Arbeitszeitrechnung statt Geld!

  • Hier mal eine kleine Eigenwerbung und zwar für ein Buch, welches wir soeben veröffentlicht haben. In diesem geht es darum zu schildern, wie Geld unter den

    Voraussetzungen assoziierter Produktion durch Arbeitszeitrechnung (Arbeitszeitkonten) überwunden werden könnte.


    Das Marx-Forum scheint uns ein geeigneter Ort für eine Diskussion, denn der Grundsatz „Wir diskutieren im Karl-Marx-Forum für eine bessere Einsicht in die Bedingungen unserer Emanzipation“ spricht uns aus dem Herzen. Auch in unserem Buch orientieren wir uns, zumindest in drei von fünf Kapiteln, ganz stark an Marx.


    In Kapitel zwei fassen wir in eigenen Worten die drei Geldbestimmungen zusammen und erläutern ausserdem die Begriffe Wert und Kapital. Dabei wird klargestellt, dass Arbeit die einzige Substanz von Wert ist. In Kapitel drei gehen wir dann einen Schritt weiter und entwickeln die Forderung, Arbeitszeit direkt zu messen, anstatt den „Umweg“ über Wert und Markt zu gehen. Dies angelehnt an Marx Auseinandersetzung mit den von ihm in

    den „Grundrissen“ gescholtenen „Stundenzettlern“. Wer diese Auseinandersetzung genau liest, dürfte uns darin zustimmen, dass Marx nicht die Idee (Geld/Lohn durch Stundenzettel zu ersetzen) kritisiert, sondern die falschen Voraussetzungen, die die „Stundenzettler“ dieser Idee zu Grunde legten.



    Wir greifen die Idee also positiv auf, klären über die notwendigen Voraussetzungen auf (assoziierte Produktion) und vertreten die These, dass dies ein erster praktischer Schritt für eine soziale Umwälzung ist.



    Im fünften und letzten Kapitel wird die Idee der Stundenzettel (Leistungsprinzip) dann mit den aktuell beliebten Ideen vom vollautomatisiertem Luxuscommunismus (Alles für Alle und zwar umsonst usw.) verglichen, welche angefeuert von Induestrie 4.0 gerade neue Blüten treiben. Dabei argumentieren wir inhaltlich wie Marx in seiner „Kritik des Gotaher Programmentwurfs“, dass von einer höheren und niederen Phase communistischer Gesellschaft ausgegangen werden muss. Erstere ist dabei Voraussetzung der Letzteren...



    Aber aufgepasst: In allen drei genannten Kapiteln geht es zwar um eine Auseinadersetzung mit marxschen Gedanken, wir zitieren ihn aber nicht. Es wird jeweils einmal knapp in einer Fussnote genannt, wo entsprechendes in den blauen Bänden (MEW) zu finden ist, ansonsten aber auf direkte Bezugnahme verzichtet. Uns geht es bei dem Projekt nämlich nicht darum, eine marxologische Debatte anzustossen, sondern wir wollen aus den uns allen so vertrauten Lesekreisdiskussionen heraustreten.



    Nach jahrelangen „Kapitaldiskussionen“ wollten wir einmal mutig sein und eine Quintessenz aus

    den marxschen Gedanken in eigenen Worten und mit modernen Beispielen bringen. Dies kann ein Kapitalstudium nicht ersetzen. Es soll auch nicht bestritten werden, dass Debatten, die für Aussenstehende wohl immer unverständlich bleiben werden, enorm produktiv und notwendig sein können. Aber gerade in politischen Krisenzeiten scheint es uns angebracht, den eigenen Dunstkreis zu überschreiten. Mit Zitateschlachten wird dies vermutlich nicht gelingen, deshalb probieren wir diesen Weg. Alle Formen von Anregungen und Kritik sind uns willkommen. Gerne hier im Forum oder auch über direkten Kontakt buch@goodbye-kapital.de



    Um das Buch so günstig wie möglich zu halten, wird es on-demand gedruckt und kostet deshalb nur 5,99 Euro. Es ist überall im Buchhandel erhältlich, aber am schnellsten und nachhaltigsten geht es direkt beim Hersteller:https://www.bod.de/buchshop/go…ian-hofmann-9783732286539

    Dort kann man auch kostenlos die Einleitung lesen. Wem dies nicht reicht, der kann sich gerne an uns wenden. Dies gilt auch für Wiederverkäufer...

  • Hallo Chris,

    aus dem Urlaub zurück kann ich ein erstes Statement abgeben – auch bevor ich eure Arbeit gelesen habe.

    Inzwischen haben gut 140 Leute eure Buchwerbung hier im Marx-Forum gelesen, das ist schon ein guter Anfang. Und berechtigterweise soll man für eure Buch Werbung machen, denn alles, was über den Kapitalismus hinausdenkt und hinausweist, ist nützlich.:thumbsup:


    Meine Meinung zu eurem Thema:

    Ich habe hier im Forum verschiedentlich darauf hingewiesen, dass individuelle Zeiterfassung sehr aufwändig ist, und „Bezahlung nach Leistung“ kaum "gerechter" ist als Geldlohn. Aber ich halte es für notwendig und sinnvoll, dass im Sozialismus/Kommunismus Vielfalt herrscht und keine Uniformität. So halte ich es für denkbar, dass in verschiedenen Kommunen eines Landes mit verschiedenen Verteilungssystemen experimentiert wird.

    Das als Vorbemerkung, damit meine folgenden Anmerkungen nicht als Verriss, sondern als Gesprächsangebot gesehen werden können.


    1) Nehmen wir an, die Gesellschaft – das heißt eine Kommune oder noch besser: ein Netz von Kommunen – verfügt über alle wichtigen Produktionsmittel. Ihre erste und wichtigste Entscheidung ist dann nicht, welches Verteilungssystem wollen wir, sondern: Welche Produkte wollen wir und welche Produkte können wir?

    Bei diesen Fragen helfen Stundenzettel gar nicht. Diese Fragen müssen entscheiden werden, bevor der erste Stundenzettel aufgefüllt werden kann.


    2) Was wir brauchen und wollen, ist vor allem eine bedarfsgerechte Produktion.

    Nehmen wir an, in einer Gemeinschaft leben 100 Alte, von denen 10 einen Rollstuhl brauchen, 20 brauchen täglich Insulin, 30 brauchen Makromar, 90 benötigen tägliche Pflege und Versorgung. Keiner von diesen 100 Alten arbeitet in der Produktion. Wie können wir ihre konkreten Bedürfnisse befriedigen? Stundenzettel und Arbeitszeitrechnung helfen uns da kein bisschen weiter.


    Gruß Wal


    Siehe auch:

    https://marx-forum.de/Forum/cm…/&highlight=Arbeitszettel


    Werte und Preise im Sozialismus



    Bibelwissenschaft und Wertbegriff

  • 2018 machte die erwerbstätige Bevölkerung (Lohnarbeiter 43%, kleine Selbständige 3%, Kapitalisten 1%) insgesamt 47 Prozent von allen. Das heißt die Mehrzahl (53%) der Menschen in Deutschland sind Kinder und Jugendliche vor Eintritt ins Arbeitsleben 24%), Rentner nach Ende des Arbeitslebens (22%), sowie Arme und Kranke, die von Sozialleistungen leben (7%). Quelle


    Ein nichtkapitalistisches, geldloses System in Deutschland müsste also für die Mehrzahl der Menschen, die nicht arbeiten, ein Verteilungssystem jenseits von „Arbeitszetteln“ praktizieren.

    Wenn es schon ein Verteilungssystem für die Mehrheit ohne „Arbeitszettel“ gibt, weiß ich nicht, wo der Vorteil liegen soll, die aktiven Arbeiter über ein zweites Verteilungssystem, mittels "Arbeitszettel", zu bezahlen.


    Lieber Chris,

    du hattest euer Buch hier vorgestellt mit der Feststellung, dass hier ein "geeigneter Ort für Diskussion" sei. Wann kommt denn nun die Diskussion in Gang?


    Gruß Wal

  • Hallo Wal,


    Eulen nach Athen tragen, wäre noch eine flache Umschreibung dafür, dich mit einem Marx-Zitat aus dem Marx-Lexikon zu konfrontieren. Aber darum geht es auch nicht.


    So haben wir es gelernt.

    2.4.1. Das gemeinsame Arbeitsprodukt wird keineswegs „gleich verteilt“

    „Die Vorstellung einer sozialistischen Gesellschaft als des Reiches der Gleichheit ist eine einseitige französische Vorstellung, anlehnend an das alte ‚Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit‘, eine Vorstellung, ... die aber, wie alle die Einseitigkeiten der früheren sozialistischen Schulen, jetzt überwunden sein sollten, da sie nur Verwirrung in den Köpfen anrichten ...“ F. Engels an A. Bebel (1875), MEW 34, 129.


    „Womit wir es hier zu tun haben, ist eine kommunistische Gesellschaft, nicht wie sie sich auf ihrer eigenen Grundlage entwickelt hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht, also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt.

    Demgemäss erhält der einzelne Produzent – nach den Abzügen – exakt zurück, was er ihr gibt.

    Was er ihr gegeben hat, ist seine individuelle Arbeitsmenge. Z. B. der gesellschaftliche Arbeitstag besteht aus der Summe der individuellen Arbeitsstunden. Die individuelle Arbeitszeit des einzelnen Produzenten ist der von ihm gelieferte Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags, sein Anteil daran. Er erhält von der Gesellschaft einen Schein, dass er so und so viel Arbeit geliefert (nach Abzug seiner Arbeit für die gemeinschaftlichen Fonds), und zieht mit diesem Schein aus dem gesellschaftlichen Vorrat von Konsum-tionsmitteln soviel heraus, als gleich viel Arbeit kostet. Dieselbe Menge Arbeit, die er der Gesellschaft in einer Form gegeben hat, erhält er in der anderen zurück.

    Es herrscht hier offenbar dasselbe Prinzip, das den Warenaustausch regelt, soweit er Austausch Gleichwertiger ist. Inhalt und Form sind verändert, weil unter den veränderten Umständen niemand etwas geben kann außer seiner Arbeit und weil andrerseits nichts in das Eigentum der Einzelnen übergehen kann außer individuellen Konsumtionsmitteln. Was aber die Verteilung der letzteren unter die einzelnen Produzenten betrifft, herrscht dasselbe Prinzip wie beim Austausch von gleichwertigen Waren ..., es wird gleich viel Arbeit in einer Form gegen gleich viel Arbeit in einer anderen ausgetauscht.

    Das gleiche Recht ist hier daher immer noch – dem Prinzip nach – das bürgerliche Recht, obgleich Prinzip und Praxis sich nicht mehr in den Haaren liegen, während der Austausch von Äquivalenten (gleichen Werten) beim Warenaustausch nur im Durchschnitt, nicht für den einzelnen Fall existiert.

    Trotz dieses Fortschritts ist dieses gleiche Recht stets noch mit einer bürgerlichen Schranke behaftet. Das Recht der Produzenten ist ihren Arbeitslieferungen proportional; die Gleichheit besteht darin, dass an gleichem Maßstab, der Arbeit, gemessen wird.

    Der eine ist aber physisch oder geistig dem anderen überlegen, liefert also in derselben Zeit mehr Arbeit oder kann während mehr Zeit arbeiten; und die Arbeit, um als Maß zu dienen, muss der Ausdehnung oder der Intensität nach bestimmt werden, sonst hörte sie auf, Maßstab zu sein.

    Dies gleiche Recht ist ungleiches Recht für ungleiche Arbeit. Es erkennt keine Klassenunterschiede an, weil jeder nur Arbeiter ist wie der andere; aber es erkennt stillschweigend die ungleiche individuelle Begabung und daher Leistungsfähigkeit der Arbeiter als natürliche Privilegien an. Es ist daher ein Recht der Ungleichheit, seinem Inhalt nach, wie alles Recht. Das Recht kann seiner Natur nach nur in Anwendung von gleichem Maßstab bestehen; aber die ungleichen Individuen (und sie wären nicht verschiedene Individuen, wenn sie nicht ungleiche wären) sind nur an gleichem Maßstab messbar, soweit man sie unter einen gleichen Gesichtspunkt bringt, sie nur von einer bestimmten Seite fasst, z. B. im gegebenen Fall sie nur als Arbeiter betrachtet und weiter nichts in ihnen sieht, von allem anderen absieht.

    Ferner: Ein Arbeiter ist verheiratet, der andere nicht; einer hat mehr Kinder als der andere etc. etc. Bei gleicher Arbeitsleistung und daher gleichem Anteil an dem gesellschaftlichen Konsumtionsfonds erhält also der eine faktisch mehr als der andere, ist der eine reicher als der andere etc. Um alle diese Missstände zu vermeiden, müsste das Recht, statt gleich, vielmehr ungleich sein. Aber diese Missstände sind unvermeidbar in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft nach langen Geburtswehen hervorgegangen ist. Das Recht kann nie höher sein als die ökonomische Gestaltung und dadurch bedingte Kulturentwicklung der Gesellschaft.


