Immaterielle und digitale Arbeit

  • Hallo.

    Ich habe eine Weile über das Wirtschaftsmodell von Facebook und Co. nachgedacht und ich habe mich gefragt, wo eigentlich der Mehrwert produziert wird. Dabei bin ich, unter anderem, auf die Arbeit von Christian Fuchs gestoßen (Digital Labour and Karl Marx). Bei seinen Ausführungen macht er Gebrauch von Dallas Smythes Theorie der "Audience-Commodity", die ich doch etwas zu abgehoben finde. Zum Beispiel existiert laut dieser Theorie ein ideologischer Zwang, wenn Menschen Fernsehen schauen oder wenn sie bei Facebook tätig sein müssen, weil sie ansonsten im heutigen Informationszeitalter abgehängt werden und sich deshalb ihre sozialen Bindungen verschlechtern. Naja, so überzeugend fand ich das jetzt nicht, allerdings ist es interessant darüber nachzudenken.


    Das gleiche bei immaterieller Arbeit, ein Konzept von Michael Hardt und Antonio Negri, das irgendwie keinen Sinn ergibt im Rahmen von Marx's Analyse des Kapitalismus, wo wird bei immaterielle Arbeit Mehrwert erzeugt? Das ist viel zu schwammig formuliert. Die Idee, dass Facebookbenutzer auch irgendwie ausgebeutet werden, finde ich auch sehr abwägig. Natürlich ist die Datensammelwut irgendwo eine Ausbeutung, allerdings nicht im Sinne des systemimmanenten Begriffs der Exploitation bei Marx. Das sollte man lieber in eine umfangreiche und neue Theorie der Entfremdung integrieren, was auch, wie ich glaube, schon in der Literatur gemacht wurde.


    Naja egal, auf jeden Fall dürfte es nicht schwierig sein, herauszufinden wo genau Mehrwert in diesen Internetökonomien erzeugt wird.


    Facebook und zum Beispiel Google verkaufen Werbeanzeigen, die die Unternehmen kaufen können, für ihre Platformen. Was bedeutet, dass der, nach der produktiven Konsumtion erzeugte und realisierte, Mehrwert wieder rekapitalisiert wird in die Werbeanzeigen bei Facebook oder Google. Facebook und Google sind dann einfach nur noch eine Mechanismus, durch den Extramehrwert erzeugt werden kann. Also dass der Preis, aufgrund der gestiegenen Nachfrage, über den, aus C+V+M zusammengesetzten, Warenwert steigt, basierend auf der Wahrscheinlichkeit, dass mehr Internetuser als vorher die Waren (oder Dienstleistungen) des Unternehmens kaufen. Facebook und Co., im Hinblick auf Werbung, erzeugen also selbst keinen Mehrwert, sie bekommen einen Teil von dem Mehrwert, der von den Arbeitern ihrer Kunden in der Produktion erzeugt wurde. Dadurch findet dann einfach eine Umverteilung statt.


    Was viele Leute heutzutage nicht verstehen, jedenfalls in Bezug auf marxistische Analysen in einer globalisierten Welt, ist, dass Mehrwertproduktion und Realisation nichts mehr miteinander zu tun haben. Produktion und Verkauf ist vollkommen voneinander dezentralisiert, eben aufgrund des, den Globus umspannenden, Internets und auch aufgrund der Globalisierung. Zum Beispiel sind diese ganzen Arbeiter in der Dienstleistungsbranche keine produktiven Arbeiter mehr. Sie erhalten als Lohn den Mehrwert von den Arbeitern aus Ländern, die im Vergleich zu den Ländern, in denen die Produktion stattfindet, einen komparativen Standortvorteil, in Bezug auf den Lohn, haben. Was zu einer globalen Polarisierung in verschiedene Klassen führt. Das nur mal so, weil ich immer höre, dass heutzutage angeblich kein Wert mehr erzeugt wird.

    Gibts hier Leute, die sich mal mehr mit "Digital Labour" und Co. beschäftig haben, und das kommentieren können?

  • Hallo Vox,

    Das Geschäftsmodell von Facebook unterscheidet sich nicht von dem eines Fischers. Facebook ist das Netz, mit dem personenbezogene Daten eingesammelt werden, die dann wie Fische verkauft werden.

    Nicht das Netz (Facebook) ist die Ware, sondern die Daten bzw. Fische.


    Ich weiß auch nicht, wer sich den Unsinn ausgedacht hat, dass Sachen bestimmte physikalische oder chemische Eigenschaften haben müssen, um zu Waren zu werden. Von Marx stammt das jedenfalls nicht.

    Sex bzw. die dabei auftretenden Gefühle, sind immateriell, aber wo Sex (als Bild, Ton oder Dienstleistung) verkauft wird, ist dieser Sex eine Ware. Das weiß jeder, auch ohne Marx studiert zu haben.


