Patriarchat und Sexismus

  • Hallo Leute,


    derzeit beschäftige ich mich tiefer mit der Materie zur "Geschlechterfrage", insbesondere der Entstehung des Patriarchats und sexistischer Konditionierung. Dabei gibt's ja den Streit, wie es zur Entstehung patriarchaler Verhältnisse kam, und ob wir es in der Ersten Welt immer noch mit patriarchalen Strukturen und sexistischen Verhaltensweisen zu tun haben, die mit dem Kapitalismus - obgleich das Patriarchat viel älter ist - einfach verwoben sind.


    Dabei sehen einige Linke die patriarchale Herrschaft als einen Nebenkonflikt und als Ergebnis der Herausbildung des Privateigentums, andere wiederum meinen, ohne Männerherrschaft kein Kapitalismus (instrumentelle Vernunft und Herstellung von Waffen inklusive Frauenhandel als Basis der Herrschaft und des Privateigentums).


    Bereits die "binäre Einteilung" von Menschen ind Männer und Frauen firmiert bei Teilen der radikalen Linken als "struktureller Sexismus". Was ist von solchen Thesen zu halten? Ebenso bleiben Diskussionsfelder wie das so genannte "Definitionsrecht" und anderes. Einige werfen der Fraktion um das Bochumer Programm und dem Marx-Forum vor, diese Fragen im Sinne des "klassischen Marxismus" (gemeint ist wohl der ML), als Nebenkonflikte abzutun, die sie nicht seien. Oder alles nur Selbstbeschäftigung der linken Szene und kleinkarierter Moralapostel?


    Wäre schick, wenn daraus eine anregende Diskussion wird.


    Grüße



    Maro Ahner

  • Wäre schick, wenn daraus eine anregende Diskussion wird.


    derzeit beschäftige ich mich tiefer mit der Materie zur "Geschlechterfrage", insbesondere der Entstehung des Patriarchats und sexistischer Konditionierung. Dabei gibt's ja den Streit, wie es zur Entstehung patriarchaler Verhältnisse kam, und ob wir es in der Ersten Welt immer noch mit patriarchalen Strukturen und sexistischen Verhaltensweisen zu tun haben, die mit dem Kapitalismus - obgleich das Patriarchat viel älter ist - einfach verwoben sind.

    Da du dich ja tiefer mit der Sache befasst hast, solltest nicht du zuallerst dazu Stellung nehmen und erklären, was du mit "Geschlechterfrage" meinst?


    Ich weiß nur soviel: Wer eine Frage in den Raum stellt, hat seine Antwort schon darin versteckt. In der "Geschlechterfrage" steckt eine andere Antwort als in der "Frauenfrage" und in der "Frauenfrage" eine andere Antwort als in der "sozialen Frage" - "Menschheitsfragen" nicht zu vergessen!
    meint Wal :)


    P.S. Übrigens bezeichnete Karl Marx die "soziale Frage" als Zeitungsschreiberphrase.

  • Hallo Mario,
    in meiner zweiten Kritik am NAO-Projekt ("Sortieren oder diskutieren") hatte ich u.a. folgendes zum Thema geschrieben und damit nochmals auf das Ziel der Initiatoren (Hausarbeit professionalisieren und auslagern) reagiert:


    -----
    Produktionsverhältnisse und gesellschaftliche Arbeitsteilung
    (zur „Verschränkung“ verschiedener Formen von Unterdrückung)


    Vorab:
    Alle Debatten über irgendwelche Wertigkeiten von Unterdrückung und daraus abgeleiteten „Haupt-
    und Nebenwidersprüchen“ sind für mich Ausdruck intellektueller Irrläufe von „Außenstehenden“,
    die aus der Kirchturmsperspektive auf gesellschaftliche Praxis herabschauen. Sowas bezeichne ich
    als „abseitig“.
    Es ist sowieso klar, dass eine Frau, in welcher sozialen Position sie sich sonst immer befindet, den
    Widerspruch zu ihrem Mann als „Hauptwiderspruch“ betrachten muss, wenn sie von ihm
    regelmäßig geschlagen und sexuell misshandelt wird.
    Es ist sowieso klar, das jemand in Deutschland mit – beispielsweise - afrikanischer Herkunft, der
    allein auf Grund seiner Hautfarbe in all seinen Arbeits- und Lebensbereichen massive
    Diskriminierung und Benachteiligung erfährt, die rassistische motivierte Unterdrückung als
    „Hauptwiderspruch“ erfahren muss. Usw.
    Herrschaft von Menschen über Menschen resultieren nicht nur aus Eigentumsverhältnissen, sondern
    auch aus Arbeitsteilung. Eine bestimmte Arbeitsteilung kann genau so Ausschluss vom Zugriff auf
    gesellschaftlichen Reichtum und Verhinderung individueller Entwicklungsmöglichkeiten bedeuten,
    wie Eigentumslosigkeit. Zu den großen hierarchischen gesellschaftlichen Arbeitsteilungen würde
    ich heute zählen:

