Peter Klein meint in der Online-Ausgabe des Magazins "Streifzüge": "Stellt Euch vor, das Proletariat kommt in Bewegung - und die Linke ekelt sich!"
Seine, von mir wiedergegebene, Hauptthese: Die politische Linke bietet für die schlecht ausgebildeten Lohnabhängigen wenig Anziehungskraft. Ihre Verfangenheit in Linksliberalismus oder postmodern aufgehübschten Sozialdemokratismus würde sogar Abschau hervorrufen. Mangels Alternativen und eines konformistischen Bewusstseins, äußert sich der proletarische Protest gegen die Verhältnisse (bisher) diffus und (rechts-)reaktionär.
Hier einige Ausschnitte aus seinem Artikel:
"Eine Linke, die diese Unterscheidung zwischen sozialem Sein und damit einhergehendem Bewusstsein trifft, ist momentan nicht in Sicht. Zumindest tritt sie nicht öffentlich in Erscheinung. Sie verschwindet hinter jener „Linken“, die sich logischerweise daraus ergibt, dass sich die Freunde der Mehrheitsdemokratie mit allen Zeichen des Abscheus gegen „rechts“ abgrenzen und Bekenntnisse zu den Grundwerten der „freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung“ ablegen (…)
Was aber wird uns mit dieser Zurschaustellung der moralisch einwandfreien Gesinnung mitgeteilt, jedenfalls indirekt? Dass es sich bei dem „rechten Pack“ offensichtlich um ein moralisches, nicht etwa um ein soziales Problem handelt. Man weiß nicht, wie es kommt, aber leider gibt es, kenntlich gemacht am Lackmuspapier der „Flüchtlinge“, eine moralisch minderwertige Spezies von Menschen, die all diese schönen Dinge nicht will: keine Menschlichkeit, keine Weltoffenheit. (…)
Das einfache, redliche Volk, das darauf wartet, dass aufgeklärte Intellektuelle ihm zu seinem „Recht“ verhelfen, ist eine Legende aus dem 18. Jahrhundert, und das ist lange vorbei. Ohne die Brille des Rousseauismus wahrgenommen, ist Unten-sein ein Zustand, der die Menschen nicht schön macht, auch nicht freundlich oder klug. Unten zu sein, auf dem sozialen Abstellgleis, bedeutet meistens auch, ungebildet, primitiv und widerlich zu sein. Schon seinerzeit, als der Begriff des Proletariats aufkam, wurde er von Synonymen wie Pöbel, Mob, Gesindel und Abschaum begleitet. (…)
Neue soziale Phänomene, die in die gewohnte Lebenswelt nicht passen, die als nachteilig oder bedrohlich empfunden werden, stoßen auf ein bitterböses „Nein, ich mag nicht!“, wie man es auch von kleinen Kindern zu hören bekommt. Mit dieser Kindlichkeit des unvermittelten Ja oder Nein gehören die Unterschichtler allerdings unter das gleiche Dach der bürgerlichen Bewusstseinsform wie alle anderen Demokraten. (…)
Er (gemeint ist der bürgerliche Alltagsverstand) legt es darauf an, die gesellschaftlichen Phänomene so wahrzunehmen, dass sie zu Dingen und Prinzipien gerinnen, die man politisch „wollen“ oder „nicht wollen“ kann. Die einen wollen „keine Flüchtlinge“, die anderen „keine Nazis“; kontextunabhängig wird „gewollt“.
Die kapitalistische Krise, ob sie sich nun als endloser Flüchtlingsstrom nach Europa und um den ganzen Globus wälzt, ob sie als salafistischer Hassprediger in Erscheinung tritt oder als rechter Heimatschutzbund, schert sich weder um das eine noch das andere Wollen. Solange sie nicht als solche begriffen wird, sorgt sie nur dafür, dass der Ton schroffer, das Wollen gewalttätiger wird. (…)
Was also bleibt, wenn man die rechte Bewegung getrennt von dieser Sackgassen-Ideologie wahrnimmt? Der Hass und die Verbitterung von Menschen, die auf den Wohlstand und die sicheren Arbeitsplätze, die das „Wachstum“ von was auch immer ihnen bringen sollten, vergeblich gewartet haben. Die als die Ausgesonderten und Abgehängten der Konkurrenzgesellschaft in den demokratischen Menschheitsphrasen nur noch Lüge und Heuchelei zu sehen vermögen. Und die darin – mehr als ihnen wohl bewusst ist – recht haben. (…)
Ob sie wollen oder nicht, die neuen Rechten praktizieren mit ihrem desaströsen Verhalten eine wenn auch hilflose Art von Antikapitalismus. Sei es auch nur darin, dass sie als das barbarische Resultat des neuesten kapitalistischen Entwicklungsstadiums aufzufassen sind, als seine hässliche Fratze. (…)
Die moralisierende Linke meint, sich gegen die rechte Barbarei auf die Seite der herrschenden Barbarei der Markt-Demokratie stellen zu müssen. Warum? Weil sie im Durchschnitt besser ausgebildet ist als die militanten Ausländerfeinde, weil sie somit mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt und überhaupt einen besseren sozialen Status besitzt.
