Grundlegungen einer internationalen Kommunalwirtschaft (Teil I)

  • "Die Pariser Kommune sollte selbstverständlich allen großen gewerblichen Mittelpunkten Frankreichs zum Muster dienen. Sobald die kommunale Ordnung der Dinge einmal in Paris und den Mittelpunkten zweiten Ranges eingeführt war, hätte die alte zentralisierte Regierung auch in den Provinzen der Selbstregierung der Produzenten weichen müssen. In einer kurzen Skizze der nationalen Organisation, die die Kommune nicht die Zeit hatte, weiter auszuarbeiten, heißt es ausdrücklich, daß die Kommune die politische Form selbst des kleinsten Dorfs sein, und daß das stehende Heer auf dem Lande durch eine Volksmiliz mit äußerst kurzer Dienstzeit ersetzt werden sollte. Die Landgemeinden eines jeden Bezirks sollten ihre gemeinsamen Angelegenheiten durch eine Versammlung von Abgeordneten in der Bezirkshauptstadt verwalten, und diese Bezirksversammlungen dann wieder Abgeordnete zur Nationaldelegation in Paris schicken; die Abgeordneten sollten jederzeit absetzbar und an die bestimmten Instruktionen ihrer Wähler gebunden sein." Der Bürgerkrieg in Frankreich (1871)
    (Marx-Engels-Werke Bd.17, S. 339 bis 340)


    Ein elementarer Fehler der Arbeiterbewegung war die Unterstellung eines proletarischen Subjekts als institutionalisierte Verfügungsgewalt (Einheitspartei) in einem Arbeiter- und Bauernstaat (siehe Diktatur des Proletariats). Dieser kann niemals zu einem gesellschaftlichen Verhältnis gelangen, in welchem die Menschen selbst sich zur Befriedigung und Sinnbildung ihrer Bedürfnisse über die Arbeit politisch bestimmend versammeln und auseinandersetzen. Von daher blieb ein solcher Staat hierzu weitgehend abstrakt und schon deshalb an das Wertgesetz gebunden und wurde zu einem staatlich sanktionierten Diktat der Arbeit über die Bedürfnisse der Menschen, das dem Diktat des Kapitals politisch nicht nur gleichkam, sondern es als politischer Wille einer volkswirtschaftlichen Gewalt noch überbot. Im Staat wird auf diese Weise die Macht der abstrakt allgemeinen Substanz des Verwertungsinteresses an Mensch und Natur (siehe abstrakt menschliche Arbeit) verdoppelt und totalitär. Nur jenseits von Staat und Markt lässt sich ein erneuertes gesellschaftliches Verhältnis der Menschen gründen, das keinem Diktat über die Arbeit folgen muss, weil und sofern es sich dem Verwertungszwang des Geldes widersetzen und diesen überwinden kann.


    Jede Marktwirtschaft ist politische Ökonomie, also die Rechtsform eines ökonomisch isolierten Willens und beruht auf einer gesellschaftlichen (politischen) Elementarform (siehe Warentausch), die den organischen Grundlagen der Ökonomie (Arbeitsersparnis) widerspricht, weil sie die Trennungvon Bedürfnis und Arbeit verlangt und bestärkt (siehe Teilung der Arbeit), also deren Existenzformen bildet und vollstreckt. Eine Kritik der politischen Ökonomieverlangt nicht nur den Nachvollzug, wie, warum und wo diese Formen über die organischen Zusammenhänge des menschlichen Lebens Macht ergreifen, sondern auch die praktische Aufhebung aller Fremdbestimmungen (siehe Entfremdung) des Menschen, also all seiner Lebenszusammenhängen fremden Formbestimmungen in der Bildung und Verwirklichung seiner Arbeit und seiner Bedürfnisse. Praktisch verlangt eine solche Aufhebung also nicht nur die Kritik der Arbeitsform, sondern die Ausbildung und Ausentwicklung eines ganzen gesellschaftlichen Verhältnisses der Menschen, das durch eigene Sinnbildungdie Macht hat, die überkommenen Existenzformen des Warentauschs so wie der Geldverhältnisse überhaupt zu überwinden. Und so impliziert eine Kritik der politischen Ökonomie auch die Kritik der politischen Kultur.


