Wirkliches und fiktives Kapital

  • Der Unterschied zwischen realem und fiktivem Kapital ist aus Marxscher Sicht einfach:


    Reales Kapital vermehrt sich, indem es lebendige Arbeit ausbeutet, "Reales Kapital" ist also das industrielle Kapital und das Waren- und Geld-Handelskapital.
    - Es gibt hier allerdings auch Sonderfälle: Zum Beispiel Preissprünge auf dem Rohstoffmarkt, die sich auf die gesamte Kette der Verarbeiter dieses Rohstoffes auswirken. Bei solchen Preissprüngen verhält sich reales Kapital wie fiktives Kapital - es steigt oder sinkt im Wert, obwohl es diese Preisänderung nicht selbst verursacht hat.


    Fiktives Kapital vermehrt sich durch Kauf und Verkauf. Fiktives Kapital sind alle Wertpapiere. Dabei gewinnt der Verkäufer, was der Käufer verliert und umgekehrt. Der vorhandene Reichtum ändert dadurch sich nicht, er wird nur umverteilt.

    - Es gibt allerdings auch hier Sonderfälle: Wo Wertpapiere feste Zinsen oder hohe Dividenden abwerfen. Hier verhält sich fiktives Kapital wie ein Kredit, der in reales Kapital geflossen ist.

    Der fiktive (eingebildete) Charakter dieses Kapitals wird sichtbar, wenn ein Großteil der Besitzer eines Wertpapiers versucht, ihr Papier zu Geld zu machen. Dann ist es plötzlich kaum noch was wert.


    Siehe auch:


    M. Roberts: Finanzialisierung und Finanzkapitalismus


    Handelskapital und Industriekapital


    Karl Marx über Fiktives Kapital

  • Marx verneint einen Zusammenhang von Geldmenge und Preisentwicklung. "Die Illusion, dass die Warenpreise durch die Masse der Zirkulationsmittel ...etc Marx 3. Bd Ware und Geld). Ich denke, er hat aber auch nicht kommen sehen, dass eine EZB die Geldmenge um das zehnfache erhöht. Marx ist aufgrund seiner Zeit noch stark im Zusammenhang von Geld gleich Gold verankert. Sie selbst haben geschrieben:

    Preissteigerungen wird es dort geben,
    wo überschüssiges, exzessives Geld hinfließt und zusätzliche, exzessive Nachfrage schafft.
    Das wird nicht der
    durchschnittliche Konsumgütermarkt sein, mit dem die normale Inflationsrate
    gemessen wird.


    Wann gibt es Ihrer Meinung nach ein Inflation? Ich habe immer noch eine Briefmarke mit dem Aufdruck: 500 Millionen Reichsmark.

    Den Blog gibt es ja nicht mehr, aber vielleicht mögen Sie sich gelegentlich über die Inflation bzw. der Frage, was mit der riesigen Geldmenge geschieht, äussern. Ich schau dann wieder einmal rein. Paul

  • Hallo,

    Sehr interessant! Ich steig allerdings gerade erst in die Materie ein, daher ist das alles noch etwas kompliziert für mich...

    Wenn ich das richtig verstanden habe, dann handelt es sich zum Beispiel bei einer Aktie um fiktives Kapital, oder? (Was wären denn noch ganz konkrete Beispiele?)

    Aber warum überhaupt? Denn auch eine Aktie beutet doch Arbeit aus - nur eben indirekt, denn wenn eine Firma erfolgreich reales Kapital vermehrt, steigt doch auch der Wert der Aktie. Reales Kapital vermehrt sich, indem es lebendige Arbeit ausbeutet. Folglich müsste es sich bei Wertpapieren und Aktien doch um reales Kapital handeln, oder nicht?

    Ich befürchte ich habe das Thema noch nicht verstanden.

  • Hallo Magnus,


    wie oben schon erwähnt, kann eine Firma Aktien ausgeben, um den Betrieb und damit die Ausbeutung der Lohnarbeiter zu erweitern. Der Kaufpreis der Aktie von vielleicht 1000 Euro wandert dann direkt in die Ausbeutung - ganz so wie ein Bankkredit, den ein Kapitalist erhält, um seine Ausbeutung zu erweitern.

    Der Kaufpreis der Aktie, die 1000 Euro, werden dann Teil des produktiven, wirklichen Kapitals.

    Was ist aber mit der Aktie? Die hat nun ein anderer in der Hand, der mit der Ausbeutung in diesem Betrieb nichts zu tun hat. Er ist vielleicht Rentner oder aktiver Lohnarbeiter.

    Wäre die Aktie ebenfalls eine Quelle von Ausbeutung und Mehrwert, dann gäbe es zwei Ausbeutungsquellen: Einmal die realen 1000 Euro, die in den Betrieb gewandert sind und zum zweiten der Aktienwert, der nur auf dem Papier steht.

