Bloß Kritik vs. praktische Alternative

  • Ich frage mich immer, warum soll man sich mit der Praxis einer Umwälzung beschäftigen? Und ergibt sich nicht aus den Erklärungen, die man über die Gesellschaft hegt, die praktische Konsequenz? Hat man da nicht einen Schritt übersprungen mit der Frage nach der Alternative, der sich bitter bemerkbar macht, wenn man sich in der Analyse gar nicht so sicher war und geirrt hat?

    Deshalb möchte ich ein paar Gedanken dazu abgeben, warum man sich um die richtige Erklärung der Gesellschaft sorgen sollte, warum „bloß“ kritisieren nicht langweilig sein und man mit den Gedanken über eine Alternative nicht zu voreilig sein sollte.


    Bloß kritisieren ist nicht schwer, richtig kritisieren um so mehr


    Was wäre eine vernünftige Vorgehensweise dafür, etwas zu beseitigen, das man als Übel festgestellt hat? Der Ausgang der Kritik ist ein persönliches Verlangen, nimmt Subjektivität zur Grundlage, man will also etwas zu seinem Interesse einrichten oder verändern. Zuerst muss man um den kritisierten Missstand wissen, den Sachverhalt studieren, damit man den Grund für das Übel weiß. Denn nur wenn man die objektive Ursache von etwas Schädlichem erkannt hat, ist es überhaupt möglich den Schaden zu beseitigen. Deshalb sollte man sich auch sicher sein, die zutreffende Erklärung der Sache gefunden zu haben. Denn wenn man diesen Schritt übergeht, sich in der Analyse vertan hat, wenn die falsche Ursache für das kritisierte Übel festgemacht wurde, dann können die Lösungsvorschläge und praktischen Maßnahmen von vornherein nur ins Leere laufen. All die Mühe, die Zeit, die Opfer und das Engagement waren dann vergebens, wenn der falsche Grund, der falsche herrschende Zweck erkannt, der falsche Gegner und somit eine wirkungslose Praxis gewählt wurden. Die falsche Praxis aus der verfehlten Analyse richtet so nicht nur Schaden an, weil man seine Lebenszeit und -kraft umsonst aufbringt, die vorgenommenen Maßnahmen könnten zudem auch noch zusätzlichen Schaden anrichten. Was Marx zu diesem Thema beizusteuern hatte:

    „Ist die Konstruktion der Zukunft und das Fertigwerden für alle Zeiten nicht unsere Sache, so ist desto gewisser, was wir gegenwärtig zu vollbringen haben, ich meine die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden, rücksichtslos sowohl in dem Sinne, daß die Kritik sich nicht vor ihren Resultaten fürchtet und ebensowenig vor dem Konflikte mit den vorhandenen Mächten.“ (344, MEW 1)

    „Alles Bestehende“ zu kritisieren, wenn es auch nur das gesellschaftlich Bestehende meint, ist zwar nicht gerade sinnvoll und äußerst idealistisch ausgedrückt, wenn man nämlich zufrieden mit den sozialen Institutionen und Gegebenheiten ist, weil man gut bedient ist und von der Seite aus einem nichts bitter aufstößt, sollte eine Kritik derselben überflüssig sein. Doch weist Marx auf einen wichtigen Aspekt, nämlich das Vorhandensein von Vorurteilen des bürgerlichen Verstandes. Deshalb schreitet der bürgerliche Aktivist auch schnell zur verfassungskonformen Tat über, er setzt immer bloß auf eine schnelle, „realistische“ Lösung. Damit hat er ein Vorurteil, und somit kann er nie die richtige Erklärung seiner Gesellschaft finden, nie die Gründe für die systematischen Übel seiner Gesellschaft angehen, die ihn zum Aktivismus, zur falschen Praxis, zum Wählen, zu Bürgerinitiativen, zu Demonstrationen bewegen – jedenfalls für den Fall, er wolle da etwas Wesentliches fordern und umsetzen. Wenn jede Erklärung, jede Kritik nur erlaubt ist, solange sie konstruktiv, solange sie system- oder verfassungskonform ist, und jede Lösung sich in dem gesellschaftlich erlaubten Rahmen von Marktwirtschaft und Staatsgewalt zwängen muss, dann ist dies ein Vorurteil, eine außerwissenschaftliche Befangenheit, eine Verweigerung von Wissenschaft und brauchbarem Wissen, das den missliebigen Sachen auf den Grund gehen könnte. Denn was wäre, wenn die kritisierten Missstände der Gesellschaft notwendiges Ergebnis der kapitalistischen Ordnung sind? Wenn das Problem seit jeher System hätte?