    Marx hat sich durchaus mit der „nichtmateriellen Produktion“ befasst. Er bringt als Beispiel unter anderem Schauspieler, die vor zahlendem Publikum auftreten. „Dem Publikum gegenüber verhält sich hier der Schauspieler als Künstler, aber seinem Unternehmer gegenüber ist er produktiver Arbeiter.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert I, MEW 26.1, 385f.

    „Produktiver Arbeiter“ sind bei Marx alle, die vom Kapital ausgebeutet werden.

    Wen es interessiert, kann das in meinem Karl-Marx-Lexikon nachlesen.


    Ich habe den Eindruck, dass manche Leute Ausbeutung auf körperliche Arbeit beschränkt sehen, und fangen dann an, geistige Arbeit wie Softwareentwicklung etc. mit einem geheimnisvollen Schleier zu umgeben. Auch das ist ein Unsinn, von dem Marx weit entfernt war.


    Die Marxschen Bestimmungen des Warenwertes als Summe von konstantem Kapital (Produktionsmittel oder „Vorleistungen“) plus variablem Kapital (lebendige Arbeit, Lohnsumme) plus Mehrwert („Gewinn“) gelten jedoch für alle Waren – egal ob materielle oder immateriell, analog oder digital.


    Gruß Wal

  • Ich kann mir schwer vorstellen, wie bei immaterieller Arbeit der Mehrwert entsteht. Ab wann produziert ein Arbeiter, wenn er zum Beispiel ein Buch schreibt, was ich als geistige Arbeit beschreiben würde, Mehrwert? Bei der späteren Realisation ist es klar, wenn ein Autor Bücher in einem Wert verkauft, der über seinem Reproduktionswert liegt, oder ein einziges Buch alleine für einen größeren Wert verkauft wird. Aber beim Schreiben eines Buches selbst? Ab wann übersteigt die Aktivität des Gehirn, die für den Menschen notwendige, Aktivität des Gehirns? Biologisch gesehen müsste alle Gehirnaktivitäten, die über dem eines komatösen Zustands liegen, Mehrwert produzieren. Oder wie soll ich das verstehen? Würde immaterielle Arbeit nicht auch im Widerspruch stehen zur ökonomischen Betrachtungsweise von Marx?


    Mir geht es weniger um eine gefühlte Vorstellung davon, was alles eine Ware im technischen Sinne von Marx sein kann, sondern um eine operationalisierbare und analytische Beschreibung. Mir ist schon klar, dass Marx auch Dienstleistungen bespricht, und ein Theaterstück ist eine solche Dienstleistung. Die Erzeugung von Mehrwert muss man, meiner Meinung nach, aus einer buchhalterischen Perspektive sehe. Also zum Beispiel erzeugt ein Friseur Mehrwert, sobald die, für seine Arbeit ausgestellten, Rechnungen, die der Kunde bezahlen muss, seinen Monatslohn (heutzutage) überschreiten (in Geldform). Bei Facebook wird natürlich von den Informatikern Mehrwert erzeugt, ich schrieb hier aber nur von Facebooks Werbeanzeigen. Und bei diesen Werbeanzeigen wird kein Mehrwert von Facebook erzeugt, der Mehrwert der Arbeiter des, die Dienstleistung in Anspruchnehmenden, Unternehmens wird nur zu Facebook umverteilt. Vielleicht könnte man das als eine "Kredit" ohne Forderung sehen. Der in Werbeanzeigen rekapitalisierte Mehrwert soll in Zukunft Profite bringen.


    Ich würde auch nicht sagen, dass alle Arbeiter, die "ausgebeutet" werden, produktive Arbeiter sind. Ausbeutung ist bei Marx kein umgangssprachlicher Begriff, sondern er ist mit der Mehrwertrate verbunden. Die Arbeiter, die nur für die Realisation einer Ware im Verkauf, zuständig sind (sagen wir mal zum Beispiel Verkäuferinnen in einem Klamottenladen), sind dann zwar produktive Arbeiter im Sinne, dass sie dabei helfen die Ware zu verkaufen, aber sie werden nicht ausgebeutet, weil sie keinen Mehrwert erzeugen. Sehe ich das richtig so? Inwiefern ist das Interpretationssache?


    /edit: Ich habe mal ein paar andere Threads hier über das Thema gelesen und ich merke, dass ich noch einiges lernen muss. Würdest du mir, für ein tieferes Verständnis Grundrisse von Marx empfehlen?

  • Ich kann mir schwer vorstellen, wie bei immaterieller Arbeit der Mehrwert entsteht.

    Es gibt gar keine „immaterielle Arbeit“. Jede Arbeit setzt mehr oder minder den ganzen Körper ein. Jede Arbeit verändert in bewusster und gewollter Weise die äußere Natur – und wenn es nur bestimmte Schallwellen sind, die eine Sängerin erzeugt.

