Mehrwert und Selbstverwertung des Kapitals

  • ich habe das thema Mehrwert, was wir als unterthema der klassenfrage behandelt hatten, nochmals als eigenes gestartet. Ausgangsfrage ist, ob lohnarbeit im dienstleistungssektor produktiv ist oder nicht.
    ich möchste die frage nochmal anders stellen.
    Heute habe ich mir dazu ernest mandels einschätzung zu marx angeschaut.
    die rede von der dienstleistungsgesellschaft zwingt marxisten drüber nachzudenken, denn intuitiv vermutet man die mehrwertproduktion in der warenproduktion (eben dort, wo wertbildend produziert wird) und allenfalls noch in dem transportwesen, also dem sektor, der die waren zum verkauf, sprich zur wertrealisation bereitstellt.


    produktive arbeit ist mehrwertschöpfende arbeit. das ist richtig. aber auch tautologisch


    mandel meint, zwischen marx "theorien über den mehrwert" und kapital Band II, besteht ein Widerspruch.


    In den Theorien hat Marx folgende Ansicht:
    - nur an Warenproduktion direkt beteiligte Arbeit ist produktiv (MEW 26.1: 279, 298)
    - mit Kapital gekaufte Arbeit ist produktive Arbeit (statt mit Revenue) (MEW 26.1: 259, 271, 299f, 304)
    - in einem anderen Abschnitt vermischt er beide Formen (MEW 26.1: 424)
    Kommerzielle Vermittler im Lohndienst gehören hier für ihn dazu ((MEW 26.1: 325)


    für den warentransport hat marx an mehreren stellen eine eindeutige antwort. er ist produktiv. marx spricht vom produktionsproßess der transportindustrie, denn die ortsveränderung ist notwendig für die realisation des werts ((MEW 26.1: 133, MEW 24: 151)


    In Kapital Band II wird die Bestimmung der produktiven Arbeit als der an der materiellen Produktion und deshalb wert- undmehrwertbildender Produktion festgelegt.
    Hier sagt er, was sich gegen kapital austauscht, muss nicht notwendig produktiv sein (und nennt Handels- und Bankkapital als unproduktiv) (MEW 24: 129)


    Zitat dazu. "Wenn durch Teilung der Arbeit eine Funktion, die an und für sich unproduktiv, aber ein notwendiges Moment der Reproduktion ist, aus einer Nebenverrichtung vieler in die ausschließliche Verrichtung weniger verwandelt wird, in ihr besondres Geschäft, so verwandelt sich nicht der Charakter der Funktion selbst. (MEW 24: 133)


    Daraus könnte man schließen, dass eine Arbeit, die nicht zur reproduktion beiträgt, erst recht nicht produktiv sein kann.
    Dienstleistung soll plötzlich produktiv sein, weil sie kapitalistisch und durch Lohnarbeit organisiert wird, wie wohl sie es doch der funktion nach nicht ist.
    wieso sollte also ein friseur, zirkus, nahverkehrsunternehmen produktiv sein? mandel nennt das beispiel kapitalistisch organisiertes bettlerbanden, also bettelbetrieben, die man kaum als produktiv anzusehen vermag.
    (sie bringen ihrem kapitalisten einen gewinn, aber sie vermehren den gesellschaftlichen reichtum doch nicht)


    Aber: Zirkulationskosten, die aus dem bloßen Formwechsel des Werts, aus der Zirkulation ideell betrachtet, hervorgehn, gehn nicht in den Wert der Waren ein. (damit ist der formwechsel von der stofflichen zur geldform gemeint, MEW 25: 139)


    Die Grenze liegt also dort, wo der Gebrauchswert erweitert wird oder erhalten und da, wo sie für den warenkörper indifferent ist und lediglich aus der formveränderung des tauschwerts resultiert.


