Nachtrag zur unproduktiven Lohnarbeit

  • Das Thema produktive und unproduktive Lohnarbeit wurde ausführlich diskutiert, so dass der Leser leicht die Übersicht verliert.

    Mein Nachtrag geht nicht auf alle angesprochenen Aspekte ein. Aber Ricardo kritisierte, dass ich zu sehr auf Dissens und zu wenig auf Konsens hin diskutiert hatte. Das mag sein. Im Nachtrag möchte ich daher möglichst das Unstrittige zusammenfassen, auf das sich vielleicht alle Diskutanten einigen können.


    Mein Nachtrag zur unproduktiven Lohnarbeit:

    Über die Klassenteilung der modernen Gesellschaft schrieb Marx:

    „Die Eigentümer von bloßer Arbeitskraft, die Eigentümer von Kapital und die Grundeigentümer, deren jeweilige Einkommenquellen Arbeitslohn, Profit und Grundrente sind, also Lohnarbeiter, Kapitalisten und Grundeigentümer, bilden die drei großen Klassen der modernen, auf der kapitalistischen Produktionsweise beruhenden Gesellschaft.

    In England ist unstreitig die moderne Gesellschaft, in ihrer ökonomischen Gliederung, am weitesten, klassischsten entwickelt. Dennoch tritt diese Klassengliederung selbst hier nicht rein hervor. Mittel- und Übergangsstufen vertuschen auch hier (obgleich auf dem Lande unvergleichlich weniger als in den Städten) überall die Grenzbestimmungen.

    Indes ist dies für unsere Betrachtung gleichgültig.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 892.


    1) Unstrittig ist wohl, dass das Staatspersonal („Öffentliche Dienerklasse“) zu den unproduktiven Lohnarbeitern zählt.

    Im ersten Band des Kapitals rechnete Karl Marx „Regierung, Pfaffen, Juristen, Militär usw.“ ausdrücklich aus der produktiven Lohnarbeiterklasse heraus. (K. Marx, Kapital I, MEW 23, 469).

    Über den "Zweck" dieser höheren Staatsstellen schrieb Marx:

    „Hier bringt die Bourgeoisie ihre überschüssige Bevölkerung unter und ergänzt in der Form von Staatsgehalten, was sie nicht in der Form von Profiten, Zinsen, Renten und Honoraren einstecken kann.“ K. Marx, 18. Brumaire, MEW 8, 151.


    2) Unstrittig ist weiter, dass das gesamte Hauspersonal (private Dienerklasse) zu den unproduktiven Lohnarbeitern zählt.

    Karl Marx nahm an, dass die private Dienerklasse im Kapitalismus anwächst: „Endlich erlaubt die außerordentlich erhöhte Produktivkraft in den Sphären der großen Industrie, begleitet, wie sie ist, von intensiv und extensiv gesteigerter Ausbeutung der Arbeitskraft in allen übrigen Produktionssphären, einen stets größeren Teil der Arbeiterklasse unproduktiv zu verwenden ...“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 469.

    Darin hat sich Karl Marx wohl getäuscht. Die Zahl der unproduktiven Lohnarbeiter (private und öffentliche Dienerklasse) hat insgesamt gegenüber der MItte des 19. Jahrhunderts abgenommen und nimmt weiter ab, obwohl sich z.B. die Aufgaben der Staatsdiener vermehrt und vervielfältigt haben. Die Staatsdiener haben gegenüber 1860 zugenommen, dem steht eine große Abnahme der Privatdienerklasse gegenüber. Im England von 1861 war die lohnabhängige Privatdienerklasse noch zahlenmäßig größer als die produktive Arbeiterklasse. (Siehe die genauen Zahlen im Anhang)

    Heute macht der Anteil der unproduktiven Lohnarbeiter an der Erwerbsbevölkerung in Deutschland nur noch rund 5 % aus (meine Schätzung), da der private Luxus der Reichen nicht mehr wie früher in jedem Haushalt in Form von Bediensteten vorrätig gehalten wird, sondern zunehmend als Ware bzw. Dienstleistung gekauft wird: beim Schönheitschirurgen, im Luxusrestaurant, beim privaten Flugdienst, im Luxushotel usw. Damit sind die Luxusdienstleistung aus dem unproduktiven Sektor der kapitalistischen Wirtschaft in den produktiven Sektor gewandert. Marx unterteilte ja den Konsumtionsmittelsektor in „notwendigen Konsum“ und Luxuskonsum.

