Vorsicht! Infektionsgefahr!

  • Vorsicht ! Infektionsgefahr !

    Es war einmal ein Journalist aus dem Westen. Eigentlich sollte es eine naturwissenschaftliche Karriere werden, immerhin promovierte er zum Dr. rer. nat.

    Dann entdeckte er seine Leidenschaft für die schreibende Zunft. Er arbeitete als Reporter, Kolumnist und Korrespondent für den Spiegel. Nach einem kurzen Zwischenspiel bei der Max-PLanck-Gesellschaft widmete er sich Biografien bedeutender Wissenschaftler. Seine Biografie über Albert Einstein wurde von der Washington Post als "Book of the year" geehrt.

    Weitere Werke und Auszeichnungen folgten.

    Dann fasst er einen schwerwiegenden Entschluss: Er will eine Biografie über Karl Marx schreiben. 2017, ein Jahr vor dem 200. Geburtstag von Karl Marx erscheint "Karl Marx. Der Unvollendete". Der Autor : Jürgen Neffe.

    Ich glaube, dass man sich Marx leichter nähern kann, wenn man eine naturwissenschaftliche Vorbildung hat. Für die Physik oder die Biologie sind theoretische Abbildungen entstehungsgeschichtlicher Prozesse Normalität. Nichts anderes hat Marx in Bezug auf die Gesellschaft, spieziell die kapitalistische Gesellschaft, getan.

    Wer diese Biografie liest, versteht sofort, dass Neffe nicht nur über Marx und seine Familie schreibt. Neffe ist von der Logik der Marxschen Gesellschaftsanalyse infiziert. Er hat verstanden, dass es sich beim "Kapital" um eine brillante wisenschaftliche Analyse eines Systems handelt, das seinem Wesen nach zutiefst widersprüchlich aber auch extrem entwicklungsfähig ist. Die Wirtschaft, die auf dem Profitprinzip beruht, schafft immer wieder gesellschaftliche Spielräume und forciert mit rasender Geschwindigkeit den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt. Die Frage ist, wann die Auswirkungen dieser Entwicklung an existenzielle Grenzen der Menschheit stoßen.

    Und so schreibt Jürgen Neffe: "Raste ein Meteorit auf die Erde zu und mit vereinten Kräften ließe sich der Untergang noch aufhalten, würde die Menschheit dann nicht alles in Bewegung setzen, gemeinsam die Gefahr zu bannen? Müsste sie das nicht auch, da ihr eigenes Geschöpf, der Kapitalismus auf Zerstörungskurs gegangen ist, nur dass sich der Zeitpunkt des Impact nicht genauso vorhersehen lässt, wie bei einem Himmelskörper? Die Generation, die diesen Auftrag der Geschichte verspürt, ist vielleicht schon geboren. Falls ja, ist sie nicht schlecht beraten, Marx zu lesen…"

    In: Jürgen Neffe, Marx, der Unvollendete. Biografie, Berlin 2017, S.461

  • Hallo camou,

    mein Eindruck ist, dass nur Leute Marx-Biografien lesen, die längst "infiziert" sind - abgesehen mal von den Misfits, die bei allen Großen nach unehelichen Kindern suchen.

    Und wer schon mal eine Biografie des alten Herrn gelesen hat, fragt sich natürlich, was erfahre ich in der nächsten Lebensbeschreibung Neues?


    Noch eine Frage: Was findet J. Neffe eigentlich an Marx "unvollendet"? Ist "unvollendet" nicht eine Kategorie, die als Maßstab für irgendein Individuum vollkommen verkehrt ist? Wer ist schon ein "vollendeter Mensch"?! Laut Hegel ist ein neugeborenes Baby ein "vollkommener Mensch" und mit jedem Tag und jedem Jahr, das dazu kommt, wird dieser vollkommene Mensch einseitiger und beschränkter. ?(


    Gruß Wal

  • Hallo Wal,

    ich habe im Marx-Jahr einige Vorträge gehalten (was in einer Stadt, die früher einmal Karl-Marx-Stadt hieß, vielleicht nichts besonderes ist). Dabei habe ich festgestellt, dass viele erstaunt sind, über welche Themen sich Marx damals schon Gedanken gemacht hat. Meine Botschaft ist aber, dass man, wenn man den Kapitalismus wissenschaftlich analysieren will, an der Methode von Marx nicht vorbei kommt. Das Verständnis der Widerspruchsdialektik ist m.E. die Grundlage für die Beurteilung der Perspektive kapitalistischer Entwicklung. Insofern ist Marx nie vollendet. Lenin hat es versucht mit der Schrift " Der Imperialismus....". Aber inzwischen sind schon wieder 100 Jahre vergangen. Sicher ist die empirische Analyse wichtig - aber was führt zu den aktuellen Erscheinungen, wie Du sie selbst so brillant beschreibst.