    Mandel folgert nun daraus, dass vom gesamtinteresse des kapitals dienstleistungen des kleinere übel sind (gegenüber brachliegendem kapital), aber das dieses durchaus ein interesse hat,
    kapital in dienstleistungskapital umzusetzen und zugleich durch produktives kapital (also dienstleistung durch waren zu ersetzen)
    das sei so, meint er, weil dienstleistungen die durchschnittsprofitrate nicht erhöhen könne, vielmehr stellen sie einen abzug des mehrwerts dar.


    wat. schrieb: " Eine Gesellschaft ist ohne Reproduktion nicht überlebensfähig!" folglich ist eine reine Dienstleitungsgesellschaft auch nicht vorstellbar, weil sie zumindest keine Lebensmittel produziert.
    zwei weitere fragen wären, ob der bezug von lebensmitteln nicht über ungleichen Tausch, imperialistisch vermittelt, als import aus der peripherie möglich wäre,
    und ob andersherum heutzutage die mehrwertproduktion von transnationalen konzernen über die zerlegung von wertschöpfungsketten nicht auch ins ausland verlegt werden kann (und trotzdem hier in die gesamtrechnung angeht)


    Andererseits, um auf Marx zurückzukommen, hatten wir im klassenbeitrag zitiert:
    "Die kapitalistische Produktion ist nicht nur Produktion von Ware, sie ist wesentlich Produktion von Mehrwert.... Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert oder zur Selbstverwertung des Kapitals dient." (MEW 23: 532)


    Hier nennt Marx einen Schulmeister. der sich "abarbeitet zur Bereicherung des Unternehmers." also doch eine produktive Dienstleistung?!
    Ähnlich auch: "Ein schauspieler ... ist hiernach ein produktiver arbeiter, wenn er im Dienst eines kapitalisten arbeitet ..., dem er mehr arbeit zurueckgibt, als er in der form des salairs von ihm erhaelt" (MEW 26.1: 127)

  • Das Lehrbuch der Marxisten-Leninisten („Wörterbuch der Ökonomie. Sozialismus“ Berlin 1969) behauptet: „Im Kapitalismus ist ... nur Mehrwert schaffende Arbeit produktiv.“ (S. 658)
    Marx sagt es anders:
    „Andererseits aber verengt sich der Begriff der produktiven Arbeit. Die kapitalistische Produktion ist nicht nur Produktion von Ware, sie ist wesentlich Produktion von Mehrwert. Der Arbeiter produziert nicht für sich, sondern für das Kapital. Es genügt daher nicht länger, dass er überhaupt produziert. Er muss Mehrwert produzieren. Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert oder zur Selbstverwertung des Kapitals dient.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 532.


    Ich halte mich an das, was Marx sagte, nicht an das, was die Marxisten-Leninisten sagen.


    Die Zirkulationsarbeiter produzieren zwar nicht direkt Mehrwert, dienen aber der Selbstverwertung des Kapitals.
    Das beginnt beim Bankangestellten, der einem Unternehmer einen Kredit für eine neue Maschine verschafft, das geht weiter beim den industriellen Lohnarbeitern vom Lagerarbeiter bis zum Ingenieur, und endet bei den Verkäufern bis hin Kassiererin, die die kapitalistisch produzierte Ware wieder in Geld verwandeln. Die industriellen Arbeiter produzieren (direkt) Mehrwert, Alle dienen aber der Selbstverwertung des Kapitals. Deshalb zählen alle zum (produktiven) Proletariat.


    Um sich zu erhalten und um sich zu vermehren, muss ein Kapital den gesamten Kreislauf durchlaufen:
    Geld wird Ware (als Prod.mittel + Arbeitskraft) – (Mehrwert)Produktion – Ware‘ wird vermehrtes Geld'.
    Als Formel: G – W .... P .... W‘ – G‘
    Marx nennt die Zirkulationsarbeit „indirekt produktiv“. Wir können also die industrielle Arbeit „direkt produktiv“ nennen.


    Das alles ist in dem Lexikonartikel „Marx über produktive Arbeit“ von mir detailliert entwickelt und muss hier nicht wiederholt werden.


