Staatspartei und Bewegungspartei

  • SPD-Mann Julius Leber gehörte zu den wenigen linken Mitverschwörern des 20. Juli 1944. Julius Leber war wenige Tage vor dem Attentat auf Hitler verhaftet worden, nachdem er Kontakt mit der illegalen KPD in Deutschland aufgenommen hatte. Er wurde am 5. Januar 1945 in Plötzensee von den Nazis ermordet.



    Julius Leber war schon 1933 verhaftet und zu Zuchthaus verurteilt worden. In seiner Haftzeit verfasst er eine kritische Bestandsaufnahme über das politische Scheitern der SPD und ihrer kampflosen Übergabe der Staatsmacht an die Nazis. In seiner selbstkritischen Analyse arbeitete Leber den Widerspruch der SPD als Klassenpartei und als Staats- und Regierungspartei heraus, und schrieb richtig, dass die SPD nicht beides zur gleichen Zeit sein könne. Julius Leber war kein „Arbeiterführer“, sondern ein linker Nationalist. Er schrieb: „Die Mehrzahl der heranwachsenden Aufgaben sind überhaupt nur im Rahmen und mit den Mitteln des eigenen Staates, der eigenen Nation zu lösen.“ (S. 216)

    Leber sieht die Ursachen des Scheiterns der SPD und des Untergangs der Weimarer Republik in der Schwäche der republikanischen Staatsmacht und ein Gutteil dieser Schwäche rührte von der Regierungsschwäche der damaligen SPD. Die Regierungsschwäche der SPD kam aber von ihrer Zerrissenheit zwischen den Aufgaben als Staatspartei und den Hoffnungen als Klassenpartei. Darin liegt sicherlich viel Wahrheit. Mit mehr innen- und außenpolitischer Entschlossenheit hätten die SPD-Regierungen der Weimarer Zeit die republikfeindlichen Kräfte in der Wehrmacht und am rechten politischen Rand schwächen und klein halten können.

    Leber: „In der schweren Wahl zwischen konsequenter Staats- und bequemer Parteipolitik entschied sich die Fraktion einmal mehr für das zweite.“ (230)

    „Wie in der Innenpolitik, so blieb auch in der außenpolitischen Haltung eine allgemeine Passivität die einzige und letzte Weisheit.“ (231).

    „So blieb nach wie vor eine allgemeine Passivität das Hauptmerkmal sozialdemokratischer Politik, auch in den nun folgenden Jahren schärfster politischer Stürme… Die sozialdemokratische Führung stand am Rande der Geschehnisse…“ (238) „Diese Männer … waren … Bürokraten der Politik geworden.“ (242).


    In einem ähnlichen Dilemma zwischen Staatspartei und „Bewegungspartei“ wie die Weimarer SPD steht heute und künftig die Linkspartei in Deutschland. Die Linkspartei will sowohl „Partei der Armen und Rechtlosen“ sein, aber auch Staats- und Regierungspartei. Das eine verträgt sich nicht mit dem anderen. Staat und Regierung in Deutschland dienen vor allem „der Wirtschaft“, dem Big Business. Die Interessen der Armen und Rechtlosen passen nur so weit in Regierungspolitik, als dass die Armen und Niedriglöhner sediert und ruhig gestellt werden sollen.


    Die Linken in der Linkspartei ziehen daraus den Schluss, dass ihre Partei immer und unter allen Umständen eine Regierungsbeteiligung vermeiden solle. Ihre innerparteilichen Gegner, die „Staatslinken“ kritisieren das mit der Position von Julius Leber: Der Staat sei ein wichtiger Machtfaktor. Wer etwas ändern will, kann nicht grundsätzlich auf die Staatsmacht verzichten.

    Ich denke, die beiden Standpunkte sind nicht so unversöhnlich wie sie auf den ersten Blick scheinen. Ich denke, es gibt historische Situationen, wo linke Kräfte sich vor einer Regierungsbeteiligung nicht drücken können und nicht drücken dürfen.


    Welche Situationen können das sein?

    Zunächst sehe ich als eine Bedingung, dass die Linkskräfte in Wahlen mindestens 20% der Wahlstimmen erhalten, so dass sie dieses politische Gewicht auch in Regierungsmacht umsetzen können.