    Deine Überlegungen sind auf der anderen Seite tatsächlich sehr erfrischend! Wie dargestellt kommt die Mehrheit einer Gesellschaft ohne Drangsalierung durch ein Scheinsystem aus; während die Produzenten des Reichtums, der materiellen Lebensgrundlage schon beinahe penibel, kleinlich mit Scheinen traktiert werden sollen.


    Dahinter lässt sich auch schnell eine Bürokratie vermuten, die dann quasi hinterrücks zum Herrschaftsinstrument über Menschen wieder sich verwandeln lassen könnte.


    Andererseits beinhaltet dein Vorschlag den Sprung über die erste Phase des Kommunismus hinweg zu seinem Endzustand hin.


    Weil mir nicht klar ist, wie sich dieser Konflikt lösen lässt, schreibe ich diesen Beitrag.


    Und ich will unbedingt noch einmal festhalten, dass deine Beschreibung der Gesellschaft ein tatsächlicher, wirklicher und sehr gewichtiger Aspekt ist, den ich auf jeden Fall so noch nicht wahrgenommen hatte. Und uns, mir, die Vorstellung - ohne Regulation = Stundenzettel = ohne sozialistische Erziehungsarbeit?! - utopisch erscheinen mag. Weil mir tatsächlich die ungeheure Wucht der tatsächlichen millionenfachen Produktion der materiellen Grundlage des Lebens, die Tag für Tag, wenn auch kapitalistisch, geschieht, aus den Augen gerät?!

  • Hi Wal,


    der (erste) Link zur den 'Arbeitszettel(n)' funktioniert leider nicht :-(


    Zu deinen weiteren Punkten habe ich (als Mitautor in dem von Chris oben beworbenen Buch) ein paar Anmerkungen:


    Zu 1)

    Wal Buchenberg am 9.7. wrote:

    Nehmen wir an, die Gesellschaft – das heißt eine Kommune oder noch besser: ein Netz von Kommunen – verfügt über alle wichtigen Produktionsmittel. Ihre erste und wichtigste Entscheidung ist dann nicht, welches Verteilungssystem wollen wir, sondern: Welche Produkte wollen wir und welche Produkte können wir?

    Bei diesen Fragen helfen Stundenzettel gar nicht. Diese Fragen müssen entscheiden werden, bevor der erste Stundenzettel aufgefüllt werden kann.

    Zustimmung. Natürlich muss zuerst festgelegt bzw. festgestellt werden, welche Produkte benötigt werden und welche Ressourcen, in Form von Arbeit(szeit), Rohstoffen, Werkzeugen etc. zur Verfügung stehen. Erst dann kann Arbeit geplant und aufgeteilt werden (Arbeitszeitrechnung). Ich stimme dir auch zu, dass Stundenzettel dabei nicht helfen. Diese können lediglich die Verteilung von Produkten zur individuellen Konsumtion regeln. Dass >>„Bezahlung nach Leistung“ kaum "gerechter" ist als Geldlohn<< wird so sein, vor allem, wenn man die Ungleichheit der Menschen mit einbezieht. Trotzdem erscheint mir ein 'Sprung' aus unser heutigen Gesellschaft in einen kommunistischen Verteilungsmodus - konsumieren nach den Bedürfnissen, produzieren nach den Fähigkeiten – unrealistisch. Eine Periode revolutionärer Umwälzungen, die durchaus auch länger dauern könnte, wird notwendig sein, um uns von den 'Muttermalen' der heutigen Gesellschaft(en) trennen zu können.


    bke hat ja schon die bekannten Stellen aus den „Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei“ zitiert.


    Wir haben es knapp so formuliert: „Ein Verteilungsmodus dagegen, der auf Arbeitszeitkonten nach Äquivalenzprinzip und damit dem Leistungsprinzip beruht, hat den alles entscheidenden Vorzug, dass er sofort umsetzbar wäre.

    Das diesem Prinzip zugrundeliegende Recht, gleich viel Arbeit gegen gleich viel Arbeit auszutauschen, macht natürlich gewisse Anleihen bei unserer heutigen Gesellschaft. Aber bei welcher auch sonst?“ (Goodbye Kapital, S. 136)


    Auf Basis dieser Anleihen kann man dann Variieren, Experimentieren und wenn möglich und gewünscht zur kommunistischen Verteilung übergehen – wahrscheinlich eher Schritt für Schritt als mit einem großen Sprung. Aber das wird nicht von uns und nicht heute festgelegt werden können.



    Zu 2)


    Wal Buchenberg am 9.7. wrote:

    Was wir brauchen und wollen, ist vor allem eine bedarfsgerechte Produktion.

    Nehmen wir an, in einer Gemeinschaft leben 100 Alte, von denen 10 einen Rollstuhl brauchen, 20 brauchen täglich Insulin, 30 brauchen Makromar, 90 benötigen tägliche Pflege und Versorgung. Keiner von diesen 100 Alten arbeitet in der Produktion. Wie können wir ihre konkreten Bedürfnisse befriedigen? Stundenzettel und Arbeitszeitrechnung helfen uns da kein bisschen weiter.

    Wieder erstmal Zustimmung: Natürlich brauchen wir eine bedarfsgerechte Produktion. Im besten Fall sind, wie in deinem Beispiel, die Bedarfe bekannt und können im Voraus eingeplant werden. Die Arbeitszeitrechnung ist dann doch aber genau diese Planung: Wie viel Stunden Pflege werden benötigt, wie viel Arbeitszeit braucht es, einen Rollstuhl zu bauen? Und wie viel für zehn? Welche Vorproduke gehen ein? Wie viel Arbeitszeit 'kosten' diese? Wie viel muss dann jede_r (im Durchschnitt) arbeiten? Sind die benötigten Qualifikationen der Arbeitskräfte vorhanden? Usw. usf.


    'Stundenzettel' sind nicht der Kern der Arbeitszeitrechnung, sondern nur ein Hilfsmittel der Distribution individueller Konsumtionsmittel. Natürlich ist es wichtig, sich über Konzepte und Mechanismen der der Verteilung Gedanken zu machen und wenn man sich die Welt heute anguckt ist die ungleiche Verteilung von Konsumtion (und Arbeit) ja auch der erste Ansatzpunkt wo man sagt: „Hey, hier stimmt doch was nicht!“ Und nicht ohne Grund haben wir mit den 'Stundenzetteln' auch einen aus unserer Sicht naheliegenden Vorschlag aufgegriffen. Viel wichtiger ist aber doch die gesellschaftlich-ökonomische Basis, auf deren Grundlage die Verteilung (nach Stunden oder auch kommunistisch) erst stattfinden kann. Dazu muss unseres Erachtens Geld, Kapital und Lohnarbeit abgeschafft werden und durch etwas ersetzt werden, das wir als Arbeitszeitrechnung bezeichnet haben. (Diese Seite ist in Chris Ankündigung am Anfang dieser Diskussion zugegebenermaßen etwas zu kurz gekommen.)



    Zu 3) (dein zweiter Post)


    Wal Buchenberg am 18.7. wrote:

    Ein nichtkapitalistisches, geldloses System in Deutschland müsste also für die Mehrzahl der Menschen, die nicht arbeiten, ein Verteilungssystem jenseits von „Arbeitszetteln“ praktizieren.

    Wenn es schon ein Verteilungssystem für die Mehrheit ohne „Arbeitszettel“ gibt, weiß ich nicht, wo der Vorteil liegen soll, die aktiven Arbeiter über ein zweites Verteilungssystem, mittels "Arbeitszettel", zu bezahlen.

    Ich würde die Frage umdrehen: Was sind die Ursachen, die uns vermutlich zwingen werden, einen Verteilungsmodus nach dem Leistungsprinzip zu akzeptieren – auch wenn dieses Prinzip dann nicht für alle gelten kann. Oder, um in Marx Worten zu sprechen, eine erste Phase der kommunistischen Gesellschaft zu durchschreiten.


    Wir sehen jedenfalls einige Gründe, die dafür sprechen könnten, z.B.:

    • jahrzehntelange Konditionierung der Gesellschaftsmitglieder auf das Leistungsprinzip, auf Egoismus und den persönlichen Vorteil etc.
    • Konsumverhalten, das zumindest in den reicheren Industrienationen bei vielen auf ein 'möglichst viel' getrimmt ist. Können alle Konsumwünsche sofort umgesetzt werden?
      Von der Produktion her wahrscheinlich sehr bald. Konsumieren nach den Bedürfnissen wäre möglicherweise bald umsetzbar – vorausgesetzt es wird auch entsprechend produziert, genug Arbeitszeit investiert, um es abstrakt zu formulieren. Eine Art bedingungsloses Grundeinkommen wäre vermutlich sofort umzusetzen.
      Von den natürlichen Ressourcen her wird es eher schwierig (am 29. Juli war 'Erdüberlastungstag'). Vielleicht braucht es auch einen Verteilungsmodus, der Ressourcenverbrauch mit einbezieht?
  • Hallo Wal,


    du schreibst:Wal

    Wal Buchenberg wrote:

    individuelle Zeiterfassung [ist] sehr aufwändig

    Da es um 'Stundenzettel' geht vermute ich, dass du das Erfassen der individuellen Gesamtarbeitszeit meinst!? Also die Zeit, die jemand in einer bestimmten Zeitspanne, beispielsweise an einem Tag, in der Woche oder im Jahr arbeitet. Warum hältst du das für sehr aufwändig? Der Zeitlohn ist doch eine gängige Methode zur Messung der Arbeitsleistung mit der Uhr. Warum sollte das in einer anderen Gesellschaft schwieriger sein?


    Schwierig wird es m.E. erst, wenn es um die Frage geht, ob alle Arbeiten gleich viel zählen sollen. Also beispielsweise der Vergleich ungelernter Arbeit mit einer, die eine lange Ausbildung voraussetzt. Ich bin der Meinung, dass alle Arbeiten gleich viel zählen sollten (weil auch alle Arbeiten notwendig sind, um das gesellschaftliche Gesamtprodukt zu erzeugen), aber ich vermute, dass diese Sicht in einer 'ersten Phase' einer neuen Gesellschaft eher in der Minderheit seien wird. Diese Frage müsste dann demokratisch entschieden werden.

  • Hallo Philip,

    schön, wenn hier noch eine gründlichere Debatte in Gang kommt. Auf den Beitrag von bke hatte ich auch deshalb nicht geantwortet, damit das schmale Pflänzlein der Diskussion nicht durch zuviel Beiträge von meiner Seite erstickt wird.

    Jedenfalls stößt das Thema auf Interesse. In der Liste "aktuelle Themen" sieht man, dass euer Thema bis heute 480 mal angeklickt worden ist.


    Ich beginne mal mit deiner letzten Antwort und komme dann noch auf deinen ersten Beitrag zurück.

    An dem Mail-Link habe ich mal herumkorrigiert. Probier mal aus, ob er jetzt geht! Auch Chris kann als Autor des Textes Korrekturen anbringen.

    Hallo Wal, du schreibst

    Wal Buchenberg wrote:

    individuelle Zeiterfassung [ist] sehr aufwändig

    Da es um 'Stundenzettel' geht vermute ich, dass du das Erfassen der individuellen Gesamtarbeitszeit meinst!? Also die Zeit, die jemand in einer bestimmten Zeitspanne, beispielsweise an einem Tag, in der Woche oder im Jahr arbeitet. Warum hältst du das für sehr aufwändig? Der Zeitlohn ist doch eine gängige Methode zur Messung der Arbeitsleistung mit der Uhr. Warum sollte das in einer anderen Gesellschaft schwieriger sein?

    Nein, die Stundenerfassung halte ich nicht für schwierig. Das ist so einfach, dass es jeder Arbeitende auch selbst machen könnte, und dann am Ende des Tages oder der Woche die Menge seiner Arbeitszeit irgendwo eintragen oder melden könnte.

    Ich sehe die Schwierigkeit an ganz anderer Stelle. Nehmen wir mal den Stundenlohn als Beispiel: Da wird eine bestimmte Geldmenge pro Stunde vereinbart und das dann mit der Anzahl der Stunden malgenommen. Für kapitalistische Zwecke reicht das völlig aus.

    Dieser Stundenlohn ist im Kapitalismus sichtbar und berechenbar. Der Stundenlohn enthält aber nur die bezahlte Arbeitszeit. Der Stundenlohn enthält nur das, was der Arbeiter an Bezahlung (Bezahlung = Konsum) bekommt.