    Es mag aber auch sein, dass radikale Kritiker auf Verhältnisse hinweisen, die ihnen nicht gefallen, aber anderen Zeitgenossen gar nicht als kritikabel auffallen, sondern sie für selbstverständlich hinnehmen und rechtfertigen – wie zum Beispiel Formen von Herrschaft und Gewalt. Deshalb äußert Marx seinen Willen „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (385, MEW 1).

    Wer aber den mutigen, unvoreingenommenen Schritt geht, „dass die Kritik sich nicht vor ihren Resultaten fürchtet und ebensowenig vor dem Konflikte mit den vorhandenen Mächten“, der könnte einen radikalen Standpunkt vertreten, falls die aktuelle gesellschaftliche Ordnung für die Mehrheit tatsächlich schädlich ist – worüber eben vorurteilsfrei zu reflektieren und streiten wäre. „Radikal“ ist er deshalb, weil er dann von den vorherrschenden Meinungen und Ideologien abweicht – die sonstigen Konnotationen von „radikal“, „extrem“, „extremistisch“ usw. (z. B. gleichgesetzt mit Gewalttätigkeit und Brutalität) sind unwissenschaftlich, befangen und rein moralisch. Die vorherrschenden Meinungen müssen sich wiederum für die herrschenden Verhältnisse aussprechen, da eine Gesellschaft nur so lange existiert wie die Mehrheit diese Verhältnisse affirmiert, mitmachen will. Nicht umsonst schrieb Marx 1873, fünf Jahre nach Erscheinen der ersten Auflage von „Das Kapital“ Band 1: „Das Verständnis, welches ‚Das Kapital‘ rasch in weiten Kreisen der deutschen Arbeiterklasse fand, ist der beste Lohn meiner Arbeit.“ (19, MEW 23)

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    Die Erklärung eines gesellschaftlichen Gegenstands enthält immer schon einen Standpunkt. Wer sagt, dass der Kapitalismus Ausbeutung und Schaden der Arbeiterklasse zugunsten der Bereicherung der Reichen bedeutet und dass man also die Wirtschaft auch in gemeinschaftlicher Verwaltung zum Wohle und im Interesse aller planmäßig nach deren Bedarf einrichten könnte, wie könnte derjenige nicht Kommunist, sondern Marktapologet sein? Jede gesellschaftstheoretische Abhandlung impliziert eine politische Position, weshalb die bürgerliche Wirtschaftswissenschaft auch nicht die marxistische Arbeitswertlehre vertreten kann, sondern ihre Grenznutzenschule. Die analytische fällt mit einer politischen Erklärung der sozialen Sachgegenstände zusammen. Mit der Veröffentlichung des ersten Bandes des Kapitals gibt Marx der zeitgenössischen Presse den berechtigten Satz kund: „Еs ist sicher das furchtbarste Missile [Geschoss], das den Bürgern noch an den Kopf geschleudert worden ist.“ Und nicht ohne Grund warnt die bürgerliche Welt zum 150. Jubiläum vor kommunistischer Vereinnahmung, wenn sie wieder einmal der Schrift oberflächliche Aufmerksamkeit widmet, um sie kurz darauf sogleich ohne Umschweife auf den Dachboden der Gedanken gleichgültig neben all dem anderen Klatsch und Tratsch verstauben zu lassen. Nicht zuletzt verweist die vielzitierte 11. These über Feuerbach: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt drauf an, sie zu verändern.“ darauf hin, wo sonst als in der hoffentlich korrekten Interpretation soll die Kritik an gesellschaftlichen Gegebenheiten zu finden sein – somit auch das Wissen darüber, wie die Kritik praktisch aufgehoben werden kann. Mit der Interpretation kömmt sogleich die nötige Handlung zur Veränderung zum Ausdruck.

