Amerika und Donald Trump

  • Manche meinen, Donald Trump sei nur ein "populistisches" Versehen. Sie denken, Donald Trump sei Anti-Mainstream, ein Outlaw der politischen Elite. Damit wird Donald Trump zu viel Ehre angetan. Es wird nämlich unterstellt, dass die Ansichten und Gedanken, die Donald Trump umtreiben, auf seinem eigenen Mist gewachsen seien. Aber Donald Trump ist viel zu einfältig, als dass er sich sein Weltbild von der Schwäche Amerikas selbst ausgedacht und selbst formuliert hätte. Tatsächlich ist Donald Trump das Sprachrohr einer starken politischen Strömung der amerikanischen Elite, die ihre Thesen und Einschätzungen seit langem verkündet hat.


    Um das zu belegen zitiere ich im Folgenden ausführlich aus dem Buch des britischen Historikers Paul Kennedy aus dem Jahr 1993:
    „In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert“.


    „Die Kontroverse über die Zukunft Amerikas wird natürlich auch durch ideologische Differenzen angeheizt: Die meisten (aber gewiss nicht alle) Konservativen betonen die Leistungen der Nation – den ‚Sieg‘ im Kalten Krieg, den Erfolg des Kapitalismus – während liberale Kritiker auf eine wachsende Erbschaft von Problemen hinweisen: Verschuldung, den Verfall der Gesellschaft, die Krise des Bildungswesens, der Niedergang des Lebensstandards der Mittelklasse, das Nachlassen der Wirtschaftskraft und eine aufgeblähte Militärpräsenz in Übersee“ (Kennedy, 1993,370)



    „Für die Traditionalisten ist es von Bedeutung, dass Amerika seine Präsenz in Europa, im Pazifik und anderswo aufrechterhält, damit es keine Rückkehr zu den anarchischen Bedingungen der 30er Jahre gibt. Den Kritikern zufolge lastet das Argument, dass die Vereinigten Staaten ‚zum Führen verurteilt‘ sind, dem Land große Bürden auf, zieht Ressourcen von heimischen Bedürfnissen ab... " (Kennedy, 1993, 373).



    „Wie nicht anders zu erwarten, hat dies amerikanische Forderungen provoziert, die Alliierten sollten mehr zur gemeinsamen Verteidigung beitragen.“ (Kennedy, 1993, 374).



    „Unter diesen Umständen verschärft eine längere Periode geringen Wachstums die existierenden Probleme und macht es unwahrscheinlich, dass die Vereinigten Staaten zugleich dasselbe Niveau militärischer Sicherheit aufrechterhalten können UND ihre sozialen Bedürfnisse befriedigen UND ihre Schulden zurückzahlen können.“ (Kennedy, 1993, 376).





    „Ein Land, dessen Produktivitätszuwachs über ein Jahrhundert hinweg ein Prozent hinter anderen Ländern zurückbleibt, kann sich, wie es Großbritannien tat, vom unumstrittenen industriellen Führer der Welt in eine mittelmäßige Ökonomie verwandeln, die es heute ist.“ (Kennedy, 1993, 376).



    „Einst der Welt größter Gläubiger, sind die Vereinigten Staaten innerhalb eines Jahrzehnts zur größten Schuldnernation der Welt geworden.“ (Kennedy, 1993, 380).



    „Der Kern des Handelsdefizitproblems liegt in der langfristigen Erosion von Amerikas relativer industrieller Position... Das Studium der amerikanischen ‚Konkurrenzfähigkeit‘ ist selbst zu einer Industrie geworden ... Das Gesamtbild aus all diesen Studien ist das einer industriellen Struktur, die zwar viele Stärken aufweist, aber keineswegs mehr die unumstrittene Position inne hat, in der sie sich in den ersten beiden Nachkriegsjahren befand." (Kennedy, 1993, 380f).



    „Die gegenwärtige Sorge um den Zustand der amerikanischen Wirtschaft wird durch ein breites Unbehagen intensiviert, das den Implikationen für die nationale Sicherheit, für die Macht und die Position des Landes in der Weltpolitik gilt.“ (Kennedy, 1993, 383).



    „Setzen sich die Vereinigten Staaten dem Risiko imperialer Überdehnung aus, oder ist diese Phase bereits erreicht?" (Kennedy, 1993, 383).



    „Ein Großteil der Kontroverse um Amerikas ‚Abstieg und Erneuerung‘ konzentriert sich natürlich auf die Wirtschaft, aber im Gespräch sind auch die Schwächen des Erziehungssystems, die sozialen Probleme, der abnehmende Wohlstand der Mittelklasse, sogar die politische Kultur im ganzen ...“ (Kennedy, 1993, 385).



    „Der täglichen Leserschaft von Amerikas Zeitungen ist die Liste der Gebrechen bis zum Überdruss vertraut ...“ " (Kennedy, 1993, 386).



    „Die Auflösungserscheinungen in Amerikas Sozialordnung sind nur schwer zu bekämpfen...“ " (Kennedy, 1993, 388).



    „Mit der Ausnahme von einigen wenigen unbelehrbaren Optimisten ... haben die meisten Bürger laut Umfragen das Gefühl, es sei abwärts gegangen – mit dem Sozialnetz, den Beziehungen zwischen den Rassen, der staatlichen Bildung, der Wirtschaftsleistung, den Lebensbedingungen der durchschnittlichen amerikanischen Familie – und es werde für ihre Kinder und Enkel weite abwärts gehen.“ (Kennedy, 1993, 395).