    • die Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land
    • die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern
    • die Arbeitsteilung zwischen Kopf- und Handarbeit
    • die internationale Arbeitsteilung zwischen entwickelten und in Unterentwicklung gehaltenen

    Ländern.
    Sie bedeuten:

    • Herrschaft der Städte über das Land
    • Herrschaft des Mannes über die Frau
    • Herrschaft der Kopfarbeiter über die Handarbeiter
    • Herrschaft der entwickelten über die unterentwickelt gehaltenen Länder

    z.B.:
    Die Behauptung der Minderwertigkeit anderer Menschen und Kulturen ist so alt wie die
    Unterwerfung anderer Menschen und Kulturen. Diese Behauptung der Minderwertigkeit dient
    immer der Legitimation einer vollzogenen oder beabsichtigten Unterwerfung. Der moderne
    europäische Rassismus – in „Wissenschaft“ wie Alltagsbewusstsein - ist nichts anderes als das
    Produkt der aggressiven Kolonisierung der Welt durch die Großmächte Europas. In seiner
    modernen Form als „Rassentheorie“ ist er überhaupt erst in diesem Kontext entstanden. Diese
    gewaltsame Kolonisierung der Welt hat eine bestimmte internationale Arbeitsteilung zwischen
    entwickelten und weniger entwickelten Ländern eingerichtet, die beständig pseudobiologisch
    reflektierte Grundlage für rassistisches Gedankengut und Praxis auch heute bleibt (siehe etwa
    Sarrazin).
    Die ganze Diskussion über die „Wertigkeit“ von unterschiedlichen Formen der Unterdrückung ist
    sozusagen der Gipfel des Niedergangs moderner sozialrevolutionärer Bestrebungen. Sie ist
    hierzulande wohl nicht zuletzt Resultat des notwendigen feministischen Widerstands gegen
    „Marxismus-Leninismus“, der allein ständig mit „Haupt- und Nebenwiderspruch“ à la Mao-tse-tung
    operierte. Dieser Feminismus hat reichliches Material zur Kritik des auch in der modernen,
    demokratischsten bürgerlichen Gesellschaft fortexistierenden Patriarchats zusammengestellt (z. B.
    sexuelle Verfügbarkeit und Gewalt). Leider ist dieser Feminismus dabei nicht stehen geblieben,
    sondern hat versucht, das Geheimnis der Kritik der Politischen Ökonomie (die Produktion des
    Mehrwerts) neu und modern in einer Kritik von Hausarbeit aufzulösen. Werlhoff und Joosten
    mögen als Beispiele dafür gelten, wie versucht wurde, den Mehrwert aus feministischer
    Patriarchatskritik neu zu begründen.
    So daneben eine Diskussion über „Wertigkeiten“ von Unterdrückung ist, so daneben ist aus meiner
    Sicht jeder Versuch, einen systematisch, zwingenden Zusammenhang zwischen Hausarbeit und
    Mehrwertproduktion herzustellen. Eine der radikal-feministischen Legenden, ihr Ausgangspunkt
    besteht darin, dass angeblich die Hausarbeit die Ware Arbeitskraft produziere. Wie vieles andere
    Moderne auch, wird das von den Schönebergern gern aufgegriffen.
    Dazu folgende Thesen:


