Zur Vorgeschichte des katalanischen Nationalismus

  • Nationalstaaten sind Gebilde, die durch Gewalt gebildet und geformt wurden - sowohl durch interne Gewalt in einem Bürgerkrieg als auch durch Krieg nach Außen. Traditionsgemäß lehnen viele Linke erfolgreiche Nationalstaaten wie die USA, Deutschland, China, Israel usw. ab und verehren "Verlierernationen" wie die Iren, Basken, Palästinenser, Tibeter, Indigene in Südamerika usw. Wieso eigentlich? Wollen denn Verlierernationen etwas anderes als die Siegernationen? Wollen Verlierernationen nicht auch einen "Platz an der Sonne" der staatlichen Gewaltapparate?


    Bevor ich zu Spanien und Katalonien komme, schaue ich erst auf zwei "Siegernationen" - USA und Deutschland:


    Amerikanische Staatsnation
    Ihre Unabhängigkeit von Großbritannien erreichten die weißen und männlichen Amerikaner teils durch zivilen Ungehorsam (Steuerverweigerung, Handelsboykott) , teils durch einen bewaffneten Unabhängigkeitskrieg. Die Amerikaner schufen sich ihren eigenen Staat, aber eine gemeinsame "Nation" wurden sie durch die Ausrufung der Unabhängigkeit (4. Juli 1776) längst nicht.

    Der Völkermord an den Indianern wurde nun erst in großem Stil organisiert. Die schwarzen Sklaven waren ebenso wenig Teil der amerikanischen Staatsnation wie die Frauen. Hinzu kam: Schon vor 1800 begannen Konflikte mit den Weißen in den Südstaaten, die die staatliche Autorität des Nordens in Frage stellten. Das Gewaltmonopol des US-Staates über das gesamte US-Territorium wurde erst durch den Sieg der entwickelteren kapitalistischen Nordstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg über den agrarisch-feudalen rückständigen Süden (1861-65) sichergestellt.

    Der amerikanische Nationalstaat war das Produkt einer gewaltsamen Eroberung - der Eroberung des rückständigen Westens wie des rückständigen Südens. Die besiegten Südstaatler akzeptierten diese gewaltsame Nationenbildung aber erst nach dem gemeinsamen Sieg der USA über Spanien (1898), der ihnen reiche, gemeinsame Beute bescherte: Kuba, Puerto Rico, Guam, später auch die Philippinen.

    Deutsche Staatsnation
    Dieselben Stationen sind auch bei der Bildung des deutschen Nationalstaates feststellbar: Zuerst eine erfolgreiche Unabhängigkeitsbewegung gegen die "französische Fremdherrschaft" unter Napoleon.
    Nächste Station: ein blutiger innerdeutscher Krieg (1866) Nord (Preußen, Rheinlande etc.) gegen Süd (Bayern, Baden etc), bei dem der entwickeltere Norden gewann.

    Die unterlegenen Süddeutschen akzeptierten die "Preußenherrschaft" jedoch erst nach dem gemeinsamen und erfolgreichen Krieg nach Außen, dem Sieg über Frankreich (1871) - die dritte Station der Nationenbildung.

    In Deutschland wie in den USA siegte der industrialisierte Norden in einem blutigen Bürgerkrieg gegen den agrarischen Süden.

    In Deutschland wie in den USA akzeptierte der unterlegene Süden die gewaltsame Nationenbildung erst, nachdem die vereinte Nation externe Kriege siegreich bestand und Beute für alle abfiel.

    Spanische Staatsnation
    In Spanien lief alles anders. Zwar war Spanien über Jahrunderte ein ähnlicher politischer Flickenteppich wie Deutschland im 19. Jahrhundert, zwar gab es auch jahrhundertelang Unabhängigkeitskriege gegen die Araber, die Franken und die Franzosen, aber die einzelnen spanischen Landschaften und Völkerschaften kämpften in diesen Kriegen häufiger gegeneinander als gemeinsam.

    Jedem der spanischen Unabhängigkeitskriege folgte notwendig ein interner spanischer Krieg. In diesen internen Kriegen siegte jedoch nicht der entwickeltere, kapitalistische Norden (Baskenland und Katalonien), sondern der feudal-agrarisch geprägte Süden. Das hatte schlimme Folgen für den spanischen Nationalstolz.

