Das Maximum erreichen wir durch Partei- u. Gewerkschaftsarbeit

  • Hallo Wal,
    was soll die gescholtene Linke denn noch versuchen? Unterhalb der Schwelle der gewaltsamen Revolution ist eine direkte Kontrolle der Wirtschaft unmöglich. Also ist das Maximum der Einflussnahme Gesetzgebung, Gesetzesausübung und bindende Abmachungen mit den Kapitalisten. Das erreicht man nur mit der klassischen Partei- und Gewerkschaftsarbeit. Mit dem Anstreben von Regierungsverantwortung arbeitet die Linke doch bereits dem maximalen Ziel zu, das ohne gewaltsame Revolution möglich ist. Mehr ist einfach nicht drin.
    Gruß Wanderer

  • Hallo Wal,
    was soll die gescholtene Linke denn noch versuchen? Unterhalb der Schwelle der gewaltsamen Revolution ist eine direkte Kontrolle der Wirtschaft unmöglich. Also ist das Maximum der Einflussnahme Gesetzgebung, Gesetzesausübung und bindende Abmachungen mit den Kapitalisten. Das erreicht man nur mit der klassischen Partei- und Gewerkschaftsarbeit. Mit dem Anstreben von Regierungsverantwortung arbeitet die Linke doch bereits dem maximalen Ziel zu, das ohne gewaltsame Revolution möglich ist. Mehr ist einfach nicht drin.
    Gruß Wanderer


    Hallo Wanderer,
    deine Fragestellung liest sich so, als spürtest du längst die Grenzen der linken Politik.


    Was wäre denn, wenn wir (die Lohnabhängigen) mit "klassischer Partei- und Gewerkschaftsarbeit" schon vor Jahren und Jahrzehnten das Maximum dessen erreicht haben, was im Kapitalismus möglich ist?
    Was wäre denn, wenn derzeit und in absehbarer Zukunft in Europa mit dem hochverschuldeten Staat und den unter Konkurrenzdruck stehenden Kapitalisten nur weniger, aber "nicht mehr drin ist"?

    Was wäre denn, wenn die "gewaltsame Revolution" der falsche Weg ist, da sie nur die gewalttätige Variante der "klassischen Partei- und Gewerkschaftsarbeit" ist und notgedrungen in eine militärisch-hierarchisch organisierte Gesellschaft mündet, die keiner von uns/den Lohnabhängigen will?

    So stellt sich die politische und soziale Lage in Europa für mich dar:
    mit klassischer Partei- und Gewerkschaftsarbeit ist "mehr nicht drin" -
    und mit gewaltsamer Revolution ist erst recht "nichts drin".


    Entweder finden wir bzw. die Linken aus dieser Sackgasse heraus oder wir lassen alle Hoffnung fahren.


    Gruß Wal

  • Die (radikale) Linke steckt, beinah weltweit, immer noch in den Kochtopfrezepten des 19. und 20. Jahrhunderts fest. Oder anders gesagt, sieht nicht ein, dass sie den Sozialdemokratismus, ob reformistisch (heutige Sozialdemokratie) oder revolutionär (Leninismus) ad acta legen muss.


    Vermutlich sind und waren hier Anarchosyndikalisten, libertär angehauchte Marxisten, Anarchokommunisten und libertäre Kommunalisten weiter als der linke Mainstream. Zumindest in dem Sinne, dass sie sich in Bezug auf die Staatsmacht oder deren Übernahme keine emanzipatorische Perspektive herbeiillusionieren.


    Ein wirkliches Umdenken findet im alt-marxistisch-leninistischen Mainstream der Akademiker- und Kneipen-Linken nicht statt. Das höchste der Gefühle ist dort eine Art postmodern aufgekochte Version des Trotzkismus.


    Was viele Linke verschlafen haben scheint mir die Occupy-Bewegung gewesen zu sein. Eine Bewegung der Selbstorganisation, des Konsens und der Besetzungen. Hätte diese es geschafft von der Straße in die Produktion, den Schulen, Universitäten und Dienstleistungsbetrieben zu gelangen (und so auch den Winter zu überleben, da Zelten in dieser Jahreszeit schlecht aussieht), wäre damit eine neue Qualität erreicht worden. Dafür war innerhalb der Bewegung die reformistische Illusion und der Staatsbezug "klassischer Partei- und Gewerkschaftsarbeit" - bis dato - zu groß.


    Ich meine, ein Weg zwischen Reformismus und Staatsmacht-Übernahme wäre die Form einer "negatorischen Bewegung" (Kurz) in Form eines auf transnationaler Organisierung abzielenden Netzwerkes. Robert Kurz hierzu in "Antiökonomie und Antipolitik":


    "Als negatorische Bewegung stellt sie auch ein soziales Netzwerk dar, das in seiner Intention von vornherein transnational sein muß. Man könnte eine solche Struktur z.B. mit dem (informellen) Übersee-Netzwerk der Auslandschinesen oder mit den transnationalen Netzwerken von religiösen Sekten vergleichen, nur daß eben der Inhalt ein ganz anderer und emanzipatorischer wäre.


    Jedes Mitglied dieser vernetzten Bewegung müßte sich in diesem negatorischen Bezug auf der ganzen Welt bewegen können und überall dort, wohin dieses Netzwerk reicht, immer "zu Hause" sein. Der Management-Theoretiker John Naisbitt (Hongkong) hält solche Netzwerke wie das der Übersee-Chinesen für das Organisationsmodell des 21. Jahrhunderts, das den Nationalstaat ablösen wird. (...) Im Sinne einer Entkoppelungs- und Aufhebungsbewegung jedoch kann man tatsächlich von einem solchen Organisationsmodell der Zukunft sprechen."


    Weiterhin schreibt Kurz zu Formen der Auseinandersetzung jenseits militärischer Austragungsformen:


    "Schon in der alten Arbeiterbewegung war das hauptsächliche Druckmittel nicht der "bewaffnete Kampf", sondern bekanntlich der Streik. Ursprünglich illegal, wurde die "Streikwaffe" allmählich zum legalen und schließlich fast ritualisierten Mittel der system-immanenten sozialen Auseinandersetzung.


    Der Streik wird auch im Kontext einer neuen Transformationsperiode nicht einfach verschwinden; aber er hat bereits heute an Bedeutung verloren. Die mikroelektronischen Produktivkräfte haben auch die Streikwaffe stumpf gemacht. "Wenn dein starker Arm es will/Stehen alle Räder still": Diese alte Parole der Arbeiterbewegung gilt nicht mehr. In vielen Fällen läßt sich bei Streiks die rationalisierte Produktion durch Notdienste fast uneingeschränkt weiterführen; manchmal werden dabei sogar neue Rationalisierungs-Potentiale entdeckt.


