Linke im Feuilleton

  • Die politische Krise erreicht nun die Kulturseiten, und linke Intellektuelle stellen erstaunt einen Rechtsruck in Deutschland fest.
    Sofort werden neue linke Mythen gestrickt.
    Ein Mythos heißt: „Bislang wehte der Geist links. Rechts und intellektuell, das passt schlecht zusammen. Bei den Rechten werden Bücher eher verbrannt als gelesen.“ (Jakob Augstein).
    Geht’s noch? Seit es Schrift gibt, werden Bücher von Vertretern der herrschenden Klasse für Vertreter der herrschenden Klasse geschrieben. Das begann mit den Aufzeichnungen der Sumerer und Ägypter, das setzte sich fort mit Homer und Platon. Schriftsteller wie der Sklave Äsop und revolutionäre Denker wie Karl Marx waren und sind „Schwarze Schwäne“, sind die Ausnahme von der Regel.


    Dass Linke meinen, sie hätten den Geist gepachtet und hätten ein Monopol auf kluge Gedanken, das allein ist schon Grund genug für die zunehmende Bedeutungslosigkeit unserer linken Intellektuellen.
    Seit Jahren und Jahrzehnten trauern linke Intellektuelle dem „Goldenen Zeitalter des Kapitalismus“ von 1960 bis 1980 hinterher. Seit Jahren und Jahrzehnten verehren linke Intellektuelle den Keynsianismus als den Heiligen Geist des Kapitalismus. Seit Jahren und Jahrzehnten vergöttern linke Intellektuelle die Staatsgewalt als Heiland, der alle kapitalistischen Gebrechen und Verbrechen an Mensch und Natur heilen soll.


    Je länger dieser linke Trostgesang dauert, je aussichtsloser die gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage wird, je mehr unser Elend zum Himmel stinkt, desto mehr Menschen verlieren Vertrauen und Respekt in diese schönfärberische Linke, desto mehr Menschen suchen sich ihre Stichwortgeber anderswo. Der intellektuelle Frühling der Rechten ist die Reaktion auf Blindheit und Rückwärtsgewandtheit der Linken.


    Schuld sind aber immer die anderen!
    Sogar die alte Leier vom „Verrat der Sozialdemokraten“ wird von linken Intellektuellen wieder ausgegraben. Wer den früheren oder heutigen Sozialdemokraten „Verrat“ unterstellt, hat ihre reformistische Agenda nicht verstanden. Verraten kann einer nur das, woran er wirklich glaubt. Haben Sozialdemokraten jemals an Revolution geglaubt? Niemals. Und "Nation" war ihnen schon immer wichtig.
    Ja, bei Sozialdemokraten gab es immer eine Diskrepanz zwischen Wort und Tat. Ihre Worte versprachen immer radikaler als ihre Taten lieferten. Ja und? Trifft das nicht auf alle Politiker zu?
    „Verrat“ kann den Sozialdemokraten nur unterstellen, wer Menschen nicht nach ihren Handlungen beurteilt, sondern nach ihren schönen Worten und die Parteien nach ihren hehren Programmen.
    So naiv sind nur Linke, meint Wal Buchenberg.


  • Hallo Wal,
    beim Lesen einiger Augsteinbeiträge entstand bei mir die Vorstellung, das alles nur ironisch gemeint sein kann. Natürlich gehe ich davon aus, das alles ernst gemeint ist. Er schreibt über die Welt, wie er sie kennt und versteht und ist damit sicherlich in guter Gesellschaft liberaler Linker. Für fatal halte ich unter anderem die Vorstellung, die Rechten wären nicht intelligent. Eine pauschale Abwertung seiner (politischen) Gegner muß nicht unbedingt ein Mangel an Intelligenz sein aber es zeigt wohl den Mangel an Sachverstand.
    Wie nah sind Leute wie er, an den Lohnarbeitern dran? Wissen sie überhaupt, das es Lohnarbeiter gibt? Welche gesellschaftlichen Alternativen kennen sie bzw. können sie sich vorstellen?
    So wie es aussieht, ist die Welt die sie sich vorstellen, weit entfernt von der Lohnarbeiterrealität.
    Sich darüber zu ärgern macht keinen Sinn.
    Übrigens, die Zeiten, das nur Herrschende für Herrschende Bücher schreiben sind lange vorbei. Es gibt z.B. Fachliteratur u.a. Publikationen für Lohnarbeiter die nicht von Herrschenden geschrieben sind. Du selbst hast Bücher geschrieben.
    Gruß Jens

  • Hallo Jens,
    ja, Gegner für dumm zu halten, ist das Schlimmste, was man in einer Auseinandersetzung tun kann.


    Ich will aber noch ein paar Worte zu der obigen Grafik verlieren, die nicht ganz leicht zu verstehen ist.
    umfrage201601.jpg


    Es wurden hier fünf Themenbereiche angesprochen,von „Deutsche Wirtschaft“ bis „Langfristige Risiken und Chancen“. In jedem Themenbereich waren 11 Punkte zu vergeben, von 1 = extrem negativ bis 11 =extrem positiv.
    Unter den waagrechten Balken sind die Prozentzahlen angegeben von 0 bis 100 %, und die unterschiedliche Schattierung zeigt an, wie viele Leute bei jedem Thema welche Punktzahl vergeben hatten.