    Wie viel der Kapitalist pro Arbeitsstunde bekommt, das weiß der Arbeiter nicht. Er kennt nicht seine unbezahlte Arbeitszeit, deren Werte sich der Kapitalist als Mehrwert aneignet. Und der Arbeiter kennt im Kapitalismus nicht, wieviel Gesamtwert er an einem Tag, in einer Woche oder in einem Monat erarbeitet.


    Ihr sagt nun: Wir bieten den Arbeitern eine gerechtere Bezahlung. Aber wonach richtet sich eure gerechtere Bezahlung? Ihr sagt: Wir bezahlen nach individueller Leistung. Ich behaupte, das ist eine höchst komplizierte Angelegenheit - ob es gerechter ist, steht noch auf einem anderen Blatt. Darauf gehe ich erst mal nicht ein.

    Quote

    Der Zeitlohn ist doch eine gängige Methode zur Messung der Arbeitsleistung mit der Uhr.

    Das ist nicht richtig. Mit der Uhr kann man nur die Arbeitszeit messen, nicht die Arbeitsleistung. "Bezahlung nach Leistung" hat ja wenig mit der Anzahl der Arbeitsstunden zu tun, aber sehr viel mit der Geschicklichkeit, der vorhandenen Technologie, dem Einsatzwillen ("Fleiß") usw. Die Verteilung verteilt ja nicht Stunden oder Arbeitszeit, sondern ein Arbeitsprodukt. Die Menge und Qualität des Arbeitsproduktes kann nicht mit der Uhr gemessen werden.

    "Bezahlung nach Leistung" funktioniert eigentlich nicht bei Stundenlohn, sondern eher bei Akkordlohn. Wer "nach Leistung" bezahlen will, landet früher oder später beim Akkordlohn - das ist mein erstes Bedenken.


    Mein zweites Bedenken bezieht sich auf die Vergleichbarkeit von verschiedenen Arbeitsleistungen.

    Nehmen wir als Beispiel die Fahrradproduktion. Da gibt es einerseits eine Manufaktur, die in der Woche zwei Fahrräder herstellt, weil sie fast alles von Hand machen. Außerdem gibt es eine moderne Fabrik, die mit der selben Arbeiteranzahl in der Woche zehn Fahrräder herstellt.

    Wie werden nun die jeweiligen Arbeiter in eurem System entlohnt? Bekommen die Fabrikarbeiter fünfmal soviel Lohn wie die Manufakturarbeiter? Ihre Arbeitsleistung ist schließlich fünfmal höher.


    Mein drittes Bedenken: Man kann immer nur das verteilen, was vorher produziert worden ist. "Verteilung nach Leistung" ist eine Verteilung nach Menge oder, kapitalistisch gesprochen, eine Verteilung nach Wert. Der Wert oder die Gesamtmenge der gesellschaftlichen Arbeit ist aber nicht im vorhinein bekannt. In dem Beispiel von eben haben wir eine Gesamtproduktion von 12 Fahrrädern. Nur diese zwölf Fahrräder können verteilt werden. Sobald aber die Arbeiter der modernen Fabrik sehen, dass die Manufakturarbeiter ebensoviel von den Fahrrädern abbekommen wie sie - sie haben ja eben so lang gearbeitet, wird ihre Arbeitsleistung schnell sinken.

    Kurz: Die Gesamtproduktionsmenge muss bekannt sein, bevor es ans Verteilen geht. Man kann nur das Verteilen, was produziert worden ist. Die Gesamtproduktionsmenge ist aber nicht im vorhinein bestimmbar.

    Die Gesamtproduktionsmenge hängt vor allem von der gesellschaftlichen Arbeitsproduktivität ab. Und die Arbeitsproduktivität hängt von vielen Faktoren ab, die wir teils nicht kennen und auf die wir teils keinen Einfluss haben:
    „Die Produktivkraft der Arbeit ist durch mannigfache Umstände bestimmt, unter anderen durch den Durchschnittsgrad des Geschickes der Arbeiter, die Entwicklungsstufe der Wissenschaft und ihrer technologischen Anwendbarkeit, die gesellschaftliche Kombination des Produktionsprozesses, den Umfang und die Wirkungsfähigkeit der Produktionsmittel und durch Naturverhältnisse.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 54.


    Die individuelle Arbeitsleistung = Arbeitsstunden mal individuelle Arbeitsproduktivität.

    Die gesellschaftliche Arbeitsleistung = Gesamtarbeitszeit mal gesellschaftliche Arbeitsproduktivität.

    Die Arbeitszeit ist (auch nur als Absicht!) im Vorhinein bekannt und damit planbar. Aber die individuelle wie gesellschaftliche Produktion hängt eben nicht nur von der Arbeitszeit, sondern in entscheidenderem Maße von der jeweiligen Arbeitsproduktivität ab. Ein Verteilungssystem mit Stundenzetteln hat die Arbeitsproduktivität nicht oder zu ungenau "auf dem Zettel".


    Das sind erstmal meine Bedenken.


    Gruß Wal


    Siehe auch:

    Arbeitszeit und Arbeitsleistung

  • Hi Wal,


    ich habe meine Antwort mal etwas stichwortartig formuliert. Vorausschicken möchte ich nochmal, dass es uns mit unserem Buch weniger darum gegangen ist, Verteilungsfragen zu diskutieren als darum, eine gesellschaftliche Alternative zu Geld, Lohnarbeit und Kapital zu skizzieren. Und zu diskutieren. Die Verteilung gehört dazu, ist aber insofern zweitrangig, dass zuerst über die Produktion gesprochen werden muss und dass die Verteilung dann etwas ist, dass in der Zukunft festgelegt werden muss. Wenn, im Vergleich zum Kapitalismus, fast alle gewinnen, werden Verteilungsfragen schnell in den Hintergrund treten können.



    1) erstes Bedenken – Gerechtigkeit

    Wal wrote:

    Ihr sagt nun: Wir bieten den Arbeitern eine gerechtere Bezahlung. Aber wonach richtet sich eure gerechtere Bezahlung? Ihr sagt: Wir bezahlen nach individueller Leistung. Ich behaupte, das ist eine höchst komplizierte Angelegenheit - ob es gerechter ist, steht noch auf einem anderen Blatt. Darauf gehe ich erst mal nicht ein.

    Wir sagen nicht, dass es gerechter ist. Ich hab dem in meinem letzten Post ja auch schon widersprochen :-) Gerechtigkeit ist ja etwas sehr Subjektives. Wir sagen, dass Arbeitszeitkonten ein Anfang sein könnte, weiter zu gehen! 'Goodbye Kapital' enden übrigens mit den Worten: „Jeder produzierend nach seinen Fähigkeiten und konsumierend nach seinen Bedürfnissen.“



    2) Zweites Bedenken – „Leistungslohn“


    Um es vorwegzunehmen: Wir haben nur eine Leistungsvergütung nach der Zeit und nur als Anknüpfungspunkt an der alten Gesellschaft und Übergangsregelung zur neuen Gesellschaft vorgeschlagen. Mehr nicht. Ich würde es weniger als 'unser System' denn als Marx Voraussage oder Vermutung bezeichnen: „Die individuelle Arbeitszeit des einzelnen Produzenten ist der von ihm gelieferte Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags, sein Anteil daran. Er erhält von der Gesellschaft einen Schein, dass er so und so viel Arbeit geliefert (nach Abzug seiner Arbeit für die gemeinschaftlichen Fonds), und zieht mit diesem Schein aus dem gesellschaftlichen Vorrat von Konsumtionsmitteln soviel heraus, als gleich viel Arbeit kostet.“ (Marx)

    Konkret heißt das als Antwort auf deine Frage, beide Arbeiter_Innen in deinem Beispiel würden die gleiche Vergütung bekommen.


    Du hast natürlich recht, mit der Uhr kann man nur Zeit messen. Leistung ist Arbeit pro Zeit. Jedenfalls physikalisch. Weiter unten hast du es als Leitung mal Zeit definiert. Ökonomisch ist 'Leistung' aber eher ein ungenauer Begriff.


    Allerdings kann man mit der Uhr Arbeitszeit messen, die Zeit die gearbeitet wird. Und nach der geleisteten Arbeitszeit zu vergüten wird gemeinhin als (eine Form des) Leistungsprinzip bezeichnet, wenn man unterstellt, das in der Zeit dem gesellschaftlichen Normalmaß entsprechend Arbeitskraft verausgabt wird wird. Auf Wikipedia wird Arbeitsleistung z.B. folgendermaßen definiert: „Unter Arbeitsleistung versteht man in der Wirtschaft das durch Arbeitspersonen innerhalb der Arbeitszeit erbrachte Arbeitsvolumen als Arbeitsergebnis mit einer bestimmten Arbeitsqualität.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitsleistung).

    Nur in dieser Definition - Vergütung nach Zeit, nicht nach Intensität oder Produktivität - des Wortes Leistungsprinzip wollen wird die Verteilung nach Arbeitszeit in der ersten Phase des Kommunismus, so wie wir sie beschrieben haben, verstanden wissen. Und so verstehen wir auch Marx an der Stelle.

    „penibel, kleinlich mit Scheinen traktiert“, „Bürokratie“ oder „Herrschaftsinstrument über Menschen“ (Post von bke) kann ich hier nicht per se erkennen!



    3) Drittes Bedenken - Verteilungsfragen


    Wal wrote:

    Du sagst: "Verteilung nach Leistung" ist eine Verteilung nach Menge, „die Gesamtmenge der gesellschaftlichen Arbeit ist aber nicht im vorhinein bekannt.“


    Die Arbeitszeit ist (auch nur als Absicht!) im Vorhinein bekannt und damit planbar. Aber die individuelle wie gesellschaftliche Produktion hängt eben nicht nur von der Arbeitszeit, sondern in entscheidenderem Maße von der jeweiligen Arbeitsproduktivität ab. Ein Verteilungssystem mit Stundenzetteln hat die Arbeitsproduktivität nicht oder zu ungenau "auf dem Zettel".

    Verteilung nach was sonst? Jede Verteilung ist eine Verteilung nach Menge. Die Menge der Fahrräder kann verteilt werden. Deren Bedarf kann vorher festgestellt werden, und die Produktion von 12 Fahrrädern geplant werden. Wenn eine Arbeiterin krank wird und dann nur 10 Fahrräder gebaut werden ist das schlecht. Aber dann könne in der nächsten Woche 14 gebaut werden. Außerdem relativiert sich das Problem bei der Produktion von 120 oder 1200 Fahrrädern. Im Durchschnitt ist bekannt, wie viele Fahrräder in einer bestimmten Zeit produziert werden. Wenn man auf Nummer sicher gehen möchte, können auch 13 gebaut werden, sodass immer Fahrräder verfügbar sind und Überstunden vermieden werden. Das funktioniert im Kapitalismus ganz gut, jedenfalls wenn es um die Ausdehnung der Produktion geht. Warum sollte es schlechter funktionieren, wenn Fabrik und Manufaktur und 'Konsumenten' sich absprechen?


    Die Arbeitsproduktivität ist aus der Vergangenheit bekannt und planbar. Natürlich nur im Durchschnitt und weniger exakt für neue Arbeitsvorgänge. Weit mehr Einfluss haben vermutlich natürliche Ursachen, z.B. eine schlechte Ernte oder Wetter. Ungenauer als die Planung der Produktivität ist vielleicht das Vorauskalkulieren des Konsumverhaltes. Die Produktion muss dann halt angepasst werden. Täglich, nicht erst nach 5 Jahren.


    Was ich damit sagen möchte: Die Gesamtmenge der verfügbaren Arbeit und die Gesamtmenge der dann auch in Produkten 'geronnenen' Arbeit ist nicht 100% exakt aber im Durchschnitt genau bekannt. Kleinere Störungen sind im Durchschnitt 'eingepreist', auch die Schwankung ist bekannt, und auf größere, Naturkatastrophen beispielsweise, muss dann halt reagiert werden. That's life.


    Bke schrieb etwas von Eulen nach Athen tragen, aber ich komme trotzdem nochmal mit einem Zitat. Es ist ja schließlich das Marx-Forum.