    Der Gedanke zu einer internationalen Kommunalwirtschaft gründet auf der Gewissheit, dass die gesellschaftliche Basis aller menschlichen Beziehungenihre Vermittlung in der Erzeugung ihrer konkreten Lebensverhältnisse zu einer menschlichen Kultur ist, auf der sich ihre allgemeineren Verhältnisse entwickeln und rückbeziehen, insbesondere in der Bildung ihrer Bedürfnisse (siehe auch Sinnbildung) und der Gestaltung ihrer Arbeit (siehe hierzu auch Historischer Materialismus und Marxismus). Nicht über abstrakt allgemeine Verhältnisse wie z.B. Markt, Kapital und Staat, sondern in direkten Vermittlungen von Naturstoffen und Arbeitsprodukten bildet sich menschliche Geschichte als wirklichgesellschaftliche Naturmacht des Menschen, also die Erhaltung und Fortentwicklung des gesellschaftlichen Lebens durch die Synergien ihrer Lebenstätigkeit und Lebensmittel in der Form einer Ergänzungswirtschaft.


    Es sind die lebendigen Zusammenhänge und Verbindungen in einer Gesellschaft, die sich aus den konkreten Lebenszusammenhängen der Menschen ergeben und sich darin wirtschaftlich und kulturell in ihrer Ergänzungals Ganzes bestätigen und bestärken. Keine politische Macht und keine mächtigen Wirtschaft kann dies bewirken, nicht über abstrakt allgemeineZwecke, z.B. nationale Interessen oder internationale Notwendigkeiten der Märkte und Geldbeziehungen kann man dies erreichen, sondern der direkte Verkehr innerhalb und zwischen den Kommunen in der wechselseitigen Ergänzung ihrer natürlichen und menschlichen Potenzialen, in einem konkreten Prozess der Auseinandersetzung über die Notwendigkeiten und Freiheiten des menschlichen Lebens. Nicht politische Ökonomie sondern eine wirtschaftlichePolitik wird sich in den Auseinandersetzungen innerhalb und über die Komunen hinaus entwickeln, und darüber entscheiden, was deren gesellschaftliche Formen ausmachen sollte. Darüber hinaus sollen alle überregionalen Beziehungen und Aktionen oder Projekte an diese gebunden und rückvermittelt bleiben. Die horizontale Vernetzung der Kommunen wird dann auch durch kontrollierte vertikale Administrationen wahrgenommen, die im Dienst dieser Vermittlung fungieren (siehe z.B. qualifizierte Delegation).


    Im Kapitalismus vermittelt sich nur die Wertform der Produkte gesellschaftlich, weil sie über den Warentausch der Marktwirtschaft nur abstrakt allgemein über ihren Geldwert aufeinander bezogen werden können. Diese Vermittlung wird überall dort aufgehoben, wo Menschen ihre Produktion im Maß der Aufwendungen ihrer menschlichen Arbeit konkret aufeinander beziehen und ihre Subsistenz durch einen wirtschaftlichen, den minimalisierten Arbeitsaufwand gesellschaftlich gesichert ist. Ausbeutung beruht auf der privatenAneigungsmacht des Geldbesitzes über die gesellschaftlichenLebensbedingungen, über die konkreten gesellschaftlichen Notwendigkeiten und Nöte der Menschen. Um diese erpresserischen Verhältnisse des Marktes aufzuheben muss die politische Ökonomie der Marktwirtschaft in eine ökonomische Politik übersichtlicher Arbeitszusammenhänge in den Lebenräumen überführt werden, in denen sich der gesellschaftlicher Lebenszusammenhang ihrer Bedürfnisse zu ihrer Arbeit darstellt und mit anderen dem entsprechenden Regionen zum Wohl aller wirtschaftlich verbinden und politisch entwickeln lässt: Durch das internationale Netzwerk einer Vertragswirtschaft der Kommunen (siehe auch Kommunalismus), in denen die gesellschaftliche Auseinandersetzung der Menschen über ihre Lebensbedingungen (siehe Politik) ihre Geschichte entscheidet.