    In Deutschland und den USA wurden die innerstaatlichen Animositäten zwischen einzelnen Landschaften und Wirtschaftsregionen (Preußen und Bayern, Yankees und Südstaatler) durch einen erfolgreichen Krieg nach Außen beruhigt und befriedet.

    In Spanien folgte der internen Demütigung von Nordspanien (Unterwerfung von Katalonien und Baskenland durch die Kastilier) noch die externe Demütigung Gesamt-Spaniens: Dem Sieg des feudalen Kastiliens über das entwickeltere Nordspanien folgte das "Desaster" Spaniens, die Niederlage im amerikanisch-spanischen Krieg und damit der Verlust des spanischen Weltreichs im Jahr 1898.


    Man kann die Geburtsstunde sowohl des katalanischen Nationalismus (mit dem Zentrum Barcelona) wie des baskischen Nationalismus ziemlich genau auf das Jahr des spanischen Desasters (1898) datieren.  Bis dahin war der nationalistische Separatismus im Baskenland und in Katalonien eine antiquierte Idee sektenhafter Gelehrten. Seit dem Verlust der spanischen Weltgeltung wurde der der baskische und katalonische Separatismus zu einer populären Bewegung.


    Solange das spanische Weltreich bestand, waren Katalanen und Basken treue Diener dieses Reichs. Sie waren seine tapfersten Krieger und mutigsten Seefahrer und hatten ihre materiellen Vorteile davon. Es schmerzte sie jedoch einem rückständigen und gedemütigten Staat dienen zu müssen. Katalanen und Basken entdeckten in Masse, dass sie eigentlich etwas Besseres sind und jedenfalls anders als die Spanier. Der katalonische wie der baskische Nationalismus lebt von der Verachtung Spaniens und der Spanier.

    Basken wie Katalanen präsentieren sich gerne als weltoffen und interkulturell. Hinter diesem internationalistischem Emoji verbergen sie einen rassistischen Hass auf Spanier und auf alles Spanische.


    (Der Text stammt mit wenigen Ergänzungen aus meinem Reisebericht von 2005)

     

    Wal Buchenberg


    Siehe auch:

    Spanischer und katalanischer Nationalismus

  • Was du ansprichst, ist eine Nebenbemerkung in der Einleitung zum Thema. Das Thema heißt aber: Vorgeschichte des katalanischen Nationalismus. Dazu hast du nichts beizutragen?

    Statt über das Thema willst du über den Begriff "Linke" diskutieren?

    Ich erfinde die Sprache nicht neu. Was "links" heißt, kannst du im Duden oder bei Wikipedia nachlesen.


    Deine Frage "Wieso verehren diese Linken Verlierernationen?" kann ich nicht beantworten. Ich habe eine Tatsache beobachtet und mein Unverständnis darüber ausgedrückt.


    ?(

  • Der Rückzug Großbritanniens aus der EU, die Wahl eines chaotischen Egomanen zum US-Präsidenten, die Wahl von 6 Parteien In den deutschen Bundestag (in Deutschland sind selbst Krisensymtome kleinkariert), und das wahrscheinliche Auseinanderbrechen des spanischen Staates eint ein Zusammenhang: die chronische wirtschaftliche und soziale Krise der kapitalistischen Kernzone.

    Unsere Machthaber sind verunsichert und ratlos. Streit und Konkurrenz in den Etagen der Macht nimmt zu, weil die wirtschaftlichen und politischen Eliten keine gemeinsame Strategie für die kommenden mageren und unruhigen Jahre haben. Auch die emanzipatorischen Kräfte stecken noch in einer Schockstarre.

    Was in Katalonien abgeht, hat wenig mit sozialer Emanzipation, aber viel mit staatlichen Machtpositionen und dem Zugriff auf die Steuermilliarden zu tun.

    Trotzdem können wir positiv aus der katalanischen Bewegung lernen, dass ein Volksentscheid auch gegen den Willen der Zentralmacht durchgesetzt werden kann. Das wird Schule machen. Das werden wir und andere uns zum Vorbild nehmen - dann aber für sinnvollere Zwecke als nur die "Unabhängigkeit und Freiheit" von Spanien!