    Engels im 'Anti-Dühring' dazu: wrote:

    „Die Gesellschaft kann einfach berechnen, wieviel Arbeitsstunden in einer Dampfmaschine, einem Hektoliter Weizen der letzten Ernte, in hundert Quadratmeter Tuch von bestimmter Qualität stecken. Es kann ihr also nicht einfallen, die in den Produkten niedergelegten Arbeitsquanta, die sie alsdann direkt und absolut kennt, noch fernerhin in einem nur relativen, schwankenden, unzulänglichen, früher als Notbehelf unvermeidlichen Maß, in einem dritten Produkt auszudrücken und nicht in ihrem natürlichen, adäquaten, absoluten Maß, der Zeit. [...] Die Gesellschaft schreibt also unter obigen Voraussetzungen den Produkten auch keine Werte zu. Sie wird die einfache Tatsache, daß die hundert Quadratmeter Tuch meinetwegen tausend Arbeitsstunden zu ihrer Produktion erfordert haben, nicht in der schielenden und sinnlosen Weise ausdrücken, sie seien tausend Arbeitsstunden wert. Allerdings wird auch dann die Gesellschaft wissen müssen, wieviel Arbeit jeder Gebrauchsgegenstand zu seiner Herstellung bedarf. Sie wird den Produktionsplan einzurichten haben nach den Produktionsmitteln, wozu besonders auch die Arbeitskräfte gehören. Die Nutzeffekte der verschiednen Gebrauchsgegenstände, abgewogen untereinander und gegenüber den zu ihrer Herstellung nötigen Arbeitsmengen, werden den Plan schließlich bestimmen. Die Leute machen alles sehr einfach ab ohne Dazwischenkunft des vielberühmten »Werts«.“


    4) Sinkende Arbeitsleistung

    Wal wrote:

    Sobald aber die Arbeiter der modernen Fabrik sehen, dass die Manufakturarbeiter ebensoviel von den Fahrrädern abbekommen wie sie - sie haben ja eben so lang gearbeitet, wird ihre Arbeitsleistung schnell sinken.

    Das ist eine Vermutung von dir, die ich absolut nicht teile. Und wäre es, wenn es richtig wäre, nicht ein Argument von dir für einen Leistungslohn???


    Gruß

    Philip

  • Hallo, bin nach einigen Wochen zurück im Lande und es freut mich, dass sich hier eine Diskussion entwickelt. Ähnlich wie Phil wundere ich mich aber, warum alles an der Verteilung aufgehängt wird. Erst wird produziert, dann verteilt, dass ist doch gerade der Clou bei Marx in den Grundrissen und in unserer Rezeption. Alles was hier in der Diskussion angeschnitten wird, also: >> Bestimmung des Gesamtprodukts und der Gesamtarbeitszeit; Bestimmung der Produktivität der Arbeiten; Bestimmung der Gewichtung der Arbeiten usw. << ist doch nur möglich auf Grundlage der Produktion nach Arbeitszeit!? Das entscheidende ist die Produktion. Das eine Verteilung nach Leistung gewisse Widersprüche in sich birgt – schliesslich handelt es sich um Anleihen bei der alten Gesellschaft, ist klar. Das entscheidende ist aber doch die Basis der neuen Gesellschaft und die Richtung in welche diese Widersprüche gelöst werden sollen. Und wie bereits von Phil geschrieben: Wenn alle durch gesunkene Gesamtarbeitszeit und besseres Leben profitieren, werden sich die Verteilungsfragen auch nicht als der entscheidende Punkt erweisen.


    Heutige Diskussionen über konkrete Verteilungsfragen scheinen mir recht spekulativ. Nehmen wir Wals Bedenken bezüglich Kindern und Rentnern. Das Argument klingt vielleicht erst einmal gut, ist aber letztlich Zukunftsmusik. Dagegen könnte man doch zunächst einmal festhalten, dass es selbst auf Grundlage des Lohnsystems ja auch funktioniert (wenn oft auch mehr schlecht als recht) . Wer sich etwas in Kitas und Altenheimen auskennt, braucht nicht viel Phantasie um sich vorzustellen, dass solche Einrichtungen bei assoziierter Produktion entschieden besser laufen könnten. Versorgung von Kindern, Kranken, Alten usw. müsste nur als Planziel - und zwar als äußerst entscheidendes - definiert werden. Die genaue Ausgestaltung dagegen ist heute nicht möglich. Dazu in unserem Buch auf Seite 90:


    „Als Planziele können alle Ziele bezeichnet werden, die durch die Erfüllung eine Planes erreicht werden sollen. Hier geht es um einen ökonomischen Plan (oder mehrere), der aber nicht ausschließlich ökonomische Zielsetzungen haben muss. Soziale, ökologische und andere gesellschaftliche Ziele sollten sinnvollerweise immer im Voraus berücksichtigt werden, da sie in einem engen wechselseitigen Zusammenhang mit der Ökonomie stehen“.

  • Da hier aber nunmal so viel über das für und wider von Leistung und den Zusammenhang mit Bewusstsein diskutiert wurde, ggf doch noch einmal eine entscheidende Passage dazu aus unserem Buch (S. 134/135). Da wird vielleicht auch klarer, warum wir weiterhin von Leistung sprechen und warum wir keinesfalls denken, hier würde es um „Gerechtigkeit“ gehen, wie unbegründeter weise unterstellt:


    „Aber ein neues Bewusstsein kann sich nur entwickeln, es kann nicht einfach beschlossen oder erdacht werden. Die Menschen haben nun einmal die kapitalistischen Leistungsprinzipien von Egoismus und Ellenbogenmentalität so sehr verinnerlicht, dass es ein Ding der Unmöglichkeit

    wäre, diese über Nacht zu überwinden. Dies gilt übrigens mehr oder weniger für alle Menschen, auch wenn einige für sich elitär in Anspruch nehmen, die viel Bewussteren zu sein und naserümpfend auf die 'konsum- und leistungsorientierten' Massen herabsehen. Es würde jedoch

    nicht einmal etwas nützen, mit einer Schar Auserwählter auf den Mars umzusiedeln. Solche Versuche gab und gibt es zuhauf, wenn auch bisher nicht auf anderen Planeten. Aber alle diese Kommunen, die über den Kapitalismus hinausgehen wollten, sind gescheitert. Dieses Scheitern kann nicht nur damit begründet werden, dass 'Wirtschaft, Technologie und Kultur nicht ausreichend entwickelt waren', wie Mason die utopischen Sozialist*Innen des 19. Jahrhunderts in Schutz nimmt. Vielmehr erlitten alle praktischen Projekte der utopischen Sozialist*Innen das gleiche Schicksal wie die alternativen Hausprojekte und Kommunen der 1970er und 1980er Jahre. Sie lösten sich auf oder erstarrten zu „Sektenkolonien“ (Bloch 1990, S. 650). Sie hatten den gleichen Schönheitsfehler, waren ein „pädagogischer Traum“. Alles „Gute sollte mit einem Schlag kommen, gegründet werden“ (ebd.). Genau dies aber funktioniert nicht. Vielmehr müssen wir immer von den Menschen ausgehen, wie sie zunächst einmal sind und deshalb wird man bis auf weiteres um das Leistungsprinzip nicht umhin kommen. Mit einer Arbeitszeitrechnung wäre gewährleistet, dass die Menschen nicht einfach viel zu viele Konsumgüter in Anspruch nehmen. Auch Disziplin und Pünktlichkeit sind unbedingte Voraussetzungen, um den Produktionsprozess und das gesellschaftliche Leben vernünftig am Laufen zu halten. Spätestens wenn wir uns vorstellen, was passieren würde, wenn ein*e Rettungssanitäter*In nicht gewissenhaft ihre Schichtpläne einhält, dürfte dies einleuchten. Was bei diesem Extrembeispiel sofort ins Auge springt, gilt letztlich für den gesamten Produktionsprozess. Würde Schlendrian beim Einholen der Ernte oder bei Kanalisationsarbeiten einkehren, wären die Langzeitfolgen mindestens ebenso bedenklich. Die im Kapitalismus erreichte Arbeitsdisziplin sollte keinesfalls abgeschafft werden, sondern müsste in dem Sinne auf ein höheres Niveau gehoben

    werden, dass sie als Notwendigkeit akzeptiert wird.“

  • Hallo Chris, hallo Philip,

    schön, dass die Diskussion weiter geht und vorankommt! Und das Thema stößt ja auf Interesse: In der Rubrik „aktuelle Themen“ ist euer Thema heute mit 605 Zugriffen gelistet.


    Vorneweg: Ich ja bin kein grundsätzlicher Gegner der Idee „Arbeitszeitgeld“. Aber ich versuche, mir die Sache konkret vorzustellen und dann zu schauen, wo gibt es Probleme? Wo liegen die Vorteile, wo die möglichen Nachteile?


    1) Mein erstes Bedenken, dass mit der Arbeitszeitrechnung zwar Stunden notiert werden, aber eigentlich ein bestimmtes Maß an Produktion erfasst werden soll, das habt ihr auf individueller Ebene beseitigt, aber das Problem bleibt auf gesellschaftlicher Ebene bestehen.

    Wie ich in meinem Text „Arbeitszeit und Arbeitsleistung“ aufgezeigt habe, unterscheidet sich die Arbeitsproduktivität von Arbeiter zu Arbeiter, von Branche zu Branche und von Produktionsort zu Produktionsort.


    Eure Antwort darauf: Arbeiter mit unterschiedlicher Produktivität würden die gleiche Vergütung bekommen. In der Praxis läuft das auf einen Einheitslohn hinaus: Gleiche Bezahlung für Alle.

    Das ist ein neues Fass. Ich weise nur darauf hin, dass es unter den meisten Arbeiterinnen und Arbeitern einen (wie ich glaube: berechtigten) Widerwillen gegen gleiche Bezahlung für Alle existiert. Da liegen sie mit Marx auf einer Linie, der schrieb: „... Ich muss diese Gelegenheit zu der Feststellung benutzen, dass, genauso wie die Produktionskosten für Arbeitskräfte verschiedener Qualität nun einmal verschieden sind, auch die Werte der in verschiedenen Geschäftszweigen beschäftigten Arbeitskräfte verschieden sein müssen. Der Ruf nach Gleichheit der Löhne beruht daher auf einem Irrtum, ist unerfüllbarer, törichter Wunsch.“ K. Marx, Lohn, Preis und Profit, MEW 16, 131.


    Gleiche Bezahlung für Alle ist so ziemlich das Gegenteil von Kommunismus, wo jeder „nach seinen Bedürfnissen“ bekommen soll. Und ich kann mir nicht vorstellen, wieso solche „Gleichheit“ zu diesem ganz "ungleichen" Kommunismus führen soll oder führen kann.


    Das Problem der unterschiedlichen Produktivität pro Arbeitsstunde wird durch den Einheitslohn erstmal beseitigt, taucht aber sofort wieder auf, wenn es darum geht: Wie viel Produkt kann jeder Einzelne mit seinen Stundenzetteln ziehen?


    Ihr sagt:

    Quote


    Im Durchschnitt ist bekannt, wie viele Fahrräder in einer bestimmten Zeit produziert werden.

    Ein Kapitalist, der viele Fabriken an verschiedenen Standorten besitzt, kann sich mit Durchschnittswerten zufrieden geben – die gesamte Produktion wandert ja in einen einzigen Topf: seinen Geldsack.


    So eine Durchschnittsrechnung genügt jedoch keineswegs, um die Versorgung von ganz bestimmten Menschen mit ganz bestimmten Gütern an einem ganz bestimmten Ort (die eigene Kommune) zu bestimmen.

    Da, wo moderne Maschinen vorhanden sind, können vielleicht 100.000 Brote am Tag gebacken werden. Aber nicht jede Kommune hat solche Maschinen. Aber in jeder Kommune müssen die eigenen Einwohner Tag für Tag mit Brot versorgt werden.


    Wenn wir von kommunistischen Verhältnissen ausgehen, muss jede einzelne Kommune wissen, über welches Produktionspotential sie verfügt. Jede einzelne Kommune muss wissen, was sie selber an Nahrung, an Kleidung, Behausung, an Fahrzeugen und Maschinen etc. produzieren kann. Was eine Kommune nicht selber produzieren kann, das muss sie von anderen Kommunen beziehen. Dieses eigene Produktionspotential hängt aber von der Anzahl der (willigen) Arbeiter, von ihrer Qualifikation und von dem Stand der lokalen Technik ab.


    Auch wenn man wie ihr einen zentralistischen (?) Blick auf die Produktion richtet, muss man wissen, wieviel wird in der Kommune A, wieviel in der Kommune B und wieviel wird in der Kommune C von jedem einzelnen Produkt produziert werden kann und tatsächlich produziert wird – denn je nach dem muss Defizit und Überschuss zwischen den Kommunen transportiert werden. Da genügt keine Durchschnittsrechnung. Am Ort A kann Überschuss herrschen, während die Leute am Ort B verhungern. Warum? Weil der Ort A über eine höhere Produktivität verfügt als Ort B.

    „Und wenn wir dann fragen, welche Garantie wir haben, dass von jedem Produkt die nötige Quantität und nicht mehr produziert wird, dass wir nicht an Korn und Fleisch Hunger leiden, während wir im Rübenzucker ersticken und im Kartoffelschnaps ersaufen, dass wir nicht Hosen genug haben, um unsere Blöße zu bedecken, während die Hosenknöpfe millionenweise umherwimmeln – so zeigt uns Rodbertus (dt. Ökonom, 19. Jh.) triumphierend seine famose Rechnung, wonach für jedes überflüssige Pfund Zucker, für jedes unverkaufte Fass Schnaps, für jeden unannähbaren Hosenknopf der richtige Schein ausgestellt worden ist, eine Rechnung, die genau ,aufgeht‘, nach der ,alle Ansprüche befriedigt werden und die Liquidation richtig vermittelt‘ ist.“ F. Engels, Vorwort zu Marx’ Schrift, „Elend der Philosophie“, MEW 21, 182.