    "Die Mannigfaltigkeit der Deutungen, denen die Kommune unterlag, und die Mannigfaltigkeit der Interessen, die sich in ihr ausgedrückt fanden, beweisen, dass sie eine durch und durch ausdehnungsfähige politische Form war, während alle früheren Regierungsformen wesentlich unterdrückend gewesen waren.
    Ihr wahres Geheimnis war dies: Sie war wesentlich eine Regierung der Arbeiterklasse, das Resultat des Kampfs der hervorbringenden gegen die aneignende Klasse, die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte ... Die politische Herrschaft des Produzenten kann nicht bestehen neben der Verewigung seiner gesellschaftlichen Knechtschaft. Die Kommune sollte daher als Hebel dienen, um die ökonomischen Grundlagen umzustürzen, auf denen der Bestand der Klassen und damit der Klassenherrschaft ruht.


    Einmal die Arbeit emanzipiert, so wird jeder Mensch ein Arbeiter, und produktive Arbeit hört auf, eine Klasseneigenschaft zu sein." (Der Bürgerkrieg in Frankreich (1871) (Marx-Engels-Werke Bd.17, S. 342)


    Internationale Kommunalwirtschaft ist zunächst nur die Vorstellung eines weltweiten Netzwerks von Kommunen und Regionen, die ohne nationale Hierarchien über die Staaten unmittelbare wirtschaftliche Verhältnisse eingehen, einander ergänzen und Synergieen bilden, ohne ihre Autonomie aufgeben zu müssen. Nicht Marktwirtschaft und Geld als Wertträger soll darin als gesellschaftliche Macht und Vermittlung die Wirtschaft politisch bestimmen, sondern ein politisches Verhältnis der wirtschaftenden Menschen, die ihre Gesellschaft über die Befriedigung und Entwicklung ihrer Bedürfnissebestimmen und ihre Arbeit entsprechend ausgestalten. In sich sollen sie ihre eigenen Wirtschaftskreisläufe nach den Möglichkeiten ihrer Landschaft und Kultur gestalten und politisch klar umschriebene Gemeinwesen sein. Durch ihre Überschüsse treten die Kommunen zueinander in Vertragsbeziehungen (siehe Vertragswirtschaft), die sich am Aufwand ihrer Produktion, vor allem an der Arbeitszeit und Ressourcenbeschaffung bemessen.


    Kommunalwirtschaft ist die Bewirtschaftung einer Kommune, Gemeinde und Region in der Bestimmung durch die regionalen und übergreifenden Interessen ihres Gemeinwesens. Diese sind sachlich und politisch nicht zu trennen und müssen bei ihrer Entstehung auch durch eine politische Form begründet sein, z.B. durch kommunale politische Gremien, die sich auf allgemeinere politische Interessen wie auf andere Kommunen und auch größere Zusammenschlüsse beziehen und per imperativem Mandat politisch (z. B. durch eine Rätedemokratie) vertreten werden und durch Verträge rechtlich befestigt sind. Durch die hierbei vorausgesetzte und notwendige politische und wirtschaftlicheAuseinandersetzung soll eine Einheit von wirtschaftlicher und politischer (rechtlicher) Beziehung gesellschaftlich gewährleistet werden. Das steht gegen Marktwirtschaft (politische Ökonomie) und staatlich gelenkte Planwirtschaft und Nationalwirtschaft überhaupt und will ökonomische Politik statt politische Ökonomie sein. Es beruht auf der politischen Bestimmung nach den Gebotenheiten einer Region und verhandelt Arbeitsaufwand und Bedürfnisse der Selbsterhaltung und Fortentwicklung (siehe Geschichte) nach den konkreten Maßstäben der Vertragswirtschaft (konkrete Arbeitszeit und konkreter Naturbedarf pro Bevölkerungsdichte).