    I.
    Die Macht von Männern über Frauen resultiert nicht primär aus einem Produktionsverhältnis
    namens „Hausarbeit“ und die Hausarbeit produziert grundsätzlich keine Waren, auch nicht die
    Ware Arbeitskraft.
    Die Arbeitskraft wird überhaupt nicht als Ware „produziert“ wie andere Waren, u.a. weil sie als
    lebendiges Arbeitsvermögen untrennbar zu jedem Menschen gehört, nicht nur zu einer Klasse von
    Menschen und nicht losgelöst vom kompletten Menschen. Die Umstände, die die menschliche
    Arbeitskraft zur Ware machen haben nichts, absolut nichts (!) mit der Hausarbeit zu tun; auch wenn
    die VerkäuferInnen von Ware Arbeitskraft (unter bestimmten Umständen) und Kapitalbestizer sich
    nicht ohne „Hausarbeit“ reproduzieren.
    Die menschliche Arbeitskraft wird nur dort und insofern zur Ware, als die Menschen, zu deren
    natürlichen Eigenschaften sie gehört, über keinen Besitz an den gegenständlichen Bedingungen
    ihrer Reproduktion (Produktionsmittel) verfügen. Als Ware reproduziert sich menschliche
    Arbeitskraft ausschließlich im Austausch mit ihrem Käufer und Konsumenten, dem Kapital. Das
    Wertgesetz macht es möglich, das sich das Kapital als Verhältnis reproduziert und Arbeitskraft
    Ware bleibt.
    Jede Form der Hausarbeit, ob bezahlt (Diensleistungspersonal des Kapitals) oder unbezahlt
    (Dienstleistung der Frau am Manne in der Familie der „kleinen Leute“) liefert nichts anderes als
    Gebrauchwerte. Egal ob sie sich in Mahlzeiten vergegenständlicht oder „ideell“ bleibt. Hausarbeit
    schafft weder Ware noch Wert und ihre Kritik ist damit nicht unmittelbar Gegenstand der
    wissenschaftlichen Kritik Politischer Ökonomie, weil deren Gegenstand das Kapital, die
    verallgemeinerte Warenproduktion, ist.


    II.
    Dass die Reproduktion des Menschen mehr ist, als die Reproduktion seines Arbeitsvermögens als
    Gebrauchswert fürs Kapital (Ausübung ganz bestimmter Tätigkeiten in der
    Mehrwertproduktion), sollte eigentlich klar sein. Daraus ergibt sich aber ein beständiger
    Widerspruch zwischen dem, was zur Reproduktion der Arbeitskraft mit einem bestimmten
    Gebrauchswert fürs Kapital (Ware) nötig ist und was der Mensch, dem diese Arbeitskraft anhaftet
    sonst noch so benötigt und unter Umständen auch verlangt.
    Das Kapital entwickelt keine Nachfrage nach Menschen, sondern nach bestimmten Befähigungen
    eine ganz bestimmte Arbeit auszuführen und die Umstände auszuhalten, die die Auspressung von
    unbezahlter Mehrarbeit möglich machen.
    Dem „menschlichen Rest“, der für das Kapital nicht unmittelbar einen Gebrauchswert hat,
    kann/muss auf verschiedene Weise auch unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen Rechnung
    getragen werden und es hängt ganz von den geschichtlich gewachsenen Verhältnissen und den
    Ergebnissen von Klassenauseinandersetzungen ab, wie das geschieht. (Mit Familie, ohne Familie,
    mit „Sozialstaat“, ohne „Sozialstaat“, mit ausreichenden Arbeitsunterbrechungen zur Regeneration
    oder ohne usw.) Unter bestimmten außergewöhnlichen Bedingungen der Kapitalverwertung
    kann/muss die Hausarbeit der Frau den lohnarbeitenden Mann fürs Kapital verfügbarer machen.
    Unter anderen Bedingungen, setzt sich natürwüchsig eine Tendenz durch, die den Privathaushalt
    von LohnarbeiterInnen vollständig auflöst (z.B. Wanderarbeiter in China, die sich selbst mit ihrer
    Arbeitskraft ganz ohne weibliche Hausarbeit reproduzieren).
    Das Kapital verlangt nicht die „proletarische Familie“ mit Hausarbeit der Frau, aber es schließt sie
    auch nicht aus. Kapitalismus ist möglich mit „Familienlohn“ des Mannes und ohne.