Im moralisierenden Anprangern des Kapitalismus und seiner verheerenden Folgen für das Klima, für die Ozeane und für alle natürlichen Ressourcen des Lebens ist sie groß, in ihrem gesellschaftlichen Sein aber hinkt sie den rechten Proleten vielfach hinterher. Die befinden sich bereits in näherem Kontakt mit der kapitalistischen Krise. Etliche von ihnen, die der freie Arbeitsmarkt als wertlos abgestempelt und ausgespuckt hat, haben das Stadium des Hoffens bereits hinter sich gelassen. Sie wollen gar nicht mehr „integriert“ werden. Das Wort ekelt sie an.
Mit anderen Worten, im Gegensatz von rechter und linker Ideologie, von verbittertem „Volk“ und demokratischem Gutmenschentum, dürfte sich in durchaus nennenswertem Ausmaß ein sozialer Unterschied bemerkbar machen: zwischen denen, die dem Hamsterrad, in dem sie funktionieren, noch einige gute Seiten abgewinnen können, und denen, die es nicht mehr können – und die daher anfangen, es von außen zu betrachten.
Dieses „von außen“ scheint mir eine weitere Bestimmung zu sein, die einen Deklassierten unserer Zeit würdig macht, unter die Schar derer eingereiht zu werden, die man im 19. Jahrhundert als classe dangereuse bezeichnete. Die klassische Arbeiterbewegung sah auf diejenigen, die „außen“ herumlungerten, herab.
Wer sich außerhalb der Sphäre der produktiven Arbeit herumtrieb, galt, wenn er sonst kein Einkommen hatte, als verkommenes Subjekt und Lumpenproletarier.
Heute, wo das Nicht-Produzieren von immer noch mehr Gift und Müll und nutzlosen Dingen ein Fortschritt wäre, ein echter Gewinn von Lebensqualität, hat sich die Situation gedreht. Außen zu sein und trotzdem lesen und schreiben zu können, ist mindestens zum intellektuellen Vorteil geworden. Das System, das nur noch als Katastrophe funktioniert, ist von hier aus leichter zu überblicken. Die Luft ist klarer hier außen, nicht verpestet von irgendwelchen Eigenheimhypothekenabzahlungsnotwendigkeiten; hier kommen Alternativen in Sicht, die es von innen gesehen nicht gibt.
Wenn die Unterschichten sich zu diesem „Außen“ hinbewegen, dann sieht das natürlich anders aus als bei jenen „freischwebenden Intellektuellen“, die sich den Standpunkt des Außen auf theoretischem Wege erworben haben. Das sollte letztere aber nicht davon abhalten, jenes mehr praktische Außen in gehörigem Maße zu würdigen. (...)
Wer die Lunte sein will an dem sozialen Sprengstoff, der sich hier ansammelt, wird eine Idee propagieren, die etwa auf die folgende Formel zu bringen ist: „Nicht-Integrierbare aller Länder vereinigt Euch!“ Aber vereinigt Euch nicht in einer neuen staatsbildenden Ideologie, die es nicht geben kann, sondern vereinigt Euch in der Vielzahl von Kenntnissen und Fähigkeiten, die Ihr Euch im Verlaufe der kapitalistischen Vergesellschaftung erworben habt, und die es Euch längst ermöglichen, mit konkreten Problemen und Bedürfnissen auf konkrete Weise umzugehen."
Der gesamte Text findet sich hier: http://www.streifzuege.org/201…-und-die-linke-ekelt-sich