Vorbemerkung:
Kernkraftwerke sind eine kapitalistische Technologie, die – wie Atombomben – über Generationen hinweg Mensch und Natur schädigen und gefährden. Die Mehrzahl der Menschen ist für die Nichtverwendung und Beseitigung dieser gefährlichen Technologie. Dieser vernünftige Mehrheitswille kann sich nicht durchsetzen, weil ihm dabei das Privateigentum an den Produktionsmitteln – also auch an den Atomkraftwerken – im Wege steht.
Karl Marx schrieb: „Wir haben gezeigt, dass die gegenwärtigen Individuen das Privateigentum aufheben müssen, weil die Produktivkräfte und die Verkehrsformen sich so weit entwickelt haben, dass sie unter der Herrschaft des Privateigentums zu Destruktivkräften geworden sind ...“ (Karl Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 424.)
Wenn insbesondere die Atomtechnologie keine Destruktivkraft sein soll, dann weiß ich nicht, was Destruktivkräfte sind.
Statt die Quellen des Reichtums zu entwickeln und uns Menschen das Leben zu erleichtern, vergeudet die Atomtechnologie – als Bombe wie als AKW – vorhandenen Reichtum und gefährdet Gesundheit und Leben ganzer Gesellschaften, wenn nicht der ganzen Menschheit.
Der Kapitalismus hat es dahin gebracht, „dass die Individuen sich die vorhandene Totalität von Produktivkräften aneignen müssen, nicht nur um zu ihrer Selbstbetätigung zu kommen, sondern schon überhaupt um ihre Existenz zu sichern.“ (Karl Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 67)
Unsere sichere Existenz ist allerdings gefährdet durch die Atomtechnologie, aber auch durch industrielle Landwirtschaft und Lebensmittelverarbeitung, durch den Raubbau an unserer Gesundheit und durch Raubbau an der Natur, durch die weltweite Trennung von Produktionsstätten und Konsumtionsstätten und anderes mehr.
Wir müssen uns die vorhandenen Produktivkräfte aneignen und unterwerfen, nicht um sie gedankenlos weiter zu nutzen. Die eine Technologie kann und muss eingestampft werden, anderes muss nach den Naturmöglichkeiten und nach unseren Bedürfnissen umgeformt und verbessert werden.
Bekannter - und strittig - ist folgender Gedanke von Marx: „Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um.“ (Karl Marx, Kritik der politischen Ökonomie, MEW 13, 8).
Alle Staatssozialisten und Marxisten-Leninisten haben diesen zentralen Gedanken von Karl Marx falsch herum aufgefasst: Sie wollten den „Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen“ dadurch lösen, dass die Menschen „technologietauglich“ gemacht werden, statt die Technologie menschen- und naturverträglich zu machen.
Kapitalistische Technologie menschentauglich und naturverträglich zu machen, das ist allerdings für uns alle eine Existenzfrage.
Die Anti-AKW-Bewegung versucht und will das und war deshalb von Beginn an ein antikapitalistischer Kampf, auch wenn sich Kommunisten nur halbherzig daran beteiligt haben.
Dieser Kampf gegen die Atomenergie macht den Kapitalisten ihre private Verfügungsgewalt über die Atomtechnologie streitig und stellt an diesem Punkt die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse prinzipiell in Frage.
Übrigens ist es beim Kampf gegen TTIP und CETA ganz genauso: Das ist ein antikapitalistischer Kampf bei dem sich Profitinteresse und gesellschaftliche Einsicht unversöhnlich gegenüberstehen. Schande über die Linken, die diese Bewegung schlecht machen, statt tiefere Einsicht in die Bewegung zu tragen.
Zu den Daten der Grafik:
Zwar wurde das erste zivile AKW 1954 in der damaligen Sowjetunion in Betrieb genommen, aber Atomtechnologie ist wesentlich eine Technologie der kapitalistischen Kernzone. Bis ins Jahr 1985 stieg die Anzahl der neu ans Netz gehenden AKWs an. Erst nach der Katastrophe von Chernobyl wurde der gesellschaftliche Widerstand der Anti-AKW-Bewegung wirksam: Erstmals im Jahr 1990 wurden mehr AKWs stillgelegt als neu ans Netz genommen. (Balkengrafik und linke Skala).
Der "Economist" kommentiert diese Zahlen: "The closures also highlight how green NGOs, many of which were created to oppose both military and civilian use of atomic energy, have influenced the debate on nuclear power."
(Diese Stilllegungen von AKWs beweisen, wie grüne nichtstaatliche Organisationen, von denen viele von Anfang an militärische und zivile Nutzung der Atomenergie bekämpften, die Debatte über Nuklearenergie bestimmt haben.)
Seit dem Jahr 2000 geht auch die Verwendung des Atomstroms in der kapitalistischen Kernzone etwas (auf unter 20%) zurück (siehe rote Linie und die rechte Skala).
Leider ist das Jahr 2000 auch das erste Jahr, in dem mehr neue AKWs in der kapitalistischen Peripherie als in der Kernzone in Betrieb genommen wurden. Die Länder des aufstrebenden Kapitalismus wären besser beraten, wenn sie von Vorneherein auf diese aufwändige und risikoreiche Technologie verzichten würden.
Wal Buchenberg, 6. November 2015
Siehe zum Thema auch: Know-How im Kapitalismus