    Karl Marx: „Die Arbeit ist zunächst ein Prozess zwischen Mensch und Natur, ein Prozess, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eigenes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigene Natur.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 192.

    Du suchst gleich nach dem Mehrwert. Der Mehrwert ist ein normaler oder notwendiger Bestandteil des Werts. Die Produktion von Mehrwert lässt sich nur verstehen, wenn man die Produktion von Wert verstanden hat.


    Ab wann produziert ein Arbeiter, wenn er zum Beispiel ein Buch schreibt, was ich als geistige Arbeit beschreiben würde, Mehrwert?

    Ein Autor schreibt kein „Buch“. Ein Autor schreibt einen Text. Im Schreiben setzt er auch mehr ein als nur sein Hirn – und selbst das Hirn ist nichts Immaterielles. Ob aus dem Text des Autors ein Buch wird, das entscheidet nicht er, sondern der Verleger. Und der Verleger kassiert auch den Gewinn. Der Verleger ist ein Kapitalist und der Autor hat große Ähnlichkeit mit einem Lohnarbeiter.

    Aber wie in jeder Wissenschaft studiert man in der politischen Ökonomie einen Sachverhalt am Regelfall und nicht an der Ausnahme. Regelfall im Kapitalismus ist die Lohnarbeit, nicht ein freischaffender Autor.

    Und schließlich: Wert und Mehrwert sind niemals individuell, sondern immer gesellschaftlich. Werte werden nicht durch individuelle Arbeit geschaffen, sondern nur als Bestandteil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit und zu den normalen/notwendigen Bedingungen der gesellschaftlichen Gesamtarbeit.

    „Es ist also nur ... die zur Herstellung eines Gebrauchswerts gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, welche seine Wertgröße bestimmt. ... Waren, worin gleich große Arbeitsmengen enthalten sind oder die in derselben Arbeitszeit hergestellt werden können, haben daher dieselbe Wertgröße.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, S. 54.

    "Ein Arbeitsprodukt, für sich isoliert betrachtet, ist also nicht Werth, so wenig wie es Waare ist. Es wird nur Werth, in seiner Einheit mit andrem Arbeitsprodukt, oder in dem Verhältniß, worin die verschiedenen Arbeitsprodukte, als Krystalle derselben Einheit, der menschlichen Arbeit, einander gleichgesetzt sind." Karl Marx: MEGA II/6, 31 (zit. n. Wikipedia)

    „In der Wertbestimmung handelt es sich um die gesellschaftliche Arbeitszeit überhaupt, das Quantum Arbeit, worüber die Gesellschaft überhaupt zu verfügen hat und dessen relative Absorption durch die verschiednen Produkte gewissermaßen deren respektives gesellschaftliches Gewicht bestimmt." K. Marx, Kapital III, MEW 25, S. 889)


    Man kommt dem Wert und dem Mehrwert nicht auf die Spur, wenn man einem einzelnen Arbeiter oder Autor über die Schulter guckt.

    "Man mag ... eine einzelne Ware drehen und wenden, wie man will, sie bleibt unfassbar als Wertding. Erinnern wir uns jedoch, dass die Waren nur Wertgegenständlichkeit besitzen, sofern sie Ausdrücke derselben gesellschaftlichen ... Arbeit sind, dass ihre Wertgegenständlichkeit also rein gesellschaftlich ist, so versteht sich auch von selbst, dass sie nur im gesellschaftlichen Verhältnis von Ware zu Ware erscheinen kann.“K. Marx, Kapital I, MEW 23, 62.


    Würdest du mir, für ein tieferes Verständnis Grundrisse von Marx empfehlen?

    Die Grundrisse sind ein großartiger Text, in dem Marx seine Vorüberlegungen für die drei Bände des „Kapital“ ins Unreine geschrieben hatte. Also helfen die „Grundrisse“ beim tieferen Verstehen des „Kapitals“. Die Grundrisse haben aber 980 Seiten. Das liest sich nicht mal so in zwei Tagen.


    Ich empfehle dir zunächst im Marx-Lexikon folgende drei Zitatsammlungen zu lesen, dort findest du alle wesentlichen Gedanken von Marx zu deinem Thema:


    1. Marx über Arbeit:

    https://marx-forum.de/marx-lexikon/lexikon_a/arbeit.html


    2. Marx über Wert:

    https://marx-forum.de/marx-lexikon/lexikon_t/tauschwert.html


    3. Marx über produktive und unproduktive Arbeit:

    https://marx-forum.de/marx-lex…exikon_a/prod_arbeit.html


    Wenn du dann noch Fragen hast, stehe ich dir gerne Rede und Antwort!


    Gruß Wal

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