Wider den "Avantgardismus"

  • Ein kurzer Nachtrag zum Thema "Avantgardismus"


    verfasst von Robert Schlosser(R), 05.11.2012, 15:33


    Hallo Kim,
    moderne "Avantgardisten" beziehen sich
    1. auf das Kommunistische Manifest:
    „Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedendste, immer weiter treibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus.“


    2. mit Lenin auf Kautsky:
    „Das moderne sozialistische Bewußtsein kann nur erstehen auf Grund tiefer wissenschaftlicher Einsicht. In der Tat bildet die heutige ökonomische Wissenschaft ebenso eine Vorbedingung sozialistischer Produktion wie etwa die heutige Technik, nur kann das Proletariat beim besten Willen die eine ebensowenig schaffen wie die andere; sie entstehen beide aus dem heutigen gesellschaftlichen Prozeß. Der Träger der Wissenschaft ist aber nicht das Proletariat, sondern die bürgerliche Intelligenz (hervorgehoben von K.K.); in einzelnen Mitgliedern dieser Schicht ist denn auch der moderne Sozialismus entstanden und durch sie erst geistig hervorragenden Proletariern mitgeteilt worden, die ihn dann in den Klassenkampf des Proletariats hineintragen, wo die Verhältnisse es gestatten. Das sozialistische Bewußtsein ist also etwas in den Klassenkampf des Proletariats von außen Hineingetragenes, nicht etwas aus ihm urwüchsig Entstandenes.“


    3. auf Lenin selbst:
    „Das politische Klassenbewusstsein kann dem Arbeiter nur von außen gebracht werden, d.h. aus einem Bereich außerhalb des ökonomischen Kampfes, außerhalb der Sphäre der Beziehungen zwischen Arbeitern und Unternehmern. Das Gebiet, aus dem allein dieses Wissen geschöpft werden kann, sind die Beziehungen aller Klassen und Schichten zum Staat und zur Regierung, sind die Wechselbeziehungen zwischen sämtlichen Klassen.“ (Ausgew. Werkte Bd. 1, S. 211)


    Ein ums andere Mal behaupten die modernen „Avantgardisten“ mit dem berühmten Lenin-Zitat aus „Was tun?“ (1902!), die Arbeiterbewegung sei aus sich selbst heraus nur zu „trade-unionistischem Bewusstein“ und entsprechenden Kämpfen fähig (also zu Kämpfen um Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzung etc.). Das beweise angeblich „die Erfahrung der Arbeiterbewegung aller Länder“.
    Man liest dann immer wieder Sätze wie diesen:
    "Lenins Erkenntnis, dass die spontanen Kämpfe nicht über “trade-unionistisches” (“nur-gewerkschaftliches”) Bewusstsein hinausgehen (nicht hinausgehen können!) dürfte unabweisbar sein."
    http://www.nao-prozess.de/blog…che-anstrengung-geht-das/
    Wirklich?
    Pariser Kommune 1871. Dazu bemerkte der große Lehrmeister der „subjektiven Revolutionäre“ in einem Artikel von 1911, indem er sich selbst Lügen strafte:
    „Die Kommune entstand spontan; niemand hatte sie bewusst und planmäßig vorbereitet.“
    („Dem Andenken der Pariser Kommune“, Lenin in „Über die Pariser Kommune“, Verlag Neuer Weg Berlin 1946, S. 5)
    Was die Entwicklung der politischen Form der sozialen Emanzipation anbetrifft, brauchte die Klasse der LohnarbeiterInnen jedenfalls keine bolschewistische Partei, die ihr das „von außen“ beibringt. Das gilt für Russland selbst auch. Es bedurfte keiner bolschewistischen Partei, um die Räte zu entwickeln. Auch die wurden spontan geschaffen. Oder war das alles nur „Trade-Unionismus“?


    Es ist so wie bei allen Gläubigen: sie meinen, wenn man Glaubenssätze nur oft genug wiederholt, dann beweisen schon dadurch ihre Richtigkeit.


    Doch gehen wir etwas weiter zurück, zu den zitierten Sätzen des Manifestes und Kautskys. Da ist die Rede von der „theoretischen Einsicht“ in die „Bedingungen der proletarischen Bewegung“ (!!!), gar von „tiefer wissenschaftlicher Einsicht“ , die den modernen Kommunismus auszeichnet. Seit ca. 40 Jahren verfolge ich die theoretischen Ergüsse der modernen „Avantgarden“, mit denen sie ihre besondere Existenz und ihre „Führungsansprüche“ begründen. Es beeindruckt mich immer wieder, zu welch „tiefer wissenschaftlicher Erkenntnis“ sie fähig sind. Man erstarrt geradezu in Ehrfurcht, wenn man diese Meisterwerke liest, gerade wenn es ich um Kritik der Politischen Ökonomie handelt. Nichts demonstrieren unsere selbsternannten Avantgardisten so eindrücklich, wie ihre angebliche „theoretische Einsicht in die Bedingungen der proletarischen Bewegung“!
    Man schaue sich die NAO-Stützen und ihre Publikationen an (DGS, Systemcrash, SIB, Interkom, GAM, RSB, Scharf-Links, Soko) und bemerkt sofort, was sie allen anderen voraus haben: „tiefe wissenschaftliche Erkenntnis“. Sowas muss sich einfach in entsprechender „Organisation der Revolutionäre“ niederschlagen!