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    Fällt einem Bürger auf, dass da jemand radikale Systemkritik betreibt – als eingefleischter Moralist hat er anhand der benutzen Wörter und Formulierungen nicht selten bereits sein fertiges Urteil über die Erklärung des anderen gefällt –, wird dieser jemand mit typischen Vorwürfen konfrontiert. Der erste Vorwurf wurde bereits angesprochen, nämlich jemand würde „bloß kritisieren“ – das könne ja jeder, oder dauernd „bloß“ Erklärungen suchen, abstrakte Theorie betreiben usw., anstatt „etwas“ zu tun, anstatt sich sofort einen Lösungs- und Verbesserungsvorschlag auszudenken, den man schnell, einfach und realistisch in die Praxis umsetzen könnte.

    Es sei hier noch erwähnt, utopisch sind vielmehr die idealistischen Illusionen, die sich der Bürgerverstand über seine Gesellschaft macht; was eigentlich alles sein „sollte“, was gerecht wäre, wer mal wieder Pflichtvergessenheit an den Tag. Utopisch ist ein Kapitalismus ohne Armut, ohne eine reiche Minderheit, die über die Arbeit und das Lebensniveau der Mehrheit kommandiert, ohne Hunger, ohne Staatsmacht und Gewalt, ohne militärische Konflikte, ohne Krieg – dies alles sind systemische Notwendigkeiten der kapitalistischen Herrschaft.


    Wo bleibt die Alternative?


    Zweitens bekommt ein Radikaler bei seiner Kritik schnell den ersten skeptischen Einwand um die Ohren gehauen: „Was ist denn die Alternative?“ Diese Frage kann auf zweierlei Weise gemeint sein:

    Die erste Weise ist die des Skeptikers. Man fragt sich jedoch, warum will jemand eigentlich eine Alternative, einen Lösungsvorschlag von einem anderen hören, obwohl er sich gar nicht in der Erklärung einig ist? Ein völlig überflüssiges Unterfangen, denn der Opportunist würde selbst bei Ausmalung der möglichen konkretisierten Lösung, der vorgeschlagenen Praxis des Radikalen gar nicht mitmachen wollen, weil er gerade die der Praxis zugrundeliegende Erklärung über die Gründe der sozialen Missstände mit dem Radikalen nicht teilt. Deshalb scheint die skeptische Nachfrage nach der Alternative eine heuchlerische Methode zu sein, den eigenen Standpunkt zu rechtfertigen. Wie für jeden Vorschlag, in dem man andere oder neue Möglichkeiten für das gesellschaftliche Leben darlegt, würde ein solcher Skeptiker sowieso tausend Gründe finden, weshalb diese abstrakte Alternative schiefgehen könnte – überall könnte sich dann doch „Macht“ bilden (als wäre davon im hiesigen Kapitalismus nicht unschlagbar viel vorhanden), die Leute könnten doch alles wieder zum Schlechten herumreißen (als wäre nicht die Voraussetzung gewesen, dass die Leute bei der „Alternative“ auch mitmachen, und nicht etwas anderes wollen) oder die alte Leier des wölfischen Menschenbildes „homo homini lupus“ –; und warum man letztlich gut daran tut, immer alles so grundsätzlich zu belassen wie es ist in der besten aller möglichen Welten – denn das war eben das opportunistische Vorurteil.