    III.
    Ob mit oder ohne Hausarbeit, die geschlechtliche Arbeitsteilung mit Ausschluss der Frauen an
    gleichem Anteil am gesellschaftlichen Reichtum wie Männer und gleichen individuellen
    Entwicklungsmöglichkeiten bleibt erhalten. Die Zuweisung oder gar Reduzierung auf
    „Hausarbeiterin“ ist Ausdruck von Herrschaft von Männern über Frauen. Die Macht von Männern
    ist der hierarchischen geschlechtlichen Arbeitsteilung vorausgesetzt und sie reproduziert sich
    durch und in dieser Arbeitsteilung, die sich quer durch alle Bereiche des gesellschaftlichen
    Lebens und quer durch die Klassen zieht. Die Machtergreifung der Männer vollzog sich lange
    vor der Existenz kapitalistischer Produktionsverhältnisse, teils auf Grundlage der natürlichen
    Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, teils ganz unabhängig davon.
    Sofern das Kapital auf der Unterdrückung der Frau beruht, beruht es auf der gesellschaftlich
    verankerten geschlechtlichen Arbeitsteilung. Genauso wie es beruht auf der Arbeitsteilung von
    Stadt und Land, Kopf- und Handarbeit und entwickelten und unterentwickelt gehaltenen Ländern.
    Durch Arbeitsteilung bewahrte „Unterentwicklung“ eines Teils der Gesellschaft ist Teil der
    Produktivkraftentwicklung in allen Klassengesellschaften! All diese Arbeitsteilungen
    konstituieren aber nicht die spezifisch kapitalistischen Produktionsverhältnisse, sondern bilden nur
    Grundlage, auf der sich die Voraussetzungen von verallgemeinerten Warenproduktion und
    Lohnarbeit historisch entwickelt haben. Die Herrschaft der Stadt über das Land, des Mannes über
    die Frau, der Kopfarbeit über die Handarbeit, der entwickelten über die unterentwickelt gehaltenen
    Ländern, verschwindet daher auch nicht automatisch mit der Überwindung des Systems der
    Lohnarbeit, weil diese Herrschaftsformen auf jeweils besondere Ursachen zurück zu führen sind. Es
    handelt sich jeweils um spezifische Widersprüche, mit spezifischen Ursachen, die mit spezifischen
    Mitteln zu lösen sind, die sich sowieso einem einfachen Schema von Haupt- und
    Nebenwidersprüchen entziehen. Der Klassenkampf gegen das Kapital, zur Überwindung des
    Systems der Lohnarbeit, ist nicht das Mittel zur Lösung all dieser Widersprüche. Er macht
    letztlich nur den Weg frei dazu. Die eigentliche große soziale Umwälzung würde sowieso erst
    geginnen, wenn die Eigentumsfrage gelöst ist, weil nur dann die Menschen durch freie,
    selbstbestimmte Assoziation in die Lage versetzt wären, auf Basis der Entwickeltheit der
    Produktivkräfte, im Verlangen nach „Aneignung ihrer eigenen allgemeinen Produktivkraft“
    (Marx), die Arbeitsteilung ihrem Willen zu unterwerfen und alle Unterwerfungen unter
    vorgegebene Arbeitsteilungen umfassend in Frage zu stellen.
    In diesen Zusammenhang gehört meiner Meinung nach die „Frauenfrage“. Wenn aber das Wort
    gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern noch nicht einmal auftaucht, sich alles
    ständig um eine angebliche zu kritisierende „Politische Ökonomie der Hausarbeit“ dreht, wie soll
    da was vernünftiges zur „Frauenfrage“ geschrieben werden?
    Da hilft es auch nicht weiter, wenn vorgeschlagen wird, statt von Haupt- und Nebenwidersprüchen,
    von „Verschränkung“ zu sprechen. Es geht gerade nicht darum, „Kapitalismus- und
    Patriarchatskritik wieder zusammen zu bringen“, sondern sie deutlich zu unterscheiden!!! Nur
    so kann deutlich werden, dass die Herrschaft des Mannes über die Frau nicht durch Klassenkampf
    zwischen Lohnarbeit und Kapital aufzuheben ist. Die Autonomie der Frauenbewegung muss
    anerkannt, durchgesetzt und gewahrt bleiben, auch mit eigenen Zielen und Programm! Das schließt
    nicht aus, dass eine „neue antikapitalistische Organisation“ Ziele der autonomen Frauenbewegung
    unterstützt bzw. übernimmt.
    Die Hausarbeit ist nicht Gegenstand der Kritik der Politischen Ökonomie! Sie ist und bleibt aber
    Gegenstand einer materialistischen Kritik gesellschaftlicher Arbeitsteilung zwischen den
    Geschlechtern und in diesem Kontext ein zentraler Punkt menschlicher Emanzipation. Statt die
    Unterdrückung der Frau im Verhältnis zu anderen Formen von Unterdrückung zu bewerten,
    einzuordnen in irgendwelche zweifelhaften Raster, sollte man sich lieber mit handfester
    Kritik an ihren spezifischen Formen beschäftigen!
    Ob ich mit diesen Ausführungen „größte“ und „grundlegende Differenzen“ hervorrufe, oder hier
    und da „offene Türen“ einrenne, das ist mir ziemlich schnuppe. Als „Außenseiter“ darf ich die
    Freiheit genießen, einen ganzen „Diskurs“ für „abseitig“ zu halten. Niemand muss darauf eingehen.
    Wenn er oder sie das aber tut, dann bitte mit Argumenten und nicht ausschließlich in der Form
    schlagwortartiger Bewertung und Einsortierung!