    Da eine wertkritische Entkoppelungs- und Aufhebungs-Bewegung aus den genannten Gründen ohnehin nicht mehr betrieblich zentriert sein und die kapitalistische Reproduktionsstruktur bloß organisatorisch verdoppeln kann, wird sie ein anderes Druckmittel des sozialen Kampfes erfinden müssen. Dieses ergibt sich fast von selbst aus der vernetzten Struktur und dem Umgang mit den mikroelektronischen Produktivkräften, die ja zusammen mit der Ökologie den Begriff der Vernetzung erst hervorgebracht haben. (...) Das soziale Kampfmittel der Zukunft wird daher die kybernetische Subversion sein, die legitime Forderungen auch ohne offizielle Legalität durchsetzen kann (in gewisser Weise analog zur Geschichte des Streiks).


    Kybernetische Subversion bedeutet ganz einfach, die Nervenwege der kapitalistischen Reproduktion (Transport und Verkehr, Energie, Information) durch "Unterbrechung" lahmzulegen. An die Stelle des Streiks wird also die Unterbrechung treten, die überall möglich ist. Die Blockade von Autobahnkreuzen durch PKK-Aktivisten oder französische Fernfahrer, die Blockade von Schienenwegen des Castor-Transports durch Atomkraftgegner oder der bewußt herbeigeführte Zusammenbruch des Verkehrs in Belgrad durch die Aktionen der Opposition zeigen, daß diese Art der Unterbrechung Schule macht. Noch mehr gilt das für die Wege der Energie und vor allem der Information. Eine Bewegung, die ohnehin die materielle Vernetzung der kapitalistischen Reproduktionsstruktur untersucht und aufdeckt, kann auch sehr schnell das know-how erwerben und verallgemeinern, um das kapitalistische Nervensystem nach Belieben zu lähmen."


    Soweit mein (und Kurz') Beitrag zum Thema. Passt perspektivisch m.M.n. jedenfalls stimmig zum anvisierten Kommunalisierung und Demokratisierung, wie sie im Bochumer Programm formuliert wird.

  • Hallo Leute, eure Antworten verwirren mich. Das Problem mit dem Menschen seit Marxens Zeiten konfrontiert sind, ist die Fremdbestimmung der Arbeitenden durch eine kleine Elite, die über alle Produktionsmittel verfügt und demokratisch nicht legitimiert ist bzw. de facto nicht durch demokratische Methoden kontrolliert/gesteuert werden kann. Als Folge ihres subjektiven Willens und struktureller Zwänge, die aus ihrer Beschaffenheit folgen, trifft diese Elite Entscheidungen die den Arbeitern das Leben schwer machen. Die klassischen Methoden gehen dieses Problem direkt an. Sie streben Institutionen an, die demokratisch kontrolliert werden können und schaffen Zwänge denen sich die Elite nicht einfach entziehen kann. Diese klassischen Methoden sind gegenwärtig nicht mehr effektiv, aber es sind zumindest konkrete Methoden die man anwenden kann.
    @ Wal: deine Äußerungen stellen die klassischen Methoden der Linken und evtl. auch deren Ziele in Frage ohne Alternativen zu bieten. Ja, die Methoden der politischen und gewerkschaftlichen Einflußnahme zeigen weniger Wirkung. Nur was soll die Linke ändern? Diese Methoden oder gar die Ziele?
    @ Mario: deine Alternativen sind wenig überzeugend. Den Staat wegzuwünschen ist wenig sinnvoll. Er verschwindet nicht ohne brutale Gegenwehr. Ist er mal fort muss er durch irgendetwas Ordnendes bzw. Koordinierendes ersetzt werden. Die Libertären oder Anarchisten haben da keine Zukunftsvision zu bieten. Die Occupy-Bewegung war ohne präzise Perspektive. Wäre sie in die Schulen, Betriebe und Universitäten gegangen hätte sie als bestes Ergebnis einen Generalstreik auslösen können. Mit ihren nebulösen Zielen (Brechung der Macht des Finanzsektors u.ä.) wäre ein solcher Generalstreik ins Aus gegangen. Negatorische Netzwerke können evtl. die physische Konzentration engagierter Linker erleichtern, aber von sich aus wirken sie nicht emanzipierend. Die Netzwerke der Auslandschinesen besieren auf ethnischer Exklusion und beinhalten teils krasse kapitalistische Ausbeutung der Mehrheit der Beteilligten und vieler Außenstehender. Sekten beuten ihre Mitglieder häufig noch direkter aus und wirken regelrecht antiemanzipatorisch. Die Kybernetische Subversion klingt mir in der Wirkung wie ein undifferenzierter Streik oder Terrorismus auf niedrigem Niveau.


    Grüße Wanderer

  • Wal: deine Äußerungen stellen die klassischen Methoden der Linken und evtl. auch deren Ziele in Frage ohne Alternativen zu bieten. Ja, die Methoden der politischen und gewerkschaftlichen Einflußnahme zeigen weniger Wirkung. Nur was soll die Linke ändern? Diese Methoden oder gar die Ziele?


    Hallo Wanderer,
    ja ich stelle die Methoden und Ziele der klassischen Linken in Frage. Du meinst, ich hätte keine Alternativen. Das stimmt nicht. Aber sich Alternativen zu überlegen, macht nur Sinn, wenn die Verfahrenheit der eigenen Situation begriffen wurde.
    Deshalb schlage ich vor, wir diskutieren hier erst mal nur über die Methoden und Ziele der klassischen Linken.
    Deine Situationsbeschreibung sieht so aus:


    Das Problem mit dem Menschen seit Marxens Zeiten konfrontiert sind, ist die Fremdbestimmung der Arbeitenden durch eine kleine Elite, die über alle Produktionsmittel verfügt und demokratisch nicht legitimiert ist bzw. de facto nicht durch demokratische Methoden kontrolliert/gesteuert werden kann. Als Folge ihres subjektiven Willens und struktureller Zwänge, die aus ihrer Beschaffenheit folgen, trifft diese Elite Entscheidungen die den Arbeitern das Leben schwer machen. Die klassischen Methoden gehen dieses Problem direkt an. Sie streben Institutionen an, die demokratisch kontrolliert werden können und schaffen Zwänge denen sich die Elite nicht einfach entziehen kann. Diese klassischen Methoden sind gegenwärtig nicht mehr effektiv, aber es sind zumindest konkrete Methoden die man anwenden kann.