Kommentare 9

  • Hallo Wolfram,--hier nun meine (verspäteten!) Gedanken zu Deiner „internationalen Kommunalwirtschaft“.--Dein Absatz 1) In dem Marx-Zitat ist als Zielvorstellung die „Selbstregierung der Produzenten“ formuliert. Moderner ausgedrückt sprechen wir heute von der „Selbstbestimmung der Produzenten“. Das meint nichts anderes. Dass die Basis dieser Selbstbestimmung der wirklichen Produzenten in der selbstverwalteten Kommune beginnt, das ist eine Kernaussage von Marx, die auch wir beide teilen und unterstützen.----Dein Absatz 2) Auch deiner Kritik an dem „Arbeiter- und Bauernstaat“ teile ich uneingeschränkt.----Dein Absatz 3) hat in meinen Augen den Mangel, dass er „jede Marktwirtschaft“ beschreibt, also auch die „einfache Warengesellschaft“, und daher sehr abstrakt bleibt. Das daraus entwickelte Ziel, den Warentausch und die Geldverhältnisse aufzuheben, bleibt eine bloße Notwendigkeit, ein bloßer Imperativ. Die Möglichkeit, Warentausch und Geldverhältnisse aufzuheben, ist nicht aus den kapitalistischen Verhältnissen entwickelt.----Dein Absatz 4): Das Beiwort „international“ zur Kommunalwirtschaft taucht bei dir unvermittelt auf. Bei Marx war die Kommunalwirtschaft eindeutig national bestimmt. Ja, es gibt die allgemeine Zielvorstellung „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“, aber welche Strukturen diese Vereinigung münden kann, dazu steht bei Marx nichts. Die Frage, die hier berührt wird, ist ja die Gleichzeitigkeit oder Ungleichzeitigkeit der (Welt)Revolution. Ich denke, alle Theorien, die auf eine weltweite Gleichzeitigkeit einer siegreichen Revolution beruhen, sind auf Sand gebaut. ----Dein Absatz 5) Hier setzt du der „politischen Ökonomie“ eine „wirtschaftliche Politik“ entgegen. Damit weiß ich noch nichts anzufangen. Das wirst du aber sicherlich noch weiter ausführen.----Dein Absatz 6) Hier kommen nähere Bestimmungen des Kapitalismus, die ich vielleicht etwas anders formulieren würde, aber das wäre an einem anderen Ort zu diskutieren. Auch hier wird deine/unsere Zielvorstellung („internationales Netzwerk einer kommunalen Vertragswirtschaft“) unvermittelt gegen den Kapitalismus gesetzt. Das zeigt vielleicht ihre Notwendigkeit, aber nicht ihre Möglichkeit auf.----Dein vorletzter Absatz beginnt: „Internationale Kommunalwirtschaft ist zunächst nur die Vorstellung eines weltweiten Netzwerks von Kommunen und Regionen, die ohne nationale Hierarchien über die Staaten unmittelbare wirtschaftliche Verhältnisse eingehen, einander ergänzen und Synergien bilden, ohne ihre Autonomie aufgeben zu müssen.“ Das ist eine positive Zielvorstellung, an der sich wir (und die Linke insgesamt) noch abarbeiten müssen.----Dein letzter Absatz geht auf politische Formen (Räte etc.) ein. Ich finde den Rätegedanken sehr nützlich und entwicklungsfähig und leider standen die Räte immer auf der Verliererseite der Geschichte. Aber mein Interesse liegt näher bei wirtschaftlichen Fragen. Wie sich eine kommunale Bedarfswirtschaft in politische Strukturen umsetzt, ist in meinem Augen zweitrangig.----Gruß Wal Buchenberg----
