalenvorteile ua.
    Es gibt eine gewichtige Hypothese, warum sich dieser Gegen-Einfluss wiederum nicht so stark bemerkbar machen muss, und das ist die, dass die teuren, aber die Kost von "zirkulierenden" Elementen des Warenpreises (Lohn, Roh- und Hilfsstoffe, Schwund usw) stark reduzierenden Produktionsmittel immer häufiger noch vor Ende ihrer normalen Haltbarkeitsdauer "moralisch verschleissen", also technisch überholt sind, sodass sie sich nicht mehr "amortisieren" können oder bezahlt machen.
    Strittig ist zwischen marxistischen und nichtmarxistischen linken ökonomischen Theoretikern, wo eigentlich die Quelle des Profits liegt - ob Arbeit die einzige Qualle dafür ist, oder ob das (Industrie)System als ganzes den Profit erzeugt, allerdings unter kräftigem, um nicht zu sagen brutalem Verbrauch nicht nur von Arbeit, sondern eben auch Mehrarbeit (die Ausbeutung wird also von beiden Theorie-Fraktionen kritisiert, das ist kein Differenzpunkt).
    Die Steigerung der Kapitalintensität bzw. Arbeitsproduktivität (dh. Steigerung des Sach-Kapitals auf Kosten des Lohnanteils an den Gesamtauslagen der Betriebe) ist dann nicht mehr Grund für ein Sinken der Grösse "Gewinn durch Kapitaleinsatz" - also der Profitrate. Die Frage, ob die Profitrate wirklich fällt, und welche Indikatoren es dafür geben könnte, ist derzeit kontrovers. Ebenso, welche weiteren Faktoren für ein solches Sinken verantwortlich sein könnten. EIN heisser Kandidat aus meiner Sicht ist die steigende Verknappung von nicht vermehrbaren Produktionsfaktoren aller Art, deren Preise immer mehr ansteigen, ohne dass sich das noch durch Innovationen auffangen liesse. Oder auch dieser: dass der Staat wenigstens zum Teil dem Kapital jene Kosten auferlegt, deren es sich durch "Externalisierung" versucht zu entziehen - Umweltauflagen und Auflagen zuru Arbeitssichereit, Sozialversicherungen, Bildungskosten, Besteuerung allgemein und speziell Abgaben für Infrastruktur. Kapitalisten nennen sowas gerne "Bürokratie", die sie schrecklich überflüssig finden...
    Zuletzt sollte man vielleicht drei höchst banale Gründe für sinkende Profitraten erwähnen (die auch bei Marx, wenn auch zT in speziellen Zusammenhängen, vorkommen), nämlich:
    1. Marktsättigung, ein neues Produkt (eine Technologie? lange Kondratjew-Welle?) ist eingeführt, flächendeckend sind erstmal alle versorgt, die es brauchen und bezahlen konnten...
    und
    2. ..."verstärkter Wettbewerb": Zuviele Anbieter wollen sich am Erfolg beteiligen - wer nicht dabei ist, verpasst die Chance - leider sind es immer etwas zuviele, die sonst was verpasst hätten...
    und
    3. ... der Mangel an aussichtsreichen und zugleich finanzierbaren Geschäftsideen und/oder Problemlösungen (bei - s.o. Kapazitätsverknappung, Marktsättigung, auch hier Kondratjew... - abnehmenden Optionen auf blosse proportionale Erweiterung der bestehenden Geschäfte).

  • Ich möchte noch etwas nachtragen, was ich in einem anderen Beitrag schon früher angesperochen habe:
    Niemandem, der aus einem produktiven Unternehmen (also ua durch Beschäftigung von Lohnarbeitern und Aneignung von deren Mehrarbeit) Gewinn zieht, ist versprochen, dass er mit dieser Summe Geldes ein ebenso profitables Zusatzkapital in der Hand hält, dh dass sein Profit problemlos AKKUMULIERBAR ist. In beständig wachsenden Industriegesellschaften gibt es für spezielle Einzelkapitale und -Branchen wachstumsbedingt, abhängig von der Grösse, die sie jeweils erreicht haben, nicht bloss Produktivitätsgewinne=SkalenVORTEILE - es gibt auch SkalenNACHTEILE, wie man sie nennen könnte - Sättigungseffekte, die eine besinnungslos immer weiterlaufende quasi-automatische proportionale Erweiterung des laufenden Geschäfts (schon in der Form, dass der reinkommende Profit gleich wieder ins Umlaufvermögen gesteckt wird und die laufende Produktion erweitert (vgl Zusatzschichten usw) verhindern. Die Grössenordnung des Geschäfts steht somit von der Kosten- wie der Absatzseite ständig infrage, und muss der erreichten Marktsituatioon möglichst vorausschauend (aber wer kann das?) angepasst werden... Nicht aus jedem Geld kann mehr Geld gemacht werden, nicht zu jedem Zeitpunkt - nicht zu jedem Zeitpunkt einer wachsenden Volkswirtschaft nach dem Eintritt in ihre kapitalistische Modernisierung - nicht zu jedem Zeitpunkt der technologischen Entwickung (die ihre Konjunkturen hat, vgl.Kondratiew usw) - nicht in jeder Stellung innerhalb des Weltmarkts, den die jeweilige Volkswirtschaft (noch ganz abgesehen von politischen und währungsbedingten Handelshindernissen) einnimmt.
    Was als Indikator fallender Profitraten des tatsächlich angewandten Kapitals gilt, ist in wahrheit Ausdruck sich einengender Akkumulations- und Erweiterungsmöglichkeiten - beides sollte man nicht verwechseln.


  • Taz: „Ein manipulierter Markt, der mit freiem Spiel von Angebot und Nachfrage recht wenig zu tun hat. Harvey: „Optimismus auf den Finanzmärkten hat die Macht, Wolkenkratzer in den Himmel schießen zu lassen, aber er kann nicht dafür sorgen, dass sich die Gebäude auch rentieren.““


    Dem angeführten Zitat kann man nur zustimmen. Ein generell manipulierter Markt ist der Immobilienmarkt aber sicher nicht. Man muss hier berücksichtigen, dass zwei Preisbestimmungen stattfinden. Einmal die Preisbestimmung der auf den Grundstücken errichteten Gebäude, die als gewöhnliche Ware fungieren und deren Preise sich gemäß der Werttheorie bilden. Zum anderen die Preisbestimmung der Grundstücke, die als verbriefte Rechtstitel (auf die Flurstücke), nichts anderes als andere Wertpapiere und damit fiktives Kapital sind. Deren Preise bilden sich geradezu exemplarisch nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage und unterliegen damit auch der Spekulation. Der Handel mit Grundstücke ist deshalb dem Finanzmarkt zuzuordnen. Da die Gebäude, die eigentlich auf dem normalen Warenmarkt gehandelt werden müssten, aber mit den Grundstücken im Normalfall unzertrennlich verbunden sind, unterliegen auch sie der Finanzspekulation. Dieser zwiespältige Zusammenhang ist ein Grund dafür, warum Krisen im fiktiven Kapitalbereich blitzschnell auch auf das reale Kapital allgemein überschwappen, weil eine ganze (mit massenhaften Krediten finanzierte) produktive Branche zusammenbricht.

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