    Gruß Wal

  • ja, aber marx hat sich eben an drei stellen seines werks (MEW 23, 24 und 26.1.) unterschiedlich und durchaus widersprüchlich dazu geäußert (wie oben dargelegt). das zum einem. zum anderen müssen wir ja auch heutige phänomene verstehen und erklären können, von denen marx nichts wissen konnte.


    das ist auch ein beitrag von christian fuchs, in london lehrender marxist und medienforscher, interessant:
    Der kanadische marxistische Medienökonom Dallas Smythe (1977) sprach davon, dass im Fall von werbefinanzierten Medien das Publikum Arbeit leistet und die Aufmerksamkeit
    produziert, die an Werbetreibende als »Publikumsware « verkauft wird. Er wandte sich mit dieser Annahme unter anderem gegen Baran und Sweezys (1966) Monopolkapitalismustheorie, nach der Werbung als ein unproduktives Attribut von Monopolen gilt, das Mehrwert aus anderen Bereichen der Ökonomie absorbiert


    Google und Facebook sind keine Kommunikationsunternehmen, sondern die größten Werbeagenturen der Welt. NutzerInnen leisten hier digitale Arbeit, die Datenwaren
    produzieren. Im Kapitalkreislauf sozialer Medien produzieren die Lohnarbeitenden von Google, Facebook, Twitter etc. eine Plattform (P1), die keine Ware ist. Der Zugang zu den Plattformen ist gratis. Die Ware hingegen ist ein zweites Produkt P2, eine Datenware, die durch die digitale Arbeit der NutzerInnen hergestellt wird (vgl. Fuchs 2014a, 2014c, 2015).


    Dass ein Paar Lugz-Burke-Turnschuhe 8,99 Euro und ein Paar der Marke Nike Air Force hingegen 99,95 Euro kostet, ist nicht mit der Annahme einer arbiträren Entkopplung von Wert und Preis erklärbar, sondern damit, dass in die Produktion der Marke Nike und ihres Gebrauchswertversprechens eine große Menge an Werbearbeit investiert wird.


    Damit Waren präsentiert werden können, muss eine Warenideologie, ein symbolisches Gebrauchswertversprechen von Zirkulationsarbeitenden in PR- und Werbeabteilungen produziert werden. Durch die Nutzung von Plattformen und Datengenerierung ermöglichen die NutzerInnen die Individualisierung und Personalisierung der Onlinewerbung. Sie sind symbolische
    TransportarbeiterInnen, deren digitale Arbeit es ermöglicht, die Gebrauchswertversprechen der Waren im virtuellen Raum zu transportieren, das heißt zu platzieren.

  • Hallo,


    das Entscheidende, ob Arbeit produktiv ist oder nicht, ist doch daran zu messen, ob damit ein Beitrag zur Erzeugung von Mehrprodukt geleistet wird. Das hat ja auch Wal schon mit seinem Hinweis auf die Selbstverwertung des Kapitals in anderer Form klar gestellt. Wenn man zum Bsp. annimmt, jedes Unternehmen müsste seine Waren selbst unter die Leute bringen, wird deutlich, dass der gewerbliche Handel, der den Vertrieb zentralisiert, die allgemeine Produktivität ungemein erhöht. Weil die Vertriebskosten, die durch den Handel eingespart werden, wesentlich höher wären, wie sie es mit ihm sind, wird durch die Symbiose von Handel und Industrie alles in allem ein höheres Mehrprodukt erzielt. Und dieses Prinzip gilt selbstverständlich auch für alle anderen Dienstleistungen. Wenn zum Beispiel die Werbung dazu beiträgt, dass durch die vermittelte Botschaft und Information, der Vertrieb noch effizienter wird, weil Verkäufer und/oder Berater eingespart werden können etc., dann kann auch Werbung produktiv sein. Wenn es ihr darum geht, durch Verblödung Preisvorteile und damit arbiträre Gewinne für den Werbenden zu erzielen, ist sie nicht produktiv, sondern kürzt lediglich die Reproduktionskosten der Lohnarbeiter, falls die darauf hereinfallen.


    Gruß j.

  • ja bei ergänzenden dienstleistungem im produktionsprozess ist es zweifelsfrei so. da stimmen wir alle überein, und fuchs hat ja ein einleuchtendes aktuelles beispiel dazu (werbung, platzierung bei turnschuhen, internetdienstleistungen). aber was ist mit eigenständigen dienstleistungen, die nicht stofflich sondern flüchtig sind, aber wo dennoch kapital vorgeschossen wird (zb haarschnitt beim friseur, der nicht nach hause kommt, sondern im unternehmen arbeitet). marx hat die frage je nach stelle im werk nicht entschieden. wal ist anderer meinung als mandel (s.o.).