    Gruß Wal Buchenberg

  • Der amtierenden Regierungschef von Katalonien und Vorkämpfer der Unabhängigkeitsbewegung, Puigdemont, vertritt eine Politik, die in Deutschland zwischen CDU und FDP angesiedelt wäre. Das hält viele Linke in Katalonien nicht ab, sich zum Steigbügelhalter dieses neuen „Caudillo“ zu machen.


    Diese Linken bestimmen weder Richtung noch Tempo der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung, behaupten aber tapfer, dass es in dieser Bewegung um linke Inhalte ginge.

    Sergi Perello, katalanischer linker Gewerkschafter, meint: „Viele Menschen haben verstanden, dass Unabhängigkeit Demokratie bedeutet, während der Verbleib im Königreich Spanien heißen würde, in einem Land mit wenigen sozialen Rechten und einem skandalösen Ausmaß der Korruption der oligarchischen Eliten zu leben.“


    Das hat die aktuelle katalanische Bewegung mit vielen anderen nationalistischen Bewegungen gemein: Einer rein formellen Staatsgründung (andere Grenzen, andere Fahne, andere Hauptstadt, zusätzliche Soldaten, zusätzliche Beamte, zusätzliche Pfründe) wird ein sozialer Inhalt untergeschoben: "mehr Demokratie, mehr soziale Rechte, keine Korruption, keine oligarchischen Eliten".


    Ich denke, das sind teils Illusionen, teils Lügen. Solche Linken sind das Feigenblatt einer nationalistischen, egoistischen Bewegung.

    Eine wirkliche Emanzipationsbewegung tritt nicht für "mehr Demokratie“ und „mehr soziale Rechte“ in einem regional begrenzten Raum, sondern im ganzen Land (für alle Menschen) ein.

    Es gibt wohl historische Situationen, in denen eine soziale Emanzipationsbewegung ihre universellen Forderungen auf einem begrenzten Raum als ersten, vorläufigen Schritt verwirklichen kann. Selbst dann verzichtet keine Emanzipationsbewegung auf ihren universellen Anspruch.

    Wer für „mehr Demokratie“ und „mehr soziale Rechte“ in und nur in Katalonien eintritt, der erweist allen fortschrittlichen Bewegungen in anderen Teilen Spaniens - und nicht nur dort - einen Bärendienst.

    So jemanden kann ich nicht ernst nehmen.


    Gruß Wal Buchenberg

  • Die Tagesschau vermeldet heute: "Mit größter Spannung erwarten Beobachter die Rede des Chefs der katalanischen Regionalregierung, Puigdemont - wird er die Unabhängigkeit proklamieren?"


    Soviel zum Thema "Mehr Demokratie in Katalonien". Ein einzelner "Strongman" gibt Tempo und Richtung vor - ohne vorherige breite und öffentliche Debatte.

  • Rede des Straßenhäuptlings von Barcelona:

    „Mitkataninnen und Mitkatanen! Spanische Gangster vom Nachbarbezirk zocken uns ab, behindern uns und haben uns verprügelt! Das gibt uns das Recht, eine rivalisierende Straßengang zu gründen. Die Konstituierung unserer Katanengang schiebe ich noch auf. Vielleicht ist mit den spanischen Gangstern noch ein Schacher möglich, der die Straßenrechte und die Beute für uns verbessert.“


    Eine chinesische Parabel erzählt von einem wohlhabenden Mann, der in den Staat Zhu reisen wollte. Unterwegs fragte er einen Bauern nach dem Weg. Der sagte: nan yuan – bei zhe. „Dein Ziel liegt im Süden, du fährst nach Norden“. Macht nichts, antwortete der Mann, ich habe eine gefüllte Reisekasse und gute Pferde, und fuhr weiter. Irgendwann werde ich dort ankommen.

    Die linken Unterstützer der Katalanenbewegung sagen: wir wollen mehr Demokratie, mehr soziale Rechte usw. Puigdemont und andere Führer der Bewegung fahren aber in eine ganz andere Richtung.

    Macht nichts, sagen die Unterstützer, wir sind ja eine starke Bewegung!


  • Der katalanische Regierungschef Puigdemont meinte in seiner „Unabhängigkeitserklärung“: „Katalonien ist eine europäische Angelegenheit“.