    2) Ich muss aber noch ein weiteres Fass aufmachen:

    Was ändert sich eigentlich für die Arbeiter durch das Arbeitszeitgeld? Inwiefern stellen sie sich besser als im Kapitalismus? Ja, ist das Arbeitsgeld nicht immer noch ein Lohnsystem? Wenn ja, dann ist die Lohnarbeit nicht abgeschafft, sondern nur verändert.

    Auch hier versuche ich mal, möglichst konkret zu werden:

    Für die Lohnarbeiter im Kapitalismus ist das Geld kein Kapital, sondern das Verteilungsmittel, das ihnen den Zugang zum Konsum erlaubt. Konsum ist für sie nichts anderes als Reproduktion = Erhaltung ihres Lebens.

    Es gibt da einen Geldbesitzer. Zu dem gehen die Arbeiter und verkaufen ihre Arbeit(skraft). Dafür erhalten sie Geld und von dem Geld kaufen sie sich ihre Lebensmittel (im weitesten Sinne). Also arbeiten die Arbeiter für Lohn.

    In der Formel von Marx:
    W (Arbeitskraft) - Geld. Geld - W (Konsum). Oder kurz: W (Arbeitskraft) - W (Konsum), wobei Geld nur der Vermittler ist.

    Und im Arbeitszettelsystem?

    W (Arbeitskraft) - Arbeitszettel. Arbeitszettel - W (Konsum). Kurz: W (Arbeitskraft) - W (Konsum), wobei die Arbeitszettel die Funktion von Geld haben, nämlich Vermittler zwischen den verschiedenen Warensorten W und W.

    Die Arbeiter bieten ihre Arbeitskraft an und erhalten dafür Arbeitszettel. Mit den Arbeitszetteln gehen die Arbeiter einkaufen. Damit sie wissen, was und wieviel sie davon kaufen können, muss dann auf jedem einzelnen Produkt der „Arbeitszeitwert“ stehen. Also Arbeiten die Arbeiter für "Arbeitswerte", denn nur durch Arbeitswerte können sie ihren Lebensunterhalt sichern. Die Arbeitswertzettel erfüllen für die Arbeiter alle Funktionen, die vorher das Geld erfüllt hat. Die Arbeitswertzettel sind tatsächlich der Arbeitslohn.


    Aus Sicht der Arbeiter finde ich keinen Unterschied zwischen dem Lohn in Gestalt des Geldes und dem Lohn in Gestalt von Arbeitszetteln. Die Arbeitszettel sind nur eine andere Form des Geldes, aber im wesentlichen sind sie Geld. Sie fungieren als Lohn – als Bezahlung der Arbeitskraft, die eine bestimmte Zeit angewandt worden ist.


    Den einzigen Unterschied zu kapitalistischem Geld finde ich darin, dass die Arbeitszettel nicht akkumuliert werden können, nicht verliehen werden können, und deshalb nicht als Kapital fungieren können.

    So gesehen ist das Konzept „Arbeitsgeld“ antikapitalistisch. Aber es ist eben nicht kommunistisch in dem Sinne, dass die Lohnarbeit beseitigt ist und ich sehe auch keinen Fortschritt für die Arbeiter in Richtung Kommunismus.


    Gruß Wal


    Siehe auch Karl Marx über Arbeitsgeld

    https://marx-forum.de/marx-lex…exikon_a/arbeitsgeld.html

  • Aus deinem Eintrag „Arbeitszeit und Arbeitsleistung“, auf den du verweist, wird mir nicht ganz deutlich, ob du die „Arbeitsproduktivität“ als Volkswirtschaftliche Kennzahl meinst oder mit Marx „Produktivkraft der Arbeit“ gleichsetzt. Die von die zitierten Zahlen zusammen mit dem Zitat lassen eine Vermischung vermuten. Im Marxschen Sinne ist die Produktivkraft der Arbeit eine Bestimmung der konkret nützlichen Seite der Arbeit. Und in diesem Sinne lässt sich höchstens vergleichen, wie viel eines Produkts in einer bestimmten Zeit hergestellt wird. Der Vergleich verschiedener Branchen ist dann aber unmöglich und nicht sinvoll. Ich weiß noch nicht, worauf du mit dieser Diskussion hinaus willst. Deine Zahlen zeigen doch nur, dass in unterschiedlichen Branchen mit unterschiedlicher technischer und organischer Zusammensetzung des Kapitals der Profit pro Arbeiter_In unterschiedlich ist. Eine Wirkung der allgemeinen Profitrate! Was soll uns das für die Zukunft sagen? Dein Beispiel mit der Fahrradmanufaktur und der Fabrik vergleicht verschiedene technologische Stände in der Fertigung des gleichen Produktes... in meinen Augen ein ganz anderer Fall.


    Aber es ging dir ja um den „Einheitslohn“ bzw. einheitliche Vergütung in einer Übergangsphase. To put in in a nutshell (ich will mich nicht so oft wiederholen): Wir wissen, dass er nicht kommunistisch ist, ziehen ihn aber einem differenzierten Vergütungssystem vor. Wohl wissend, dass wir mit unser Meinung möglicherweise in der Minderheit sein werden. Die Differenzen würden wir dann aber eher weniger bei der 'Produktivität' vermuten.

    Die Frage der Vergütung ist eine Frage, die demokratisch entschieden werden muss wenn es soweit ist. Ein direktes „Springen“ in eine kommunistische Verteilung beurteilen wir als unwahrscheinlich – wenn wir eines Tages auch mit dieser Ansicht in der Minderheit sind und uns geirrt haben – um so besser. Ein Übergehen von der Gleichheit in die 'Ungleichheit nach Bedürftigkeit' kann z.B. durch die Ausdehnung des ohne Arbeitsgutscheine verteilen Produktenkorbes geschehenen. Ich kann mir beispielsweise ein bedingungslosen Grundeinkommen vorstellen, dass immer weiter wächst. Aber ich will mich nicht im Hellsehen beweisen.


    Weiter:

    Quote

    Wenn wir von kommunistischen Verhältnissen ausgehen, muss jede einzelne Kommune wissen, über welches Produktionspotential sie verfügt. Jede einzelne Kommune muss wissen, was sie selber an Nahrung, an Kleidung, Behausung, an Fahrzeugen und Maschinen etc. produzieren kann. Was eine Kommune nicht selber produzieren kann, das muss sie von anderen Kommunen beziehen. Dieses eigene Produktionspotential hängt aber von der Anzahl der (willigen) Arbeiter, von ihrer Qualifikation und von dem Stand der lokalen Technik ab.

    Auch wenn man wie ihr einen zentralistischen (?) Blick auf die Produktion richtet, muss man wissen, wieviel wird in der Kommune A, wieviel in der Kommune B und wieviel wird in der Kommune C von jedem einzelnen Produkt produziert werden kann und tatsächlich produziert wird – denn je nach dem muss Defizit und Überschuss zwischen den Kommunen transportiert werden. Da genügt keine Durchschnittsrechnung. Am Ort A kann Überschuss herrschen, während die Leute am Ort B verhungern. Warum? Weil der Ort A über eine höhere Produktivität verfügt als Ort B.

    Genau.

    Aber wenn man das Produktionspotential bestimmt, was ist das anderes als Arbeitszeitrechnung? Unter den Bedingungen, das Geld und Privateigentum an Produktionsmittel abgeschafft ist? Wie viel Arbeitskraft (welcher Art) steht wie lange zur Verfügung, mit welchen Maschinen/ Rohstoffen und welche Produkte können daraus produziert werden. Können damit die Bedürfnisse befriedigt werden? Oder muss mehr Arbeitszeit investiert werden? Oder verzichtet man auf Bedürfnisbefriedigung zugunsten mehr freier Zeit? Wenn das demokratisch-partizipativ entschieden wird, und ich halte das für notwendig, damit so ein System funktionieren kann, ist Zentralismus eher kein Thema.


    Mit dem Durchschnitt habe ich nicht die durchschnittliche Verteilung von Brot gemeint. Oder von Kartoffelschnapps. Bitte nochmal nachlesen, bevor du mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten konterst! Es ging darum, dass die Produktion(smenge) von Produkten im Voraus bekannt ist. Auch die von Schnaps.


  • Hallo Philip,

    ich will dir und Chris wirklich nichts Böses. Ich teile euer Bemühen, eine gangbare (mehrheitsfähige) Alternative zu Kapitalismus, Warenproduktion, Geld und Lohnarbeit zu finden. Ich finde es auch toll, wenn in einem linken Forum kontrovers diskutiert werden kann, ohne dass sich die Beteiligten an die Gurgel gehen und jede sachliche Debatte unmöglich machen. Ich erlebe das zum ersten Mal! :thumbsup:


    Ich habe euren Ansatz so verstanden, dass ihr mithilfe der Arbeitszeitrechnung einerseits eine „gerechte Bezahlung“ (Bezahlung nach Leistung) und andererseits eine Produktionssteuerung oder Produktionsplanung erreichen wollt.

    Für beides habe ich meine Bedenken angemeldet.


    Die „gerechte Bezahlung“ ist gekancelt, sobald ein Einheitslohn gezahlt wird. Auf dem Einheitslohn will ich nicht herumreiten. Falls irgendwo nach Alternativen zum Kapitalismus gesucht werden (und ich halte es für sinnvoll, auch in einzelnen Betrieben (Genossenschaften) und in einzelnen Kommunen damit zu beginnen), falls also eine Alternative zum Kapitalismus in Sicht ist und die Leute dann Einheitslohn wollen, werde ich bestimmt keinen Stress machen. Meine Erfahrung in der Industrie (Chemie, Papier, Metall) sagt mir, dass das die wenigsten Leute wollen. Diesen Punkt können wir aber aus der Diskussion streichen. ;)


    Bleibt noch die Produktionsplanung und Produktionssteuerung mittels Arbeitszeitrechnung. Natürlich ist die Zeiterfassung da ein wichtiges Element. Aber die Zeiterfassung allein reicht nicht, wenn auf der anderen Seite nur mit Durchschnittszahlen operiert wird. Die Unterschiede in der Arbeitsproduktivität existieren nicht nur zwischen verschiedenen Branchen, sondern genauso innerhalb jeder Branche und an unterschiedlichen Produktionsstandorten und sogar zwischen verschiedenen Teams von ArbeiterInnen der gleichen Firma.

    Ja, in einer nachkapitalistischen Wirtschaft geht es um die Produktivleistung der konkret nützlichen Arbeit. Es geht darum, wie viele Produkte von welcher Sorte und von welcher Qualität in der verfügbaren Arbeitszeit hergestellt werden können. Das hängt einerseits von der Arbeitszeit, andererseits von der der Qualifikation der eingesetzten Arbeitskraft und drittens von der verwendeten Technologie ab. Alle diese drei Aspekte bestimmen Größe und Qualität des Arbeitsprodukts.

    Das heißt aber, man muss/wir müssen mit der konkret nützlichen Arbeit rechnen, die vor Ort (im jeweiligen Betrieb und in der jeweiligen Kommune) vorhanden ist. Darauf wollte ich hingewiesen haben. Die konkret nützliche Arbeit besteht eben nicht nur aus der Arbeitsdauer.


    Als drittes Problem bleibt die Frage, welchen Unterschied es macht, ob die Arbeiter mit normalem Geld oder mit Arbeitszeitgeld bezahlt werden. Ich sehe da erst mal keinen Unterschied.


    In Deutschland gibt es zur Zeit 45 Millionen Erwerbstätige, aber rund 83 Millionen Einwohner. Da bleibt noch die Frage, wie ihr die 50 Prozent der Bevölkerung, die nicht aktiv arbeiten, "bezahlen" und versorgen wollt? Und: Wieso kann die Bezahlweise für diese inaktiven Bevölkerungsteile (Junge, Alte, Kranke, Unwillige) nicht auch im Grundsatz für die ganze Bevölkerung gelten - egal ob im Arbeitsprozess aktiv oder nicht aktiv?


    Gruß Wal

  • Das weitere Fass – sind Arbeitszeitkonten Geld?


