Die Bitcoin-Revolution

  • (Deutsche Übersetzung des Blogartikels „Blockchains and the crypto craze“ von Michael Roberts.)


    Der Hype um die Cryptowährung Bitcoin scheint in den vergangenen Wochen auf Tauchgang gegangen zu sein, seit der chinesische Staat die Spekulation mit Bitcoin stark beschränkte. Die Geschichte der Finanzmärkte ist reich an Preisblasen, von der Spekulation mit Tulpen in den frühen 1600er bis zu neueren Beispielen, wie die Hausse mit Internet-Aktien in den späten 1990er Jahren und der US-Hauspreise vor 2008. Deren Preisentwicklungen gleichen wie ein Ei dem anderen. Der Aufstieg der virtuellen Währung Bitcoin, die vor kurzem fast $ 5.000 erreicht hatte und um 350% in diesem Jahr gestiegen war, fällt nun zurück auf $ 3000, liegt aber noch weit über ihrem Startpreis. Es könnte auch zu einer Endabrechnung kommen.

    Bitcoin zielt darauf ab, die Transaktionskosten bei Internet-Zahlungen zu reduzieren und die Notwendigkeit von Finanzvermittleren, dh Banken, vollständig zu eliminieren. Aber bis jetzt war die Hauptnutzung die Finanzspekulation. Ist Bitcoin, gestartet als digitale Währung im Internet, nur ein spekulativer Betrug, ein anderes Ponzi-Schema, oder steckt hinter dem Aufstieg all dieser Kryptowährungen, wie sie genannt werden, mehr dahinter?

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    Im modernen Kapitalismus ist das umlaufende Geld nicht mehr eine Ware wie Gold, sondern eine "Fiat-Währung", entweder in Münze oder als Banknoten, meist bereitgestellt als Kredit von den Banken. Solche Fiat-Währungen werden akzeptiert, weil sie von Regierungen und Zentralbanken gedruckt und abgesichert werden und staatlicher Genehmigung („fiat“) und staatlicher Regulierung unterliegen. Die überwiegende Mehrheit des Fiat-Geldes existiert nicht mehr in Münze oder Banknoten, sondern liegen auf Konten oder sind Forderungen an Banken. In Großbritannien machen Banknoten und Münzen nur 2,1% der Geldmenge von £ 2,2 Billionen.

    Die Triebkräfte hinter Bitcoin und anderen rivalisierenden Krypto-Währungen waren das Internet und das Wachstum des Handels und der Markt-Transaktionen im Internet. Das Internet hat die Voraussetzung für kostengünstige, anonyme und schnell verifizierbare Transaktionen generiert, die für Online-Tauschhandel verwendet werden und daraus ist dann das Internet-Geld entstanden.

    Cryptowährungen wollen die Notwendigkeit von Finanz-Zwischenhändlern beseitigen, indem sie direkte Peer-to-Peer (P2P) Online-Zahlungen ermöglichen. Die wichtigste technologische Innovation hinter Kryptowährungen war die Blockkette, ein transparentes "Geschäftsbuch", das alle Transaktionen für jede einzelne Währungseinheit enthält. Es unterscheidet sich von bestehenden (physischen oder digitalen) Buchführungen dadurch, dass es dezentralisiert ist, d.h. es gibt keine zentrale Behörde, die die Gültigkeit von Transaktionen überprüft. Stattdessen verwendet Internet-Geld eine Verifikation auf der Grundlage des kryptographischen Nachweises, wo verschiedene Mitglieder des Netzwerks alle Buchungen oder "Blöcke" von Transaktionen etwa alle 10 Minuten verifizieren. Der Anreiz dafür ist eine Entschädigung in Form von neu geschaffener Krypto-Währung für das erste Mitglied, das die Überprüfung liefert.

    Die am weitesten verbreitete Kryptowähung ist Bitcoin, die von einem anonymen und mysteriösen Programmierer Satoshi Nakamoto vor neun Jahren konzipiert wurde. Bitcoin ist nicht auf eine bestimmte Region oder ein Land spezifiert, noch ist es für den Einsatz in einer bestimmten virtuellen Wirtschaftsbranche vorgesehen. Wegen seiner dezentralisierten Natur ist die Verbreitung und Nutzung von Bitcoin weitgehend der direkten Aufsicht und Regulierung einer staatlichen Geldpolitik entzogen, die sich normalerweise auch auf lokales Privatgeld und E-Geld erstreckt.

