1. Was ist Mehrarbeit?
Karl Marx, Das Kapital I: „Das Kapital hat die Mehrarbeit nicht erfunden. Überall, wo ein Teil der Gesellschaft das Monopol der Produktionsmittel besitzt, muß der Arbeiter, frei oder unfrei, der zu seiner Selbsterhaltung notwendigen Arbeitszeit überschüssige Arbeitszeit zusetzen, um die Lebensmittel für den Eigner der Produktionsmittel zu produzieren ...“ MEW 23, 249.
Karl Marx: „Ausbeutung heißt, dass die produktiven Arbeiter fremdes Eigentum schaffen und dieses Eigentum über fremde Arbeit kommandiert.“ K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 148.
Karl Marx, Kapital I: „So entscheidend es für die Erkenntnis des Werts überhaupt ist, ihn als bloße Gerinnung von Arbeitszeit, als bloß vergegenständlichte Arbeit zu begreifen, so entscheidend ist es für die Erkenntnis des Mehrwerts, ihn als bloße Gerinnung von Mehrarbeitszeit, als bloß vergegenständlichte Mehrarbeit zu begreifen.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 231.
Karl Marx, Kapital III:„Wir sahen ferner: Das Kapital und der Kapitalist ist nur das personifizierte Kapital und fungiert im Produktionsprozess nur als Träger des Kapitals , also das Kapital pumpt in dem ihm entsprechenden gesellschaftlichen Produktionsprozess eine bestimmte Menge Mehrarbeit aus den unmittelbaren Produzenten oder Arbeitern heraus, Mehrarbeit, die das Kapital ohne Äquivalent (Gegenwert) erhält und die ihrem Wesen nach immer Zwangsarbeit bleibt, wie sehr sie auch als das Resultat freier vertraglicher Übereinkunft erscheinen mag.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 827.
Mein Resümee:
Mehrarbeit und das daraus resultierende Mehrprodukt war historisch immer verbunden mit fremder Aneignung der Mehrarbeit, war verbunden mit Ausbeutung und der auf der Ausbeutung basierenden Klassenhierarchie. Wenn also durch die Emanzipation der Arbeitenden Ausbeutung und Klassen verschwinden, sollte man annehmen, dass auch die Mehrarbeit und das Mehrprodukt verschwinden.
Der Mainstream-Marxismus hat allerdings das Gegenteil behauptet und die Mehrarbeit und das Mehrprodukt mit dem Sozialismus/Kommunismus vereinbar erklärt, ja es zu einem ganz notwendigen Bestandteil des Sozialismus/Kommunismus gemacht.
Die Begrifflichkeit von Marx und Engels ist allerdings anders.
2. Was geschieht mit Mehrarbeit und Mehrprodukt im Kommunismus?
Siehe dazu die folgenden Gedanken:
F. Engels, Vorwort zu Karl Marx: Das Elend der Philosophie (1884): „Jetzt endlich kommen wir zu dem Punkt, in dem Rodbertus uns wirklich etwas Neues bietet; etwas, das ihn von allen seinen zahlreichen Mitgenossen der Arbeitsgeld-Tauschwirtschaft unterscheidet. Sie alle verlangen diese Tauscheinrichtung zum Zweck der Abschaffung der Ausbeutung der Lohnarbeit durch das Kapital. Jeder Produzent soll den vollen Arbeitswert seines Produktes erhalten. Darin sind sie alle einig, von Gray bis Proudhon. Keineswegs, sagt Rodbertus. Die Lohnarbeit und ihre Ausbeutung bleibt. Erstens kann der Arbeiter in keinem denkbaren Gesellschaftszustand den ganzen Wert seines Produkts zum Verzehren erhalten; es müssen stets aus dem produzierten Fonds eine Reihe wirtschaftlich unproduktiver, aber notwendiger Funktionen mit bestritten, also auch die betreffenden Leute mit erhalten werden.