    Das ist eine recht gute Beschreibung der Arbeiterbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts.
    Nehmen wir das mal als Ausgangspunkt.
    1) „Fremdbestimmung der Arbeitenden durch eine kleine Elite, die über alle Produktionsmittel verfügt...“
    Das stimmt völlig auf Unternehmensebene. Aber auf der volkswirtschaftlichen Ebene ist es nicht weit her mit der „Bestimmung durch eine kleine Elite“. Auf volkswirtschaftlicher Ebene, auf dem nationalen und globalen Markt, bestimmen keineswegs die Kapitalisten, sondern die Verwertungsgesetze des Kapitals. Dieser wichtige Aspekt des Kapitalismus fehlt in deiner Situationsbeschreibung ganz. Daraus folgen dann auch fehlerhafte Schlussfolgerungen.


    2)Du bestimmst weiter: “Fremdbestimmung der Arbeitenden durch eine kleine Elite, die .... demokratisch nicht legitimiert ist bzw. de facto nicht durch demokratische Methoden kontrolliert/gesteuert werden kann. Als Folge ihres subjektiven Willens und struktureller Zwänge, die aus ihrer Beschaffenheit folgen, trifft diese Elite Entscheidungen die den Arbeitern das Leben schwer machen.“
    Dazu meine ich: Deine Analyse zielt fast vollständig auf die Herrschaft der Kapitalisten ab. Diese Kapitalisten haben in deiner Vorstellung einen freien Willen und alle mögliche Optionen. Diesen freien Willen der Kapitalisten gilt es durch demokratische Kontrolle und Steuerung zu zähmen, so dass die getroffenen Entscheidungen nicht nur oder nicht ganz auf Kosten der Lohnarbeiter gefällt werden. Das ist deine Zielbestimmung, bzw. die Zielbestimmung der klassischen Partei- und Gewerkschaftspolitik. Auch das ist ganz richtig gesehen und dieser Punkt zwei folgt schlüssig aus deinem Punkt 1.


    3) Du schreibst weiter:
    „Die klassischen Methoden gehen dieses Problem direkt an. Sie streben Institutionen an, die demokratisch kontrolliert werden können und schaffen Zwänge denen sich die Elite nicht einfach entziehen kann.“
    Diesen dritten Punkt sehe ich ganz genauso. Die klassische Partei- und Gewerkschaftspolitik schafft Zwänge, denen sich die Kapitalisten nicht entziehen können.
    Heißt: Die klassische Partei- und Gewerkschaftspolitik schafft einen „gezähmten Kapitalismus“. Ein gezähmter Kapitalismus ist nicht wenig. Ich denke, man darf die Erfolge der klassischen Partei- und Gewerkschaftspolitik nicht geringschätzen und schon gar nicht verschenken.
    Aber ich behaupte: Die klassische Partei- und Gewerkschaftspolitik ist wesentlich defensiv und führt nicht den kleinsten Schritt über den Kapitalismus hinaus.
    Im klassischen Kapitalismus herrscht eine nicht legitimierte Elite. Im sozialen, gezähmten Kapitalismus herrscht eine mehr oder minder demokratisch legitimierte Elite. Das ist eine Verbesserung, aber diese Verbesserung reicht nicht weiter als eine konstitutionelle Wahl-Monarchie über die absolutistische Monarchie hinausreicht. Beides ist noch Monarchie, eine Herrschaft der Wenigen über die Vielen.
    So ist auch der soziale, gezähmte Kapitalismus eine Herrschaft, bei der Wenige (demokratisch legitimierte!) über die Vielen herrschen.
    Im sozialen, gezähmten Kapitalismus können sich die Vielen ihre Herrscher wählen. Aber sie sind wie bisher von allen inhaltlichen Entscheidungen ausgeschlossen. Und über alle - auch über die legitimierten Eliten - herrschen die Markt- und Konkurrenzgesetze des Kapitalismus.

    Das ist die Situation, in der wir uns in Europa befinden, und diese Situation verschlechtert sich von Jahr zu Jahr. Die Situation verschlechtert sich, weil die Staatsverschuldung wächst. Damit schwindet der Spielraum für "soziale Wohltaten". Die Situation verschlechtert sich auch, weil sich die Konkurrenzbedingungen des europäischen Kapitalismus sich verschlechtern. Damit schwinden die Optionen und Möglichkeiten der Kapitalisten, sich schiedlich und friedlich mit ihren Lohnarbeitern zu einigen.
    Das ist unsere Situation, wie ich sie sehe.
    Die klassische Partei- und Gewerkschaftspolitik kann in dieser Situation nur das noch Schlimmere verhüten. Fortschritte zu einer Überwindung des Kapitalismus sind nicht möglich.
    Außerdem: Die klassische Partei- und Gewerkschaftspolitik zielt gar nicht über den Kapitalismus hinaus. Sie zielt nur auf Grenzen innerhalb des Kapitalismus.


    Welche Alternativen sehe ich?
    Schritte und Fortschritte zur Überwindung des Kapitalismus gäbe es, wenn zunehmend weniger Entscheidungen von der „demokratisch legitimierten Elite“ getroffen würden und zunehmend mehr Entscheidungen von den Betroffenen selbst getroffen werden.
    Auf Unternehmensebene wäre das eine genossenschaftliche Struktur mit der Betriebsversammlung als höchstes gesetzgebendes Organ.
    Auch auf kommunaler Ebene wäre das ebenfalls eine genossenschaftliche Struktur (Wohnungsgenossenschaften, Energieversorgungsgenossenschaften, Verkehrsgenossenschaften etc.) mit der Vollversammlung der Genossinnen und Genossen als höchstes gesetzgebendes Organ. Soweit diese Genossenschaften für ihre Genossen (und für andere Genossenschaften) produzieren und nicht für den Markt, sind sie nicht mehr kapitalistischen Verwertungsbedingungen unterworfen, sondern den eigenen, vertraglichen Abmachungen.
    Auf nationaler Ebene gäbe es vielleicht (noch) ein Rätesystem. Aber auch dort können und sollen wichtige Entscheidungen von allen betroffenen Bürgern selbst und direkt getroffen werden.


    Im Bochumer Programm hatten wir formuliert: "Hier und heute steht nicht mehr zur Debatte, welche Minderheit für und über die Mehrheit plant und entscheidet. Hier und heute sind Schritte zur Emanzipation dort zu erreichen, wo Alle gemeinsam und direkt planen und entscheiden."