    (Ganz abgesehen davon, dass auf radikale Kritik auch radikale Konsequenzen folgen können und womöglich der Sturz der Gesellschaftsordnung zu verfolgen wäre, womit jedes konkrete Fantasieren über diese Alternativen ziemliche Willkür wäre. Da müsste man mindestens wissen, wie in der Zukunft die verschiedenen politischen Bewegungen aufgestellt sind und wie überhaupt die staatlichen Verhältnisse usw. auf (mindestens) kontinentalem Maßstab ausschauen.)

    Hier sei noch der Positivismus erwähnt, der opportunistische Machtdiener-Gedanke, dass praktischer Erfolg als Rechtfertigung für eine Sache (Kapitalismus) oder die Richtigkeit einer Theorie (Marx Kapitalismuskritik sei durch die Selbstaufgabe der SU belegt) herangezogen wird.
    Gegen das Vorurteil des Opportunisten, der jede Alternative der Utopie und Fantasterei überführen will, spricht weiter: Er kommt ganz so daher, als hätte er seine Lebenszeit, Jahrzehnte damit verbracht, intensiv alle vorstellbaren Gesellschaftstheorien und -modelle zu studieren; sein ganzes Leben dafür aufgeopfert, um wirklich alle erdenklichen Möglichkeiten, wie Menschen Gesellschaft organisieren könnten, alle möglichen Gesellschaftsmodelle und Lebensformen, alle denkbaren Wirtschaftsweisen durchzugehen. Am Ende jedoch – leider, leider! – muss der Opportunist bei seinem realistischen Standpunkt bleiben, denn gerade zufällig diese seine Gesellschaft ist das kleinere Übel, ist dann doch die beste aller möglichen Welten – man hat es als weltkluger Kleinbürger letztlich doch gut getroffen mit dem Kapitalismus.

    Es soll zudem nicht Wunder nehmen, dass Marx und Engels die Frühsozialisten dafür kritisiert haben, dass sie sich schöne Gesellschaftsmodelle ausgesonnen und -gemalt hatten. Dass die beiden davon nichts hielten, könnte man an dem Opus magnum von Marx feststellen, das da nicht lautet „Modell einer perfekten vollendeten Gesellschaftsidylle“ oder „die Konstruktion der Zukunft und das Fertigwerden für alle Zeiten “, sondern sich mit etwas anderem befasst: „Das Kapital – Kritik der politischen Ökonomie“.

    Die skeptische Nachfrage nach der Alternative deutet zudem an – worauf das obige Marx-Zitat bereits antwortet –, dass dem Skeptiker widerstreitende, überproportionale gesellschaftliche Gewalten wie der kapitalistische Staat bekannt sind, mit denen die Vorschläge erst recht nicht vereinbar wären. Das Wissen um höhere Gewalten ist jedoch kein Beweis dafür, dass ein Vorschlag Utopie sei, wenn dieser den Mächten nicht passt. Gesellschaftliche Zustände sind eben menschengemacht und können ebenso von Menschen verändert werden, wenn die Mehrheit einer Gesellschaft es denn will (!) und somit gemeinsam dafür aufsteht. Es ist ja nicht so, dass die Menschheitsgeschichte nicht manche Revolution aufweisen würde – nicht zu vergessen die bürgerliche, die Französische Revolution.

