„Schon nach wenigen Tagen an meinem neuen Arbeitsplatz muss ich sagen: ‚Hier geht es ja genau so weiter, wie es in der alten Firma aufgehört hat.’“ – so beginnt das Betriebstagebuch von Robert Becker: „Abgruppiert! Roman aus der Arbeitswelt“. Selbstverlag 2015.
Arbeitswelt? Das klingt wie fremde Welt und anderer Stern. „Arbeiterroman“ war ein gescheitertes Projekt der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Der staatlich geförderte „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“ veröffentlicht jetzt hauptsächlich Todesnachrichten und Nachrufe.
Werkzeugmacher Robert, verheiratet, ein Kind, wechselt in einen mittelgroßen Metallbetrieb der Autozulieferer mit einer Belegschaft von 240 Leuten. Der Betrieb hat keine Tarifbindung. Die Wahl eines Betriebsrates hat die Geschäftsführung mit Druck und gezieltem Mobbing zu unterbinden gewusst. Es gibt nur wenig gewerkschaftlich Organisierte in dem Betrieb. Die Chefs sind mehr gefürchtet als respektiert. Über die Kolleginnen und Kollegen heißt es: „Hier wird zu viel getratscht, gemobbt, Rad gefahren und in den Arsch gekrochen.“
Robert, „der Neue“, weiß nicht, wem er glauben und vertrauen kann. Er versucht in der Probezeit nicht aufzufallen: „Ich halte meine Arbeitszeit ein und habe bis jetzt auch noch keinen größeren Fehler gemacht.“
Dann werden die Kolleginnen und Kollegen der Getriebemontage per „Änderungsmitteilung“ abgruppiert: „... müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass nach gründlicher Prüfung ihres Arbeitsplatzes und der Ihnen anvertrauten Arbeiten wir feststellen müssen, dass Sie in der Vergangenheit zu hoch bezahlt wurden.“
Am Ende des Monats fehlen den Kolleginnen und Kollegen bis zu 380 Euro netto.
Die Empörung ist groß, aber als sich vor der Werkshalle Diskussionsgruppen bilden, taucht gleich einer der Chefs auf: „Meine Damen und Herren. Gehen Sie jetzt an Ihre Arbeit. Sie wollen doch bestimmt nicht, dass wir zu all den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die wir jetzt haben, auch noch Konventionalstrafen zahlen müssen, weil wir die Termine nicht einhalten.“
Robert beobachtet: „Ich konnte nicht sagen, dass sie eingeschüchtert waren, aber sie wussten auch nicht, was sie weiter sagen oder tun sollten. Mehr als die Hälfte der Leute war inzwischen abgezogen ... Vom Werkzeugbau aus konnte ich sehen, dass die Traube um Mühleisen und Uwe noch eine Zeit lang weiter da stand, aber nach ungefähr zehn Minuten löste sie sich auf.“
Die Kolleginnen und Kollegen der anderen Abteilungen konnten sich ausrechnen, dass ihnen auch bald die Abgruppierung droht. „Bei den Schneckengetrieben wird schwer diskutiert. Die haben jetzt doch Angst, dass bei ihnen auch neu eingruppiert wird.“ Aber was lässt sich dagegen tun?