    ------


    In meinen Auseinandersetzungen mit der "fundamentalen Wertkritik" habe ich mich auch mit den modernen Formen des Sexismus auseinandergesetzt und das "Abspaltungstheorem" kritisert. Nachlesen kannst du das hier:


    http://www.rs002.de/Soziale_Em…on/_private/ARB_ONT-1.pdf


    Viele Grüße
    Robert

  • Danke für die ausführliche Antwort und den dazugehörigen Verweis, Robert. Genau um diese Thematiken ging es mir. Insbesondere der Verweis auf die Irrsinnigkeit der abstrakten Debatte um (vermeintliche) "Haupt- und Nebenwidersprüche" als Altbacken-Debatte der im Leninismus/Maoismus sozialisierten "alten Garde" linksakademischer Coleur hat mir die Augen geöffnet. Eigentlich logisch, die Kritik und Bekämpfung aller Formen von Unterdrückung und Herrschaft ist wichtig, und es kommt auf den jeweiligen sozialen Kontext und die individuelle Perspektive an, welche ich als Haupt- oder Nebenwidersprüche begreife.


    Ich möchte dennoch ein wenig tiefer in die Materie eintauchen. Du kritisierst, soweit ich es überflogen habe, in Deiner Kritik an der "fundamentalen Wertkritik" und deren Ableger, dass sie geschlechtliche Zuschreibung mit Sexismus in eins setzen und ihre Zukunftsvision letztlich auf eine geschlechtslose Welt abzielt, in welcher die bloße Verwendung des Begriffs "Mann" oder "Frau" bereits Herrschaft implizieren soll, was Du - und so geht es wohl vielen - für abwegig hältst. Wenn ich falsch liege, korrigiere mich bitte. Letzten Endes läuft es doch auf die altbekannte Debatte hinaus, welche Geschlechtseigenschaften sozialisiert und welche biologisch begründet sind, wofür es scheinbar noch immer keine befriedigende Antwort gibt und aus linken Kreisen ja oftmals schnell der Biologismus-Vorwurf herausgekramt wird.


    Wie seht ihr diese Debatten?

  • Hallo,


    Es ist doch müßig, sich heute den Kopf darüber zu zerbrechen, wie die Menschheit beschließen
    wird, in 1000 oder 10000 Jahren mit den Beziehungen zwischen Männern und Frauen umzugehen.


    Heute schon "wissenschaftlich“ begründete Thesen zu diesem gesellschaftlichen Gegenstand zu konstituieren ( wie z. B. das „Abspaltungstheorem“ ), kann doch nur durch die Einbildung zustande kommen, zu meinen, mehr als die Masse zu wissen, mit seiner Erkenntnis also voraus zu sein. Das muss zu der avantgardistischen Überzeugung führen, die Geschlechterbeziehungen der Zukunft von Oben (Elite, Avantgarde, Staat) regeln zu müssen, und schließlich auf einen Dogmatismus hinauslaufen, der der sozialen Emanzipation der Lohnarbeiter und Lohnarbeiterinnen entgegen steht.


    Andererseits versteht es sich von selbst, dass in einer Bewegung für die soziale Emanzipation der Lohnarbeiter kein Platz für die
    Benachteiligung von Menschen sein kann, die im Gegensatz zur Allgemeinheit unterschiedliche, queere Geschlechterbeziehungen
    auszuüben pflegen.


    Beste Grüße
    Kim

  • Letzten Endes läuft es doch auf die altbekannte Debatte hinaus, welche Geschlechtseigenschaften sozialisiert und welche biologisch begründet sind, wofür es scheinbar noch immer keine befriedigende Antwort gibt und aus linken Kreisen ja oftmals schnell der Biologismus-Vorwurf herausgekramt wird.