    Die Innovation der transparenten Buchungsdokumentation oder „blockchain“ in Bitcoin ist die öffentliche Transaktionsaufzeichnung ohne zentrale Autorität. Die Blockchain-Technologie bietet allen die Möglichkeit, sich nach und nach an abgesicherten Vertragsabschlüssen zu beteiligen, ohne dass die Dokumentation von dem, was irgendwann vereinbart wurde, verloren geht. Die Blockkette ist also eine Transaktionsdatenbank, die auf einem für alle sichtbaren kryptografischen Geschäftsbuch basiert, das von allen in Usern des Systems gemeinsam verwendet wird. Betrug wird durch die ständige Überprüfung aller Blöcke oder Einträge verhindert. Die Blockkette benötigt keine zentrale Behörde oder vertrauenswürdige Dritte, um die Interaktionen zu begleiten oder die Transaktionen zu autorisieren. Eine vollständige Kopie der Blockkette enthält jede Transaktion, die irgend wann mal ausgeführt wurde, und informiert über jeden einzelnen Wert, der zu irgend einem der aktiven Konten gehört. Alle diese Informationen sind überall und jederzeit lesbar und zugänglich.

    Für Technikfans und für alle, die eine neue Welt jenseits staatlicher Kontrolle und jenseits von Regulierungsbehörden schaffen wollen, klingt das aufregend. Man hofft, dass damit Kommunen und Individuen ohne das Diktat korrupter Regierungen Transaktionen tätigen und ihr Einkommen und ihren Reichtum vor dem Behördenzugriff schützen können – vielleicht handelt es sich sogar den Embryo einer nachkapitalistischen Welt?

    Aber eröffnet diese neue Technologie von Blockchains und Kryptowährungen tatsächlich den Zugang zu einer utopischen neuen Welt?

    Wie bei jeder Technologie hängt im Kapitalismus alles davon ab, ob dadurch menschliche Arbeitszeit reduziert wird und ob die Produktivität von Dingen und Dienstleistungen nach ihrer Gebrauchswertseite erhöht wird oder ob es sich um eine weitere Waffe zur Steigerung von Wert und Mehrwert handelt.

    Kann eine bloße Technologie für sich uns wirklich vom Wertgesetz befreien - eine Technologie, die scheinbar außerhalb jeder Kontrolle eines Unternehmens oder einer Regierung steht?

    Ich denke nicht. Erstens ist die Verwendung von Bitcoin auf Personen mit Internetverbindungen beschränkt. Milliarden Menschen sind daher aus dem Prozess ausgeschlossen sind, obwohl das mobile Bankwesen mittlerweise auch die Dörfern und Städte der "Schwellenländer" erreicht.

    Zweitens kann man bisher nicht viel mit Bitcoin kaufen. Weltweit laufen etwa drei Bitcoin-Transaktionen pro Sekunde, während zur gleichen Zeit etwa 9000 Transaktionen nur mit der Visa-Kreditkarten abgerechnet werden.

    Und drittens ist die Einrichtung eines Bitcoin-Kontos - eines „wallet“ - immer noch ein kompliziertes Verfahren.

    Wichtiger ist noch die Frage, ob Bitcoin tatsächlich die Kriterien für Geld in modernen Volkswirtschaften erfüllt. Geld erfüllt im Kapitalismus drei Funktionen, wo Produkte und Dienstleistungen als Waren produziert werden, um auf einem anonymen Markt Käufer zu suchen.

    Geld muss als Austauschmittel akzeptiert werden. Es muss eine Rechnungseinheit mit einem gewissen Maß an Stabilität sein, damit wir die Kosten von Waren und Dienstleistungen im Zeitablauf und zwischen den Händlern vergleichen können. Und Geld sollte auch ein Wertbewahrer sein, der im Laufe der Zeit relativ stabil bleibt. Sobald Hyperinflation oder spiralförmige Deflation einsetzt, dann verliert eine nationale Währung schnell ihre Funktion als Geld, weil es "Vertrauen" verliert. Es gibt viele Beispiele in der Geschichte der nationalen Währungen, die durch andere Währungen oder durch Gold (bzw. Zigaretten) ersetzt wurde, weil das "Vertrauen" in seine Stabilität verloren ging.

    Das Vertrauen in Bitcoin hängt von den „miners“, den "Bergleuten" ab, die ihre Computer-Rechenleistung zur Berechnung einer komplexen kryptographischen Aufgabe beitragen und damit die Transaktionen überprüfen, die über einen kurzen Zeitraum (10 Minuten) aufgetreten sind. Diese Transaktionen werden dann als Block (Buchung) in die Kette eingeschrieben, und der Bergmann, der zuerst den korrekten Nachweis eingeschrieben hat, erhält eine dafür Bezahlung (derzeit 25 Bitmünzen).