    Damit führt diese Erläuterung zu der zweiten Weise, wie die Frage nach der Alternative gemeint ist, nämlich die ernsthafte Weise. Was wäre zu tun, wenn es nach der vorgestellten radikalen Kritik ginge? Das müsste sich aus dem Inhalt der Kritik jedoch bereits ergeben, denn eine Kritik hat den einzigen Zweck und Ausgangspunkt darin, empfundene Übelstände beseitigen zu wollen, wofür wie erwähnt die richtige Erklärung der Ursache notwendig ist. Der erste Schritt wäre etwa auf die falsche Kritik der meisten Leute an den Miseren der Welt hinzuweisen und ihnen die richtige Analyse zu erläutern sowie falsche Überzeugungen zu widerlegen, womöglich organisiert mit Gleichgesinnten. Hat man sich da nicht schon eine gewaltige Aufgabe gestellt? Zumindest weiß man, welche Möglichkeit überhaupt besteht, um die Übel zu beseitigen – und ganz besonders weiß man, welche Möglichkeiten nicht bestehen, womit man sich vergebene Mühe schon einmal erspart hat. Und immerhin lässt es sich mit der theoretischen Sicherheit und einer ausführlichen Kritik des Sachverhalts entschiedener und selbstsicher für eine Veränderung kämpfen. Andererseits besteht natürlich kein Grund, alternative Modelle von Gesellschaft theoretisch zu erfassen oder gar im Kleinen zu erproben. Ob das jedoch besonders sinnvoll ist, wenn man zudem eine unzureichende, falsche Kritik an der bestehenden Gesellschaft übt, sei dahingestellt. Und ob es nicht sinnvoller ist, anderen Menschen die richtige Erklärung näherzubringen, damit man eine Bewegung aufbauen kann, anstatt bloß schöne Gesellschaftsmodelle und Utopien auszumalen, deren Gehalt den anderen gar nicht einleuchtet, wenn sie sowieso eine grundsätzlich verschiedene Erklärung der Gesellschaft vertreten.

  • Hallo Pfeilregen,

    Danke für deine psychologische Abhandlung, wie kritisches Denken und der Umgang damit (bei dir?) funktioniert.

    Was mir an dieser Abhandlung nicht gefällt: dass in deiner „Psychologie der Kritik“ nur zwei „Klassen“ von Menschen (jenseits von Geschichte und Gesellschaft) vorkommen: Ein einzelner (!) Kommunist („der Radikale“) quasi als Verkörperung des Richtigen auf der einen Seite und die „Bürger“ („Moralisten“, „Opportunisten“ etc.) als Verkörperung alles Falschen auf der anderen Seite. Das gleicht dem alttestamentarischen Bild vom Propheten in der Wüste.


    Ich stimme dir aber grundsätzlich zu, wo du sagst:

    Quote

    „Was wäre zu tun, wenn es nach der vorgestellten radikalen Kritik ginge? Das müsste sich aus dem Inhalt der Kritik jedoch bereits ergeben...“


    „Eine Kritik enthält die Aussage, was für richtig befunden wird, und auch die praktische Konsequenz ergibt sich aus einem kritischen Urteil.“

    Du ziehst daraus den Schluss, dass es ganz unnötig (oder gar schädlich??) sei, aus der Kapitalismuskritik auch (positive/kommunistische) Alternativen zu entwickeln.

    Dabei tust du so, als hätte Karl Marx nie praktische und soziale Alternativen zum Kapitalismus aufgezeigt. Ich habe hier ein paar dieser Gedanken von Marx gesammelt: Karl Marx über die klassenlose Gesellschaft. Das alles scheinst du nicht zu kennen.


    Ich denke, wenn in einer richtigen Kapitalismuskritik auch die sachlichen oder praktischen Alternativen enthalten sind, dann lassen sich diese Alternativen auch aufdecken und aufzeigen.

    Dieses Aufzeigen des Positiven/Alternativen innerhalb der Kritik ist mindestens dort nötig, wo man mit Menschen zu tun hat, die keine formelle logisch-philosophische Ausbildung haben.


    Gruß Wal

  • @Wal


    Ich sehe nicht, dass es sich hier um Psychologie handelt. Ich wollte nur aufzeigen, dass Bürger sich Vorurteile angewöhnt haben, die ich damit aufdecken wollte. Wohl das Vorurteil des konstruktiven Denkens, immer bloß die vorhandenen gesellschaftlichen Verhältnisse als unumstößlich darzulegen. Hier meine ich Gegenargumente dargelegt zu haben für Einwände, die einem als Systemkritiker schnell entgegengebracht werden.