    Gruß Wal

  • Hallo Wal,
    danke für die umfangreiche Antwort und die Verlegung der Diskussion in einen eigenen Thread. Wenn ich dich richtig verstehe, können linke Methoden und Ziele, welche die Verwertungsgesetze/Sachzwänge des Kapitalismus nicht aufheben, in einer stagnierenden/kontrahierenden Phase des Kapitalismus keine Verbesserung für die Arbeitenden herbeiführen. Ich kann deine Analyse nachvollziehen, sehe aber (subjektiv) durchaus politische Gestaltungsräume, die man mit klassischer Partei- und Gewerkschaftsarbeit ausnutzen sollte und könnte. Dein Genossenschaftsmodell übersteigt leider meinen historischen Wahrnehmungs- und Erfahrungshorizont, weshalb ich gerne einige Punkte ausführlicher behandelt sehen würde.


    1. Der Kern deiner Argumentation ist die Notwendigkeit die Verwertungsgesetze des Kapitals aufzuheben. Wie steht es damit in einer genossenschaftlichen Wirtschaftsstruktur. Zwischen den Genossenschaften muss ein Produkttausch stattfinden, wenn man die Produktion in modernem Rahmen weiter betreiben will. Ferner muss ein Verteilungsschlüssel für die Produkte auf die Genossenschaftsmitglieder gefunden werden. Wenn dies auf Basis freier Verträge zwischen den Genossenschaften und im kleineren Rahmen zwischen den Genossenschaftlern stattfindet, haben wir wieder eine Marktsituation mit Warentausch. Dann ist der Weg zur Warenproduktion nicht weit und die Sachzwänge des Kapitalismus wirken auf die Genossenschaften wie zuvor auf die Kapitalisten.


    2. Ein sehr attraktiver Punkt der genossenschaftlichen Alternative ist die direkte Einflussnahme der Betroffenen auf Sachentscheidungen. Es ist klar, dass dies nur bis zu einem gewissen Detailgrad geht. Kollektive Entscheidungsprozesse sind schwerfällig und zeitaufwendig. Für die alltäglichen Koordinierungsaufgaben muss man die Leitung wohl an Einzelpersonen delegieren. Wie wird in einem genossenschaftlichen Modell die Aufwertung dieser Personen zu einer bürokratischen Elite verhindert, ohne die Effizienz des Arbeitsablaufes zu verringern? Ferner frage ich mich wie die Sachentscheidungen getroffen werden sollen. Handelt es sich um einfache Mehrheitsentscheidungen oder gibt es eine Stimmgewichtung o.ä.? Gibt es Elemente vergleichbar einer Verfassung und Verfassungsgerichten welche Minderheiten vor dem Terror permanenter Mehrheiten schützen sollen?


    3. Ein wesentliches Element ist die Kommune als Organisationseinheit. Kommunalisierung bedeutet Dezentralisierung. Inwieweit kann dies geschehen ohne die Produktion auf großer Stufenleiter zu behindern? Gerade im digitalen Zeitalter müssen räumlich getrennte, sehr verschiedenartige Betriebe miteinander integriert werden. Ferner frage ich mich, ob diese Dezentralisierung auch nichtökonomische Entscheidungen betrifft. Wie werden in dieser genossenschaftlichen Alternative nichtökonomische Gesetze wie Strafgesetze getroffen und durchgesetzt? Gelten sie universal in allen miteinander verbundenen Kommunen oder hat jede Kommune gesetzgebende Souveränität?


    4. Schließlich stellt sich die leidige Frage nach den Methoden, die es erlauben sollten von der jetzigen Situation ausgehend ein genossenschaftliches/kommunales Wirtschafts- und Versorgungssystem durchzusetzen. Wenn ein genossenschaftliches System unabhängig vom kapitalistischen Markt funktionieren soll, muss es autark sein. Dazu müsste es sehr groß sein. Welche Methoden erlauben es in kontinentaler Größenordnung die bestehende Ordnung zu überwinden?


    Grüße Wanderer


  • Dein Genossenschaftsmodell übersteigt leider meinen historischen Wahrnehmungs- und Erfahrungshorizont...


    Hallo Wanderer,
    Bevor sich die Arbeiterbewegung in Parteien organisierte, war sie überall schon in Genossenschaften organisiert. Es gab genossenschaftliche Krankenkassen, Sterbekassen, Gewerkschaften und auch genossenschaftlich organisierte Kommunen.
    (Siehe Morris Hillquit)
    Auch Marx setzt seine Hoffnungen in genossenschaftliche Organisation.
    Warum die Genossenschaftsbewegung keinen Bestand hatte, und an Einfluss verlor, wäre eine eigene Untersuchung wert. Heute gibt es ja ganz neue genossenschaftliche Ansätze wie die Tauschbörsen, crowd funding etc.


    Ich sehe für das Scheitern der klassischen Genossenschaften drei Faktoren:
    1.1. Die linken Parteien und die linke Parteipolitik untergrub bewusst und systematisch den Einfluss der Genossenschaften, indem sie deren Selbständigkeit in Frage stellte und sie der Partei unterwerfen wollte. Zugespitzt zeigte sich das an der klassischen linken Debatte über das Verhältnis der Gewerkschaften zur „Arbeiterpartei“. Wer immer für eine Vorherrschaft der Partei über die Gewerkschaften (und damit auch über die Genossenschaften) eintrat, der war im Kern ein Zentralist und Gegner der Genossenschaftsbewegung.
    1.2. Der zunehmende Interventionismus des modernen Staates untergrub die Genossenschaften, indem er die ursprünglich genossenschaftlich organisierten Versicherungen gegen die Risiken der Lohnarbeit verstaatlichte und verbürokratisierte. Diese Verstaatlichung des Genossenschaftsgedanken durch Bismarck & Co. („Sozialstaat“) wird von Parteilinken als großer Fortschritt gefeiert. Tatsächlich handelt es sich mindestens um eine zweischneidige Sache, wenn selbstorganisierte Tätigkeitsfelder vom Staat enteignet und bürokratisiert werden. Einerseits werden solche (Versicherungs)Leistungen zwar stabilisiert, aber gleichzeitig aber auch verbürokratisiert und mit Unterdrückung kombiniert.
    1.3. Ein 3. Faktor war auch die innere Schwäche und Unreife der Genossenschaftsbewegung selbst. Dazu bringt Morris viel historisches Material.



    1. Der Kern deiner Argumentation ist die Notwendigkeit die Verwertungsgesetze des Kapitals aufzuheben. Wie steht es damit in einer genossenschaftlichen Wirtschaftsstruktur. Zwischen den Genossenschaften muss ein Produkttausch stattfinden, wenn man die Produktion in modernem Rahmen weiter betreiben will. Ferner muss ein Verteilungsschlüssel für die Produkte auf die Genossenschaftsmitglieder gefunden werden. Wenn dies auf Basis freier Verträge zwischen den Genossenschaften und im kleineren Rahmen zwischen den Genossenschaftlern stattfindet, haben wir wieder eine Marktsituation mit Warentausch. Dann ist der Weg zur Warenproduktion nicht weit und die Sachzwänge des Kapitalismus wirken auf die Genossenschaften wie zuvor auf die Kapitalisten. ...