    Arbeitszeitkonten oder Arbeitszettel (unter den von uns angenommenen Umständen: keine Warenproduktion, kein Privateigentum an Produktionsmitteln, kein Geld, gesllschaftliche Produktion) zirkulieren nicht. Sie können nur einmal eingelöst werden. Sie vermitteln den Austausch zwischen Gesellschaft und Individuum direkt. Keine andere Ware, kein anderer Wert, kein Geld tritt dazwischen. In der Sphäre des Produktion existieren sie gar nicht. (Ich hab's mir einfach gemacht und hautpsächlich mit Zitaten geantwortet)


    „Innerhalb der genossenschaftlichen, auf Gemeingut an den Produktionsmitteln gegründeten Gesellschaft tauschen die Produzenten ihre Produkte nicht aus; ebensowenig erscheint hier die auf Produkte verwandte Arbeit als Wert dieser Produkte, als eine von ihnen besessene sachliche Eigenschaft, da jetzt, im Gegensatz zur kapitalistischen Gesellschaft, die individuellen Arbeiten nicht mehr auf einem Umweg, sondern unmittelbar als Bestandteile der Gesamtarbeit existieren.“ (Marx, Kritik des Gothaer Programms)


    „Deshalb wurde hier [in Kapitel 2] eine grundsätzlichere Lösung vorgeschlagen, die den privaten Besitz von Arbeitsmitteln ausschließt. D.h. eine Lösung, die die Organisation der Produktion nicht mehr der Planlosigkeit und Zufälligkeit des Marktes überlässt, sondern durch einen bewusst gestalteten Plan voraussetzt, also vorausbestimmt – und deshalb ohne Geld auskommt, da kein Markt und deshalb kein Wert mehr existiert. Für die Verteilung von Gütern und Arbeit wurde eine Arbeitszeitrechnung als Mittel vorgeschlagen, um das Geld zu ersetzen – also die notwendige Arbeit als Rechen- und Planungseinheit einzuführen. Für die Verteilung individueller Konsumgüter könnte die Arbeitszeitrechnung die Form von Konten annehmen. Arbeit in einer bestimmten Dauer und Intensität ist in jeder menschlichen Gesellschaft notwendig, in der die Menschen die Bedingungen ihres Lebens und Überlebens produzieren (müssen) – hier geht es darum, diese bewusst und planmäßig einzusetzen.“ (Goodbye Kapital, 79f)



    Was sind die Voraussetzungen für Geld?

    Unabhängige Privatproduzenten, die auf dem Markt austauschen (kaufen und verkaufen) müssen, sind die Voraussetzung für Geld. Ihre Individuellen Arbeiten müssen sich als gesellschaftlich (notwendige) Arbeiten beweisen und deshalb in einem dritten Wert darstellen. Die Notwendigkeit kann erst im Nachhinein bestimmt werden.

    Diese Voraussetzungen sind bei der Arbeitszeitrechnung weggefallen. Die Arbeit ist unmittelbar gesellschaftlich, nicht erst im Nachhinein, das gesellschaftliche Verhältnis, das Geld hervorbringt, ist beseitigt. Arbeitszettel erfüllen diese Voraussetzungen der Privatproduktion für den Markt nicht, sind also keine „andere Form des Geldes“.


    Wir sehen: Statt einer Natureigenschaft ist Wert also ein gesellschaftliches Verhältnis. Es ist allerdings wichtig zu beachten, dass Arbeit nicht zwangsläufig zu Wert führen muss. Vielmehr sind es bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse, unter denen Arbeit wertbildend wird. Schließlich arbeitet unser Mediendesigner nicht als Selbstversorger, sondern in einer arbeitsteiligen Gesellschaft. Er betreibt, wie gesehen, Produktion für Andere, Privatproduktion für den Markt. Nur unter diesen Verhältnissen haben seine Arbeitsprodukte Wert, weil sie sich als Waren auf dem Markt in Geld als dem Wertmaß darstellen müssen. Und nur dann entsteht der Anschein einer Natureigenschaft.“ (Goodbye Kapital 76f)


    „[D]ie entscheidenden Verhältnisse, die Geld hervorbringen: die Arbeitsteilung unter den einzeln produzierenden Gesellschaftsmitgliedern und das darauf beruhende Privateigentum der Arbeitsmittel.“(Goodbye Kapital 61)


    „Erst wenn sich verschiedene Privateigentümer*Innen gegenüberstehen, müssen sie ihren gegenseitigen Austausch mit Hilfe des Geldes vollziehen. Erst dann ist das Geld notwendig als Pfand für die Arbeit, die diese Privateigentümer*Innen austauschen. Und erst dann ist an dieser Arbeit nur noch ihre Menge von Belang, nicht ihre besonderen Merkmale und keine allgemeinen Eigenschaften, die über die Arbeitszeit hinausgehen.

    Die Privateigentümer*Innen halten sich für voneinander unabhängig. Sie treffen ihre Entscheidungen in eigener Verantwortung. Ihre gegenseitige gesellschaftliche Abhängigkeit erscheint ihnen erst im Geld und verwirklicht sich auf dem Markt. Dabei ist Geld ein Ergebnis ihres Warentausches. Es verkörpert die für ihre Produkte aufgewendete Arbeit, soweit sie unterschiedslos als Arbeitsmenge gilt. Diese unterschiedslose Arbeitsmenge bildet die Grundlage für den Wert ihrer auszutauschenden Produkte, die Waren – Arbeit ist die Substanz des Wertes.“(Goodbye Kapital 63)


    „Wenn das Geld überwunden werden soll, muss dieser Mechanismus durch etwas anderes ersetzt werden, eben durch die bewusste Planung der Produktion und Distribution, weil nur so die blinde, nachträgliche Feststellung der Nützlichkeit der Produktion über Wert und Markt überwunden werden kann. Rationelle und nachhaltige Organisation der Produktion und Reproduktion lautet das Motto. Von diesem Standpunkt aus betrachtet ist die heutige Überproduktionskrise dann endlich eine Absurdität. “ (Goodbye Kapital 82f)



    Welche Funktionen bleiben?

    Geld hat Funktionen der gesellschaftlichen Arbeitsorganisation übernommen. Beispielsweise das Messen von (gesellschaftlich notwendiger) Arbeitszeit in der Form des Wertes.

    Natürlich vermittelt auch ein 'Arbeitsgutschein' individuell geleistete Arbeitszeit mit dem Produkt der gesellschaftlichen Gesamtarbeit. Oder zumindest einem Teil davon. Arbeitsgutscheine erfüllen damit Funktionen, die in warenproduzierenden Gesellschaften auch von Geld erfüllt werden. Deshalb sollten sie aber nicht mit Geld verwechselt werden. Das wir zum Verteilungsmodus, der in einer Phase der Umgestaltung dahinter steht, andere Ansichten haben, haben wir ja schon dokumentiert.


    „Doch auch wenn die Gesellschaft das Geld durch rationale Planung aufheben könnte; seine Funktionen als Maß der gesellschaftlichen Arbeitszeit, als Verteilungsmittel dieser Arbeitszeit und als sein Repräsentant wären nach wie vor von großem Nutzen. Statt über den Umweg Wert und Markt könnte direkt die Zeit gemessen werden, die der*die Einzelne der Gesellschaft gibt und für wie viel er*sie dementsprechend Produkte beziehen darf. Bei Aufhebung der Privatproduktion und des Marktes könnten Hilfsmittel – ähnlich den Formen des Geldes – diese Funktionen übernehmen, ohne dass sie weiterhin Geld wären, da dessen Voraussetzungen entfielen. Also: Planen und Rechnen mit Arbeitszeit – Arbeitszeitrechnung. Logisch wären Arbeitszeitkonten, auf denen geleistete Arbeit gutgeschrieben wird, für welche dann Güter und Dienstleistungen erworben werden könnten. Dabei wäre es durchaus auch möglich, mehr zu erwerben als man auf dem Konto besitzt und die Arbeitszeit nachträglich dem Konto gutzuschreiben, in etwa so wie heutzutage beim Privatkredit.

    Solche Arbeitszeitkonten hätten also ähnliche Funktionen wie das Geld: als Maß für die geleistete Arbeitszeit, als Verteilungsmittel der Arbeitsprodukte und als ihr Repräsentant. Sie beruhten auf einer ähnlichen Grundlage – der geleisteten Arbeit. Aber da die Arbeit von vornherein geplant wäre, würde die Warenproduktion und mit ihr die Grundlagen des Geldes aufgehoben sein. Die durchschnittliche notwendige Arbeitsstunde wäre die Keimzelle der ökonomischen Verfassung der neuen Gesellschaft und die Arbeitszeit wäre in gewisser Hinsicht viel wichtiger als heute. Doch in welcher Form auch immer die geleisteten Arbeitsstunden festgehalten werden – Stundenzettel, Konto oder ähnliches – diese Gutschriften stellten keinen Wert dar als Eigenschaft von Dingen wie bei dem Wert der Waren, der in Geld gemessen wird. Sie würden auch nicht zirkulieren, sondern wären ein einzulösender Anspruch, vergleichbar eher einer Konzertkarte, die nach Gebrauch verfällt.“ (Goodbye Kapital 76ff)



    Was ändert sich also?

    Arbeitszeitrechnung mit Arbeitszeitkonten sind also sowohl antikapitalistisch als auch anti-Warenproduktion, wenn man es so nennen will. Es gibt keine Waren (W), kein Geld, keinen Wert, keinen Markt. Es gibt auch keinen Arbeitsmarkt, keine Arbeitslosigkeit. Arbeitskraft ist keine Ware, wie du unterstellst. Dafür wird das Feld der Produktion demokratisch und damit ein Teil des gesellschaftlichen Lebens, der heute unter der Parole des Privateigentums grade nicht demokratisch ist. Auch wenn uns einige einreden wollen, dass dem Gemeinwohl grade dadurch geholfen werden würde. Es ändert sich also eine Menge, auch ohne direkt kommunistische Verteilung.


    „Wie gesehen ist der Wert keine Natureigenschaft der Produkte. Er entsteht durch die Arbeitsteilung unter den Gesellschaftsmitgliedern und dem darauf beruhenden Privateigentum der Arbeitsmittel. Besäße die Gesellschaft diese Arbeitsmittel, sähe die Sache anders aus. Die Gesellschaft bräuchte einen Überblick, über wie viel Arbeit sie verfügt, welche Güter und Dienstleistungen wie viel Arbeit erfordern, und sie müsste entscheiden, in welche Bereiche sie wie viel Arbeit stecken will. Die einzelnen Mitglieder würden ihre Arbeit für die Gesellschaft leisten und nicht für Privatbesitzer*Innen und erhielten ihre Konsumtionsmittel von der Gesellschaft. Beschäftigte [...] würden ihre Arbeitskraft nicht an Unternehmer*Innen verkaufen müssen. Sie würden vielmehr unmittelbar für die Gesellschaft arbeiten. Statt acht könnten sie beispielsweise sechs Stunden arbeiten, vier für ihre Bedürfnisse, eine für neue Investitionen und eine für nicht arbeitsfähige wie Kranke, Alte, Kinder etc. – doch dazu später mehr.

    Geld ist heutzutage die Verfügung über fremde Arbeit, die Arbeit anderer, und als Kapital die Aneignung von mehr Arbeit, als man bezahlt. Würde die Gesellschaft die Arbeitsmittel besitzen, könnte die Gesellschaft auch direkt über die Arbeit bestimmen. Geld als solches wäre dann weder möglich noch nötig. Es würde entfallen, ganz wie es in unserem obigen Beispiel entfallen ist, als der Textilfabrikant in seine Fabrik eine Abteilung zur Werbemittelproduktion einführte. Was in unserem obigen Beispiel nur einen einzelnen Privatproduzenten berührte, würde nun die gesamte Gesellschaft betreffen. Statt Produktion für den Austausch also Produktion für den eigenen Bedarf. Doch während unser Textilfabrikant nur eine Werbeabteilung aufbaute und ansonsten weiterhin für den Markt produzierte, würde eine Gesellschaft, die über Arbeitsmittel verfügt, gänzlich auf Marktbeziehungen verzichten können. Statt blinder Produktion für den Markt eine rationale Planung. Die produzierten Güter wären nicht zum Austausch (im Sinne von Kauf und Verkauf) bestimmt, würden keinen Wert mehr besitzen und Geld wäre überflüssig.“ (Goodbye Kapital 75f)



    Eine Anmerkung zu deinem Link 'Arbeitsgeld':

    „Und auch wenn sich Geld und Kreditformen in den letzten 150 Jahren immer wieder verändert und erweitert haben, so kann man mit Marx doch wunderbar erklären, was Geld dem Wesen der Sache nach ist und ausmacht.