    • Hallo Wal, ich entnehme deinen Anmerkungen drei Aussagen, die zu diskutieren wären: 1. Ist die „Selbstregierung der Produzenten“ wirklich dasselbe wie „Selbstbestimmung der Produzenten“? Produzenten beziehen sich auf die Herstellung von Gegenständen und beziehen sich aufeinander durch die jeweiligen Zusammenhänge der Arbeit. Ich verstehe hier die Marx'sche Argumentation auf die Aufhebung von abstrakter Arbeitsteilung bezogen, also auf eine gesellschaftlich verbundene Arbeitsform, worin sich die Produzenten selbst regulieren. Im gesellschaftlichen Sinn gründet die Form der Produkte auf dem Inhalt der Bedürfnisse nach ihnen. In der Kommune sollte die Überwindung der Trennung durch die Aufhebung des Widerspruchs von Form und Inhalt geschehen, also sich in einem Verhältnis bilden, worin die Produzenten sich über ihre Bedürfnisse und dem gesellschaftlichen Aufwand ihrer Befriedigung verständigen. Selbstbestimmung halte ich für einen dem unangemessenen Begriff. 2. Du schreibst „Die Möglichkeit, Warentausch und Geldverhältnisse aufzuheben, ist nicht aus den kapitalistischen Verhältnissen entwickelt.“ Es sind die kapitalistischen Verhältnisse selbst, die aus Warentausch und Geldverhältnisse sich entwickelt haben. Die Arbeitskraft wird immer kapitalisierbar bleiben, solange es Waren gibt. Das ist ein wesentliches Problem von Genossenschaften oder auch der so genannten „Gemeinwohlökonomie“ und ähnlichen Versuchen, sich in isolierten Arbeitswelten zu solidarisieren, um hernach dem Markt wieder ausgesetzt zu sein – z.B. auch in der Notwendigkeit, die Nische der heilen Produktionstätte früher oder später an die Konkurrenzverhältnisse der Märkte anpassen zu müssen. 3. Wenn es für dich zweitrangig ist, „wie sich eine kommunale Bedarfswirtschaft in politische Strukturen umsetzt“, so kann man mit der Diskussion schnell aufhören und den Bezug auf Marx aufgeben. Der bestärkte das Selbstverständnis der Pariser Kommune, „daß die Kommune die politische Form selbst des kleinsten Dorfs sein“ soll, damit die „Landgemeinden eines jeden Bezirks ... ihre gemeinsamen Angelegenheiten durch eine Versammlung von Abgeordneten in der Bezirkshauptstadt verwalten“ können. Und er stellte diese Form an den Anfang einer „ökonomischen Befreiung“, denn die als Kommune „endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte ... sollte daher als Hebel dienen, um die ökonomischen Grundlagen umzustürzen, auf denen der Bestand der Klassen und damit der Klassenherrschaft ruht.“ (Marx-Engels-Werke Bd.17, S. 342) Gruß Wolfram
    • Hallo Wolfram,---In meinen Augen ist der Unterschied zwischen „Selbstregierung“ und „Selbstbestimmung“ aus heutiger Sicht marginal. Wenn ich da falsch liege, warte ich auf Aufklärung.---In Heyses Fremdwörterbuch von 1896 heißt es über „Regieren: richten, leiten, lenken, herrschen, beherrschen...“---Im DudenOnline heißt es zu ETW. BESTIMMEN: „etw verbindlich entscheiden, etwas festlegen, etw vorschreiben, etw beschließen...“ etc. ---„Selbstregierung“ heißt nach meinem Verständnis: Ich entscheide selbst über mich und überlasse die Entscheidungen nicht jemandem anderen.---Du hast in deinem Ausgangstext richtig darauf hingewiesen, dass in einer vom Kapitalismus emanzipierten Gesellschaft „jeder Mensch ein Arbeiter“ wird. (MEW 17, 342). Damit wird die Trennung von Konsumenten und Produzenten aufgehoben. Wenn also die Produzenten über sich und ihre Arbeit entscheiden, dann entscheiden sie das entlang der eigenen Bedürfnisse. Im Deutschen lässt sich wohl sagen: „Wir entscheiden selbst über unsere Arbeit und über unsere Arbeitsbedingungen“. Aber man kann schwerlich sagen: „Wir regieren selbst über unsere Arbeit und über unsere Arbeitsbedingungen.“ Soviel von mir zum Diskussionspunkt 1.