    Zur genossenschaftlichen Wirtschaft:
    Ganz allgemein gesagt funktioniert der Kapitalismus so, dass jeder Kapitalist eine bestimmte Kapitalgröße (einschließlich Produktionsmittel und Lohnarbeiter) in den „Produktionstopf“ wirft, und anschließend einen Anteil aus dem „Produktionstopf“ zieht, der seinem Anteil am Gesamtkapital entspricht.

    Bei Karl Marx heißt es: „Es ist klar, dass der Durchschnittsprofit nichts sein kann, als die Gesamtmasse des Mehrwerts, verteilt auf die Kapitalmassen in jeder Produktionssphäre nach Verhältnis ihrer Größen.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 183.

    Dafür ein Beispiel:
    Nehmen wir an, es gebe 4 Kapitalisten.
    Kapital A = 8
    Kapital B = 16
    Kapital C = 24
    Kapital D = 32

    Gesamtkapital 80. Bei einer Profitrate von 25% ergibt das einen „Produktionstopf“ von 100.

    Kapital A entnimmt 8 x 1,25 = 10
    Kapital B entnimmt 16 x 1,25 = 20
    Kapital C entnimmt 24 x 1,25 = 30
    Kapital D entnimmt 32 x 1,25 = 40
    Gesamtentnahme = 100.

    Mit diesen 100 entlohnen die Kapitalisten ihre Lohnarbeiter, ersetzen die verbrauchten Produktionsmittel und finanzieren den Staatsapparat. Der Rest verbleibt als Profit in ihren Taschen.
    Die Kapitalisten sind hier Ausgangspunkt, Durchgangspunkt und Endpunkt des wirtschaftlichen Kreislaufs. Und Sinn und Zweck dieses Kreislaufs ist die Erhaltung und Vermehrung (Marx sagt dazu „Verwertung“) des Kapitals.
    Eine kapitalistische Volkswirtschaft ist wie eine Aktiengesellschaft aller Kapitalisten, die aus dem gemeinsamen Unternehmen entsprechend der Größe ihres Kapitalanteils Dividende ziehen.
    Die Kapitalisten nennen das: „Verteilung nach Leistung“.

    Wie allgemein bekannt, funktioniert kommunistische Verteilung nicht nach „Leistung“ (= individueller Input), sondern nach dem jeweiligen Bedürfnis. Das kommunistische Verteilungsprinzip lautet: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ K. Marx, Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, 19ff.

    Natürlich kann auch eine kommunistische Gesellschaft nicht mehr verteilen, als vorher produziert wurde. Die Größe des Gesamtprodukts hängt - bei gegebener Arbeitsproduktivität – von der Größe des Inputs an Arbeit ab. Dies gegeben, kann eine kommunistische Gesellschaft mehr oder minder frei entscheiden, sowohl über die Struktur der Verteilung (Produktionsmittel, öffentliche Aufgaben, privater Konsum) wie auch über die jeweiligen Verteilungsprinzipien.

    Dafür ein Beispiel:
    Es gebe 4 genossenschaftlich organisierte Kommunen.

    Kommune A trägt bei = 10
    Kommune B trägt bei = 20
    Kommune C trägt bei = 30
    Kommune D trägt bei = 40
    Macht einen gesamten Input = 100.

    Der Output, die Verteilung, kann also maximal 100 betragen, aber die Verteilung könnte für alle vier Kommunen = 25 betragen, oder für eine Kommune 15, für eine andere 25 usw.

    Es wird also auch eine vielfältige Reihe von „geizigen“ bis hin zu „altruistischen“ Genossenschaften und Kommunen geben. Der genossenschaftlich organisierte Kommunismus hat keine „kommunistischen Menschen“ zur Voraussetzung.

    Weder der Input noch der Output funktioniert über Geld. Die genossenschaftlichen Produzenten produzieren nicht für einen anonymen Markt, sondern füreinander, für andere Genossenschaften.
    Produziert wird nur für angemeldete Bedürfnisse. Die Kommune A benötigt zum Beispiel 10 t Alublech und hat selber dafür keine Anlagen. Sie meldet den anderen Kommunen ihr Bedürfnis, und muss einen Produzenten finden, der ihr die benötigten Produkte liefern kann. Der mögliche Produzent entscheidet, ob er die Bleche liefern kann und liefern will.
    Es findet ein Austausch von Produkten statt, aber es bleibt für alle sichtbar, welche Produkte warum an welche Genossenschaft gehen. Dabei gehen die einzelnen Lieferanten und Abnehmer vertragliche Verpflichtungen ein, weil der Abnehmer A seine Produktion nicht beginnen kann, wenn er nicht sicher ist, dass er die benötigten Bleche auch geliefert bekommt.
    Über den gesamten wechselseitigen Produktentausch muss allerdings gesamtgesellschaftlich Buch geführt werden, damit keine Produktion verschwendet wird.

    Die Steuerung des gesamten Produktenaustausch funktioniert aber nicht über eine Zentrale, sondern über Verhandlungen zwischen den einzelnen Genossenschaften und Kommunen. Diese entscheiden selbst, welche Produkte sie produzieren und wie viel sie davon an andere abgeben wollen und wie viel sie von anderen beziehen wollen.
    Soweit erst mal! ^^
    Gruß Wal Buchenberg

  • Wal hat ja schon einiges dazu geschrieben, hier mein Senf.


    1. Der Kern deiner Argumentation ist die Notwendigkeit die Verwertungsgesetze des Kapitals aufzuheben. Wie steht es damit in einer genossenschaftlichen Wirtschaftsstruktur. Zwischen den Genossenschaften muss ein Produkttausch stattfinden, wenn man die Produktion in modernem Rahmen weiter betreiben will. Ferner muss ein Verteilungsschlüssel für die Produkte auf die Genossenschaftsmitglieder gefunden werden. Wenn dies auf Basis freier Verträge zwischen den Genossenschaften und im kleineren Rahmen zwischen den Genossenschaftlern stattfindet, haben wir wieder eine Marktsituation mit Warentausch. Dann ist der Weg zur Warenproduktion nicht weit und die Sachzwänge des Kapitalismus wirken auf die Genossenschaften wie zuvor auf die Kapitalisten.