    Weit spärlicher sieht das marxsche Werk aus, wenn es um die Frage geht, wie man das Geld abschaffen kann. So wie Marx sich generell zum Communismus eher bedeckt hielt, so findet sich auch beinahe nichts zur Frage der Überwindung des Geldes. Eine interessante Ausnahme bildet der Anfang der posthum veröffentlichen Grundrisse (MEW 42, S. 49 ff.). Hier kritisiert Marx zeitgenössische Arbeitszeitutopist*Innen, die die Idee vertraten, Arbeitsprodukte nicht in Geld, sondern in 'Stundenzetteln', die die benötigte Arbeitszeit repräsentieren, zu bezahlen. Die von ihm gescholtenen 'Stundenzettler' sahen im Geld den Grund allen gesellschaftlichen Übels und hatten die Hoffnung, mit diesem auch alle anderen gesellschaftlichen Probleme aus der Welt zu schaffen. Detailliert und in aller Schärfe weist Marx nach, warum es unter gegeben Umständen nicht möglich ist, Geld durch 'Stundenzettel' zu ersetzen und warum die Probleme tiefer liegen als in der Form, die der Lohn annimmt. Was aber ist, wenn wir von anderen Umständen ausgehen?

    Könnten die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht so modifiziert werden, dass die Idee, Geld durch eine gesamtgesellschaftliche Arbeitszeitrechnung zu ersetzen, eine praktikable Form ist? Wer die Grundrisse einmal aus diesem Blickwinkel liest, wird zugeben müssen, dass Marx diese Möglichkeit wohlwollend, wenn nicht gar zustimmend in Betracht zog. Dabei mag es im 19. Jahrhundert durchaus schwer gewesen sein, Arbeitszeiten zu messen. Die meiste Arbeit war damals nicht für die Gesellschaft bestimmt, sondern noch Subsistenzwirtschaft, also für den eigenen Verbrauch. In vielen Branchen, vor allem der Landwirtschaft, war es kaum möglich, zwischen Freizeit und Arbeitszeit zu unterscheiden. Anders heute, wo fast alle Arbeitsschritte in jeder Abteilung haargenau erfasst werden. Durch die allumfassende Digitalisierung, durch Stempelkarten, Barcodes und Scanner, kann für fast jedes Produkt ein aktueller Durchschnittswert der benötigten Arbeitszeit angegeben werden, mit dem die Unternehmer*Innen für die Produktion kalkulieren. Was im 19. Jahrhundert vielleicht kaum praxistauglich gewesen wäre, ist heute, auf Grundlage der digitalen Revolution, eine praktikable Möglichkeit. Die durchschnittliche Arbeitsstunde wäre Basis der gesellschaftlichen Wirtschaftsorganisation. Jede*r produziert für gesellschaftliche Bedürfnisse und kann in dem Umfang Produkte beziehen, wie er*sie an direkt gemessenen Arbeitsstunden zum gesellschaftlichen Reichtum beigetragen hat. Dieser Perspektive wollen wir mit unserem Text nachgehen, ohne dabei auszublenden, welche gesellschaftlichen Grundvoraussetzungen sich dafür ändern müssten.“ (Goodbye Kapital, Einleitung,10f)

  • Hi Wal (& alle MitleserInnen),


    hier mal ein (Zwischen?)Fazit von mir:


    Zunächst freut es uns, dass wir an diesem Ort unser Buch bewerben dürfen und es zu einer Diskussion gekommen ist. Da diese allerdings langsam auf der Stelle tritt ein Paar Anmerkungen und Fragen:


    Wenn dies hier mittlerweile über 700 Leute angeklickt + vielleicht sogar ein bisschen was gelesen haben ist das natürlich toll. Ausser Wal und BKE hat sich aber leider niemand in irgend einer Form kenntlich gemacht. Nicht einmal ein müdes LIKE oder dergleichen. Das ist natürlich schade, weil man so nicht weiss wer hier eigentlich warum liesst. Was es in der Leserschaft für Fragen gibt usw.


    Die Diskussion mit Wal hat uns zumindest eins gelehrt. Wir sollten in einer kurzen Werbedarstellung wie der obigen nicht „Geld und Arbeitszeitkonten“ in den Vordergrund stellen – wir geloben hier Besserung! Schliesslich scheint dies die Diskussion auf die eher unwesentliche Frage der Verteilung zu lenken. Oder, schlimmer noch, schwammige Fragen wie „Gerechtigkeit“ zu implizieren. In unserem Buch ist die Frage des Geldes nur Aufhänger und Ausgangspunkt, nicht der Kern. Deshalb heisst das Buch auch ganz bewusst „Goodbye Kapital“ und nicht „Goodbye Geld“. Die Frage nach dem Geld haben wir „nur“ deshalb als Ausgangspunkt genommen, weil sie im Zentrum der Massenproteste in Südeuropa stand und unseres Erachtens noch immer unbeantwortet im Raum steht.


    Zurück zur Diskussion: Sollte es tatsächlich Leute geben, die dies alles aufmerksam durchlesen, würden sie feststellen, dass wir anfangen uns zu wiederholen. Dass die Argumente den Gegenüber nicht immer auf Anhieb überzeugen ist naheliegend. Aber immer wieder die gleichen Argumente austauschen nützt auch keinem was. Eine Variante dies zu vermeiden wäre ggf. mehr Textimmanent zu diskutieren. Am meisten würde es uns natürlich freuen, wenn tatsächlich Leute unser Buch lesen und uns dann ganz konkret auf dieser Grundlage kritisieren oder auch bestätigen würden - dies wäre Plan A. (Wer die 2,99 Euro fürs eBook oder die 5,99 Euro für die gedruckte Variante nicht ausgeben will oder kann, darf sich gerne per Mail an uns wenden und könnte die entscheidenden Textstellen bekommen...)

    Nun können wir natürlich von niemandem verlangen unser Buch zu lesen. Andersherum ist es mühselig sich gegen Vorwürfe wehren zu müssen, die wir nirgends geschrieben haben und die dann nur in den Titel hineininterpretiert werden. Plan B wäre deshalb Marx Auseinandersetzung mit den „Stundenzettlern“ in den Grundrissen zu diskutieren. Wir könnte ggf eine neue Diskussion eröffnen und zunächst die entsprechenden Textstellen aus den MEW 42 angeben. Dann könnte man hier konkreter werden. Natürlich nicht in dem Sinne, dass Marx per Definition Recht hat, als ginge es um das „Alte Testament“. Eher die Frage aufwerfen, wie argumentiert Marx dort und was können wir davon heute ggf. nutzbar machen?

    Plan C wäre es zu diskutieren, warum Klimakrise und ökologischer Kollaps nur jenseits von Kapitalismus, Warenproduktion, Geld und Lohnarbeit abgewendet werden können. Auf http://www.assoziation.info haben wir einige Artikel veröffentlicht, die versuchen die Kernthese unseres Buches mit der aktuellen Diskussion über die Klimakrise zu verbinden. Der längste und grundsätzlichste (Klimakrise, Reform & Revolution) ist auch Startartikel bei trend.infopartisan.net :

    http://trend.infopartisan.net/trd0819/t260819.html


    Vielleicht können wir diesen Artikel, oder auch einen der kürzeren hier als neue Diskussion posten?


    Fragen über Fragen :)


    Chris

  • Hi Wal (& alle MitleserInnen),


    hier mal ein (Zwischen?)Fazit von mir:


    Zunächst freut es uns, dass wir an diesem Ort unser Buch bewerben dürfen und es zu einer Diskussion gekommen ist. Da diese allerdings langsam auf der Stelle tritt ein Paar Anmerkungen und Fragen:

    Hallo Chris, hallo Philip,

    Das hört sich wie Ende der Diskussion an. Das kann ich akzeptieren, aber zufriedenstellend finde ich das nicht. Viel ist bisher nicht geklärt worden. Aber ich kann nochmals positiv darauf verweisen, dass ihr euch (gezwungenermaßen?) länger auf eine Infragestellung eurer Positionen eingelassen habt, als mancher anderer Linke - und auch als manche stille Leserin/stiller Leser hier.

    Wenn dies hier mittlerweile über 700 Leute angeklickt + vielleicht sogar ein bisschen was gelesen haben ist das natürlich toll. Ausser Wal und BKE hat sich aber leider niemand in irgend einer Form kenntlich gemacht. Nicht einmal ein müdes LIKE oder dergleichen. Das ist natürlich schade, weil man so nicht weiss wer hier eigentlich warum liesst. Was es in der Leserschaft für Fragen gibt usw.

    Das System hier zählt nicht Leute, sondern Textaufrufe. Jetzt sind es 800 Aufrufe. Da dieser Diskussionsstrang bisher 16 Beiträge hatte, und man annehmen muss, dass regelmäßige Leser jeden Beitrag gelesen haben, dann ergeben sich als Minimum 50 Leser. 50 bis 75 LeserInnen ist ungefähr die Größenordnung, die mehr oder minder regelmäßig ins Marx-Forum schauen. Dazu kommen noch einmal 50 bis 75 LeserInnen, die in größeren Abständen das Forum besuchen. Aller Rest, - und der Rest kann auch 10.000 übertreffen -, kommen über Suchmaschinen, um sich zu einem bestimmten Thema zu orientieren oder zu informieren. Siehe die Hitliste in dem Unterforum "Kapitalismuskritik".


    Meine Interpretation dieser Zahlen: Hier im Marx-Forum lesen mehr "normale" Lohnarbeiter als radikale Linke.

    Mein Ziel ist, mit dem Marx-Forum ein Lesepublikum (noch besser: Diskussionsteilnehmer) über den engen Kreis der radikalen Linken zu erreichen. Ich denke, die Zahlen deuten daraufhin, dass ich das mindestens im Ansatz erreiche.

    Das "Publikum" sollte euch aber weniger interessieren als die Sachargumente, mit denen ihr hier konfrontiert wurdet.

    Die Diskussion mit Wal hat uns zumindest eins gelehrt. Wir sollten in einer kurzen Werbedarstellung wie der obigen nicht „Geld und Arbeitszeitkonten“ in den Vordergrund stellen – wir geloben hier Besserung! Schliesslich scheint dies die Diskussion auf die eher unwesentliche Frage der Verteilung zu lenken. Oder, schlimmer noch, schwammige Fragen wie „Gerechtigkeit“ zu implizieren. In unserem Buch ist die Frage des Geldes nur Aufhänger und Ausgangspunkt, nicht der Kern. Deshalb heisst das Buch auch ganz bewusst „Goodbye Kapital“ und nicht „Goodbye Geld“. Die Frage nach dem Geld haben wir „nur“ deshalb als Ausgangspunkt genommen, weil sie im Zentrum der Massenproteste in Südeuropa stand und unseres Erachtens noch immer unbeantwortet im Raum steht.

    Euer Titel gibt auch gut die Differenz wieder, die in der Diskussion hier zu Tage trat. Ihr wollt vor allem das Kapital loswerden. Ich und "echte" Kommunisten wollen vor allem die Lohnarbeit loswerden. Das macht durchaus einen Unterschied. Selbst wenn klar ist, das das eine nicht ohne das andere möglich ist, macht das einen Unterschied. Der Unterschied besteht darin, wo jemand die revolutionären Hebel ansetzen will und wen man für diese ökonomische Revolution gewinnen will und gewinnen kann. (Siehe dazu den Dokumentenanhang)

    Andersherum ist es mühselig sich gegen Vorwürfe wehren zu müssen, die wir nirgends geschrieben haben und die dann nur in den Titel hineininterpretiert werden. Plan B wäre deshalb Marx Auseinandersetzung mit den „Stundenzettlern“ in den Grundrissen zu diskutieren. Wir könnte ggf eine neue Diskussion eröffnen und zunächst die entsprechenden Textstellen aus den MEW 42 angeben. Dann könnte man hier konkreter werden.

    Die Worte "Vorwürfe" und "sich wehren müssen" lese ich nicht gerne. Aber sei's drum. Ich war bemüht, sehr konkret und auf unsere heutigen Verhältnisse bezogen zu diskutieren. Wie wir "konkreter werden", wenn wir Marx-Texte diskutieren, erschließt sich mir nicht. Aber natürlich weiche ich auch dieser Diskussion nicht aus. Wenn ihr das startet, dann öffnet bitte einen neuen Thread.

    Plan C wäre es zu diskutieren, warum Klimakrise und ökologischer Kollaps nur jenseits von Kapitalismus, Warenproduktion, Geld und Lohnarbeit abgewendet werden können. Auf http://www.assoziation.info haben wir einige Artikel veröffentlicht, die versuchen die Kernthese unseres Buches mit der aktuellen Diskussion über die Klimakrise zu verbinden. Der längste und grundsätzlichste (Klimakrise, Reform & Revolution) ist auch Startartikel bei trend.infopartisan.net :

    http://trend.infopartisan.net/trd0819/t260819.html


    Vielleicht können wir diesen Artikel, oder auch einen der kürzeren hier als neue Diskussion posten?