  • @Raoul



    Gut, dann müssen wir etwas genauer einsteigen. Der Begriff der produktiven Arbeit wird immer wieder aufs Tapet gebracht, weil er, zwar immer wieder, vielfach intellektuell anspruchsvoll, diskutiert wird, aber niemals entgültig bestimmt wurde, weil eben die Ansichten z. T. weit auseinander gingen und bei Marx eine differenzierte Begriffsbildung nicht gefunden werden kann. Der Begriff ist u.a. insbesondere für die Analyse und Erklärung von Wert und Mehrwert wichtig. So zum Beispiel bei der Klärung der Frage, welchen Beitrag die Dienstleistungen oder der Niedriglohnsektor im Prozess der erweiterten Reproduktion leisten, bzw. welchen Stellenrang sie dort einnehmen.


    Man sollte deshalb, so mein Vorschlag, den Begriff an Merkmalen innerhalb einer Stufenfolge entwickeln und bestimmen. Es wäre also zuerst das Maximum zu bestimmen, bis zu dem eine (kapitalistische) Erwerbstätigkeit oder ein Einzelgewerbe noch einen Beitrag zur aktuellen Reproduktion des Gesamtkapitals leistet. Also, ob ein Friseur durch seine Tätigkeit an irgend einer Stelle dazu beiträgt das Mehrprodukt beim Umschlag des Gesamtkapitals zu erhöhen. Das könnte z. B. der Fall sein, dass in einem bestimmten Unternehmen durch das Verpassen eines regelmäßigen Kurzhaarschnitts erst eine (gefahrlose, ungestörte etc.) Ausübung der Arbeit erst möglich wird. Es könnte nicht der Fall sein, wenn der Friseur aus dem Einkommen der Arbeiter bezahlt wird, damit er ihnen einen flotten Haarschnitt verpasst. Unter dem Kriterium der Reproduktionsnotwendigkeit. wird deutlich, dass im ersten Fall die Friseurarbeit notwendig ist, während sie es im zweiten Fall der Verschönerung, nicht ist. Damit kann schon an dieser Stelle die Friseurarbeit zur Verschönerung nicht als produktive Arbeit bezeichnet werden.


    Das zweite wichtige Merkmal zur Bestimmung der produktiven Arbeit unter kapitalistischen Bedingungen, ergibt sich aus der Frage, ob die Arbeit kapitalistisch, unter Einsatz von Kapital hinreichend produktiv eingesetzt wird und als Lohnarbeit fungiert, die ausgebeutet wird. Danach leistet unser bisher produktiver Friseur keine produktive Arbeit, wenn er selbständig ist und hat keine Angestellten hat, denn er kann ja keinen Mehrwert erzeugen. Ist der Friseur dagegen direkt vom Betrieb angestellt oder arbeitet dort als Angestellter eines Friseurmeisters bleibt seine Arbeit produktiv, denn er wird ja ausgebeutet und erzeugt Mehrwert (durch seine zuvor als produktiv bestimmte Arbeit).


    Anhand dieser Merkmale kann dann durch die fogenden (Negativ) Bestimmungen geprüft werden kann, ob Arbeit produktiv ist oder nicht:



    1. Einmaligkeit: Nicht reproduktiv realisierbare, nicht wiederholbare herzustellende Waren und Dienstleistungen (Notfälle, Zufallsprodukte, Innovation, Exzellenzprodukte)


    2. Die Arbeit für aus Nicht-Lohneinkommen ("Revenue") bezahlten Waren und Dienstleistungen (Kriterium ist dabei ob hierdurch der Gesamtmehrwert erhöht wird)


    3. Ohne erhebliches Sach-/Humankapital oder ohne Lohnarbeit realisierte Güter (Hausarbeit).


    Ich glaube, weiter braucht man die Unterteilung nicht zu treiben, auf Grundlage der marxschen Ökonomie kann man's wohl auch nicht. Aber, falls keine einleuchtende Kritik daran vorliegt, könnten diese Merkmale zukünftig für die Bestimmung der produktiven Arbeit herangezogen werden.


    jialing

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