    Und klar, ich bin hier von der Position eines Kommunisten ausgegangen, davon ausgegangen, dass jemand seine Systemkritik für richtig hält - deshalb der Stempel "Radikaler", der logische Schluss ist, dass alle anderen Erklärungen über Gesellschaft falsch sind, damit auch die eines "Opportunisten", jemand, der sich für die vorhandene Ordnung ausspricht. Ob marxistische Kapitalismuskritik richtige Urteile über die bürgerliche Gesellschaft fällt, das kann man wohl kaum in diesem Zusammenhang erklären? Das habe ich doch bereits angesprochen in dem Text mit: "Wer aber den mutigen, unvoreingenommenen Schritt geht, „dass die Kritik sich nicht vor ihren Resultaten fürchtet und ebensowenig vor dem Konflikte mit den vorhandenen Mächten“, der könnte einen radikalen Standpunkt vertreten, falls die aktuelle gesellschaftliche Ordnung für die Mehrheit tatsächlich schädlich ist – worüber eben vorurteilsfrei zu reflektieren und streiten wäre. „Radikal“ ist er deshalb, weil er dann von den vorherrschenden Meinungen und Ideologien abweicht – die sonstigen Konnotationen von „radikal“, „extrem“, „extremistisch“ usw. (z. B. gleichgesetzt mit Gewalttätigkeit und Brutalität) sind unwissenschaftlich, befangen und rein moralisch."


    "Dabei tust du so, als hätte Karl Marx nie konkrete Alternativen zum Kapitalismus aufgezeigt."

    Tue ich nicht, nirgends habe ich das behauptet?


    "Dieses Aufzeigen des Positiven/Alternativen innerhalb der Kritik ist mindestens dort nötig, wo man mit Menschen zu tun hat, die keine formelle logisch-philosophische Ausbildung haben."

    Das Argument halte ich nicht für zutreffend. Ich behaupte der Grund für die Schwierigkeit liegt in Vorurteilen der Bürger, denn wer bspw. Leuten sagt, dass er demokratischen Staat und Marktwirtschaft abschaffen will, dem wird die Mehrzahl der Bürger hierzulande gar nicht weiter zuhören - mit falschen Argumenten, die ich bereits im Text angedeutet habe. Dass eine Kritik jedoch längst positive Urteile enthält, ist jedem aus seinem Alltag und sonst wo bekannt. Wer das Wort Klasse statt Schicht benutzt, kann gleich als Unruhestifter abdanken. Denn Klasse beschreibt etwas Antagonistisches, während Schicht nivelliert und Vereinbarkeit insinuiert. Oder eine andere Anekdote: Letztens habe ich mal am Esstisch zu Bekannten gesagt, in deren Gebäck sei bestimmt viel Zucker enthalten. Die Reaktion: "Ja, aber wir essen nicht oft solcherlei Süßgebäck." Sofort wurde in einem mitgeteilten Fakt eine negative Kritik hineingedeutet. Was ich mitteilen wollte, war tatsächlich etwas Anderes.

    Oder ein anderes Beispiel aus dem, was in diesem Forum auch besprochen wird. Hängt es nicht von der Art der "Kapital-Lektüre" ab, ob man Gewinn, Geld usw. als tolle "ökonomische Hebel" deutet oder das ganze für einen schlechten Umweg zur Planung von Wirtschaft hält? Das hängt doch davon ab, wie man die Wirtschaft erklärt?


    Zudem scheinst du behaupten zu wollen, meine "Abhandlung" sei nur von Leuten zu verstehen, die in formaler Logik ausgebildet sind. Ich halte meinen Artikel jedoch nicht für besonders lang, zweitens ist hier kein Fachvokabular zu finden - ich bemühe mich stets möglichst verständlich und gemeinverständlich zu schreiben - und drittens erscheinen mir die paar Gedanken inhaltlich nicht schwer verständlich. Andernfalls bin ich offen für formale Kritik daran, was einem da unverständlich erscheint.

