Soweit so gut. Die Frage ist nur ob und inwiefern die heute angewandten Produktionsmittel überhaupt in einer nachkapitalistischen Gesellschaft angewandt werden können. Ich habe da, ähnlich wie Kim in seinem letzten Beitrag im "Know-how im Kapitalismus"-Thread so meine Zweifel.
Es steht die Frage im Raum ob es wirklich derart aussieht, dass "wir" bloß die Produktionsverhältnisse umwerfen müssten, die Mittel aber weiterhin für eine - vor allem ökologische! - neue Produktionsweise genutzt werden können. Am Anfang dürfte es wohl dazu gar keine Alternative geben, aber es gibt genug Stimmen die behaupten, wir können auch mit dem Industrialismus als solchen, wie wir ihn heute kennen, nicht weitermachen, da er global gar nicht verallgemeinerbar wäre ohne die für den Menschen notwendigen Naturgrundlagen zu zerstören. Egal ob mit dem Adjektiv kapitalistisch oder sozialistisch versehen.
Der Sozialökologe Otto Ullrich schrieb dazu in seinem Artikel "Forschung und Technik für eine zukunftsfähige Lebensweise":
"Das bedeutet eine ganze Reihe von Ausstiegsprojekten wie Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie, der synthetisierenden Petrochemie, der Gentechnik, der industrialisierten Landwirtschaft, des Automobilismus und auch aus der direkt gegen Menschen gerichteten Kriegsmaschine.
Um die kapitalistisch-industrielle Maßlosigkeit des viel zu viel der Natureingriffe zu korrigieren, bedeutet ökonomisch-technische Abrüstung auch eine Reduzierung der durch die Gesellschaft gepumpten Ströme an Energie und Materialien auf mindestens ein Zehntel."
Ullrich kommt zu dem Schluss, dass wir nicht an einer Regionalisierung vorbeikommen und obendrein auf eine Wiederbelebung der Reparatur- und Handwerkskultur abzielen bzw. von dieser ausgehen müssen. Er schreibt in "Argumente zur Überwindung der Arbeitsgesellschaft":
"Die Ziele der Nachhaltigkeit und der politischen Selbstbestimmung machen es zwingend erforderlich, daß die solare Naturstoffwirtschaft regionalorientiert ist (Ullrich 1999). Sie wird überwiegend eine Nahraumwirtschaft sein. Die Energie- und Stoffströme, aber auch die Waren-, Geld-, und Datenströme sind überwiegend kleinräumig geschlossen.
Da die heute kriminell niedrigen, extrem subventionierten Transportkosten in Zukunft ihrer „ökologischen Wahrheit“ näherkommen, wird motorisierter Verkehr wie Müll als eine zu minimierende Schadensgröße angesehen. Die Nahraumorientierung fürs Wirtschaften, aber auch für Freizeit und Erholung, wird durch die sehr viel höheren Transportkosten, also durch eine angemessene Widerständigkeit des Raums, als vernünftige, freiwillige und „naheliegende“ Verhaltensweise dominant werden.
Das hat auch eine Wiederbelebung der Nahräume zur Folge, die eine touristische Flucht wie gegenwärtig aus unseren unwirtlichen, autozerschundenen Städten mit Wohngaragen nicht mehr erstrebenswert macht. Das Stichwort ist hier: Wiedergewinnung einer neuen Seßhaftigkeit. (…)
Vor allem die großräumig orientierte Freihandelsreligion wird überwunden. In Zukunft und vor allem für den Übergang zu einer „neuen Zivilisation“ wird es ein Nebeneinander von unterschiedlichen Wirtschaftsweisen, Tätigkeiten und Austauschformen geben. Neben der tendenziell immer weiter zurückgehenden Erwerbswirtschaft mit Lohnarbeit und Marktaustausch wird es erwerbswirtschaftliche Betriebe mit nicht marktvermittelten Austauschformen geben, beispielsweise vertraglich geregelte Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften.
Es wird eine Gemeinwirtschaft geben für gemeinsam genutzte Gebrauchsgegenstände und Projekte, in der neben Geldvergütungen auch Tätigkeiten über Zeitanteile verrechnet werden. Und nicht zuletzt wird es den schrittweise sich wieder ausdehnenden Sektor der Hauswirtschaft und Subsistenztätigkeit geben, in dem lebenswichtige Dienste und Güter ohne die dazwischengeschalteten Medien Geld und Markt entstehen. Ein Stichwort ist hier: Entmonetarisierung der Lebenswelt. (…)
Anstatt die Menschen für angebliche Zukunftstechnologien von meist nur kurzer Lebensdauer mit den entsprechend kurzlebigen Wegwerfqualifikationen in einen ständigen Umschulungswettlauf zu hetzen, ist es sinnvoller, sie Fertigkeiten lernen zu lassen, die ihre Subsistenzfähigkeiten erhöhen.
Gelernt werden müssen vor allem der handwerkliche Umgang mit den Naturstoffen, der gärtnerisch-bäuerliche Umgang mit Erde, Pflanzen und Tieren, sowie der hauswirtschaftliche Umgang mit den wirklich wichtigen Dingen des täglichen Lebens. (…)
Für ein „gutes Leben“, für eine nachhaltige, nachindustrielle Produktions- und Lebensweise sind diese Qualifikationen von großer Bedeutung. (…) Der Industrialismus zerstört ja nicht nur die Natur, sondern auch „soziale Ressourcen“. Er bringt den Menschen in der Summe kein Glück. Die zahlreichen Unglücksindikatoren und krankhaften Suchtverhaltensweisen sprechen dafür, daß der Industrialismus auch „glücksineffizient“ ist."
Ullrich kritisiert an allerhand linker Zukunftsvisionen, dass diese selbst den Industrialismus bzw. den Wachstumszwang nicht hinterfragen und immer noch zu stark in der Forschrittsgläubigkeit durch technologische Lösungen feststecken würden.
Dies wäre zum Teil gleichermaßen bei Marx der Fall, weshalb es obendrein eine "Kritik der Produktivkräfte" geben müsse bzw. eine Kritik an der Vorstellung, dass die ständige Weiterentwicklung der Produktivkräfte und des Konsums das Reich der Freiheit verspräche. Eine derartige Vorstellung sei nicht nur anhand zahlreicher Studien zur Erfassung dessen was Menschen Glück und Zufriedenheit beschert unhaltbar, sondern, wie bereits oben von mir genannt, aus ökologischer Sicht höchst schädlich und global nicht verallgemeinerbar.
Ich denke, es ist zumindest eine Debatte, die hier andiskutiert werden sollte (Franziskas Überlegungen gingen ja in eine solche Richtung). Nämlich ob das heutige Industriesystem (modifiziert) übernommen werden kann und die Grundlage für das "Reich der Freiheit" ist oder eben jene Industrieproduktion selbst hinterfragt werden muss.
Jedenfalls zielt eine solche Diskussion wie sie vornehmlich in der radikal-ökologischen/sozialökologischen Linken geführt wird in eine zukunftsweisendere Richtung als der Neosozialdemokratismus oder Neoleninismus der heutigen Linken.