    Zwar gibt es, wie von Wal angesprochen, einen Güteraustausch aber keinen Äquvalenztausch im kapitalistischen Sinn. Die Genossenschaften/Kooperativen und Gemeinden produzieren kooperativ. Das heißt sie assoziieren sich in einem konföderalen Netzwerk. Dies geschieht auf Basis Freier Vereinbarungen (http://de.wikipedia.org/wiki/Freie_Vereinbarung) die vermutlich konkrete vertraglich festgehalten werden, damit eine gewisse Verbindlichkeit besteht.



    2. Ein sehr attraktiver Punkt der genossenschaftlichen Alternative ist die direkte Einflussnahme der Betroffenen auf Sachentscheidungen. Es ist klar, dass dies nur bis zu einem gewissen Detailgrad geht. Kollektive Entscheidungsprozesse sind schwerfällig und zeitaufwendig. Für die alltäglichen Koordinierungsaufgaben muss man die Leitung wohl an Einzelpersonen delegieren. Wie wird in einem genossenschaftlichen Modell die Aufwertung dieser Personen zu einer bürokratischen Elite verhindert, ohne die Effizienz des Arbeitsablaufes zu verringern? Ferner frage ich mich wie die Sachentscheidungen getroffen werden sollen. Handelt es sich um einfache Mehrheitsentscheidungen oder gibt es eine Stimmgewichtung o.ä.? Gibt es Elemente vergleichbar einer Verfassung und Verfassungsgerichten welche Minderheiten vor dem Terror permanenter Mehrheiten schützen sollen?


    Hierzu fällt mir das Stichwort Imperatives Mandat ein. An konkrete Aufgaben und zeitlich befristete Beauftrage ersetzen parlamentarische Dauer"vertreter". Unter Demokratisierung verstehe ich im Wesentlichen die subsidiarisch gegliederte Entscheidung der lohnabhängigen Bevölkerung. Ob diese das per Mehrheitsentscheide, Konsens, Konsent oder gar hier und dort das Losverfahren wählt (das z.B. oft in der antiken Athener Demokratie genutzt wurde) dürften die Betroffenen selbst je nach Umstand entscheiden. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die Konföderation der Kommunen und Genossenschaft vermutlich eine verbindliche Charta oder (Quasi-)Verfassung entwickeln würde, die ein überkommunales Regelwerk darstellt. Inwieweit dieses je nach Kommune variiert kann heute niemand sagen.



    3. Ein wesentliches Element ist die Kommune als Organisationseinheit. Kommunalisierung bedeutet Dezentralisierung. Inwieweit kann dies geschehen ohne die Produktion auf großer Stufenleiter zu behindern? Gerade im digitalen Zeitalter müssen räumlich getrennte, sehr verschiedenartige Betriebe miteinander integriert werden. Ferner frage ich mich, ob diese Dezentralisierung auch nichtökonomische Entscheidungen betrifft. Wie werden in dieser genossenschaftlichen Alternative nichtökonomische Gesetze wie Strafgesetze getroffen und durchgesetzt? Gelten sie universal in allen miteinander verbundenen Kommunen oder hat jede Kommune gesetzgebende Souveränität?


    Wahrscheinlich können die heutigen Technoogien nicht einfach unreflektiert weiterverwendet werden, da in vielen kapitalistische Herrschafts "eingeschrieben" ist. Einige dürften vermutlich ganz stillgelegt werden, da sie einer befreiten Gesellschaft zuwiderlaufen.



    4. Schließlich stellt sich die leidige Frage nach den Methoden, die es erlauben sollten von der jetzigen Situation ausgehend ein genossenschaftliches/kommunales Wirtschafts- und Versorgungssystem durchzusetzen. Wenn ein genossenschaftliches System unabhängig vom kapitalistischen Markt funktionieren soll, muss es autark sein. Dazu müsste es sehr groß sein. Welche Methoden erlauben es in kontinentaler Größenordnung die bestehende Ordnung zu überwinden?


    Es bestünde die Möglichkeit durch Aufkauf, politische Initiativen oder Besetzungen das "Einzugsgebiet" dieser libertär-kommunistischen Genossenschaftsbewegung zu vergrößern. Historische Beispiele gibt es einige. Ob es hierbei ein schrittweises "Aufrollen der Produktion" (Kurz) oder umfassende, zeitgleich stattfindende Aneignungen geben würde, kann heute nicht vorhergesagt werden.


    PS: Wal, deine Ausführungen erinnern mich stark an den Rätekommunismus (Cajo Brendel, Anton Pannekoek etc.), die ebenfalls für eine libertäre Marx-Auslegung standen, oder den Anarchokommunismus eines Peter Kropotkin (der sich während der Russischen Revolution gegenüber Lenin für die Unabhängigkeit der Genossenschaftsbewegung einsetzte). Weiterhin sehe ich Überschneidungen mit Murray Bookchins libertären Kommunalismus. Ich kann nur empfehlen sich mal mit deren Thesen auseinanderzusetzen. Gerade Bookchin und viele Rätekommunisten starteten als Leninsten und wandten sich später vom ML ab.

  • Hallo Leute, danke für eure Ausführungen. Die Diskussion emanzipatorischer Potentiale genossenschaftlicher Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft würde zu weit ausufern. Stattdessen will ich auf ein paar Punkte hinweisen deren Funktionsweise mir unklar ist.


    @Wal: Man muss gewisse Leistungen des Kapitalismus anerkennen. Die Verwertung des Kapitals (in deinen Worten die „Erhaltung und Vermehrung des Kapitals“) erzeugt reale Werte und erzwingt Wachstum. Die Verteilung nach Input dürfte hier die nützliche Komponente sein. Die Produktionsmittel werden in den Händen von Kapitalisten konzentriert die bereit sind Kapital einzusetzen und auch geschickt darin sind es einzusetzen. Ferner werden durch die Verteilung nach Input zwingend die Kräfte und Ressourcen mobilisiert, die für ein bestimmtes Produktionsziel notwendig sind. Ein genossenschaftliches System anstelle des Kapitalismus müsste in der Ressourcenzuteilung und Mobilisierung von Arbeitskräften für ein bestimmtes Produktionsziel mindestens ebenso effektiv sein wie der Kapitalismus um den Arbeitern eine Alternative zu bieten. Aus deiner Beschreibung des genossenschaftlichen Systems geht dies nicht hervor. Es soll jeder Verteilungsmodus möglich sein. Aber wie er zustande kommt bleibt offen. Es soll ohne Geld gewirtschaftet werden. Aber es bleibt offen wie ohne Wertmaßstab (Maßstab für Beschaffungsaufwand und Seltenheit) eine rationale Ressourcenzuteilung möglich sein soll. Ferner soll das ganze System ohne „kommunistischen Menschen“ Menschen funktionieren. Aber es bleibt offen wie die besonders fähigen Mitglieder der Genossenschaften zu voller Arbeitsleistung motiviert werden sollen, wenn sie gerade keine großen Bedürfnisse haben oder nicht einsehen, warum sie effektiv ohne angemessene Gegenleistung für die weniger Fähigen arbeiten sollen. Ob die dezentrale Steuerung durch transparente Verhandlungen zwischen den Genossenschaften besser funktioniert als die dezentrale Steuerung durch einen (manipulierbaren) kapitalistischen Markt, kann ich nicht einschätzen.