  • Wal,


    du behandelst Pfeilregen wie einen Aussätzigen und sprichst ihm als Einzelnem und Kommunisten das Recht ab, richtige Aussagen treffen und gleichwohl richtige Folgerungen ziehen zu können. Das ist nicht nur unklug, sondern es ist insbesondere für die Kärung der Widersprüche unter Linken schädlich, wenn Aussagen auf diese Art und Weise abgebügelt, verzerrt und quasi diffamiert werden. Auch diesmal wird wieder nicht auf wissenschaftliche, meinetwegen auch dialektische, Weise auf Argumente eingegangen. Stattdessen wird festgestellt, dass ein einzelner Kommunist eigentlich nur ein hochnäsiger Schlaumeier sein kann, der alles besser wissen will als die bürgerliche Masse. Was soll das? Zumindest müsste das begründet werden.


    Ob ein Argument richtig oder fasch ist, kann doch nicht von Aufnahmebereitschaft einer bürgerlichen Masse abhängig gemacht, sondern allein anhand seiner logischen und/oder empirische Herleitung überprüft werden . Besser wäre es deshalb gewesen, erst einmal argumentativ nachzuweisen, dass Pfeilregen mit seinem Argument falsch liegt, dass es Unsinn sei, im bürgerlichen Denken befangene Proletarinnen politische Praxis in Form von Alternativen anzubieten, ohne sich zuvor mit deren politischem Dualismus als Bürgerinnen und Proletarierinnnen befasst zu haben (um daraus die entsprechenden Schlüsse ziehen zu können).


    Durch seine Beschränktheit kann der bürgerliche Verstand nur das (sozio- und polit-ökonomische) Sein erfassen und nicht die Gründe erkennen, welche dieses bestimmen. Die unbeschränkte radikale Kritik und Selbstkritik, der unbeschränkte Gebrauch des Verstandes, ist deshalb eine der zentralen und unerlässlichen Voraussetzungen linker/kommunistischer Politik Damit grenzt sich kommunistische Politik hinsichtlich der Methodik grundsätzlich von allen Varianten der (bürgerlichen) Politik ab. Aber die Linken, unterdessen, tun sich mit dieser Erkenntnis schwer und meinen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, ihre radikale Kritik, den zweckfreien Gebrauch ihres Verstandes aufgeben zu müssen und basteln sich deshalb lieber ihre Weltbilder, in denen die kommunistische Methodik und Begrifflichkeit mal keine oder mal eine mehr oder minder große Rolle spielt.


    Beste Grüße

    ricardo

  • du behandelst Pfeilregen wie einen Aussätzigen

    Wo bitte tue ich das?

    und sprichst ihm als Einzelnem und Kommunisten das Recht ab, richtige Aussagen zu treffen

    Wo bitte tue ich das? Du berufst dich gerne auf Wissenschaftlichkeit, stellst aber hier Behauptungen in den Raum, die sich nicht belegen lassen. In einem Atemzug forderst du einen besseren Umgangston unter den Linken, gleichzeitig schlägst du mit bösen Unterstellungen auf mich ein. Das ist ziemlich unpassend.


    Auch diesmal wird wieder nicht auf wissenschaftliche, meinetwegen auch dialektische, Weise auf Argumente eingegangen.

    Offenbar hast du meine Antwort nicht richtig gelesen. Ich habe sein grundlegendes Szenario: der einzelne Kommunist , der die Bürgerlichen aufklären will, als unhistorisch und unpolitisch abgelehnt und bin deshalb nicht weiter darauf eingegangen.

    Im übrigen teile ich (grundsätzlich) seine Ansicht, dass im Negativen (in der richtigen Kritik) auch das Positive steckt (praktische und soziale Alternativen).

    Aus dieser Ansicht ziehe ich allerdings andere Schlussfolgerungen als er.


    Im übrigen habe ich den Eindruck, dass Pfeilregen gut für sich selber sprechen kann. Er hat dich als "Fürsprecher" nicht nötig.


    Gruß Wal