    Die Regierungen in Europa und die europäischen Behörden verweigerten zwar den Katalanen die erhoffte Vermittlerrolle, trotzdem spielt Europa eine bedeutende Rolle in den aktuellen Separationsbewegungen. Die Katalanen, die Schotten, die Flamen und Norditaliener verstehen sich alle als „gute Europäer“. Ihr „linker Nationalismus“ gibt sich international und proeuropäisch, anders als die Brexit-Anhänger und rechte Nationalisten.

    In den Vorstellungen des „linken Nationalismus“ spielt die EU eine doppelte Rolle:

    „Wer in Europa kein Mitgliedsstaat ist, ist ein Nobody“, meinte der katalanischer Nationalist Huguet i Biosca. Steigt eine Region zum EU-Mitglied auf, vervielfältigt sich automatisch ihr politischer Einfluss.

    Auf der anderen Seite reduzierte die EU die wirtschaftlichen und politischen Risiken einer Sezession: Die neue Regierung benötigt keine neue Währung. Kleine wie große Mitgliedsstaaten gehören alle zu einer großen gemeinsamen Währungs- und Wirtschaftsregion. In dieser Wirtschaftsregion ist die gewohnte kapitalistische Staatenkonkurrenz so weit gedämpft und reglementiert, dass ein kleiner Staat keine Militärintervention seiner großen Nachbarn zu fürchten hat.

    Die bloße Existenz der EU hat die Risiken und Kosten einer neuen Staatsgründung gesenkt, und die politischen Überlebenschancen der Kleinstaaten gestärkt. (Umgekehrt erhöhten sich gleichzeitig die Risiken und Kosten eines Austritts aus der Eurozone oder der EU.)

    Es gibt für neue Kleinsstaaten in der EU zu gesenkten Kosten und Risiken mehr zu gewinnen als vor der Existenz der EU.

    Ich denke, die treibende Kraft der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung ist das Streben nach mehr (Staats)Macht, nicht nach sozialer Emanzipation.

  • Was andere Linke meinen:


    Raul Zelik ergreift offen Partei für einen separaten Staat Katalonien.

    Sein Hauptargument: Es machen viele mit. „Nirgends sonst in Europa gibt es ein vergleichbares Angebot demokratischer Massenbeteiligung.“


    Tomasz Koniz sieht eine bedenkliche Querfrontstrategie darin, dass sich (fast) überall die reichen Regionen von den armen distanzieren wollen:

    „Mit der forcierten Rückbesinnung auf nationale oder ethnische Identitäten, die ohnehin einen krisenbedingten Wandel erfahren, wird letztendlich ein Festhalten am Gegebenen intendiert, an den sozialen Strukturen, die eben diese Identitäten ausformen.

    Die eigene Identität - die ja ohnehin ein Produkt der sich wandelnden Sozialisation ist - wird als eine unveränderliche, rassisch oder kulturell bedingte Eigenschaft des Subjekts imaginiert. Sie erscheint als ein Anker, als ein Orientierungspunkt in einer von chaotischen Umbrüchen verheerten Welt. Die Identität erscheint in der Krise somit als etwas, das kein Umbruch, das kein sozialer Wandel dem Subjekt nehmen kann.

    Und gerade dies ist die größte Lüge des europäischen Neonationalismus, wie ein Blick auf die Wandlungen allein der deutschen Identität offenbart. Obwohl die Neue Rechte zurück in die Vergangenheit will, leistet sie somit objektiv der drohenden krisenbedingten Barbarisierung Vorschub.“


    (Wer es noch nicht gemerkt hat: Ich teile eher die antinationale Skepsis von Koniz als die Massenbegeisterung von Zelik.)


    Gruß Wal

  • Auch das ist treffend:

    "Zugegeben, der civic nationalism der Katalanen hat, wie jener der Schotten, seinen Charme. Er entbehrt der Fremdenfeindlichkeit, gibt sich integrativ, urban, linksliberal bis sozialdemokratisch, schreibt sich geschickt in die historische Genealogie des Widerstands des republikanischen Barcelona gegen Francos Spanien ein, fordert die denkbar fortschrittlichste Flüchtlingspolitik und ist gegen den Stierkampf. Eine linke Wellnessoase innerhalb eines retardierten Staats mit seiner neoliberalen, auf den Sezessionsversuch autoritär reagierenden Regierung, die zudem nach wie vor der Modergeruch des Klerikalfaschismus umweht."