    Zweitens sehe ich als Bedingung, dass es im ganzen Land eine politische Gärung und Bewegung gibt, zu deren Stimme sich die Partei machen kann.

    Drittens muss es um wichtige Weichenstellung in Staat und Gesellschaft gehen wie:

    - Verhinderung eines Krieges mit deutscher Beteiligung;

    - Beendigung eines Krieges mit deutscher Beteiligung;

    - Verhinderung einer autoritären Rechtsregierung;

    - und um wichtige soziale Verbesserungen (ohne direkten Eingriff in die Eigentumsverhältnisse!) wie:

    • - Verkürzung der Wochenarbeitszeit um 10 Stunden;
    • - Flächendeckender Naturschutz mit ökologischer Landwirtschaft;
    • - Nulltarif im Nahverkehr;
    • - Kommunale Selbstverwaltung;
    • - Abschaffung des Beamtentums.


    Alle Zitate aus: Julius Leber, Ein Mann geht seinen Weg. Schriften, Reden und Briefe von Julius Leber. Frankfurt 1952.


    Wal Buchenberg, 12.11.2017

  • Wal, du bist also der Ansicht, unter bestimmten Umständen wäre eine Regierungsbeteiligung einer linken Partei bzw. der heutigen Linkspartei sinnvoll und würde einen emanzipatorischen Spalt öffnen. Die bisherige Erfahrung verweist aber auf ein Scheitern derlei Projekte. Nach diesem Scheitern wird die linke Partei dafür meistens von den früheren Wählern abgewatscht und es folgt ein Rechtsruck. Wie sieht es dahingehend weiterhin mit einer Rücknahme des Staates in die Gesellschaft durch die Kommunen aus? Siehst du hier zwei Wege, je nachdem wie es um die Kräfteverhältnisse steht? Die 'Kommunalisten' Takis Fotopoulos und Murray Bookchin fordern beispielsweise die Teilnahme an Wahlen zur Gemeindevertretung um auf diese Weise die (finanziellen) Entscheidungsmacht zu dezentralisieren und eine Art duale Macht der vernetzten Kommunen aufzubauen. Wäre dieser Weg nicht sinnvoller um sich nicht in den Fängen der abstrakten Staatspolitik zu verheddern? Der 'Neue Municipalismus' in Spanien, wie z.B. die linke Bürgerplattform Barcelona en Comu, gehen ja bereits in diese Richtung.

  • Hallo Mario,

    für das von mir aufgezeigte Szenario gibt es keine "bisherige Erfahrung".

    Mein obiger Vorschlag ist eine Kritik am linken Dogmatismus, der Regierungsbeteiligungen unter allen Umständen ablehnt und ebenso ist es eine Kritik an den Staatslinken, die die Interessen der Bewegung für ein Linsengericht verkaufen.


    Ich sehe hier nicht zwei, sondern viele Wege, die immer dann begehbar werden, wenn man keine Illusionen weckt, und klare Ecksteine hat.

    Bevor Heinrich IV. König von Frankreich werden konnte, musste er zum Katholizismus übertreten. Friedrich Engels hat das mit dem Satz gutgeheißen: "Paris ist eine Messe wert."

    Für "Paris" stehen oben die möglichen Eckpunkte. Die Teilnahme an der Messe steht für die Teilnahme an der Regierung.


    Die Linkspartei existiert, von Kommunalisten ist in Deutschland noch nichts zu sehen. Sobald sie hier als Bewegung auftauchen, kann ich das auch kommentieren.


    Was sich in Spanien/Katalonien als "Kommunalistische Bewegung" (CUP) tummelt ist ein Angriff auf jeden (linken) Menschenverstand: Sezession und Staatsgründung als Hebel der kommunalen Selbstverwaltung!?

    Und je weiter die PYD in Syrien über das Gebiet hinausgreift, das mehrheitlich von Kurden bewohnt ist, desto deutlicher wird, dass ihre "kommunale Selbstverwaltung" nur Maskerade ist für militärische Expansion.

    Von der CUP in Katalonien wie von der PYD in Syrien wird behauptet, ihr Aufbau eines nationalistischen Machtapparates diene als "Mittel" zu einer Kommunalisierung der Gesellschaft. Das glaube, wer will.


    Gruß Wal

  • Newly created posts will remain inaccessible for others until approved by a moderator.