    Heißt:
    Die „schwarze Eins“ („der Flüchtlingszustrom wirkt extrem negativ“) wurde je nach Thema von 10% bis 18% der Leute vergeben.
    Die „grüne 6“ markiert das Mittelfeld („ebenso vielpositiv wie negativ“).
    Wo die „grüne 6“ bis über die rote Mittellinie (=50%) reicht, dort urteilte eine Mehrheit über den Flüchtlingszustrom positiv.
    Soweit die Daten.


    Ich will jetzt nicht über das Umfrageergebnis mäkeln, das kommt mir keineswegs katastrophal vor.
    Ich will die Fragestellungen insgesamt kritisieren.


    Wer die Flüchtlingsbewegung und ihre Aspekte unter die Frage packt: Ist das für uns positiv oder negativ?, der fördert erstens eine kapitalistische Illusion und der unterstützt zweitens einen politischen Mythos.


    1) Wer sich fragt, ob die Flüchtlingsbewegung "positiv oder negativ" ist, der sitzt der Illusion auf, dass im Leben alle Erscheinungen unter das Warengesetz fallen müssen: „Ich gebe einen Wert und bekomme einen Wert.“ Wenn ich mehr gebe als ich bekomme, ist das ungerecht.
    Mit so einer Beurteilung werden menschliche Beziehungen wie Warenbeziehungen angesehen und unter das Wertgesetz gestellt. Hilfe für Bedürftige wird wie als Warenkauf beurteilt. Wer eins und eins zusammenzählen kann, der muss nach dieser Rechnung die Flüchtlingsbewegung als „negativ“ einstufen. Flüchtlinge machen Kosten und bringen keinen "Gewinn" - mindestens nicht für uns, die wir keine Arbeitsplätze zu vergeben haben. Übrigens entstammt dieser kapitalistischen Logik auch der Spruch: "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!" Auch hier werden menschliche Beziehungen unter das Wertgesetz gestellt.


    2) Wer sich fragt, ob die Flüchtlingsbewegung für uns positiv oder negativ ist, der unterstützt andererseits den Mythos der politischen Machbarkeit: Sind wir zu dem Urteil gekommen, dass die ankommenden Flüchtlinge uns mehr Schaden als Nutzen bringen, dann muss der Staat und die Politikerklasse, die ja „Schaden vom deutschen Volk“ abhalten sollen, dafür sorgen, dass der Schaden, sprich die Flüchtlingszahl, möglichst klein bleibt. Das ist die Logik der Rechten.


    In dieser kleinen Grafik steckt also der gesamte Geist, den unsere politische Klasse in der Flüchtlingsfrage aufbringt:
    Die einen (von AfD über Seehofer bis Trump) sagen: „Flüchtlinge bringen uns keinen Nutzen, also weg damit!“
    Die „Linken“ (von Merkel bis zur Grünen Partei) sagen: „Die Flüchtlinge bringen uns Nutzen, also sind sie uns willkommen!“
    Beide Seiten denken dabei in und mit der kapitalistischen Warenlogik.


    Die kapitalistische Warenlogik ignorieren alle, die sagen: Flüchtlinge leiden Not. Soweit wir können, werden wir ihnen helfen!


    Wal Buchenberg, 2. März 2016

  • Hallo Wal,
    letzteres ist einfach Menschlichkeit und die wird es zu allen Zeiten gegeben haben. So gab es z.B. zur Zeit des Nationalsozialismus auch Menschen "die dumm genug waren" Juden und anderen Verfolgten zu helfen. Die Logik wäre doch gewesen "jeder ist sich selbst der Nächste" oder noch schlimmeres.
    Das die kapitalistische Wirklichkeit, auf das Denken abfärbt, kann nicht weiter überraschen und so ist dann auch das Rechtsempfinden wie es ist. Natürlich ist ein Mensch in der Lage, die Wirklichkeit zu verstehen und sich weiterzuentwickeln. Die Einsicht in die wirklichen Bedingungen von Natur und Gesellschaft fallen aber niemandem in den Schoß.
    An anderer Stelle habe ich es mal erwähnt (da stimmte ich mit Wat überein). Eine Gesellschaft der freien Produzenten, kann mit der Entstehung einzelner Kommunen beginnen, deren Erfahrung machen sich andere zu nutzte. Das ist dann die Geburtsstunde neuem Wissens, neuem Rechtsempfindens und neuer Selbstverständlichkeiten.
    Eine andere Möglichkeit. Ein Sprichwort sagt, der Mensch ändert sich erst wenn er am Abgrund steht. Wenn der gesellschaftliche Abgrund kapitalistischer Verhältnisse, immer mehr Menschen bewußt wird, könnte ein Umdenken, relativ schnell gehen.
    Gruß Jens

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