Kurze Geschichte des heutigen Russland


  • Die Russische Föderation ist ein Land, das noch nicht seine Mitte und Orientierung gefunden hat. Es ist ein Land, das gleichzeitig beunruhigt und beunruhigend ist. Flächenmäßig ist es das größte Land der Erde. Während der sowjetischen Ära konnten die Bewohner meinen, sie seien auch das fortgeschrittenste Land der Erde.


    Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1990/91 wurden für die Bewohner alle vorherigen Wahrheiten zur Lüge, alle vorherigen Gewohnheiten zum Laster, alle vorherigen Sicherheiten zur Gefahr. Regierungsleute wussten nicht einmal mehr, wo ihre Staatsgrenzen verliefen. Fast alle ehemaligen Satelliten- und Unionsstaaten wandten sich von Russland ab.
    Unternehmensführungen wussten nicht mehr, in wessen Namen sie ihre Firmen leiteten. Die Lohnabhängigen wussten nicht mehr, welchen Lohn sie am heutigen Tag verdienten und ob sie am nächsten Tag noch in Arbeit und Brot waren. Die Bürger wussten nicht mehr, wer ihre Feinde, ihre Freunde und ihre Nachbarn waren.
    Vom angeblich fortschrittlichsten Staat der Erde verwandelte sich Russland binnen eines Jahrzehnts in ein bankrottes Drittweltland. Das postsowjetische Jahrzehnt heißt im Volksmund „Steinzeitkapitalismus“. Er brachte den Menschen Hyperinflation, Massenarmut und Massenkriminalität mit mafiöser Bereicherung der „Oligarchen“.


    Ab dem Jahr 2000 ging es wirtschaftlich und politisch bergauf. Die Gewinne und Löhne stiegen wieder. Russland wurde als einer der BRIC-Staaten zum kapitalistischen Hoffnungsträger erklärt. Im zweiten Chechenienkrieg konnte das russische Militär erstmals wieder erfolgreich und siegreich operieren. Die Machthaber in Russland gewannen neue Zuversicht. Sie sahen sich erneut als Großmacht, die mit den USA auf Augenhöhe verhandelt. Diese Zeit des Wiederaufstiegs fällt ganz in die ersten beiden Amtszeiten von Wladimir Putin als Präsident Russlands. Putin ist der Vater des heutigen Russland, so wie Bismarck zum Schöpfer des modernen Deutschland wurde.



    Die globale Wirtschaftskrise von 2008 brachte erneut eine Wende zum Schlechteren. Die Öl- und Gaspreise sanken, das russische Wirtschaftswachstum und die Lohnsteigerungen gingen von Jahr zu Jahr zurück.
    Durch die Maidanbewegung in der Ukraine und noch mehr durch die Annexion der Halbinsel Krim verlor Russland nicht nur einen wichtigen Verbündeten, sondern auch die Option einer politischen Westorientierung mit engerer Kooperation mit der EU.
    Das militärische Eingreifen in Syrien zeigt, dass Russland sich ganz auf sich selbst gestellt sieht. Es zeigt, dass Russland keine Freunde mehr hat, und daher auch keine Rücksichten nehmen muss auf westliche Empfindlichkeiten und Absprachen. China bietet sich zwar als wirtschaftlicher und politischer Partner an, wird aber in Russland als übermächtiger Konkurrent gefürchtet.
    Russland bleibt ein Land, das seine Mitte und seine Orientierung noch nicht gefunden hat. Das ist beunruhigend für seine eigenen Bürger wie für uns und alle seine Nachbarn.



    Nachtrag:
    Einige Linke meinen, ein russischer oder ein chinesischer Staatskapitalismus seien dem westlichen Privatkapitalismus vorzuziehen. Sie stehen mit dieser Ansicht ziemlich einsam und allein.
    Schon die Sowjetunion war ein zweifelhafter Bündnispartner für die Emanzipationsbewegungen in Europa. Das zeigte sich im Spanischen Bürgerkrieg, in der Bevormundung der kommunistischen Parteien, im Ungarnaufstand 1956, in Prag 1968 und in Polen 1981.
    Die Russische Föderation zeigt noch weit weniger Anknüpfungspunkte für die Emanzipationsbewegungen im Westen.
    Der Staatsinterventionismus eines Putin hat Anhänger auf der Rechten, das ist erklärlich, denn Putin ist ein russischer Bismarck.
    Warum Linke in Putin ein Vorbild sehen wollen, ist mir ganz unerklärlich.


    Wal Buchenberg, 27. Okt. 2016


    Siehe auch:
    Russland und der Westen von Alexander II. bis Putin

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