    Die maximale Blockgröße eines Kettengliedes beträgt 1 MB, was etwa sieben Transaktionen pro Sekunde entspricht. Um sicherzustellen, dass Blöcke etwa alle 10 Minuten veröffentlicht werden, ändert das Netzwerk automatisch die Komplexität der zu lösenden kryptographischen Aufgabe.

    Dokumentation der Bitcoin-Kette oder der „Bitcoin-Bergbau“ erfordern spezialisierte Computer-Ausrüstung mit erheblichen Stromkosten und Bergleute müssen deshalb ihre Technologie auf den Energieverbrauch abstimmen und umgekehrt. Das heißt, auf Dauer könnte Bitcoin nur dann als globales alternatives Ersatzgeld funktionieren, wenn der Bitcoin-Bergbau in ganz großem Stil betrieben würde. Und das bedeutet, dass über kurz oder lang nur kapitalistische Großunternehmen auch in der Lage sein werden, den Bitcoin-Markt zu kontrollieren. Und wenn es ermöglicht würde, dass Leute mit Bitcoin ihre Steuern an die Regierung zahlen, dann müsste es irgendwie eine feste Preisbeziehung zwischen Bitcoin und dem staatlichen Fiat-Geld geben. Spätestens dann haben Regierungen wieder ihre Finger im Spiel.

    Tatsächlich ist das größte Hindernis für den allgemeinen Gebrauch von Bitcoin und jeder anderen Kryptowährung der enorme Energieverbrauch. Die Computer für Bitcoin-Dokumentation, bzw den „Bergbau“, verbrauchen weltweit bereits mehr Strom als ganz Irland. Temperaturen im Umfeld von Bitcoin-Bergbau-Zentren sind in die Höhe geschossen. Vielleicht könnte diese Hitze auch ökologisch weitergenutzt werden, aber die enormen Kosten eines solchen Energie-Recycling könnte auch die Blockchain-Expansion blockieren.

    Die Kapitalisten ignorieren die Blockchain-Technologie keineswegs. Tatsächlich suchen sie die Blockchain-Technologie wie jede andere Innovation unter ihre Kontrolle zu bringen und für sich nutzbar zu machen. Auf alle User verteilte Geschäftsbücher („Mutual distributed Ledgers“, MDLs) in Blockchain-Technologie ermöglichen eine öffentliche elektronische Dokumentation von beglaubigten Finanztransaktionen ohne zentralisiertes Eigentum. Die Möglichkeit weltweit verfügbare, verifizierte und unbegrenzte Datenbanken zu schaffen, bietet allen Finanz- und Versicherungsunternehmen, die treuhänderische und notarielle Dienstleistungen anbieten, dies sehr billig und risikolos zu machen. In der Tat ist das der Weg, den große Banken und andere Finanzinstitute schon eingeschlagen haben. Sie sind sehr daran interessiert, eigene Blockchain-Technologien zu entwickeln, um Kosten zu sparen und in Internet-Transaktionen zu expandieren.

    Ein Kritiker der Blockkette schreibt:

    "Erstens sind wir nicht davon überzeugt, dass Blockchain jemals erfolgreich von einem Coupon oder Token-Pay-off-Komponente getrennt werden kann, ohne die Sicherheit des Systems zu beeinträchtigen. Zweitens haben wir Zweifel, dass die Ökonomie des Blockchain für den Alltag außerhalb von komplexen Anwendungsfällen funktioniert. Drittens wird Blockchain immer teurer sein als eine zentrale Clearingstelle. Denn bei Blockchain müssen viele Agenten jeden einzelnen Auftrag bearbeiten statt dass alle Aufträge von einer einzigen Clearingstelle bearbeitet werden. Eine einzelne Clearingstelle wird immer billiger bleiben als eine Masse von „miners“. Kaminska, I., 2015, „On the potential of closed system blockchains“, FT Alphaville.

    (Anmerkung von W. Buchenberg: Die Frage ist hier: Wer bezahlt die Miners? Solange diese – wie zur Zeit – Soloselbständige sind, die vom „Bitcoin-Bergbau“ leben, können tatsächlich Finanzdienstleister kostenlos auf deren Dienste zurückgreifen. Finanzdienstleister könnten ihre Transaktions-Buchhaltung einstampfen ohne einen öffentlichen Vertrauensverlust.)

    All das deutet darauf hin, dass die Blockchain-Technologie in die kapitalistische Jagd nach Mehrwert eingespannt wird, sobald die Technologie weitere Verbreitung findet. Kryptowährungen werden Bestandteile eines Kryptofinanzwesens, nicht aber ein Medium einer besseren Welt mit freien und autonomen Transaktionen. Noch naheliegender aber ist, dass Bitcoin und andere Kryptowährungen im Randbereich des digitalen Geldverkehrs bleiben werden, so wie Esperanto als scheinbar universelle globale Sprache sich gegen die Macht des imperialistischen Englisch, Spanischen und Chinesischen nicht durchgesetzt hat.