    Mario Ahner : Freie Vereinbarungen sollen ohne Sanktionen bei Vertragsbruch funktionieren. Wie soll damit Chaos und Verschwendung vermieden werden? Wenn eine Genossenschaft die Fahrräder produziert eine freie Vereinbarung mit Kugellagerproduzenten eingeht und die nicht liefern obwohl bereits alle anderen Komponenten geliefert wurden, können die Fahrräder nicht produziert werden und die Leistungen der anderen Zulieferer werden effektiv vernichtet.
    Was meinst Du mit subsidarisch gegliederter Entscheidung? Im Duden wird subsidarisch mit subsidär gleichgesetzt, also entweder als unterstützend oder als behelfsmäßig übersetzt. Beide Deutungen machen zur Beschreibung einer Entscheidungsgliederung keinen Sinn.
    Das man auf einige gegenwärtige Technologien verzichten müsste ist bedenklich. Kannst Du Beispiele für solche zu opfernden Technologien nennen?
    Was meinst Du mit „Aufrollen der Produktion“ und „Besetzungen des ‚Einzugsgebietes‘“? Wo sollen Arbeitnehmer das Kapital hernehmen um bestehende Betriebe aufzukaufen? Aneignungen scheinen als Methoden der Durchsetzung eines Genossenschaftlichen Wirtschaftssystems nur nach einer siegreichen Revolution möglich, wenn man sich über bestehende Besitzverhältnisse ungestraft hinwegsetzen kann.


    Grüße Wanderer


  • Mario Ahner : Freie Vereinbarungen sollen ohne Sanktionen bei Vertragsbruch funktionieren. Wie soll damit Chaos und Verschwendung vermieden werden? Wenn eine Genossenschaft die Fahrräder produziert eine freie Vereinbarung mit Kugellagerproduzenten eingeht und die nicht liefern obwohl bereits alle anderen Komponenten geliefert wurden, können die Fahrräder nicht produziert werden und die Leistungen der anderen Zulieferer werden effektiv vernichtet.


    Derartige Probeme können bereits heute auftreten. Allerdings wäre die Frage weshalb im Kommunismus jemand Interesse daran haben sollte nicht zu liefern, wenn der Plan bereits so festgesetzt wurde. Du gehst hier meiner Meinung nach immer noch zu stark davon aus, dass die Kooperativen nicht aufeinander angewiesen wären und es starke widerstrebende Partikularinteressen gäbe. Aber gut, welche Sanktionen schweben dir denn vor und welche hieltest du für sinnvoll?



    Was meinst Du mit subsidarisch gegliederter Entscheidung? Im Duden wird subsidarisch mit subsidär gleichgesetzt, also entweder als unterstützend oder als behelfsmäßig übersetzt. Beide Deutungen machen zur Beschreibung einer Entscheidungsgliederung keinen Sinn.


    Was ich hiermit meine wird in Norbert Trenkles Artikel „Weltgesellschaft ohne Geld“ wie folgt beschrieben: „Wir hätten uns demnach den gesellschaftlichen Stoffwechselzusammenhang als ein gestaffeltes System aufeinanderbezogener lokaler, regionaler und überregionaler Kreisläufe vorzustellen, bildlich gesprochen vielleicht wie eine stufenförmig aufgebaute Pyramide, bei der die Dichte der stofflichen Verflechtungen mit zunehmender Höhe abnimmt (dies ganz im Gegensatz zum warenförmigen Gesellschaftsmoloch, dessen Struktur eher einer auf dem Kopf stehenden Pyramide entspricht). In der Sprache der Kybernetik könnte man eine solche Struktur auch als »verschachtelte Systemhierarchie« bezeichnen, bei der die einzelnen Bereiche »intern stark verknüpft« sind, während »der Vernetzungsgrad zwischen diesen Bereichen nur aus wenigen, ausgewählten Beziehungen« besteht.“



    Das man auf einige gegenwärtige Technologien verzichten müsste ist bedenklich. Kannst Du Beispiele für solche zu opfernden Technologien nennen? Was meinst Du mit „Aufrollen der Produktion“ und „Besetzungen des ‚Einzugsgebietes‘“? Wo sollen Arbeitnehmer das Kapital hernehmen um bestehende Betriebe aufzukaufen? Aneignungen scheinen als Methoden der Durchsetzung eines Genossenschaftlichen Wirtschaftssystems nur nach einer siegreichen Revolution möglich, wenn man sich über bestehende Besitzverhältnisse ungestraft hinwegsetzen kann.


    Aufrollen der Produktion = Schrittweise Übernahme und Vergesellschaftung der Produktionsmittel durch die Lohnabhängigen. Zu den Technologien: Hierbei denke ich an atomare und fossile Energiegewinnung, den Automobil- und Flugverkehr, jegliche Rüstungsindustrie etc.


    Bezüglich der Revolution siehst du sie scheinbar als einen politischen Akt der Übernahme der Staatsmacht. Ich teile das nicht und halte das für einen falschen Weg. Die Aneignung und Umformung der Produktionsweise und das Auflösen des Staates wäre eher als ein gleichzeitiger Prozess zu denken. Woher die Lohnabhängigen das Geld für Aufkaufaktionen hernehmen sollen weiß ich nicht. Ich habe bloß gemeint, dass die Möglichkeit bestünde.


    Ich kann dir Übrigens nur mal empfehlen Trenkles „Weltgesellschaft ohne Geld“ zu lesen. Siehe hier: http://www.krisis.org/1996/weltgesellschaft-ohne-geld

  • @Wal: Man muss gewisse Leistungen des Kapitalismus anerkennen.

    Hallo Wanderer,
    das ist wohl wahr, und das hat Karl Marx auch so gesehen. Siehe dazu die folgenden Gedanken von Marx und Engels:


    „Die Herrschaft des Kapitals über die Arbeit ist einerseits ... historischer Fortschritt und notwendiges Entwicklungsmoment im ökonomischen Bildungsprozess der Gesellschaft ..., andererseits ist Lohnarbeit ... ein Mittel zivilisierter und raffinierter Ausbeutung.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 386.