---Zu Punkt 2): Dieser Punkt bleibt in meinen Augen offen. Du hast dazu nur negativ ausgesagt, dass die Emanzipation von Lohnarbeit nicht vereinbar ist mit Warentausch und Geld. Das ist ganz richtig. Es bleibt aber in meinen Augen zu erklären (weniger für mich, als für die „Normalos“ und Nichtmarxisten), warum und wieso denn die kommunale Bedarfswirtschaft heute oder morgen möglich ist. Sprich: Welche positiven Voraussetzungen der Kapitalismus dafür geschaffen hat. Soviel zum Punkt 2) ---Zu Punkt 3): Die politischen Strukturen sind für mich deshalb zweitrangig, weil sie zwar historisch immer als erste angegriffen und geändert werden (so zum Beispiel durch die Pariser Kommune“), aber in der Theorie der kommunistischen Wirtschaft müssen wir nach meiner Überzeugung von politischen Strukturen und politischen Hebeln absehen können. Warum? Weil nach der Überzeugung von Marx eine kommunistische Gesellschaft ohne Staat und damit ohne Hierarchie funktioniert. Ich denke, jedes Modell einer kommunistischen Wirtschaft, das irgend eine politische Zentrale benötigt, hat einen schwerwiegenden Mangel. Eine politische Zentrale mag historisch notwendig sein. In der Theorie des Kommunismus müssen wir jedoch von jeder Zentrale absehen können. Der Kapitalismus kommt ohne lenkende Zentrale aus, weil die Produktion vom Markt bewusstlos über Werte gesteuert wird. Der Wert ist aber durchaus eine gesellschaftliche Größe und ein gemeinschaftliches gesellschaftliches Produkt.---Eine kommunistische Wirtschaft will die Bewusstlosigkeit des kapitalistischen Wirtschaftens beseitigen. Das geht funktioniert aber nur, wenn die Gesellschaftlichkeit nicht verloren geht. Das haben die „Sowjetkommunisten“ „übersehen“. Die Gesellschaftlichkeit geht notwendig verloren, wenn es eine politische Hierarchie gibt. Die kommunistische Wirtschaft muss also gesellschaftliches Bewusstsein und gesellschaftliches, gemeinschaftlich bewusstes Entscheiden miteinander verbinden. Das gesellschaftliche Bewusstsein entsteht aber nur netzartig, nicht hierarchisch – so wie unsere Gedanken in unserem Kopf netzartig entstehen und nicht von einer Zentrale im Gehirn aus.---Soweit erst mal von mir zum Punkt 3) und Grüße von Wal---------
    • Hallo Wal, zum ersten: wenn du aus dem Begriff „Selbstregulierung“ die Diskussion einer „Selbstregierung“ machst, dann wird das Thema durch Entstellung einfach nur absurd gemacht. Ich finde, das geht einfach nicht und antworte nicht hierauf. Zu Punkt 2: Ich schreibe nicht über eine „kommunale Bedarfswirtschaft“, sondern über eine internationale Kommunalwirtschaft. Auch hier gilt, dass Begriffsverbiegungen nicht förderlich für eine Diskussion sind. Was eine Internationale Kommunalwirtschaft aus dem Kapitalismus heraus möglich macht, habe ich im 1. Teil dieser Abhandlung erst mal programmatisch im 3., 6. und 10. Absatz formuliert. Konkreter wird das Thema noch im 2. und 3. Teil. Zu 3.: Hier unterstellst du, dass politische Strukturen notwendig hierarchisch zentralistisch seien. Dem kann ich nicht folgen. Aber du zeigst ja selbst, dass du für den von dir vorgestellten Kommunismus einen gesellschaftlichen Zusammenhang über den Wert benötigst, der nach deiner Auffassung nicht hierarchisch zentralistisch sein soll. Das entspricht aber gerade dem sogg. Realsozialismus, wo man sich darin ereiferte, eine wertgerechte Arbeits- und Gesellschaftsform zu schaffen. Die haben wir bereits. Im Wert existiert der gesellschaftliche Zusammenhang des Kapitalismus und darin geht die wirkliche Gesellschaftlichkeit der Menschen verloren, die du darin bewahrt wissen wolltest. Dazu müssten wir, wenn wir wollten, das Kapital diskutieren. Ich habe dazu schon einiges angemerkt (vergl. kulturkritik.net/lexex.php?lex=wert). Und auch von Robert Schlosser gibt es hierzu einen anschaulichen Text, den ich als Quelle auch auf der Kulturkritik.net anbiete (kulturkritik.net/quell.php?quell=tauschwert_wert).
