Unser erster Versuch, über die Wende in der DDR und die möglicherweise verpassten Chancen zu diskutieren, hat nicht viel gebracht. Nun hat Wat. vorgeschlagen, einen neuen Versuch zu starten. Ich mache dafür einen neuen Thread auf.
Zum Start schildere ich, wie ich den Wende-Herbst 1989 erlebt habe – viel ist es nicht.
Seit Sommer arbeitete ich mit einem Zwei-Jahres-Vertrag als deutscher Lektor im (staatlichen) Fremdsprachenverlag Beijing. Außer mir arbeiteten da noch (neben Engländern, Franzosen und Afrikanern) auch vier DDR-Kulturschaffende. Mit Zweien von ihnen bin ich heute noch gut befreundet. Als Informationsquellen standen mir nur englischsprachige Zeitungen zur Verfügung, und eben die Empfindungen und Reaktionen der vier DDRler über die Vorgänge an ihrer „Heimatfront“.
Die englischsprachigen Zeitungen brachten täglich die Meldungen, die offizielle Medien gewöhnlich über Vorgänge im Ausland bringen: wenige Fakten (vor allem Demonstrationsorte, Demonstrantenzahlen) und viel Meinung - vor allem Meinungen von etablierten Staatsvertretern in Ost und West.
Unsere vier Kulturschaffenden – alles SED-Mitglieder - waren über die Vorgänge in ihrer Heimat sehr besorgt - vor allem sorgten sie sich um ihre Arbeitsplätze und um ihre persönliche Zukunft. Die beiden Frauen hatten auch durchaus Verständnis für die Anliegen der Demonstranten in der DDR. Alle vier hofften darauf, dass die SED sich auf Kompromisse einlässt, um die Protestbewegung zu besänftigen und zu befrieden.
Als die SED-Führungsriege einen Egon Krenz zum Nachfolger von Honecker bestimmte, machte sich unter den Vieren Enttäuschung und Entsetzen breit. Jetzt war ihnen klar, dass die DDR-Staatsmacht zu keinen nennenswerten Kompromissen bereit oder in der Lage war.
Wie die Sache dann ausging, ist jedem bekannt.
Ich habe jedenfalls keine Hinweise darauf, dass die Wende in der DDR anders hätte ausgehen können. Aber wie gesagt: Ich war sehr weit weg von den Ereignissen und bekam nur gefilterte Informationen.
Nachzutragen wäre:
Zwei der Vier sind betagte Rentner. Da ihre Rentenansprüche Eins zu Eins in DM umgewandelt wurden, und sie vorher gut bezahlte Posten im DDR-Staatsdienst hatten, können sie heute von ihrer Rente gut leben. Sie sind der Grünen Partei beigetreten und engagieren sich in ihrem Heimatort für den Naturschutz.
Das andere Ehepaar war jünger und versuchte angestrengt, aber ohne Erfolg, im chinesischen Staatsdienst eine längerfristige Anstellung zuerhalten.
Zu ihnen habe ich keinen Kontakt.
Gruß Wal