    Hallo Mario,
    was verstehst du unter einer "befriedigenden Antwort"? Viele, die dazu Stellung genommen haben, theoretische Abhandlungen verfasst haben, werden ihren Beitrag als "befriedigende Antwort" betrachten. Wir leben in einer Situation und unter Bedingungen, in der viele theoretische Antworten möglich sind, gegeben und ausformuliert werden. Durchsetzen (im Sinne von mehrheitsfähig werden) können sich bestimmte Positionen nicht allein im theoretischen Disput, sondern nur im Kontext praktischer Bewegung, die Veränderung will. Von daher sind alle Antworten bis auf weiteres "unbefriedigend". :huh:


    Meiner Meinung nach sind ferner alle "Geschlechtseigenschaften sozialisiert", ob sie nun tatsächlich auf biologischen Unterschieden beruhen, oder nicht. Heute gibt es allerding die - wie ich meine - idealistische Tendenz jeden biologischen Unterschied zu leugnen. Das versteht sich dann als "radikal". Alle, die darauf verweisen, dass Mann und Frau sich nicht nur in ihrer körperlichen 'Gestalt, sondern ihrer ganzen Anatomie, ihrem spezifischen "Hormoncocktail" etc. unterscheiden, sehen sich schnell mit dem Vorwurf des "Biologismus" konfrontiert. Die Anerkennung dieser Unterschiede ist aus meiner Sicht eine materialistische Selbstverständlichkeit! (Die Menschen sind und bleiben Produkt und Teil der Natur, auch in ihrer Unterscheidbarkeit als Mann und Frau!) Daraus irgendwelche Minderwertigkeiten oder Höherwertigkeiten abzuleiten, beruht auf nacktem Interesse, ist also Herrschaftsideologie, die tatsächlich durchgesetzte und bestehende Herrschaftsverhältnisse von Männern über Frauen legitimieren soll. Dass sich aber aus den biologischen Unterschieden auch unterschiedliche Verhaltensweisen ergeben steht für mich ebenfalls außer Fragen ... aber eben nicht solche, die eine systematische Über- und Unterordnung entlang dieser Unterschiede begründen würden. Für diese Ansicht ertrage in den Vorwurf des "Biologismus" bis auf weiteres gern.


    Es kommt hinzu, dass der wahrnehmbare und wissenschaftlich nachweisbare Unterschied zwischen Mann und Frau, wenn er begrifflich mit männlich und weiblich gefasst wird, auf einer Abstraktion beruht. Wie überall, so ist auch hier die konkrete Wirklichkeit komplexer als die im Begriff zum Ausdruck gebrachte Abstraktion. Es gibt eine ganze Menge Menschen, die nicht so ohne weiteres unter diese Abstraktionen fallen, bei denen es nicht so eindeutig ist, ob sie in diesem Sinne zu den Männern oder den Frauen gehören. Gesellschaftlich wird aber diese Zurordnung verlangt und erzwungen. Diskriminierung, Repression, die damit zusammenhängt, hat nun nichts mehr mit der "Frauenfrage" zu tun, auch dann nicht, wenn es gerade bestimmte FeministInnen sind, die das zu ihrem Thema gemacht machen. Die gesellschaftliche Diskriminierung von "Transsexualität" ist nicht unmittelbar Ausdruck von "männlichem Interesse" oder gar "Klasseninteresse"; in einer auf Herrschaft von Menschen über Menschen gegründeten Gesellschaft, sich darin äußernder Interessen, begründet jede "Norm" ein Herrschaftsverhältnis, so auch die "normale Heterosexualität". (Ein gutes Beispiel für solche Herrschaft der "natürlichen" Norm ist auch das, was man hierzulande über Jahrzehnte den "Linkshändern" angetan hat, wenn sie es wagten, auch mit links schreiben zu wollen.)


    Weiter will ich mich auf deinen jetzigen "Themenschwerpunkt" aber nicht einlassen, weil das aus meiner Sicht wirklich ein Fass ist, dass da aufgemacht würde ... und das betrifft den Gegensatz zwischen Materialismus und Idealismus. :S


    Viele Grüße
    Robert

  • Meiner Meinung nach sind ferner alle "Geschlechtseigenschaften sozialisiert", ob sie nun tatsächlich auf biologischen Unterschieden beruhen, oder nicht. Heute gibt es allerding die - wie ich meine - idealistische Tendenz jeden biologischen Unterschied zu leugnen. Das versteht sich dann als "radikal". Alle, die darauf verweisen, dass Mann und Frau sich nicht nur in ihrer körperlichen 'Gestalt, sondern ihrer ganzen Anatomie, ihrem spezifischen "Hormoncocktail" etc. unterscheiden, sehen sich schnell mit dem Vorwurf des "Biologismus" konfrontiert. Die Anerkennung dieser Unterschiede ist aus meiner Sicht eine materialistische Selbstverständlichkeit! (Die Menschen sind und bleiben Produkt und Teil der Natur, auch in ihrer Unterscheidbarkeit als Mann und Frau!)