    Aber die Krypto-Hype kann noch eine Weile weiter fortgehen, zusammen und neben den weltweit agierenden internationalen Aktien- und Anleihemärkten, auf denen brachliegendes Kapital nach höheren, spekulativen Erträgen sucht.

    Link zum englischen Originaltext

  • ICO, die Seele von Bitcoin


    Es gibt inzwischen eine noch verrücktere Version von „Kryptogeld“ als Bitcoin - genannt  ICO („initial coin offering“), was absichtlich wie IPO („Initial public offering“) klingt.


    IPO wird der Vorgang genannt, wenn ein Unternehmen an die Börse geht und erstmalig Aktien von ihrer Firma verkauft. IPO ist besonders lukrativ, weil das Unternehmen als Verkäufer von Wertpapieren auftritt, die es bisher nicht gab. So gut wie das gesamte Geld wandert als Kapitalerhöhung in die Taschen des offerierenden Unternehmens. IPO braucht allerdings eine Bank, die den Verkauf überwacht und regelt und dafür hohe Prämien verlangt.

    Die Käufer von IPO zahlen Geld und bekommen dafür ein Wertpapier, das zu einem bestimmten Anfangskurs gehandelt wird. Die Käufer hoffen dann auf Kurssteigerungen beim Wiederverkauf. ICO funktioniert mit Blockchain – ohne eine vermittelnde Bank. Ihre Käufer erhalten aber nichts - außer einem virtuellen Eintrag in die Blockchain, den sie weiterverkaufen können. Auch sie hoffen auf eine Kurssteigerung.

    Bis heute haben 600 US-Unternehmen ICOs verkauft und dabei 2 Milliarden Dollar eingesammelt.

    Der Aktienkäufer erhält immerhin ein „Wertpapier“. Der ICO-Käufer erhält nichts, als einen Eintrag in die Blockchain. Aktienkauf ist verdeckte Spekulation. ICO-Kauf ist nackte Spekulation.

    Für die Unternehmen, die ICOs anbieten, ist die Sache lukrativ. Sie verkaufen keine Anteile an ihren Unternehmen, holen sich also auch keine Großinvestoren ins Haus, die vielleicht unangenehme Forderungen stellen. Außerdem kommen ICO-Verkäufe ganz ohne makelnde und vermittelnde Banken aus, die für ihre Dienste hohe Prämien verlangen. Die ICO-Verkäufer brauchen nur ihre Blockchain online stellen und dafür Werbung machen.

    Soweit Leute Bitcoin oder andere Kryptowährungen kaufen, nicht um damit Waren und Dienstleistungen zu bezahlen, sondern um auf Kurssteigerungen zu spekulieren, unterscheidet sich Bitcoin nicht von ICO.

    Gleichzeitig behindert die Spekulationsmöglichkeit mit Bitcoin seine Funktion als Austausch- oder Kaufmittel.

    Wenn ein Bitcoinbesitzer sieht, dass der Kurs ansteigt, gibt er die Kryptowährung ungern aus der Hand, um von der Kurssteigerung zu profitieren. Wenn aber die Kurse stark abfallen, werden sich die Warenbesitzer weigern, Bitcoin als Währung zu akzeptieren, weil sie befürchten müssen, dass sie dabei Wert verlieren.


    Bei alledem wird deutlich:

    Bitcoin und Blockchain revolutionieren vielleicht die Finanzgeschäftemacherei. Der Sprung, um aus Geld mehr Geld zu machen, wird immer kürzer. Das betrifft aber nur die Kapitalisten. Wir Lohnabhängigen brauchen Geld, um damit Waren und Dienstleistungen zu bezahlen. Unser Problem ist nicht, aus Geld mehr Geld zu machen. Unser Problem ist, wie wir überhaupt an Geld kommen, um unseren Lebensunterhalt zu bestreiten.

    Da hilft uns Bitcoin keinen Penny weiter.

    Gruß Wal

  • Heute gibt es ja mehrere Währungen (Geldsorten) nebeneinander. Wenn eine nationale Währung inflationiert und rapide an Wert verliert, dann sind davon andere Währungen nicht unbedingt betroffen. Sie behalten ihren Wert. Aber man muss Leute finden, die diese fremden Währungen akzeptieren. Im Krisenfall wird es eben so schwer sein, einen Bäcker zu finden, der Bitcoin als Bezahlung akzeptiert, wie einen Supermarkt, der chinesische Yuan annimmt.

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