    • Hallo Wolfram, in dem Text von Marx, den du zitierst, sprach er von "Selbstregierung der Produzenten". Nun wirfst du mir fälschlich vor, ich würde aus "Selbstregulierung" eine "Selbstregierung" machen. Tatsächlich sprach ich von "Selbstbestimmung". Aus meiner Sicht ist das keine "Entstellung", sondern mein Versuch, die Sprache von Marx in meine oder die heutige Sprache zu übersetzen. Ansonsten kannst du natürlich antworten, worauf du willst. Aber du solltest mir nicht ständig üble Absichten unterstellen. Ich versichere Dir, dass ich Deine Gedanken schätze, auch wenn es mir hier und da Mühe macht, jeden einzelnen deiner Gedanken und Thesen nachzuvollziehen. Diese Mühe will ich mir aber auch machen, das solltest du anerkennen. Gruß Wal
    • Ja entschuldige bitte. Da hab ich wohl was durcheinander gebracht, weil ich den Begriff Selbstregierung für absurd halte, nicht ganz "marxadäquat". Auf eine Kommune bezogen kann man ihn in einem kritischen Sinne als Beziehung auf die eigenen Produkte uminterpretieren, auch wenn er mir nicht gefällt, weil er eine Selbstbeziehung suggeriert, die tautologisch wäre.
  • Hallo Wolfram, nicht alles, was hier steht und getan wird, geschieht in voller Absicht und ist gut überlegt. Ich war drei Tage unterwegs und offline, und hatte die Anfrage von Wanderer im Gepäck. So kam, es, dass ich nicht die Zeit hatte, auf deinen Text einzugehen, sondern nur meine Antwort an Wanderer daruntersetzte. Dass das nicht glücklich war, bemerkte ich schon, und mein Einleitungssatz war als halbe Entschuldigung gedacht. Das Medium Blog mit Kommentarfunktion hat halt seine Tücken. Diese Erklärung wird dich vielleicht nicht umstimmen (es muss noch mehr Dinge geben, die dich stören, als dieser Einzelfall), aber wir sollten wenigstens keinen Unfrieden zwischen uns "Kommunarden" zurücklassen. Gruß Wal
  • Natürlich wäre es möglich, nun beliebig viele Einfälle zu kommunalen oder genossenschaftlichen oder keimförmigen oder transformistischen Systemüberwindungen hier zur Schau zu stellen. Doch mit solcher Schaustellerei von Vorstellungen hat sich dieses Forum wohl selbst absurd gemacht. Damit will ich daher nun vollständig abschließen.
  • Hallo Wolfram, ich setze mal meine Gedanken zum genossenschaftlichen oder kommunalen Kommunismus unvermittelt unter Deine Gedanken, ohne gleich nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu suchen. Für mich sieht die Problemstellung so aus: Ganz allgemein gesagt funktioniert der Kapitalismus so, dass jeder Kapitalist eine bestimmte Kapitalgröße (einschließlich Produktionsmittel und Lohnarbeiter) in den „Produktionstopf“ wirft, und anschließend einen Anteil aus dem „Produktionstopf“ zieht, der seinem Anteil am Gesamtkapital entspricht. Bei Karl Marx heißt es: „Es ist klar, dass der Durchschnittsprofit nichts sein kann, als die Gesamtmasse des Mehrwerts, verteilt auf die Kapitalmassen in jeder Produktionssphäre nach Verhältnis ihrer Größen.