    Richard Schuberth in Jungle World

  • Viele meinen ja der Konflikt wäre durch das repressive Vorgehen der Zentralregierung des Spanischen Staates angeheizt worden und eine Verhandlungslösung über mehr Autonomie Kataloniens hätte dem Separatismus den Wind aus den Segeln nehmen können. Ich bin dahingehend kein Experte der spanischen Verhältnisse aber da könnte was dran sein. Ich kann die Katalenen, sofern sie z.B. mehr kommunale Selbstbestimmung fordern und sich dies nun nationalistisch auflädt, irgendwo verstehen. Andererseits ist es, wie du ja schreibst Wal, problematisch, wenn sich die Forderung eines Kommunalismus regionalistisch abschottet und keine (inter-)nationale Perspektive aufzeigt und sich daraus speist einfach nur den inter-regionalen Finanzausgleich abzulehnen. Das wirft die Frage auf ob Kommunalisierung und Demokratisierung nicht zentraler (staatlicher?) Institutionen bedarf um das Lebensniveau der Kommunen anzugleichen. Nationalismus ist hierbei augenscheinlich nicht förderlich um eine entsprechende inter-kommunale Kooperation herzustellen. Jedenfalls wenn es um die Emanzipation aller Menschen gehen soll und nicht um ein verengtes, identitäres Kulturverständnis.

  • @Wal. Im Karl Marx-Lexikon des Forums gibt es ein Zitat von Engels aus einer Sitzungsrede der IAA, wo es von ihm heißt:


    "Da ist die Tatsache einer sieben Jahrhunderte langen englischen Eroberung und Unterdrückung Irlands, und so lange diese Unterdrückung existiert, ist es eine Verhöhnung der irischen Arbeiter, von ihnen zu fordern, sich einem britischen sozialistischen Föderalrat zu unterwerfen. ...


    Wenn Mitglieder der Internationale, die einer erobernden Nation angehören, die Nation, die erobert worden ist und weiterhin unterdrückt wird, auffordern, ihre spezifische Nationalität und Lage zu vergessen, nationale Differenzen beizulegen usf., so ist das kein Internationalismus, sondern nichts weiter als ihnen Unterwerfung unter das Joch zu predigen, und ein Versuch, die Herrschaft des Eroberers unter dem Deckmantel des Internationalismus zu rechtfertigen und zu verewigen. ...


    In einem Falle wie dem der Iren muss wahrer Internationalismus notwendigerweise auf einer selbständigen nationalen Organisation begründet sein (auch wenn sie britische Untertanen sind wie englische Arbeiter); die Iren sowohl als andere unterdrückte Nationalitäten können nur als gleichberechtigt mit den Vertretern der erobernden Nation ... eintreten. ...


    In einem Falle wie den Iren (die gegen ihren Willen britische Staatsbürger waren) muss wahrer Internationalismus notwendigerweise auf einer selbständigen nationalen Organisation begründet sein." (F. Engels, Rede auf der Sitzung des Generalrats der IAA, MEW 18, 79f.)


    Viele Linke nehmen solche Worte wohl zum Anlass um dafür die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens oder anderer Regionen/Nationen für gut und richtig zu befinden. Ich bin mir dahingehend unschlüssig. Einige mögen nun sagen: "Ja, gut, aber die Situation des damaligen Irland mit dem heutigen Katalonien zu vergleichen ist schon famos". Die Katalanen selbst sehen das vermutlich aber anders.

  • Ist denn Katalonien 700 Jahre lang von Spanien erobert und unterdrückt worden?Wie fing es denn an dort?


    Bayern z.B. fühlt sich heutzutage ja auch "unterdrückt" vor allem in Fragen des Länderfinanzausgleichs (wie sie sich ähneln). War Bayern aber nicht selbst einmal Nehmerland? Also erst Kleine Almkapitalisten, dann mit Hilfe Anderer groß geworden und nun so tun, als wenn die Anderen eine Last sind.


    Ist das nicht in Katalonien ähnlich?