    „Angesichts dieser Stagnation scheinen viele frustrierte Bürger bereit zu sein, eine drastische Veränderung zu riskieren." (Kennedy, 1993, 396).



    „Man muss sich auch fragen, ob eine wirklich große nationale Krise – eines der beliebtesten Szenarien ist ein Bankenkrach oder ein Börsen-Crash – zu kühnen Strukturreformen im staatlichen Erziehungswesen, in der Armutsbekämpfung oder bei den Investitionen ... führen würden.“ (Kennedy, 1993, 396).



    „Der demographische Wandel wird auch die amerikanische Wirtschaft beeinflussen, sowohl in der Zusammensetzung ihrer Arbeitnehmerschaft als auch in der weiterreichenden Frage amerikanischer Konkurrenzfähigkeit.“ (Kennedy, 1993, 400).



    „Demographische Trends deuten an, dass das Schlimmste erst noch kommt. Ein Teil des Wirtschaftswachstums seit dem 2. Weltkrieg war einfach das Resultat von Zuwächsen in der Gesamtbevölkerung... In den 90er Jahren wird die Zahl der Neuzugänge zur Arbeitnehmerschaft indessen sehr viel niedriger ausfallen als in den vergangenen Jahrzehnten...“ (Kennedy, 1993, 402).



    „Auch die amerikanische Landwirtschaft wird sich den neueren globalen Kräften des Wandels zu stellen haben. Dies trifft gewiss auf die Biotechnologie und vielleicht auch auf die globale Erwärmung zu." (Kennedy, 1993, 404). „... der traditionelle Stil der Landwirtschaft ist weder in den USA noch im ländlichen Frankreich gut auf das nächste Jahrhundert vorbereitet. Angesichts dieser Prognosen kann man nur hoffen, dass der Treibhauseffekt nicht zu den Temperaturanstiegen führt, die in den pessimistischen Studien über die globale Erwärmung vorausgesagt werden..." (Kennedy, 1993, 407).



    „Auf der anderen Seite verweisen die Verlagerung von Industriezweigen ins Ausland, die wachsende Redundanz vieler Berufsgruppen und das unzulängliche Bildungsniveau vieler Arbeitnehmer ... darauf, dass die unteren vier Fünftel (oder mehr) der Amerikaner die oft gefeierten Vorzüge der Globalisierung nicht werden genießen können." (Kennedy, 1993, 410).



    „Wenn die demographischen Trends zu einem relativen Rückgang der Zahl von Amerikanern mit hohen wissenschaftlichen Fähigkeiten führen, wenn die US-Multis in einen immer härteren Konkurrenzkampf gegen ausländische Rivalen mit größeren Kapitalreserven und besser ausgebildeten Arbeitskräften geraten, und wenn die amerikanischen Banken, Medienkonzerne, Software-Firmen und Forschungs- und Entwicklungsinstitutionen weiter an Konzerne aus Übersee verkauft werden, wird der ökonomische Trend zunehmend gegen Amerika laufen." (Kennedy, 1993, 410f).



    „Das aber führt uns ... auf den Kern des amerikanischen Dilemmas zurück. Vor einhundert Jahren befand sich Großbritannien ... in einer ähnlichen Debatte über seine Zukunftsaussichten. ... Großbritannien (stand) damals dem Dilemma gegenüber, in dem die Vereinigten Staaten sich heute befinden. Beide waren führend Weltmächte, deren ökonomische Konkurrenzfähigkeit und allgemeine internationale Position gegen Ende des Jahrhunderts weniger gesichert schien als fünf Jahrzehnte zuvor. In beiden Ländern riefen alarmierte Bürger nach Veränderungen, um die nationale Konkurrenzfähigkeit zu stärken und sich auf das nächste Jahrhundert ‚vorzubereiten‘. Die Schwierigkeit lag indessen darin, dass die vorgeschlagenen Reformen viele fest etablierte Interessen bedrohten. ...
    Das britische Volk entschied sich gegen die Aufrufe zur Veränderung und glaubte, es sei besser, sich ‚durchzuwursteln‘. Warum sollte Amerika heute etwas anders tun? Alle Anzeichen deuten in der Tat darauf hin, dass die Vereinigten Staaten sich weiterhin durchwursteln werden, wobei die Debatte über Niedergang oder Erneuerung weitergehen wird. Aber die langfristige Implikation des Durchwurstelns ist ein langsamer, stetiger, relativer Niedergang – im Lebensstandard, im Bildungsniveau, in fachlichen Fähigkeiten, in der Sozialfürsorge, in der industriellen Führungsstellung und letztlich in nationaler Macht – genau wie im Falle Großbritanniens.“ (Kennedy, 1993, 412-413).



    Paul Kennedy dokumentierte in seinem Buch von 1993 die damalige inneramerikanische Debatte. Und hier findet man alle Gedanken und Thesen, die Donald Trump im Wahlkampf und in seiner Präsidentschaft angesprochen hat. Donald Trump ist kein Zufall, sondern der Repräsentant einer einflussreichen politischen Strömung in den USA.
    Donald Trump ist eine falsche Antwort auf wirkliche Probleme der Weltmacht USA, aber die Gegner von Trump haben keineswegs bessere Antworten als Trump.
    Die Fehler der Anti-Trump-Kampagne sind doppelt: Die Kampagne suggeriert zum einen, dass die Probleme der USA in der Person Trump lägen, dass irgend ein anderer als Präsident alles besser machen könnte, und die Kampagne vertuscht und verdeckt zum anderen alle wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme, die Trump erst möglich gemacht haben, - Probleme, die in Europa ebenso spürbar sind wie in den USA.
    Wal Buchenberg, 23.03.2017

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