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 183. Dafür ein Beispiel: Nehmen wir an, es gebe 4 Kapitalisten. Kapital A = 8 Kapital B = 16 Kapital C = 24 Kapital D = 32 Gesamtkapital 80. Bei einer Profitrate von 25% ergibt das einen „Produktionstopf“ von 100. Kapital A entnimmt 8 x 1,25 = 10 Kapital B entnimmt 16 x 1,25 = 20 Kapital C entnimmt 24 x 1,25 = 30 Kapital D entnimmt 32 x 1,25 = 40 Gesamtentnahme = 100. Mit diesen 100 entlohnen die Kapitalisten ihre Lohnarbeiter, ersetzen die verbrauchten Produktionsmittel und finanzieren den Staatsapparat. Der Rest verbleibt als Profit in ihren Taschen. Die Kapitalisten sind hier Ausgangspunkt, Durchgangspunkt und Endpunkt des wirtschaftlichen Kreislaufs. Und Sinn und Zweck dieses Kreislaufs ist die Erhaltung und Vermehrung (Marx sagt dazu „Verwertung“) des Kapitals. Eine kapitalistische Volkswirtschaft ist wie eine Aktiengesellschaft aller Kapitalisten, die aus dem gemeinsamen Unternehmen entsprechend der Größe ihres Kapitalanteils Dividende ziehen. Die Kapitalisten nennen das: „Verteilung nach Leistung“. Wie allgemein bekannt, funktioniert kommunistische Verteilung nicht nach „Leistung“ (= Input), sondern nach dem jeweiligen Bedürfnis. Das kommunistische Verteilungsprinzip lautet: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ K. Marx, Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, 19ff. Natürlich kann auch eine kommunistische Gesellschaft nicht mehr verteilen, als vorher produziert wurde. Die Größe des Gesamtprodukts hängt - bei gegebener Arbeitsproduktivität – von der Größe des Inputs an Arbeit ab. Dies gegeben, kann eine kommunistische Gesellschaft mehr oder minder frei entscheiden, sowohl über die Struktur der Verteilung (Produktionsmittel, öffentliche Aufgaben, privater Konsum) wie auch über die jeweiligen Verteilungsprinzipien. Dafür ein Beispiel: Es gebe 4 genossenschaftlich organisierte Kommunen. Kommune A trägt bei = 10 Kommune B trägt bei = 20 Kommune C trägt bei = 30 Kommune D trägt bei = 40 Macht einen gesamten Input = 100. Der Output, die Verteilung, kann also maximal 100 betragen, aber die Verteilung könnte für alle vier Kommunen = 25 betragen, oder für eine Kommune 15, für eine andere 25 usw. Es wird also auch eine vielfältige Reihe von „geizigen“ bis hin zu „altruistischen“ Genossenschaften und Kommunen geben. Der genossenschaftlich organisierte Kommunismus hat keine „kommunistischen Menschen“ zur Voraussetzung. Weder der Input noch der Output funktioniert über Geld. Die genossenschaftlichen Produzenten produzieren nicht für einen anonymen Markt, sondern füreinander, für andere Genossenschaften. Produziert wird nur für angemeldete Bedürfnisse. Die Kommune A benötigt zum Beispiel 10 t Alublech und hat selber dafür keine Anlagen. Sie meldet den anderen Kommunen ihr Bedürfnis, und muss einen Produzenten finden, der ihr die benötigten Produkte liefern kann. Der mögliche Produzent entscheidet, ob er die Bleche liefern kann und liefern will. Es findet ein Austausch von Produkten statt, aber es bleibt für alle sichtbar, welche Produkte warum an welche Genossenschaft gehen. Dabei gehen die einzelnen Lieferanten und Abnehmer vertragliche Verpflichtungen ein, weil der Abnehmer A seine Produktion nicht beginnen kann, wenn er nicht sicher ist, dass er die benötigten Bleche auch geliefert bekommt. Über den gesamten wechselseitigen Produktentausch muss allerdings gesamtgesellschaftlich Buch geführt werden, damit keine Produktion verschwendet wird. Die Steuerung des gesamten Produktenaustausch funktioniert aber nicht über eine Zentrale, sondern über Verhandlungen zwischen den einzelnen Genossenschaften und Kommunen. Diese entscheiden selbst, welche Produkte sie produzieren und wie viel sie davon an andere abgeben wollen und wie viel sie von anderen beziehen wollen. Gruß Wal Buchenberg. P.S. Dieser Text steht grafisch besser gegliedert auch im "Maximum-Thread" marx-forum.de/Forum/index.php/…eit/?postID=2648#post2648