  • Hallo Mario,

    in der Linken ist es üblich, Propaganda und Kampfbegriffe zu benutzen, wo erst einmal analytische Begriffe sinnvoll wären. Wer die spanische Regierung als faschistisch oder "postfaschistisch" bezeichnet, dem geht es nicht um Analyse.

    Die Sezession in der Ostukraine hat (mit Unterstützung hiesiger Linken) ebenfalls die ukrainische Regierung als "faschistisch" bezeichnet.

    Wem die Parteinahme wichtiger ist als die Erkenntnis der Situation, der findet immer Gründe, die ihm gefallen.

    Wie Hegel sagte: "Gründe wachsen wie Brombeeren".

    Mein Anspruch ist aber, dass erstens die Erkenntnis der Lage und die Analyse der Situation vor jeder Parteinahme kommt. Und dass zweitens Bewegungen (wie Individuen) nach ihren Taten und Resultaten beurteilt werden müssen.

    Die Volksabstimmung gegen den Willen der Zentralmacht war tatsächlich eine revolutionäre Tat.

    Nun ruft sowohl die Zentralregierung wie die katalanische Regierung jeweils zu politischem Ungehorsam auf. Das hat zwar einen gewissen Charme, aber beiden Konkurrenz-Regierungen geht es jetzt darum, "ihre" Untertanen zu sammeln und für Loyalität hinter ihren jeweiligen Fahnen zu sorgen. Wenn da keine Seite nachgibt, führt das notwendig in einen Bürgerkrieg. Wenn - wie gemunkelt wird - die katalanische Regierung am Donnerstag die "Unabhängigkeit" ausruft, führt das zum Bürgerkrieg.

    Eine eigene Fahne, eigene Regierungsposten und ein eigener Steuertopf sind aber keinesfalls einen Bürgerkrieg mit Toten auf beiden Seiten wert.

  • Wenn Mitglieder der Internationale, die einer erobernden Nation angehören, die Nation, die erobert worden ist und weiterhin unterdrückt wird, auffordern, ihre spezifische Nationalität und Lage zu vergessen, nationale Differenzen beizulegen usf., so ist das kein Internationalismus, sondern nichts weiter als ihnen Unterwerfung unter das Joch zu predigen, und ein Versuch, die Herrschaft des Eroberers unter dem Deckmantel des Internationalismus zu rechtfertigen und zu verewigen. ...

    Mario zitiert Friedrich Engels.


    Ich bedanke mich bei Mario für dieses deutliche Zitat.

    Damit wird ein deutlicher Kontrapunkt von einem sozialistischen Standpunkt aus (denn niemand wird wohl ernsthaft Engels sozialistische Haltung in Frage stellen) in dieses Forum eingebracht, das bisher sehr einseitig die "Katalonien-Frage" diskutiert.

  • Eine eigene Fahne, eigene Regierungsposten und ein eigener Steuertopf sind aber keinesfalls einen Bürgerkrieg mit Toten auf beiden Seiten wert.


    Wie sähe die Situation für dich aus, wenn die katalanische Regierung sich freiheitlichen Sozialismus und Solidarität mit allen Proletarisierten Gesamtspaniens und der Welt auf die Fahne geschrieben hätte? Wäre eine Abspaltung und ein entsprechender Bürgerkrieg dann gerechtfertigt? Da ich derlei gewalttätige Auseinandersetzungen, die meist mehrere Jahre dauern, sehr kritisch sehe und eigentlich ablehne, da das emanzipatorische Ergebnis geschichtlich gesehen selten überzeugend ausfiel, bin ich da skeptisch.

  • Hallo Mario,

    wie die Diskussion in der Linken und in diesem Forum zeigt, haben wir Mühe, die Sachlage zu verstehen. Da helfen hypothetische Annahmen wirklich nicht weiter.


    basal :

    In meiner Jugendzeit habe ich die damaligen nationalistischen Bewegungen mit Begeisterung unterstützt und unter anderem auch Geld für Druckmaschinen, aber auch für Waffen gesammelt. Das war die hohe Zeit des Antikolonialismus. Damals war "Gut" und "Böse" ziemlich deutlich getrennt. Deshalb bereue ich meine damalige Haltung nicht.

    Heute haben wir hundert Schattierungen von Grau, aber Schwarz und Weiß nicht klar geschieden. Was in China, Vietnam oder in Afrika früher einmal richtig war, trifft auf heute nicht mehr zu - vom Irland des 19. Jahrhunderts nicht zu reden.

