Zu: Pankower Vorträge Heft 228, Klaus Dallmer: Die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung in der Revolution 1918/19. Berlin 2020.
Klaus Dallmers Vortrag ist ein sehr nützlicher Schnellüberblick über die Arbeiterbewegung in Deutschland Anfang des letzten Jahrhunderts.
Leider fehlt mir die Fortführung in die Zeit nach 1945, obwohl da durchaus Parallelen zu den Jahren 1905 bis 1914 zu erkennen sind – vor allem im Wiedererstarken der Sozialdemokratie durch die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Lohnarbeiter.
Den Titel "Spaltung der Arbeiterbewegung" halte ich für etwas unglücklich gewählt. „Einheit der Arbeiterbewegung“ war die Fessel, mit der die Sozialdemokratie damals wie später die selbstständige Bewegung fortgeschrittener Teile der Arbeiterklasse ersticken wollte. Ohne (Ab)Spaltung der Arbeiterbewegung von der Sozialdemokratie wäre die Revolution von 1918 gar nicht möglich gewesen. Auch unter den heutigen noch/wieder unentwickelten Bedingungen ist "Spaltung" als Methode und „Vielfalt“ als Ziel in der Arbeiterbewegung viel sinnvoller als „Einheit“.
Auch vermisse ich bei Klaus Dallmer deutlich formulierte Lehren aus den damaligen Niederlagen.
Ein paar eigene Gedanken dazu:
1. Die Massenstreikdebatte litt auf beiden Seiten an Formalismus. Es wurde nie über Zweck und Ziel der sozialen Revolution, also über die nachkapitalistische Gesellschaft, diskutiert. „Sozialismus“ blieb bei beiden Strömungen eine Leerformel, die jeder mit anderem Inhalt füllen konnte. Auch die radikalen Linken hatten keine (an Marx orientierte) Vorstellung, was „Sozialismus“ sein sollte - außer dass sie selber das Sagen und die (Staats)Macht hätten.
2. Die radikalen Linken schätzten Ideologie und Propaganda höher ein als gemeinsame Kampferfahrung und Praxis. Deshalb stürmten sie die Zeitungshäuser statt die eigenen Betriebe zu übernehmen. Wo die Arbeiter 1918/1919 ihre Betriebe spontan übernahmen, wird das bis heute selbst von der radikalen Geschichtsschreibung weitgehend ignoriert. Aus den Zeitungshäusern konnten die Radikalen mit Waffengewalt vertrieben werden. Aus den besetzten Betrieben wäre das nicht so leicht möglich gewesen.
3. Klaus Dallmer verweist richtig auf die autoritäre Tradition in der damaligen Arbeiterbewegung, die automatisch den Arbeitervertretern viel Macht und Einfluss schenkte. Vertreterpolitik erwuchs allerdings aus den unentwickelten Verhältnissen und Kommunikationsmitteln, wo es z.B. kaum Telefon etc. gab, und deshalb Beratung und Beschlussfassung immer nur bei persönlichen Treffen im kleinen Kreis möglich war. Die Revolution von 1918 verbreitete sich mit den Revolutionären entlang des damaligen Verkehrsnetzes, den Eisenbahnen.
Heute sind wir mit öffentlichen und privaten Verkehrsmitteln, mit Rundfunk, Fernsehen, Telefon und Internet viel weiter. Heute sind Stellvertreter nicht mehr unabdingbar. Heute können sich alle aktuell informieren, können alle mitberaten und mitbestimmen. Heute ist wirklich Selbstorganisation, d.h. breite Beratung und Beschlussfassung möglich.
4. Die Sozialdemokratie wie die Kommunisten hielten im Nachkriegsdeutschland an ihren traditionellen Einstellungen und Fehlern fest:
Die Sozialdemokraten wollten die Lohnarbeit niemals beseitigen, sondern nur für die Lohnarbeiter eine erträglichere Existenz schaffen. Das sollte vor allem durch Konkurrenzvorteile der eigenen Kapitalisten erreicht werden. Die höhere Arbeitsproduktivität des Kapitals (und die Eroberungen im Krieg) sollten höhere Profite für Kapitalisten, aber auch höhere Löhne für die Lohnarbeiter möglich machen. Die Sozialdemokraten sahen sich immer als Co-Manager des Kapitals.
Die Schwäche der (Partei)Kommunisten in (West)Deutschland war bedingt und besiegelt durch ihre bedingungslose Unterordnung unter Moskau. Auch die (Partei)Kommunisten wollten nicht die Lohnarbeit beseitigen, sondern nur die Kapitalisten, indem die Parteikommunisten als Managerklasse die direkte Leitung der Wirtschaft übernahmen. Die Ausbeutung der Lohnarbeit sollte erträglich werden und der Mehrwert/Ertrag der Arbeit der "Allgemeinheit" (sprich: den politischen und sozialen Interessen der kommunistischen Managerklasse) dienen. Diese wirtschaftliche Leitungsfunktion brachte die Parteikommunisten von vorneherein und noch jenseits jeder Politik in Gegensatz zur Lohnarbeiterklasse.
Der Streit zwischen Sozialdemokratie und (Partei)Kommunismus war ein Streit darum, wer die besseren Herren über die Lohnarbeit sein konnte.
Ihre Ziele waren miteinander unvereinbar. Das ist der tiefere Grund für die Feindschaft von Kommunisten und Sozialdemokraten.
Soweit mein Senf dazu.
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