Die Arschkriecher sagen: Der Geschäftsführung bleibt ja nichts anderes übrig. Unsere Konkurrenz schläft auch nicht. Wenn wir zu viele Forderungen stellen, sind wir bald weg vom Fenster. „... und da gibt es noch viele Illusionen über Aufstiegsmöglichkeiten. Die Deppen!“
Dann gibt es die Duckmäuser: „Die Leute machen nicht mit. Die haben alle Schiss in der Hose.“ „Meckern, wenn die Chefs nicht da sind. Aber wenn einer von den Hohen Herrn da ist, dann kuschen sie. Das war hier schon immer so. Und das wird auch immer so bleiben. Da wird sich nix ändern.“
Bewegungsbürokraten sagen: „Wenn die Mehrheit nicht organisiert ist und auch nichts von der Gewerkschaft wissen will, wie sollen wir da jemals streiken?“ „Organisierung ist in diesem Betrieb nicht drin. Nicht mit diesen Leuten.“
Aber auch das Ansehen der Gewerkschaft ist nicht hoch: „Und wieso schließt die Gewerkschaft überhaupt Tarifverträge für die Leiharbeiter ab? Wenn es keine Billigtarife für Leiharbeiter gibt, dann müssen die doch dasselbe Geld kriegen wie wir. Und dann ist die Leiharbeit für die Unternehmen auch nicht mehr so attraktiv, oder?“
Wegen der spontanen Diskussionsrunde im Hof kommt am nächsten Tag die Quittung: „Dem Uwe haben sie die fristlose Kündigung ausgesprochen. Uwe musste sofort seinen Spind räumen und Urbahn hat ihn rausbegleitet. Die Leute sind sauer und richtig wild. Ich glaube, die merken jetzt, dass es wirklich ans Eingemachte geht.“
Der Geschäftsführer pocht auf seine Weisungsbefugnis: „Was bilden Sie sich denn überhaupt ein, Herr Meisner, wer Sie sind? Wollen Sie auf einmal das Direktionsrecht der Geschäftsleitung in Frage stellen“? http://de.wikipedia.org/wiki/Direktionsrecht
Wieder kommt es zu einer spontanen Arbeitsniederlegung. Der oberste Chef nimmt zwar die Kündigung an Uwe zurück („es habe gar keine schriftliche Kündigung gegeben“), aber die Abgruppierungen sind nicht vom Tisch.
Das ist die Ausgangssituation des Romans.
Mit viel Mühe und gegen ständige Behinderung und Einschüchterung der Geschäftsführung schaffen es ein paar Mutige, einen Wahlvorstand zu wählen und eine Betriebsratswahl vorzubereiten. Aber selbst als ein Betriebsrat gewählt ist, lässt die Geschäftsführung nicht locker: „Die Schweine stellen uns kein Büro zur Verfügung, wir haben kein Telefon, kein Fax-Gerät, keinen Internetzugang, noch nicht einmal einen PC und einen Drucker.“
Der neu gewählte Betriebsrat versinkt in einen Kleinkrieg mit der Geschäftsführung und die erste Betriebsversammlung schrammt so eben an einem Desaster vorbei. „Der Betriebsrat ist entweder mit zweitrangigen Fragen beschäftigt oder damit, sich selbst zu verteidigen.“
Die abgruppierten Kolleginnen und Kollegen werden ungeduldig: „Wieso denn der Betriebsrat da nichts mache, ob wir nur ständig bei Kaffee und Kuchen zusammensitzen ....“ „Abgruppiert, und der Betriebsrat macht nichts!“
„Bei der Abgruppierung sind wir genau so weit wir vorher. Im Gegenteil, jetzt sind die Leute auch noch sauer auf uns, weil wir nicht mehr erreicht haben.“ „... die Belegschaft hat nichts von dem Betriebsrat – und wird es vielleicht nie haben.“
Robert meint dazu: „Ein toller Dank für die Kollegen, die sich engagiert haben und einiges riskieren. Wenn das so weitergeht ... dann gute Nacht!“
Wie es in diesem Roman weitergeht, kann jeder selbst nachlesen.
Gruß Wal Buchenberg
Es gibt den Roman als E-Book und in einer Druckversion.
Robert Becker, Abgruppiert: Roman aus der Arbeitswelt. Selbstverlag 2015. 244 Seiten.
ISBN 3738672885, 9783738672886
http://www.amazon.de/Abgruppiert-Roman-Arbeitswelt-Robert-Becker/dp/3738672885/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1427099632&sr=8-1&keywords=Robert+Becker+Abgruppiert