Zusammenhang Dienstleistungssektor/Industrie

  • Hallo.


    Zwar habe ich im Lexikon den Bereich der "Dienstleistungen" gelesen; dennoch aber verstehe ich nicht ganz:


    Wie hängt der Dienstleistungssektor strukturell mit der Industrie bzw. mit der Produktion zusammen? Ich habe gelesen, dass viele Dienstleistungen in der direkten Abhängigkeit vom produktiven Gewerbe stehen; wäre dieser produktive Sektor nicht vorhanden hieße das, dass der Dienstleistungssektor gar nicht produktiv genug wäre um im "Standortwettbewerb" bestehen zu können?


    Oder anders (ich merke, ich habe selbst in der Formulierung der Frage Probleme)


    Kapitalistisch strukturierte Gesellschaften funktionieren doch vor allem durch das Vermehren des Kapitals...Könnte eine kapitalistische organisierte Volkswirtschaft nur über Dienstleistungen funktionieren? Wäre der Dienstleistungssektor (angenommen, er könnte die wachsende Arbeitslosigkeit kompensieren) überhaupt in der Lage Mehrwert zu erzeugen? Scheinbar gibt es ja auch produktive Dienstleistungen, sofern dies in einem Lohnarbeitsverhältnis geschieht. Heißt das, dass Dienstleistungen unproduktiv sind, die z.B. von selbständig arbeitenden Menschen geleistet werden?

  • Hallo K.
    „Dienstleistungssektor“ ist eine ziemliche gedankenlose Kategorie, die bei Marx so nicht verwendet wird. Marx unterscheidet dagegen zwischen produktiver (bzw. indirekt produktiver) Arbeit und unproduktiver Arbeit.
    Wo Marx von „Dienstleistern“ redet, meint er in der Regel unproduktive, private Dienstleister wie Koch, Schuhmacher, Musiker, Rechtsanwalt oder Arzt, die für private Zwecke konsultiert und bezahlt werden.


    Allgemein gesagt ist alle Arbeit, die in den Kapitalkreislauf eingeht, produktive (oder indirekt produktive) Arbeit.
    Der Geldkapitalkreislauf sieht so aus:
    Geld kauft Ware als Arbeitskraft + Prod.mittel .... Produktion ... mit Mehrwert angereicherte Ware wird wieder in Geld verwandelt.
    In Kurzform:
    G – W < A/Pm .... P ..... W’ – G’.
    In diesem Kreislauf tritt an zwei Stellen Geld aus dem Kapitalkreislauf heraus und tritt in die private Konsumwelt ein.Das ist einmal der Punkt G – W(Arbeitskraft): Hier wird Geld als Lohn bezahlt, das die Lohnarbeiter für ihre private Reproduktion ausgeben. Sie geben dieses Geld teils für Waren als Produkte aus, teils für Waren als Dienstleistung – zum Beispiel in einem Hotel oder einem Krankenhaus. Alle diese privaten Dienstleistungen sind aus Sicht der Käufer unproduktiv.
    Zweitens verwandeln die Kapitalisten einen Teil ihres Mehrwerts in private Konsumtion. Auch sie zahlen Geld teils für Waren als Produkte, teils für private Dienstleistungen. Alle diese Dienstleistungen sind aus Sicht der Käufer unproduktiv. Das heißt, sie vermehren kein Kapital, sondern zehren vom Reichtum des Kunden.


    Anders ist es mit allen Dienstleistungen, die in den Kapitalkreislauf eingehen. In der Unisprache heißen die B2B-Dienstleistungen (Business-to-Business). Wenn ein Kapitalist seinen Einkauf oder seine Buchhaltung outsourced, dann sind das Operationen, die direkt oder indirekt seinen Profit vergrößern.


    Soweit erst mal.
    Gruß Wal

  • Hallo Konkordanz,


    produktiv meint immer produktiv fürs Kapital, also den Mehrwert vermehrend/ schaffend, unproduktiv meint bei Marx immer vom Mehrwert zehrend.
    Damit ist der staatliche Dienstleistungssektor schon mal außen vor.