    Daraus irgendwelche Minderwertigkeiten oder Höherwertigkeiten abzuleiten, beruht auf nacktem Interesse, ist also Herrschaftsideologie, die tatsächlich durchgesetzte und bestehende Herrschaftsverhältnisse von Männern über Frauen legitimieren soll. Dass sich aber aus den biologischen Unterschieden auch unterschiedliche Verhaltensweisen ergeben steht für mich ebenfalls außer Fragen ... aber eben nicht solche, die eine systematische Über- und Unterordnung entlang dieser Unterschiede begründen würden. Für diese Ansicht ertrage in den Vorwurf des "Biologismus" bis auf weiteres gern.

    Hast Du zu der "materialistischen Selbstverständlichkeit" Literatur auf die Du Dich beziehst? Wenn ja, wäre ich neugierig welche.

    Es kommt hinzu, dass der wahrnehmbare und wissenschaftlich nachweisbare Unterschied zwischen Mann und Frau, wenn er begrifflich mit männlich und weiblich gefasst wird, auf einer Abstraktion beruht. Wie überall, so ist auch hier die konkrete Wirklichkeit komplexer als die im Begriff zum Ausdruck gebrachte Abstraktion. Es gibt eine ganze Menge Menschen, die nicht so ohne weiteres unter diese Abstraktionen fallen, bei denen es nicht so eindeutig ist, ob sie in diesem Sinne zu den Männern oder den Frauen gehören. Gesellschaftlich wird aber diese Zurordnung verlangt und erzwungen. Diskriminierung, Repression, die damit zusammenhängt, hat nun nichts mehr mit der "Frauenfrage" zu tun, auch dann nicht, wenn es gerade bestimmte FeministInnen sind, die das zu ihrem Thema gemacht machen. Die gesellschaftliche Diskriminierung von "Transsexualität" ist nicht unmittelbar Ausdruck von "männlichem Interesse" oder gar "Klasseninteresse"; in einer auf Herrschaft von Menschen über Menschen gegründeten Gesellschaft, sich darin äußernder Interessen, begründet jede "Norm" ein Herrschaftsverhältnis, so auch die "normale Heterosexualität". (Ein gutes Beispiel für solche Herrschaft der "natürlichen" Norm ist auch das, was man hierzulande über Jahrzehnte den "Linkshändern" angetan hat, wenn sie es wagten, auch mit links schreiben zu wollen.)

    Mann und Frau sowie wie "Weiblichkeit" und "Männlichkeit" sind ohne ihre Gegenüber ein Nichts, klar. Ebenso ist jede biologische Eigenschaft durch die Kultur bereits "gefiltert" und aufgehoben. Es gibt bei alledem wohl keine befriedigende Antwort, da Themen wie die Herausbildung sexueller Orientierung, wen oder was wir sexuell attraktiv finden und wovon es abhängt sehr kontextuelle und individuelle Schwerpunkte sind. Die jeweiligen Forschungsergebnisse (Studien) fallen dementsprechend abstrahierend aus; kann ich aus eigener Recherche bestätigen.


    Wieso tendiert jede Klassengesellschaft zu einer Normierung? Vor allem wenn es sich in diesem Fall um etwas "privates" wie die sexuelle Orientierung handelt?

    Weiter will ich mich auf deinen jetzigen "Themenschwerpunkt" aber nicht
    einlassen, weil das aus meiner Sicht wirklich ein Fass ist, dass da
    aufgemacht würde ... und das betrifft den Gegensatz zwischen
    Materialismus und Idealismus. :S


    Viele Grüße
    Robert

    Also letzten Endes um die Arbeitsweise des Erkenntnisgewinns - und was sie darunter verstehen - bürgerlicher Wissenschaften. Hast Du hierzu irgendwelche Verweise, Texte, Videos? Die Sache interessiert mich nämlich schon länger.


    Grüße



    Mario

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