    Die Aktie hat auch einen "Wert" - genau genommen besteht ihr Wert aber nur in ihrem Preis, der an der Börse festgesetzt wird. Die Aktie beutet im wesentlichen niemanden aus, sondern liegt in einem Bankdepot. Soweit der Kapitalist, der die Aktie ausgab, Dividende zahlt, erhält der Aktionär allerdings einen kleinen Teil des kapitalistischen Mehrwerts. Aber die ausgezahlten Dividenden spielen eine immer geringere Rolle auf dem Aktienmarkt. Viele Unternehmen zahlen gar keine Dividende. Der "Wert" der Aktie wechselt dann nur mit ihrem Wiederverkaufswert.

    Anders als produktives Kapital schaffen Aktien und andere Wertpapiere keinen Neuwert. Sie werden mit vorhandenem Geld gekauft und werden irgendwann an jemanden verkauft, der den Kaufpreis ebenfalls schon besitzen muss. Der Gewinn (oder Verlust) der Aktie besteht nur in der Differenz zwischen Kaufpreis und Verkaufspreis. Die Aktie und Wertpapiere sind eine Ware, aber kein produktives Kapital.


    Karl Marx: "Die selbständige Bewegung des Werts dieser Eigentumstitel, nicht nur der Staatseffekten, sondern auch der Aktien, bestätigt den Schein, als bildeten sie wirkliches Kapital neben dem Kapital oder dem Anspruch, worauf sie mögli­cherweise Titel sind.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 484f.

    „Sie werden nämlich zu Waren, deren Preis eine eigentümliche Bewegung und Festsetzung hat. Ihr Marktwert erhält eine von ihrem Nominalwert verschiedene Bestimmung, ohne dass sich der Wert ... des wirklichen Kapitals änderte.

    Einerseits schwankt ihr Marktwert mit der Höhe und Sicherheit der Erträge, wor­auf sie Rechtstitel geben. ...

    Der Marktwert dieser Papiere ist zum Teil spekulativ, da er nicht nur durch die wirkliche Einnahme, sondern durch die erwartete, vorweg berechnete bestimmt ist.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 485.

    "Soweit die Entwertung oder Wertsteigerung dieser Papiere unabhängig ist von der Wertbewegung des wirklichen Kapitals, das sie repräsentieren, ist der Reichtum einer Nation gerade so groß vor wie nach der Entwertung oder Wertsteigerung. ... Soweit ihre Entwertung nicht wirklichen Stillstand der Produktion ... oder Aufge­ben von angefangenen Unternehmungen ausdrückte oder Wegwerfen von Kapital in positiv wertlosen Unternehmungen, wurde die Nation um keinen Heller ärmer durch das Zerplatzen dieser Seifenblasen von nominellem Geldkapital.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 486.

    „Alle diese Papiere stellen in der Tat nichts vor als akkumulierte Ansprüche, Rechtstitel auf künftige Produktion, deren Geld- oder Kapitalwert entweder gar kein Kapital repräsentiert, wie bei den Staatsschulden, oder von dem Wert des wirklichen Kapitals, das sie vorstellen, unabhängig reguliert wird.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 486.

    „Mit der Entwicklung des zinstragenden Kapitals und des Kreditsystems scheint sich alles Kapital zu verdoppeln und stellenweise zu verdreifachen durch die ver­schiedene Weise, worin dasselbe Kapital oder auch nur dieselbe Schuldforderung in verschiedenen Händen unter verschiedenen Formen erscheint. Der größte Teil dieses ‚Geldkapitals‘ ist rein fiktiv.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 488.


    Für einen Kapitalisten ist der Unterschied zwischen wirklichem Kapital und fiktiven Kapital so lange wurstegal, so lange er aus seinem investierten Geld mehr Geld herausschlagen kann - ob er sein Geld nun in Wertpapieren oder direkt in ein Unternehmen investiert hat.

    Indem man jedoch den Unterschied zwischen fiktivem und wirklichem Kapital verwischt, verwischt man die einzige Quelle des kapitalistischen Reichtums, nämlich die Ausbeutung von lebendiger Arbeit.


    In der linken und rechten Kapitalismuskritik gibt es auch eine Verteufelung des Aktien- und Finanzkapitals, das als besonders grausamer und heimtückischer Ausbeuter hingestellt wird. Der wirkliche Kapitalist in Industrie und Dienstleistung wird gegen dieses Finanzkapital in Schutz genommen.

    Das ist eine ganz falsche Sicht des Kapitalismus, die eine offene Flanke zum Rechtsextremismus und zum Antisemitismus hat. Mit Marx hat das nix zu tun.


    Gruß Wal


    Siehe auch:


    Sandleben: Kritik am "Finanzkapitalismus"


    Wer oder was ist das Finanzkapital?


    „Herrschaft des Kapitals schlechthin“ oder „Herrschaft des Finanzkapitals“?

  • Newly created posts will remain inaccessible for others until approved by a moderator.