    Ich gehe da über den Lohnarbeiter, denn entscheidend ist, ob der unproduktiv ist oder produktiv.


    Vielleicht ein Beispiel zur Verdeutlichung: Ein Lehrer an einer Privatschule ist produktiv, wie die Krankenschwester im privaten Klinikum oder Pflegedienst, der Lehrer an einer staatlichen Schule genauso unproduktiv wie eine Krankenschwester im kommunalen Krankenhaus.


    Die Frage ist: Was meinst Du mit Dienstleistungen?


    Ein Lohnarbeiter bei einem Zulieferer von Fahrzeugteilen ist (direkt) produktiv, wie der Lohnarbeiter beim beziehenden Fahrzeughersteller.
    Ein Lohnarbeiter bei einer 'ausgegliederten' Service-Hotline oder 'ausgegliederten' Leasingbank für den Fahrzeughersteller oder irgendeiner Bank oder Handelseinrichtung ist (indirekt) produktiv.
    Ein Lohnarbeiter im staatlichen/kommunalen Sektor ist unproduktiv.
    (Die ersten Beiden sind Proletariat)


    Damit Deine Frage schon geklärt?


    Es ist nicht von Industrie als herstellende Struktur abhängig, das täten auch Manufakturen oder bäuerliche Betriebe, bei denen der/ die Eigentümer nicht mehr selbst mitarbeiten (brauchen), wohl aber davon, ob Mehrwert geschaffen oder vermehrt wird.
    ... betrachtet vom Gesamtkapital aus.


    Also Wertproduktion (W = c + v + m).


    Erbrachte Dienstleistungen allein arbeitender Selbständiger subsumieren nicht unter kapitalistische Produktionsweise - sie sind 'Überbleibsel' vorkapitalistischer Produktion und schon allein deshalb unproduktiv fürs Kapital.


    Liebe Grüße - Wat.


    Der Mehrwert der geschaffen oder vermehrt wird, muß letztendlich über Geld als Kapital wieder eingesetzt werden können, um diesen Verwertungsprozeß aufrecht zu erhalten - was meinst Du wie lange das mit (salopp gesagt) Haare schneiden geht oder zu beobachten mit Finanzprodukten, die verkauft werden...
    Im übrigen kenne ich keine Volkswirtschaft ohne Außenbeziehungen, eine kapitalistische schon gar nicht - die Insel könnte sich scheinbar eine ganze Weile halten, aber nur scheinbar, denn die 'eigentliche Produktion' findet dann woanders statt. Falls Du mit Dienstleistung Verkauf resp. Handel und Versicherung meinst.
    Denn jede braucht Gegenstände und die Menschen, die dort arbeiten und leben, was zu essen ;-)

  • Danke für eure Antworten!


    unproduktiv meint bei Marx immer vom Mehrwert zehrend


    Da zunehmende Maschinisierungen bei gleichzeitiger Arbeitskräftefreisetzungen zu zunehmenden Kapitalverwertungsschwierigkeiten führen, ist der Staat also geneigt, sich von diesen vom- Mehrwert- zehrenden- unproduktiven- Bereichen (staatl. Dienstleistungen) zu befreien, damit vom produzierten Gesamtkapital nicht noch mehr aufgezehrt wird (neben dem akuten Einsparpotentialen dieser Privatisierungen)? Damit wird also dem Profitratenfall entgegen gewirkt?

  • Wieso dem Profitratenfall entgegen gewirkt?
    Profitrate setzt doch auf 'Mittel'herkunft und nicht auf Verwendung.
    Es werden Profite beim Kapitalisten belassen, daß sie wieder Kapital werden könn(t)en... mE Stichworte: Eigentumserhalt, Bestehen in der (globalen) Konkurrenz.

  • Mit "entgegenwirken" meinte ich, dass es doch (Industrie-)Bereiche gab und gibt, dessen Renditen im Verlauf der Zeit sanken und damit weitere Investitionen bremsten; wodurch weitere Bereiche mit höheren Renditenmöglichkeiten gesucht wurden, was evtl (zumindest temporär) der Dienstleistungssektor bieten konnte...

  • Newly created posts will remain inaccessible for others until approved by a moderator.