Wer oder was ist das Finanzkapital?

  • Das „Finanzkapital“ ist eine Gemeinschaftstheorie von Rudolf Hilferding und Lenin.
    In der
    Jungen Welt hat sich ein Gerfried Tschinkel vorgenommen, Hilferdings Finanzkapitaltheorie von Lenins Finanzkapitaltheorie zu trennen.


    Über Lenins Finanzkapitaltheorie schreibt Gerfried Tschinkel:
    „Im Industriemonopol ist das industrielle Kapital konzentriert, und im Bankmonopol ist das Geldkapital zentralisiert. Das industrielle Kapital übernimmt etwa die Organisation der Produktion nach den jeweiligen Bedingungen des Marktes. Auch das Geldhandlungskapital hat eigenständige Funktionen, beispielsweise muss es Zahlungsströme in Übereinstimmung bringen.
    Demgegenüber ist das Finanzkapital allein auf Verwertung ausgerichtet, um einen Profit zu erzielen, der oft auch den gesamten industriellen Profit, also Zins und Unternehmergewinn, verschlingen kann. Dies zeichnet das Finanzkapital als neue Kapitalsorte aus.“


    Industrielles Kapital und Geldkapital bekommen hier von Tschinkel und Lenin noch nützliche (?!) kapitalistische Funktionen zugeschrieben. Von der „neuen Kapitalsorte Finanzkapital“ wird behauptet, dass sie „allein auf Verwertung ausgerichtet“ sei.


    Das Finanzkapital verkörpert damit das „kapitalistisch Böse“. Es ist der „Ausbeuter par excellence“, der alle ausbeutet, auch alle anderen Kapitalisten.
    Die Vermehrung und Verwertung des Kapitals wird nicht wie bei Marx als die Triebkraft jedes Kapitals - egal welcher Art und Größe - beschrieben. Der "Verwertungszweck" wird hier auf das "Finanzkapital" reduziert, ein "Finanzkapital", das keine wirtschaftlichen Funktionen mehr hat und nur noch Eigentum ist. "Finanzkapital" ist hier nichts anderes als die Wertpapierbesitzer, die „Couponschneider“.

    Ich meine, ob Lenin oder nicht, das ist ganz eindeutig eine faschistoide Kapitalkritik mit der Unterscheidung von "schaffendem Kapital" (Industriekapital wie Geld- und Warenhandelskapital) auf der einen Seite und "raffendem Kapital" ("Finanzkapital") auf der anderen Seite.

  • Hallo Wal,
    ich hab den Artikel nicht gelesen, vielleicht übersehe ich den größeren Kontext. An dem Auszug selber kann ich allerdings keinen regressiven Antikapitalismus erkennen. Ich kann hier nicht herauslesen, wo Lenin (Tschinkel) hier auf das "kapitalistisch Böse" anspielt. Ich sehe hier nur eine rein deskriptive Erläuterung der Funktion des Finanzkapitals.

  • Hallo Alet,
    keine Ahnung, was ein "regressiver Antikapitalismus" sein soll.
    ich habe den Gedankengang zitiert, auf den ich mich beziehe. Mehr muss du nicht gelesen haben.
    "Auf Verwertung ausgerichtet" heißt nichts anderes als "auf Profit und Ausbeutung ausgerichtet". Ausbeutung und Profitmacherei als besondere Qualität einer besonderen Kapitalsorte zu bezeichnen, das nenne ich eine faschistoide Kapitalkritik, die zwischen "gutem Kapital" und "bösem Kapital" unterscheidet.


    Gruß Wal

  • Regressiver Antikapitalismus bezeichnet genau das, was du beschreibst: Eine Kapitalismuskritik, die sich nicht gegen den Kapitalismus an sich richtet, sondern dem Zins und dadurch im Wesentlichen antisemitisch ist.

  • Regressiver Antikapitalismus bezeichnet genau das, was du beschreibst: Eine Kapitalismuskritik, die sich nicht gegen den Kapitalismus an sich richtet, sondern dem Zins und dadurch im Wesentlichen antisemitisch ist.