    Auch dies (Organisation der Revolutionäre) ist aber zu einem inhaltslosen Schlagwort verkommen, das mit der Organisation, die Lenin 1902 in Russland vorschwebte, herzlich wenig zu tun hat. Der große Lehrmeister schrieb:
    „Die Organisation der Revolutionäre ... muss vor allem und hauptsächlich Leute erfassen, deren Beruf die revolutionäre Tätigkeit ist (darum spreche ich von einer Organisation der Revolutionäre, wobei ich die revolutionären Sozialdemokraten im Auge habe.) … Diese Organisation muss notwendigerweise nicht sehr umfassend und möglichst konspirativ sein.“ Lenin, Ausgewählte Werke Bd. 1 S. 241)


    Eine NAO hauptsächlich aus Berufsrevolutionären? Wie das? Unterhalten durch wen oder was? Eine möglichst konspirative Organisation? Das alles eher nicht. Der modernen, angepassten „Organisation der Revolutionäre“ reicht es, wenn sie selbstverständlich „von außen“ die Arbeiterklasse mit der Notwendigkeit des „revolutionären Bruchs“ traktiert, sie auf gewaltsame Auseinandersetzungen vorbereitet. Dafür vor allem sei sie nötig! Das vor allem soll sie auszeichnen vor anderen antikapitalistischen Kräften!


    Rückblickend sagt der große Lehrmeister der „subjektiven Revolutionäre“ in seiner Kritik am „linken Radikalismus“:
    „Einerseits ist der Bolschewismus im Jahre 1903 auf der festen Grundlage der marxistischen Theorie entstanden. Daß aber diese – und nur diese – revolutionäre Theorie richtig ist, haben nicht nur die internationalen Erfahrungen des ganzen 19. Jahrhunderts, sondern insbesondere auch die Erfahrungen mit den Irrungen und Wirrungen, mit den Fehlern und Enttäuschungen des revolutionären Denkens in Rußland bewiesen.“
    http://www.marxists.org/deutsc…/1920/linksrad/kap02.html
    Für unsere Haudegen von heute haben die „internationalen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts“ bewiesen, dass der Leninismus richtig ist (feste theoretische Grundlage), die (aktuelle?) Mehrzahl fügt hinzu: auch der Trotzkismus. Das ist wirklich mutig in Anbetracht des heutigen Zustandes von Gesellschaft und sozialrevolutionärer Bewegung! Immerhin schrieb Lenin seine Zeilen 1920 in der jungen Sowjetunion, wo die Bolschewiki gerade die Macht erobert und behauptet hatten. Er schrieb sie im Bewusstsein des errungenen Erfolgs seiner Revolutionsstrategie! Der heute zu besichtigende Scherbenhaufen kümmert aber „subjektive“ Revolutionäre nicht wirklich! Konsequent „historisch-materialistisch“ erklärt man diesen Scherbenhaufen aus dem bösen Wirken der Stalinisten, deren verfehlter Politik (und die Stalinisten erklären ihn aus dem bösen Wirken der „modernen Revisionisten“). Auch nach ca. 40 Jahren erneuten erbärmlichen Scheiterns halten sie durch und machen: Weiter so! Die beliebten Glaubenssätze ein ums andere Mal wiederholend.


    Rückblickend schrieb der großen Lehrmeister der „subjektiven Revolutionäre“ von heute auch, dass
    „strengste Zentralisation und eiserne Disziplin“ in der bolschewistischen Partei wie in der ganzen Arbeiterklasse eine entscheidende Bedingung des Erfolges der Bolschewiki gewesen sei.
    http://www.marxists.org/deutsc…/1920/linksrad/kap02.html
    Dagegen hat - aus leninistischer Sicht - grundsätzlich niemand was einzuwenden. Wer das in der großen Debatte unter "subjektiven Revolutionären" mal erwähnt, der betont die „richtige Führung“, von der sich die Massen durch Erfahrung überzeugt haben. Freiwillige Unterordnung eben; was für Leninisten ein Traumzustand zu sein scheint. Der Kommunismus entsteht dann daraus, dass die Lohnabhängigen durch „strengste Zentralisation und eiserne Disziplin“ erzogen werden, bis sie freiwillig „das Richtige“, das die Avantgarde ersonnen hat, schon von selber tun. Das nenn ich mal „soziale Emanzipation“. Wer allerdings wirklich glaubt, mit den Menschen von heute, aus einer Gesellschaft wie der heutigen, mit solchen Vorstellungen eine soziale Revolution vorbereiten zu können, die zu sozialer Emanzipation führt, der ist wirklich von gestern!!
    Das - wenn man so will - tragisch-absurde des Leninismus von heute ist, dass er auf nichts mehr hofft, als auf die "Spontaneität" (um endlich aufsatteln zu können), deren Anbetung Lenin scharf kritisierte! Ohne diese "Spontaneität" sind nämlich alle "subjektiven Revolutionäre" ziemlich lächerliche Randerscheinungen in der Gesellschaft, wovon die jüngste Geschichte überzeugend Zeugnis ablegt! (Das galt aber auch schon früher und jedes Gerede über die "historische Mission der Arbeiterklasse" blamiert sich ein ums andere Mal, wenn diese Spontaneität, die nur von den objektiven Umständen erzeugt wird - von wegen "Einsicht in die Bedingungen der proletarischen Bewegung" - fehlt!)


    Viele Grüße
    Robert


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