(Das Argument von Rodbertus weist F. Engels zurück, w.b.:) Dies ist nur richtig, solange die heutige Teilung der Arbeit gilt. In einer Gesellschaft mit Verpflichtung zu allgemeiner produktiver Arbeit (...) fällt dies weg. Bleiben aber würde die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Reserve- und Akkumulationsfonds, und daher würden auch dann zwar die Arbeiter, d.h. alle, im Besitz und Genuß ihres Gesamtproduktes bleiben, nicht aber jeder einzelne seinen „vollen Arbeitsertrag" genießen.“ MEW 4, 567
F. Engels, Anti-Dühring: „Alle Entwicklung der menschlichen Gesellschaft über die Stufe tierischer Wildheit hinaus fängt an von dem Tage, wo die Arbeit der Familie mehr Produkte schuf, als zu ihrem Unterhalt notwendig waren, von dem Tage, wo ein Teil der Arbeit auf die Erzeugung nicht mehr von bloßen Lebensmitteln, sondern von Produktionsmitteln verwandt werden konnte. Ein Überschuß des Arbeitsprodukts über die Unterhaltungskosten der Arbeit, und die Bildung und Vermehrung eines gesellschaftlichen Produktions- und Reservefonds aus diesem Überschuß, war und ist die Grundlage aller gesellschaftlichen, politischen und intellektuellen Fortentwicklung. In der bisherigen Geschichte war dieser Fonds das Besitztum einer bevorzugten Klasse, der mit diesem Besitztum auch die politische Herrschaft und die geistige Führung zufielen. Die bevorstehende soziale Umwälzung wird diesen gesellschaftlichen Produktions- und Reservefonds, das heißt die Gesamtmasse der Rohstoffe, Produktionsinstrumente und Lebensmittel, erst wirklich zu einem gesellschaftlichen machen, indem sie ihn der Verfügung jener bevorzugten Klasse entzieht, und ihn der ganzen Gesellschaft als Gemeingut überweist.“ MEW 20, 180.
Karl Marx, Kapital I: „Die absolute Minimalgrenze des Arbeitstags wird überhaupt gebildet durch diesen seinen notwendigen, aber verkürzbaren Bestandteil. Schrumpfte darauf der ganze Arbeitstag zusammen, so verschwände die Mehrarbeit, was unter dem Regime des Kapitals unmöglich ist.“ (Anmerkung w.b.: Jenseits des Kapitalismus ist also ein Verschwinden der Mehrarbeit durchaus möglich und vielleicht sogar notwendig.)
Marx fährt an der gleichen Stelle fort: „Die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsform erlaubt, den Arbeitstag auf die notwendige Arbeit zu beschränken.“ (Anmerkung w.b. heißt eindeutig: Die Mehrarbeit entfällt!)
Marx weiter: „Jedoch würde die letztere (notwendige Arbeit, w.b.) unter sonst gleichbleibenden Umständen, ihren Raum ausdehnen. Einerseits weil die Lebensbedingungen des Arbeiters reicher und seine Lebensansprüche größer wären. Andererseits würde ein Teil der jetzigen Mehrarbeit zur notwendigen Arbeit zählen, nämlich die zur Erzielung eines gesellschaftlichen Reserve- und Akkumulationsfonds nötige Arbeit.“ MEW 23, 552.
Karl Marx, Kapital III: „Der wirkliche Reichtum der Gesellschaft und die Möglichkeit beständiger Erweiterung ihres Reproduktionsprozesses hängt ... nicht ab von der Länge der Mehrarbeit, sondern von ihrer Produktivität und von den mehr oder minder reichhaltigen Produktionsbedingungen, worin sie sich vollzieht. Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion. Wie der Wilde mit der Natur ringen muss, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muss es der Zivilisierte, und er muss es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen. Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse sich erweitern; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehen. Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühen kann. Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung.“
Karl Marx, Kapital I: „Stellen wir uns ... einen Verein freier Menschen vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewusst als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben. ... Das Gesamtprodukt des Vereins ist ein gesellschaftliches Produkt. Ein Teil dieses Produkts dient wieder als Produktionsmittel. Es bleibt gesellschaftlich. Aber ein anderer Teil wird als Lebensmittel von den Vereinsmitgliedern verzehrt. ... Die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen zu ihren Arbeiten und ihren Arbeitsprodukten bleiben hier durchsichtig einfach in der Produktion sowohl als in der Distribution.“
Mein Resümee daraus:
Mehrarbeit und Mehrprodukt sind/waren überwiegend die Existenzgrundlage der herrschenden Klassen und sind insofern Merkmale der fremden Aneignung von Arbeit. Im Sozialismus/Kommunismus gehört das gesamte Arbeitsprodukt den Produzenten, die die gesamte Gesellschaft ausmachen. Mehrarbeit und Mehrprodukt, die jenseits der vorhandenen ("notwendigen") Bedürfnisse liegen, verschwinden. Was von der bisherigen "Mehrarbeit" bleibt, ist ein gesellschaftlicher Produktions- und Reservefonds, den Marx (Kapital I.) im Kommunismus zur notwendigen Arbeitszeit rechnete und nicht zur Mehrarbeitszeit.
Das ist alles, und diese Terminologie hat den Vorteil, dass sie einfach, klar und konsistent ist.
Gruß Wal Buchenberg