Faschistisches Denken in Deutschland 2014

  • Meine (subjektive) Stellungnahme zu dem Umfrageergebnis „Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014“:


    Ich denke, alle Einstellungen und Gedanken, die nur bei 10 Prozent oder weniger zu finden sind, sind Außenseitergedanken, die keine gesellschaftliche Rolle spielen. Das gilt für die Fragestellungen 01, 02, 04, 05, 07, 09, 11, 13, 15, 17 und 18. Das sind die Mehrzahl der Themen.


    Die Leipziger Soziologen fanden bei nur 5,6 Prozent der Menschen in Deutschland eine „manifest rechtsextreme Einstellung“. (In Ostdeutschland lag die Zahl bei 7,4 Prozent.) Und sie stellten fest, dass die Zahl der Leute mit „rechtsextremer Einstellung“ seit 2002 rückläufig ist.
    Faschistische Einstellungen sind weder mehrheitsfähig noch typisch für die deutsche Bevölkerung. Die Untersuchung lässt auch nicht den Schluss zu, dass faschistische Einstellungen typisch sind für kapitalistische Gesellschaften. Siehe dazu die Faschismustheorie „Faschismus und Kapitalherrschaft“.


    Ich gehe im Folgenden auf die Fragen ein, auf die mehr als 20 Prozent der Leute positiv ansprechen.


    06: „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen.“ (Zustimmung 27,2 Prozent).
    Ich denke, für solchen „Sozialneid“ sind vor allem zwei Bevölkerungsgruppen anfällig: Einmal die Lohnabhängigen, die selber auf Sozialleistungen angewiesen sind.
    Die Geliebte und Mitarbeiterin von Bert Brecht, Margarete Steffin, erzählte aus ihrer Kindheit: Ihre kommunistischen Eltern hatten einen politischen Flüchtling aus Ungarn bei sich aufgenommen. „Wir hatten nur zwei Zimmer, jetzt hatte er das eine, die Eltern das andere, und wir Kinder mussten in der Küche schlafen. Ich hasste alle Emigranten.“
    Zweitens fühlen sich Sozialbürokraten von Asylanten und Zuwanderern bedroht, weil sie durch zusätzliche Sozialempfänger zusätzliche Arbeit haben und weil sich die Sozialkassen durch zusätzliche Leistungsempfänger schneller leeren.
    Eine dritte Gruppe, die besonders anfällig ist für Ausländerfeindlichkeit, sind kleine Gewerbetreibende, die durch die kapitalistische Konkurrenz in ihrer Existenz bedroht sind und das ihren ausländischen Konkurrenten ("Döner-Betriebe") anlasten. Das ist die Klientel der NSU-Morde.
    Siehe dazu meine etwas ältere Untersuchung „Zur politischen Ökonomie der Ausländerfeindlichkeit“


    08: „Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben.“ (Zustimmung 30 Prozent).
    Ist dieses Glas halb leer oder halb voll? Ich bin mit den 70 Prozent Ablehnung eines „starken Nationalgefühls“ recht zufrieden.


    10: „Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken.“ (Zustimmung 24,1 Prozent).
    Auch bei dieser Frage vermute ich – wie bei Frage 06 – eine böse, aber brüchige Koalition von niedrig qualifizierten Lohnabhängigen, die in Konkurrenz zu ausländischen Arbeitskräften stehen, mit Sozialbürokraten in Amtsstuben und Arbeitsämtern, die sich das Leben erleichtern wollen.