    Weil und soweit dieser heutige Luxus als Warenproduktion organisiert ist, gehört er auch zum kapitalistischen Produktionsprozess. Diese Produktion von Luxuswaren (Luxus-Dienstleistungen) durchläuft den Kapitalkreislauf G – G‘.

    Er umfasst also industrielles Kapital und kommerzielles Kapital. „Notwendige Konsumtion“ tauscht sich gegen die Lohnsumme v.

    Luxuskonsumtion tauscht sich gegen einen Teil des Mehrwerts m (der andere Teil wird akkumuliert und in zusätzliches Kapital verwandelt).

    Aber für beide Sektoren gilt: „In jeder Abteilung zerfällt das Kapital in zwei Bestandteile: 1. Variables Kapital ... 2.Konstantes Kapital, d.h. den Wert aller zur Produktion in diesem Zweig angewandten Produktionsmittel...“ MEW 24, 395

    Ob „notwendiger Konsum“ oder Luxuskonsum beide Teile gehören zum kapitalistischen Produktionsprozess und ihre Lohnarbeiter gehören zur produktiven Lohnarbeiterklasse.


    3) Ich glaube, alle restlichen Klassen und Schichten mit ihren Mittel- und Übergangsstufen „sind für unsere Betrachtung gleichgültig".

    Wem sie nicht gleichgültig sind, der sollte erst begründen, wofür er noch genauere Bestimmungen braucht. Darüber will ich dann gerne diskutieren.

    Gruß Wal


    Anhang:

    Karl Marx: Klassenanalyse von England 1861:

    "Endlich erlaubt die außerordentlich erhöhte Produktivkraft in den Sphären der großen Industrie, begleitet, wie sie ist, von intensiv und extensiv gesteigerter Ausbeutung der Arbeitskraft in allen übrigen Produktionssphären, einen stets größren Teil der Arbeiterklasse unproduktiv zu verwenden und so namentlich die alten Haussklaven unter dem Namen der „dienenden Klasse", wie Bediente, Mägde, Lakaien usw., stets massenhafter zu reproduzieren.

    Nach dem Zensus von 1861 zählte die Gesamtbevölkerung von England und Wales 20 066 224 Personen, wovon 9 776 259 männlich und 10 289 965 weiblich. Zieht man hiervon ab, was zu alt oder zu jung zur Arbeit, alle „unproduktiven" Weiber, jungen Personen und Kinder, dann die „ideologischen" Stände, wie Regierung, Pfaffen, Juristen, Militär usw., ferner alle, deren ausschließliches Geschäft der Verzehr fremder Arbeit in der Form von Grundrente, Zins usw., endlich Paupers, Vagabunden, Verbrecher usw., so bleiben in rauher Zahl 8 Millionen beiderlei Geschlechts und der verschiedensten Altersstufen, mit Einschluß sämtlicher irgendwie in der Produktion, dem Handel, der Finanz usw. funktionierenden Kapitalisten.

    Von diesen 8 Millionen kommen auf:

    "fünf neue Industrien" (Gaswerke, Telegraphie, Photographie, Dampfschifffahrt, Eisenbahnwesen)

    94.145

    Äckerbauarbeiter (mit Einschluß der Hirten und bei Pächtern wohnenden Ackersknechte und Mägde)

    1.098.261

    Alle in Baumwoll-, Woll-, Worsted-, Flachs-, Hanf-, Seide-, Jutefabriken und in der mechanischen Strumpfwirkerei und Spitzenfabrikation Beschäftigten

    642.607

    Alle in Kohlen- und Metallbergwerken Beschäftigten

    565.835

    In sämtlichen Metallwerken (Hochöfen, Walzwerke usw.) und Metallmanufakturen aller Art Beschäftigten.