    Hallo Alet,
    okay, jetzt habe ich auch gelernt, was "regressiver Antikapitalismus" ist.
    Aber das Etikett "antisemitisch" ist zu pauschal und daher falsch.
    Nur im christlichen Kerneuropa gab es eine (politisch geschaffene) Häufung von Juden im Bankgewerbe. Nur hier konnte sich die Kritik an den "Geldverleihern" (bis 1945) antisemitisch einfärben.
    Die heutige "regressive" (ich sage "faschistoide") Kapitalkritik hat vor allem ökonomische Wurzeln kommt ganz ohne rassistische und antisemitische Untertöne aus.

  • Finanzkapital


    Im Industriemonopol ist das industrielle Kapital konzentriert, und im Bankmonopol ist das Geldkapital zentralisiert. Das industrielle Kapital übernimmt etwa die Organisation der Produktion nach den jeweiligen Bedingungen des Marktes. Auch das Geldhandlungskapital hat eigenständige Funktionen, beispielsweise muss es Zahlungsströme in Übereinstimmung bringen.
    Demgegenüber ist das Finanzkapital allein auf Verwertung ausgerichtet, um einen Profit zu erzielen, der oft auch den gesamten industriellen Profit, also Zins und Unternehmergewinn, verschlingen kann. Dies zeichnet das Finanzkapital als neue Kapitalsorte aus.“



    Die Anwendung des Begriffs Finanzkapital ist als logische Kategorie zur Analyse politischer und ökonomischer Vorgänge im Rahmen der marxistischen Geldtheorie brauchbar. So gehört zu den Folgen der Ende der 70er Anfang der 80er Jahre auf der Grundlage des Monetarismus in Gang gesetzten ökonomischen Maßnahmen, (Deregulierung der Finanzmärkte, Privatisierung von Staatseigentum, Schwächung der Gewerkschaften u. a.) dass im Verlauf des unvermeidbaren Aufblasens des fiktiven Kapitals sich auch das Kapital der Finanzkapitalisten enorm aufgeblasen hat. Aber die davon profitierenden Finanzkapitalisten sind dabei nicht Subjekt sondern Objekt. Subjekt sind die entwickelten kapitalistischen Staaten, die die Entscheidungen für Maßnahmen treffen, gemäß denen Finanzkapital tätig wird.


    Finanzkapital ist Geldkapital, dem es nicht nur darum geht, Geschäfte zu kreditieren und dafür Zinsen zu kassieren, sondern auch darum, am Geschäftserfolg indirekt und direkt am Kapitalzugewinn des produktiven Kapitals beteiligt zu sein. Das führt zu ökonomischen Sachzwängen höherer Ordnung, denn die Geschäfte der produktiv tätigen Kapitalisten müssen nicht nur gelingen, sondern sie müssen zusätzlich auch noch eine möglichst ordentliche Rendite für die Finanzkapitalisten abwerfen. In der Folge werden die Ansprüche an die Ausbeutungsraten höher und es kommt dazu, dass das vom Finanzkapital vorgeschossene spekulative Kapital in immer neue Investitionen gesteckt wird, womit die allgemeine Konkurrenz beschleunigt und schärfer wird. Es ist also keine neue Qualität, die das Finanzkapital vom produktiven Kapital unterscheidet, sondern es übernimmt lediglich die Funktion eines Katalysators, der den Akkumulationsprozess des Kapitals beschleunigt. Auf Staaten bezogen,verbessert sich so deren Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Staaten, was dazu führt, dass die kapitalistischen Staaten, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben wollen, allgemein dazu gezwugnen sind, ihre Ökonomien vom (internationalen) Finanzkapital auf Vordermann bringen zu lassen (Globalisierung).


    Diesen ganz dem normalen kapitalistischen Gang geschuldeten Vorgang leugnen diese Kritiker des Finanzkapitals. Stattdessen wollen sie ihm einen besonderen Charakter als rein auf Verwertung gerichtetes (gieriges, rücksichtsloses, arbeitsplatzvernichtendes etc.) Kapital zuweisen. Das ist aber nicht mehr Wissen und Verstehen, sondern moralische Verblödung der Lohnarbeiter.

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