    12: „Was unser Land braucht, ist ein hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland.“ (Zustimmung 21,4 Prozent).
    Die Frage ist deckungsgleich mit Frage 14 und findet auch genauso viel Zustimmung wie Frage 14:
    14: „Oberstes Ziel sollte es sein, Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht.“ (Zustimmung 21,4 Prozent).
    Diese Zielsetzung entspricht dem Amtseid der höchsten Staatsfiguren in Deutschland: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widme, seinen Nutzen mehre, Schaden von ihm wenden ... werde.“
    Oberster Zweck des Staates (seine „Staatsräson“) ist Erhaltung und Ausbau der politischen und wirtschaftlichen Macht. Das ist Aufgabe der Staatspolitiker in aller Welt. Offenbar haben die Politiker in Deutschland dabei nicht die Mehrheit der Lohnabhängigen hinter sich. Fast 80 Prozent der Bevölkerung lehnen diese Aufgabenstellung ab.


    16: „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet.“ (Zustimmung 27,5 Prozent).
    Auffällig ist hier, dass diese Meinung verstärkt in den ostdeutschen Ländern vertreten wird, wo der Ausländeranteil an der Bevölkerung vergleichsweise niedrig ist. Trotzdem sollten wir diese Frage nicht gering schätzen. Die Rolle der Ausländer und Immigranten in unserer Gesellschaft ist eine Sache, der mit der Überalterung und durch die chronische Wirtschaftsschwäche in Europa wachsende Bedeutung zukommt. Überall in Europa, wo rechtsradikale Strömungen stärker werden, geschieht dies mit der angeblichen Gefahr der „Überfremdung“.
    Die Leipziger Soziologen stellten auch fest, dass die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland zunimmt und sich gezielt vor allem gegen zwei Gruppen richtet: Muslime und Sinti/Roma.
    Das Konfliktfeld „Ausländerpolitik“ bleibt wichtig und wird noch wichtiger werden, meint Wal Buchenberg


    Die komplette Leipziger Untersuchung kann hier eingesehen werden:

  • Die Ziffer 06 ist mir nicht ganz klar. Inwiefern (welche Branchen?) fuehlen sich Kleinunternehmer von auslaendischer Konkurrenz bedroht? Klientel der NSU-Morde? Kannst du darauf nochmal kurz eingehen?

  • Die Ziffer 06 ist mir nicht ganz klar. Inwiefern (welche Branchen?) fuehlen sich Kleinunternehmer von auslaendischer Konkurrenz bedroht? Klientel der NSU-Morde? Kannst du darauf nochmal kurz eingehen?


    Hallo Matou,
    Ausländer und Migranten sind in Deutschland nicht nur lohnabhängig. Gut 12 Prozent der Ausländer/Migranten arbeiten als (kleine) Selbständige. Der Anteil der Selbständigen ist unter Ausländer/Migranten höher als unter den (langjährigen) Deutschen.


    Bei mir um die Ecke gibt es türkische Friseure (Haarschnitt ab 10 €), ein türkischer (?) Kiosk, der fast die ganze Nacht geöffnet hat, ein türkischer Bäcker mit Brötchen ab 25 Cent, Dönerbuden mit Essen ab 2,50, Billigchinesen mit Essen ab 2,50, ein griechischer Gemüsehändler mit Salattheke, ein russischer Blumenladen, ein iranisches Reisebüro und etliche Straßencafés von verschiedener ethnischer Herkunft.


    Alle diese Läden sind billiger als deutsche Anbieter und nehmen alteingesessenen Dienstleistern Kunden weg.
    Meinst du, das lässt die deutschen Kleingewebetreibenden kalt? Die geben den Ausländern Schuld am drohenden Bankrott, nicht den kapitalistischen Konkurrenzbedingungen. Die NSU-Morde zielten alle auf selbständige Ausländer. Das ist kein Zufall.


    Gruß Wal


    https://www.statistik.bayern.d…/archiv/2014/215_2014.php


    https://www.destatis.de/DE/Pub…df?__blob=publicationFile

  • Danke. Die Antwort ist mir völlig ausreichend.


    Ich kenne das sehr gut, da ein guter Freund von mir selbst einige Zeit zu diesen Kleinunternehmern gehörte und zur Ziffer 07 (u. a.) zuzuordnen ist. Die bösen Billigarbeiter aus Polen, bla bla bla...

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