    Gruß camou

  • Das Verständnis der Widerspruchsdialektik ist m.E. die Grundlage für die Beurteilung der Perspektive kapitalistischer Entwicklung. Insofern ist Marx nie vollendet. Lenin hat es versucht mit der Schrift " Der Imperialismus....".

    Hallo camou,

    Marx war wohl bescheidener, was seine "Mission" oder "Aufgabe" angeht, und hat die Emanzipation der Lohnabhängigen niemals von seiner Person abhängig gemacht.

    Was die Imperialismustheorie von Lenin (eigentlich von Hilferding und Luxemburg - Lenin hat deren Arbeiten aufgegriffen und popularisiert) angeht, gibt es dazu im Marx-Forum etliche recht kritische Stellungnahmen von mir, von Robert Schlosser und von anderen.

    Wenn du im Menü oben rechts außen die LUPE anklickst, kannst du als Stichwort zum Beispiel "Imperialismus" eingeben und bekommst alle bisherigen Texte im Forumzu diesem Thema.


    Die imperialistische Stufentheorie (Monopol als Endpunkte des Kapitalismus) stammt gar von Proudhon, über dessen Theorie Marx spöttisch schrieb:

    „... Wir wissen alle, dass die Konkurrenz aus dem feudalen Monopol hervorging. So war die Konkurrenz ursprünglich das Gegenteil des Monopols ... Das moderne Monopol ist somit nicht eine einfache Antithese, sondern im Gegenteil die wahre Synthese.

    These: das feudale Monopol, Vorgänger der Konkurrenz.

    Antithese: die Konkurrenz.

    Synthese: das moderne Monopol ...“ K. Marx, Elend der Philosophie, MEW 4, 163.


    Gruß Wal

  • Hallo Wal,

    Du hast recht, was meine Aussage zu Lenin betrifft. Es gab andere, die sich daran versucht haben, die Weiterentwicklung kapitalistischer Strukturen wissenschaftlich zu erklären. Das sollte eigentlich nur ein Beispiel sein.


    Ich habe Lenin deshalb gewählt, weil der sich intensiv mit der Methode von Marx zur Erforschung und Darstellung des "Bewegungsgesetzes der modernen Gesellschaft" beschäftigt hat. Das heißt nicht , dass ich dessen wissenschaftliche Leistung über die von Luxemburg oder Hilferding stelle.


    Ich zitiere übrigens ungern aus den frühen Schriften von Marx. Für mich beginnt Marx als Wissenschaftler mit den "Grundrissen" und den "Theorien über den Mehrwert".


    Was die Bescheidenheit von Marx angeht... Deinen ersten Satz habe ich nicht verstanden.:/


    Gruß camou

  • Hallo camou,

    lass den Satz einfach mal so stehen.

    Wenn wir uns bis ins letzte Detail gegenseitig kritisieren oder "korrigieren" wollten, endet das notwendig in unfruchtbarer Missstimmung. Wir schreiben ja nicht an einem "allgemeingültigen" Programm, sondern stellen unsere jeweiligen Ansichten zu Fragen vor, die uns durch den Kopf gehen.


    Natürlich nehme ich Wissenschaft wichtig, aber sie sehe mich nicht als Wissenschaftler, sondern als Übersetzer. (Das ist auch eine Arbeit, die ich zeitweilig ausgeübt hatte.)

    Ich sehe mich als Übersetzer der Marxschen Theorie in heutige Sprache und in heutige Verhältnisse. Ich sehe mich als Praktiker, nicht als Theoretiker.


    Gruß Wal


    P.S. Es hat auch einen Sinn, dass meine Website "Marx-Forum" und nicht "Marxistisches Forum" heißt. Das umgrenzt den Bereich, in dem ich mich einigermaßen kompetent fühle.

  • Hallo Wal,


    lass den Satz einfach mal so stehen.

    Das Problem ist nur, dass man versuchen muss, einander zu verstehen. Das dauert manchmal ein bißchen. Aber das macht doch nichts.

    Du musst Dich auch nicht in irgendeine Schublade stecken. Es ist doch gerade das Schöne, dass man sich gegenseitig verschiedene Sichtweisen öffnet.

    Mir haben die wenigen Beiträge, die ich bisher von Dir gelesen habe, schon sehr viel gegeben - eben weil es eine andere Sicht ist.

    Ich habe ja wirklich nachgedacht über das, was Du geschrieben hast, ich habs nur nicht verstanden - und ich möchte es gern verstehen. Und ich war in keiner Weise missgestimmt.


    Gruß camou

  • Ich habe ja wirklich nachgedacht über das, was Du geschrieben hast, ich habs nur nicht verstanden - und ich möchte es gern verstehen.

    Gruß camou

    Also dann doch meine Sicht auf die Frage: Wie sah Marx seine eigene Rolle in der Arbeiterbewegung?

    Da ich dafür etwas weiter ausholen musste, habe das ich in ein neues Thema gestellt.

    Gruß Wal

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