    Und dass - gerade für F. Engels - sozialistisch nicht gleich nationalistisch ist, kannst du folgender Briefstelle entnehmen:

    „Wir alle haben ja ursprünglich, soweit wir erst durch Liberalismus oder Radikalismus durchgegangen sind, diese Sympathien für alle ‚unterdrückten‘ Nationalitäten mit herübergenommen, und ich weiß, wie viel Zeit und Studium es mich gekostet hat, sie, dann aber auch gründlich, loszuwerden. ...

    Wir haben an der Befreiung des westeuropäischen Proletariats mitzuarbeiten und diesem Ziel alles andere unterzuordnen. Und wären die Balkanslawen etc. noch so interessant, sobald ihr Befreiungsdrang mit dem Interesse des Proletariats kollidiert, so können sie mir gestohlen werden.

    Die Elsässer sind auch unterdrückt (von Bismarck-Deutschland), und es soll mich freuen, wenn wir sie wieder los sind. Wenn sie aber am Vorabend einer sichtbar heranziehenden Revolution einen Krieg zwischen Frankreich und Deutschland provozieren, diese beiden Völker wieder verhetzen und die Revolution dadurch vertagen wollten, so sage ich: Halt da! Ihr könnt ebenso viel Geduld haben wie das europäische Proletariat. ...

    Ebenso mit den (Balkan-)Slawen... F. Engels, Brief an Bernstein (1882), MEW 35, 278ff.


    Und heute, rund 150 Jahre nach diesen Gedanken von F. Engels, müssen wir feststellen, dass (fast) alle unterdrückten Nationen (mit und ohne Gänsefüßchen) - von Irland über den Balkan, von Afrika bis Asien ihren eigenen Staat haben, was uns aber keinen Flohsprung der Emanzipation der Lohnarbeiter von kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung näher gebracht hat.

    Im Jahr 1900 gab es 22 Staaten auf der Erde, heute sind es 192. Es könnten noch einmal gut 150 Staaten dazu kommen. Aber auch das bringt uns der Beseitigung von Lohnarbeit und Kapitalismus nicht näher.

    Es ist also Zeitverschwendung, wenn sich Sozialisten mit Staatsgründungen befassen.


    Gruß Wal

  • Hallo Wal,


    danke für Deine Antwort.


    Einen Aspekt will ich einbringen:

    Die Vorstellung vom "Ende der Geschichte" dient(e) der Herrschenden Klasse als Legitimation.

    Diese Vorstellung wird in der jetzigen geschichtlichen Phase ad absurdum geführt. Diese Vorstellung vom "Ende der Geschichte" ist verkehrt und ideologiebeladen.

    Die "Europäische Union" sieht sich selbst als Inkarnation dieser Vorstellung.

    Deshalb kann man es als progressive Entwicklung betrachten, wenn die Fliehkräfte, Spannungen, Spaltungen, Widersprüche und Unverträglichkeiten in der "Europäischen Union" zunehmen. "Progressiv" deshalb, weil eine "falsche Ideologie" als solche zumindest teilweise entlarvt wird.

    Die Herrschenden Klassen würden sich sicherlich größere Stabilität in ihrem Herrschaftsgebiet wünschen (als dies jetzt der Fall ist).

  • Hallo Basal,

    Ich gebe dir recht, dass die "europäische Ordnung" zusammenbricht. Aber ich sehe auch die große Gefahr, dass sich die Linke in die wachsende nationale Konkurrenz hineinziehen und dadurch noch mehr marginalisieren lässt.

    Die Rechte hat in der jetzigen Krise ein Konzept, das sie verfolgt: Zurück zum Nationalstaat! Stärkung der nationalen Eliten!

    Die Linke hat kein Konzept, das auf die aktuelle Krise passt.

    Die Staatslinke sagt: Zurück zum Sozialstaat! Dafür fehlen die wirtschaftlichen Mittel.

    Ein großer Teil der sonstigen Linken sucht sich eine eigene "Klientel": Flüchtlinge, Prekariat, Arbeitslose oder sonstige Minderheiten und marginalisierte Völker (Kurden, Indigene usw.). Wo soll das hinführen?


    Gruß Wal

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