    "Ausbeutung ist ein Zwang, den die kapitalistische Produktionsweise mit früherer Produktionsweise teilt, aber in einer der Produktion günstigeren Weise ausübt, vollbringt." K. Marx, Theorien über den Mehrwert I, MEW 26.1, 366


    „Es ist eine der zivilisatorischen Seiten des Kapitals, dass es diese Mehrarbeit in einer Weise und unter Bedingungen erzwingt, die der Entwicklung der Produktivkräfte, der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Schöpfung der Elemente für eine höhere Neubildung vorteilhafter sind als unter den früheren Formen der Sklaverei, Leibeigenschaft usw. Es führt so einerseits eine Stufe herbei, wo der Zwang und die Monopolisierung der gesellschaftlichen Entwicklung (einschließlich ihrer materiellen und intellektuellen Vorteile) durch einen Teil der Gesellschaft auf Kosten des anderen wegfällt; andererseits schafft sie die materiellen Mittel und den Keim zu Verhältnissen, die in einer höheren Form der Gesellschaft erlauben, diese Mehrarbeit zu verbinden mit einer größeren Beschränkung der der materiellen Arbeit überhaupt gewidmeten Zeit.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 827.


    „Fügen wir bei dieser Gelegenheit hinzu, dass alle bisherigen geschichtlichen Gegensätze von ausbeutenden und ausgebeuteten, herrschenden und unterdrückten Klassen ihre Erklärung finden in derselben verhältnismäßig unentwickelten Produktivität der menschlichen Arbeit. Solange die wirklich arbeitende Bevölkerung von ihrer notwendigen Arbeit so sehr in Anspruch genommen wird, dass ihr keine Zeit zur Besorgung der gemeinsamen Geschäfte der Gesellschaft Arbeitsleitung, Staatsgeschäfte, Rechtsangelegenheiten, Kunst, Wissenschaft etc. übrig bleibt, solange musste stets eine besondere Klasse bestehen, die, von der wirklichen Arbeit befreit, diese Angelegenheiten besorgte; wobei sie denn nie verfehlte, den arbeitenden Massen zu ihrem eigenen Vorteil mehr und mehr Arbeitslast aufzubürden.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 169.


    "Stellen wir uns ... einen Verein freier Menschen vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewusst als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben. ... Das Gesamtprodukt des Vereins ist ein gesellschaftliches Produkt. Ein Teil dieses Produkts dient wieder als Produktionsmittel. Es bleibt gesellschaftlich. Aber ein anderer Teil wird als Lebensmittel von den Vereinsmitgliedern verzehrt. ... Die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen zu ihren Arbeiten und ihren Arbeitsprodukten bleiben hier durchsichtig einfach in der Produktion sowohl als in der Distribution.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 92f


    Gruß Wal

  • Derartige Probeme können bereits heute auftreten. Allerdings wäre die Frage weshalb im Kommunismus jemand Interesse daran haben sollte nicht zu liefern, wenn der Plan bereits so festgesetzt wurde. Du gehst hier meiner Meinung nach immer noch zu stark davon aus, dass die Kooperativen nicht aufeinander angewiesen wären und es starke widerstrebende Partikularinteressen gäbe. Aber gut, welche Sanktionen schweben dir denn vor und welche hieltest du für sinnvoll?

    Hallo Mario. Sanktionen müssten verhindern, dass die betroffene Genossenschaft in Zukunft ähnlichen Schaden anrichtet. Dies könnte geschehen indem ihre Produktionsmittel für Kugellager an andere Genossenschaften abgegeben werden, indem neue verantwortliche Koordinatoren gewählt werden oder indem ihr Zugriff auf Konsumprodukte verringert wird. Die Entscheidung über die zu treffenden Maßnahmen sollte von den Betroffenen formulierte werden. Das wären die Genossenschaften, deren Produktion durch die unterlassene Lieferung vernichtet wurde und die Konsumenten, welche die Fahrräder bestellt und nicht gekriegt haben.

    Was ich hiermit meine wird in Norbert Trenkles Artikel „Weltgesellschaft ohne Geld“ wie folgt beschrieben: „Wir hätten uns demnach den gesellschaftlichen Stoffwechselzusammenhang als ein gestaffeltes System aufeinanderbezogener lokaler, regionaler und überregionaler Kreisläufe vorzustellen, bildlich gesprochen vielleicht wie eine stufenförmig aufgebaute Pyramide, bei der die Dichte der stofflichen Verflechtungen mit zunehmender Höhe abnimmt (dies ganz im Gegensatz zum warenförmigen Gesellschaftsmoloch, dessen Struktur eher einer auf dem Kopf stehenden Pyramide entspricht). In der Sprache der Kybernetik könnte man eine solche Struktur auch als »verschachtelte Systemhierarchie« bezeichnen, bei der die einzelnen Bereiche »intern stark verknüpft« sind, während »der Vernetzungsgrad zwischen diesen Bereichen nur aus wenigen, ausgewählten Beziehungen« besteht.“

    Trenkles Konzept ist in der hier wiedergegebenen Form ohne Aussage über die Methode der Entscheidungsfindung durch die Betroffenen. Damit kann man für die Beschreibung von Demokratisierung nichts anfangen.




    Aufrollen der Produktion = Schrittweise Übernahme und Vergesellschaftung der Produktionsmittel durch die Lohnabhängigen. Zu den Technologien: Hierbei denke ich an atomare und fossile Energiegewinnung, den Automobil- und Flugverkehr, jegliche Rüstungsindustrie etc.

    Inwiefern ist in nichtregenerative Formen der Energiegewinnung sowie Automobil- und Flugverkehr "Kapitalistische Herrschaft" eingeschrieben? Warum sollen die Arbeitnehmer sie opfern?



    Bezüglich der Revolution siehst du sie scheinbar als einen politischen Akt der Übernahme der Staatsmacht. Ich teile das nicht und halte das für einen falschen Weg. Die Aneignung und Umformung der Produktionsweise und das Auflösen des Staates wäre eher als ein gleichzeitiger Prozess zu denken. Woher die Lohnabhängigen das Geld für Aufkaufaktionen hernehmen sollen weiß ich nicht. Ich habe bloß gemeint, dass die Möglichkeit bestünde.

    Ich sehe Revolution nicht nur als politischen Akt der Übernahme der Staatsmacht. Ich sehe darin jede Veränderung, die es erlaubt Besitz- und Machtverhältnisse ohne Einwilligung der Besitzenden und Machthabenden zu ändern. Revolution ist immer gefährlich und nicht notwendigerweise zielführend für Arbeiter, die ihre Lebensbedingungen verbessern wollen. Ich frage danach, weil alle Maßnahmen die Du vorschlägst Kapitalisten ohne Gegenleistung Macht und Besitz nehmen würden. Das ginge nur durch Revolution.

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