     

    396.998

    Dienende Klasse

    1.208.648


    Rechnen wir die in allen textilen Fabriken Beschäftigten zusammen mit dem Personal der Kohlen- und Metallbergwerke, so erhalten wir 1 208 442;

    rechnen wir sie zusammen mit dem Personal aller Metallwerke und Manufakturen, so ist die Gesamtzahl 1 039 605, beidemal kleiner als die Zahl der modernen Haussklaven.

    Welch erhebendes Resultat der kapitalistisch exploitierten Maschinerie!“ Karl Marx, Kapital I, MEW 23, 469f

  • @wal



    Quote

    „Notwendige Konsumtion“ tauscht sich gegen die Lohnsumme v.

    Luxuskonsumtion tauscht sich gegen einen Teil des Mehrwerts m (der andere Teil wird akkumuliert und in zusätzliches Kapital verwandelt).

    Der Kapitalist muss auch essen, also an der "notwendigen Konsumtion" teilnehmen. Bezahlt er diese aus v? Und ich denke, dass, je entwickelter eine Gesellschaft und je mehr Zugeständnisse erkämpft wurden, können auch die v Erhaltenden mit v an Luxuskonsumtion teilnehmen.


    Ansonsten gehe ich mit Deinem Beitrag D'Accord. ;-)

  • Hallo Uwe,

    Denk dir zu diesen Bestimmungen von Marx, dass der notwendige Konsum aus dem Lohn und der Luxuskonsum aus dem Mehrwert bezahlt wird, einfach ein "im Wesentlichen" dazu!

    Für Vieles im Kapital gilt, dass damit ein "idealtypisches Bild" von Marx gezeichnet wird, ohne auf alle Grau- und Zwischentöne einzugehen.

    "In der Darstellung der Versachlichung der Produktionsverhältnisse und

    ihrer Verselbständigung gegenüber den Produktionsagenten gehn wir nicht

    ein auf die Art und Weise, wie die Zusammenhänge durch den Weltmarkt,

    seine Konjunkturen, die Bewegung der Marktpreise, die Perioden des Kredits,

    die Zyklen der Industrie und des Handels, die Abwechslung der Prosperität

    und Krise, ihnen als übermächtige, sie willenlos beherrschende

    Naturgesetze erscheinen und sich ihnen gegenüber als blinde Notwendigkeit

    geltend machen. Deswegen nicht, weil die wirkliche Bewegung der

    Konkurrenz außerhalb unsers Plans liegt, und wir nur die innere Organisation

    der kapitalistischen Produktionsweise, sozusagen in ihrem idealen

    Durchschnitt, darzustellen haben." Karl Marx, Kapital III, MEW 25, 839



    Zurück zum Konsum: An anderer Stelle verweist Marx darauf, dass die Lohnarbeiter nicht grundsätzlich von der Welt der Luxuswaren ausgeschlossen sind.

    „Infolge steigenden Arbeitslohns wird namentlich die Nachfrage der Arbeiter nach notwendigen Lebensmitteln wachsen. In einem geringeren Grad wird ihre Nachfrage nach Luxusartikeln zunehmen oder sich Nachfrage einstellen für Artikel, die früher nicht in den Bereich ihrer Konsumtion fielen.“ K. Marx, Kapital II, MEW 24, 340.

    Umgekehrt gilt das auch von Reichen. Die essen auch mal Kohlsuppe.


    Wenn du dich mal mit der Geschichte von Alltags- und Essenskultur befasst hast, dann wirst du wissen, dass in früherer Zeit die Welt der Armen tatsächlich durch eine große Kluft von der Welt der Reichen getrennt waren. Sie aßen unterschiedlich, kleideten sich unterschiedlich, wohnten unterschiedlich und erholten sich unterschiedlich. Die Trennung gibt es weiterhin, wenn auch nicht mit so klaren Grenzen wie zu Zeiten von Karl Marx. Tatsächlich sind diese Grenzen fließend, auch wenn sie keineswegs verschwinden:
    „... dass, was früher als Luxus erschien, nun notwendig ist und so genannte Luxusbedürfnisse ... als Notwendigkeit ... erscheinen.“ K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 426.


    Gruß Wal

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