    Chris

    Zur kapitalistischen Naturzerstörung steht schon einiges hier im Marx-Forum. Euren Text habe ich auf Trend-Online überflogen. Trend-online ist so etwas wie ein Schwarzes Brett, wo Texte aufgehängt werden, die auch irgendwo sonst stehen. Das Marx-Forum ist kein Schwarzes Brett, sondern ein Diskussionsforum. Ich darf also mindestens erwarten, dass hier nur originale Texte stehen, keine Kopien von Texten irgendwo im Netz. (Manchmal nehme ich mir das Recht, interessante Texte von anderen hierher zu kopieren. Ich möchte mir dieses Recht vorbehalten.)

    Also meine Bitte an Euch: Ihr könnt hier posten was und wie ihr wollt, aber bitte als selbständigen Originaltext, der genügend Inhalt enthält, dass er als Diskussionsangebot taugt. Noch schöner fände ich, wenn ihr die Gedanken die sich die Leute im Marx-Forum zur Umweltzerstörung gemacht haben, mal anseht und aus eurer Perspektive kommentiert und kritisiert.

    Eure Text können natürlich Links zu euren anderen Texten enthalten. Aber die Kenntnis fremder Texte kann und darf hier nicht Voraussetzung der Diskussion hier im Marx-Forum sein. Das gilt für Marx und auch für assoziation.info. ;)


    Ich denke, das sind faire Bedingungen oder?


    Gruß Wal


    Anhang:
    “... die ökonomische Unterwerfung des Arbeiters unter den Aneigner der Arbeitsmittel (liegt) ... der Knechtschaft in allen ihren Formen zugrunde ... – allem gesellschaftlichem Elend, aller geistigen Verkümmerung und politischen Abhängigkeit;“ (Statuten der IAA, MEW 16, 14)


    „Die deutsche Arbeiterpartei erstrebt die Abschaffung der Lohnarbeit und damit der Klassenunterschiede vermittelst Durchführung der genossenschaftlichen Produktion in Industrie und Ackerbau auf nationalem Maßstab.“ F. Engels an Bebel (1875), MEW 19, 6.


    „Die Aufgabe des Sozialismus ... ist vielmehr nur die Übertragung der Produktionsmittel an die Produzenten als Gemeinbesitz. ... Der Sozialismus richtet sich ganz speziell gegen die Ausbeutung der Lohnarbeit.“ F. Engels, Bauernfrage, MEW 22, 493.

  • Hi Wal,


    mit Deinem letzten Post machst Du für uns noch einmal ziemlich klar, warum die Diskussion hier zunächst stecken geblieben ist und nur auf anderer Grundlage produktiv weiter gearbeitetwerden könnte (siehe die Varianten A, B und C). Ich hatte bemängelt, dass wir uns hier gegen Vorwürfe wehren müssen und du antwortest "Die Worte 'Vorwürfe' und 'sich wehren müssen' lese ich nicht gerne."


    Verständlich, dass ein Forumsbetreiber diese Worte nicht gerne liest. Aber es gibt schlimmeres als die Worte "Vorwürfe" und "sich wehren müssen". Beispielsweise die Wirklichkeit dieser Vorwürfe ;)


    Es ist etwas ermüdend, wiederholen zu müssen, dass es in unserem Buch nicht um die vollendete kommunistische Gesellschaft geht, sondern um einen ersten Schritt, dass es nicht um leistungs-gerechte Bezahlung geht, dass es überhaupt nicht um Lohn, Geld und Kapital geht (sondern assoziierte Produktion), dass eine bedarfsgerechte Produktion ohne Arbeitszeitrechnung nicht möglich ist, dass gesamtgesellschaftliche Arbeitszeitrechnung von Verteilung nach "Stundenzettel" unterschieden werden muss, dass wir keinen Akkordlohn wollen, wenn wir Leistung nach Arbeitszeit messen, dass wir statt auf bürokratische Herrschaft mit penibler, kleinlicher Gängelung der Produzenten auf Demokratie setzen und ähnliches mehr. Da ist es dann nicht mehr so schlimm, sich gegen den Vorwurf wehren zu müssen, die Worte "Vorwürfe" und "sich wehren müssen" zu gebrauchen.


    Aber trotzdem vielen Dank für die Möglichkeit auf deinem Forum über unser Buch berichten zu dürfen. Für uns ist die Diskussion zwar nicht besonders "vorangekommen", aber es wurde trotzdem "viel geklärt". Z.B. hättest du uns viele Vorwürfe ersparen können, wenn du dich wenigstens mal in das Inhaltsverzeichnis des Buches vertieft hättest oder den Klappentext zur Kenntnis genommen hättest. "Vorangekommen" sind wir insofern, dass du zumindest am Schluss den Titel wahrgenommen hast. Und es gelang uns, zwei Erkenntnisse so tief zu verankern, dass du sie schon für deine eigenen hältst: nämlich dass die Arbeitszeitberechnung doch nicht zu aufwendig ist und dass sich die Arbeitsproduktivität auf die konkret-nützliche Seite der Arbeit bezieht. Lieber wäre uns aber eine Diskussion über die Inhalte des Buches gewesen, als solche fundamentalen Grundfragen der Ökonomie zu lösen. Selbst ausführliche Zitate halfen da nicht weiter. Ein weiteres Vorankommen könnte am Ende darauf hinauslaufen, dass das gesamte Buch in Zitatform auf deinem Forum steht, vermutlich trotzdem ohne größere Kenntnisnahme seiner Inhalte.


    Gelernt haben wir auch, dass 'echte' Kommunisten "vor allem die Lohnarbeit loswerden“ wollen. Wie das gehen soll ohne die Aufhebung des Kapitalverhältnisses, ist uns aber nicht ganz so klar. Wem Marx "Kapital“ am Herzen liegt, müsste doch wenigstens darüber nachdenken, warum dieses Hauptwerk, welches vom Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital handelt, nach dem letzteren als übergreifendem Moment benannt ist? In unserem Buch geht es gerade darum, dass man nicht über Geld oder 'die Macht des Geldes' reden kann, ohne diese Grundlage zu klären. Nehmen wir beispielsweise diese Stelle:


    „Letztendlich dient das Geld dazu, die gesellschaftliche Arbeit zu verteilen: Es dient dazu, die Produkte der Arbeit, die Arbeitskräfte und die gesellschaftliche Arbeit in Form von Produktionsmitteln auf die verschiedenen Branchen zu verteilen. Es bestimmt letztendlich, wer wie viel und was arbeiten muss. Worauf aber beruht diese Macht über die Arbeit? Auf dem Besitz der Arbeitsmittel. Besäße der Anzüge produzierende Unternehmer nicht die Maschinen, um die Anzüge herzustellen, müssten die Arbeiter*Innen, die sie bedienen, ihre Arbeitskraft nicht an ihn verkaufen, um mittels Arbeit Geld für ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Wer diese Mittel zur Produktion der Produkte und Dienstleistungen besitzt, verfügt über die Macht, sich mehr Arbeit anzueignen als sie*er ausgibt. Dadurch kann sie*er ihr*sein Geld vermehren, ohne dass es sich entwertet. Und damit wächst ihre*seine gesellschaftliche Macht.


    Die Ursache für die Verkehrung, dass die Gesellschaft dem Geld dient statt umgekehrt das Geld der Gesellschaft, liegt im Wesen des Geldes, welches wieder im Privatbesitz der Arbeitsmittel wurzelt. Dies macht das Wesen unserer heutigen Gesellschaft aus. Die Verselbständigung des Geldes ist in seiner Entstehung angelegt. Nicht die Gesellschaft oder die unmittelbaren Produzent*Innen entscheiden nach den gesellschaftlichen Bedürfnissen, wer wie viel für was arbeitet, sondern die Privatbesitzer*Innen der Arbeitsmittel nach ihrem durch den Markt erzeugten Zwang, mehr Arbeit anzueignen als aufzuwenden. Es kann nicht gelingen, das Geld zu bändigen und auf seine ersten beiden Funktionen zurechtzustutzen. Denn schon im direkten Tausch – Anzug gegen Werbeprospekte [ein länger währendes Beispiel im Buch] – ganz ohne Vermittlung von Geld – trat je ein Produkt zeitweise in der Rolle des Geldes auf. Hinter dem Geld steht der Wert, die Arbeitsteilung unter den Gesellschaftsmitgliedern und das darauf beruhende Privateigentum der Arbeitsmittel mit dem Zwang zum Austausch auf dem Markt. Geld ist eine notwendige Folge des Privatbesitzes der Arbeitsmittel.“


    Es gilt: Wer Kapital sagt, hat auch schon Lohnarbeit gesagt und viceversa. Mankann das eine schlecht ohne das andere aufheben und der Hebel kann so oder so nur sein, die Produktionsmittel zu vergesellschaften und nach Plan zu produzieren.


    Wenn wir nun unser Buch „Goodbye Kapital“ nennen, ist dies tatsächlich kein Zufall, schließlich ist das Kapital die Einheit von Produktions- und Zirkulationsprozess, „die alles beherrschende ökonomische Macht der bürgerlichen Gesellschaft“ (Marx in der Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie).


    Solche und ähnliche Fragen wären eindeutiginteressante Themen für Forumsdiskussionen, aber wir sind uns nicht sicher, ob man da mehr "vorankommt" und "viel geklärt wird". :/


    So far

    Chris

  • Hallo Chris,

    ihr wollt "eure" Themen diskutieren, ich "meine" Themen. Das ist ganz normal.

    Ihr konntet "eure" Themen hier vorstellen und ich hoffe, ihr habt meine Anmerkungen und meine Kritik nicht persönlich genommen.

    Die Leser haben jedenfalls zwei Aspekte der Sache kennengelernt, und gut ist.


    Ihr könnt natürlich weiter "eure" Themen vorstellen, aber - wie gesagt - als Originalbeitrag. Und ich - oder andere - werden dann ihren Senf dazugeben. So läuft das hier.

    Gruß Wal



  • „Wie gesehen ist der Wert keine Natureigenschaft der Produkte. Er entsteht durch die Arbeitsteilung unter den Gesellschaftsmitgliedern und dem darauf beruhenden Privateigentum der Arbeitsmittel. Besäße die Gesellschaft diese Arbeitsmittel, sähe die Sache anders aus. ..."


    Ist das so? Es steht außer Zweifel, dass es Warentausch nur bei arbeitsteiliger Gesellschaft gibt und die Arbeitsteilung in nachkapitalistischer Gesellschaft zwingend ist. Arbeitsteilung gibt es also auch unter unter Bedingungen zerschlagenen Privateigentums an den relevanten Produktionsmitteln und damit - gebt mir ne Kopfnuss wenns falsch ist - die Option der Warenproduktion. Entscheidende Motivation der Beendigung der kapitalistischen Grundlage ist für die unter Ausbeutung leidenden Lohnarbeiter die Abschöpfung von Teilen ihrer Leistung zu beenden. Nicht jedoch ihre Möglichkeiten zur fleißigen Arbeit zur Steigerung von Wohlstand und Anerkennung.


    Fortan werden werden bestimmte Bedarfe der gesellschaftlichen Distrikte sicher tauschfrei erbracht, sofern das aber nicht möglich ist, wird weiterhin auf Markt eingetauscht. Der Wert der Waren bleibt gesellschaftliches Maß und somit können die sozialistischen Produzenten ihn nicht bestimmen. Aber das ist auch gut so, denn dadurch regeln sich ähnlich des Kapitalismus diverse Dinge von allein.


    Es muss natürlich Geld geben. Mit Arbeitszetteln kann man nicht global tauschen und ohne die Speicherfunktion des Geldes lassen sich größere Ansparungen nicht tätigen. Alle 3 wichtigen Funktionen des Geldes müssen erfüllt sein (Tauschmittel, Speicher, Maß). Die Qualität des Geldsystems muss sich aber erhöhen, demokratische Kontrolle gegeben sein. Die Form des Geldes ist egal, bestimmte höhere Sicherheitsanforderungen wären allgemein sicher begehrt. Zum Beispiel, dass man es nicht stehlen kann. ||


    Die demokratisch organisierte gesellschaftliche Verwaltung muss für Rahmenbedingungen sorgen, die einen Mißbrauch und Rückfall der Benutzung von Geld als Kapital verhindert.


    Ich gehe davon aus, dass sich aus den ersten Tapsen der sozialistischen Etablierung schrittweise das Prinzip des Gebens aller Fähigkeiten und Nehmen des Bedarfes im ausgeglichenen Maß entwickelt. Irgendwann im Kommunismus wird sich derjenige zu Tode schämen, der sich über eigenes Schmarotzertum bewusst wird. Und sollten tatsächlich diejenigen Kritiker kommunistischer Ideen recht behalten, die in Charakter und Psyche des Menschen natürlichen Feind kommunistischer Gemeinsamkeit sehen, dann halte ich entgegen, dass sich die zukünftige Gesellschaft gegen materiellen Missbrauch Einzelner sicher zu wehren weiß.

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