transition town

  • Wo tun sich Leute zusammen, mit welchen Zielen, unter welchen Voraussetzungen? Vor dem Hintergrund von Klimawandel, peak oil und der dumpfen Ahnung, dass es "so nicht weitergehen" kann, finden sich in verschiedenen Kommunen Menschen zusammen, die gemeinsam Veränderung initiieren: zunächst im Hinblick auf Nachhaltigkeit im kommunalen Leben, (community supported agriculture, Verbrauchergemeinschaften, urban gardening, ...)damit einhergehen aber auch auf Emanzipation im Sinne einer gemeinschaftlich verfassten Kommune. Lokale, dezentrale Wirtschaftskreisläufe, Vernetzung unterschiedlichster Aktivitäten, von Biogärtnern über repaircafes bis zur Entwicklung neuer Verkehrskonzepte und städtebaulichen Ideen, Gründung freier Schulen und Kindergärten, ...


    Was ist davon zu halten: einerseits praktische Umsetzung gemeinschaftlicher Ansätze, "Eroberung" der Kommune, Übernahme von Verantwortung andererseits nur bedingt Iinfragestellen von Eigentumsverhältnissen allgemein, Kapitalismuskritik eher an Erscheinungen als in die Tiefe gehend, kleinbürgerlich utopische Vorstellungen, oft noch bissle esoterisch aufgeladen...
    http://www.geo.de/GEO/natur/gr…estfall-totnes-63941.html
    http://www.transition-initiativen.de/
    http://www.transitiontowntotnes.org/


    Kapitalismus in der Krise, Auswirkungen von peak-oil usw führt über kurz oder lang zum Zusammenbruch, daher weniger Energie in Kampf gg. dem Untergang geweihten System, besser praktische Herstellung von alternativen Modellen. So der Ansatz...


    Ich glaub' ja, irgendwie beides, aber "die Menschen" sind offenbar weit eher bereit, sich praktisch zu engagieren, als sich mit NAO-Manifesten (letzter thread) o.ä. zu befassen. Problembewußtsein ja, Klassenbewußtsein nein...kann man das so auf einen Punkt bringen? Und was bedeutet das für "uns"?


    fyi: http://voicesoftransition.org/de/

  • Mag sein, dass nicht alle, die mittlerweile solidarische Ökonomien oder Gemeingüter für wichtig halten, den Kapitalismus bis zur Tiefe kritisieren oder begründen können. Ich sehe in der Zunahme der Forderungen und bloßen Sehnsüchten nach solchen Strukturen aber ein riesen Potential. Wenn genau diese Sturkturen weiter gefördert und umgesetzt werden...könnten sie dann nicht im Ansatz das wahrscheinlicher machen, was auch hier im Forum so oft angestrebt wird? Gemeinsam genutztes und verwaltetes Eigentum? Oder seht ihr wirklich mehr Gefahren darin, nur weil nicht jedeR LohnabhänigeR clever genug ist um Marx zu verstehen?

  • Hallo K.
    Viele Linke glauben, erst komme die Erkenntnis, dann das Tun.
    Das ist eine Vorstellung, die aus der Arbeitswelt des Handwerkers stammt, und die zuerst Platon ausformuliert hat und im Christentum bzw. der idealistischen Philosophie weiterlebt.


    Das Modell von "erst Denken, dann Tun" ist aus dem handwerklichen Arbeitsprozess entwickelt und teilt dessen Dialektik von einem personalem Urheber (= Schöpfer), der mit seinem Plan (=Idee bei Platon, Zweck bei Aristoteles, ideales Sein bei Hegel) Werkstoff und Werkzeug als Mittel einsetzt, um im Arbeitsprozess (= Bewegung, Werden) das Produkt (=wirkliches Sein, Ruhe) schafft.
    Ist der Arbeitsprozess gelungen, dann ist aus der Bewegung Ruhe geworden und das ideale Sein hat sich im fertigen Produkt verwirklicht.


    Ja, in der Arbeitswelt haben wir einen personalen Schöpfer mit einer Idee, einem Plan, der dann von (anderen?) Menschen umgesetzt wird. In der Arbeitswelt kommt erst das Denken, dann das Tun.
    Aber diese Reihenfolge der Arbeitswelt basiert selbst nur auf langem Probieren und vielem Tun. Die Kenntnisse der Arbeitswelt sind selbst das Produkt vielen Herumprobierens und langer Praxis.
    Das Leben funktioniert anders als die Arbeitswelt. In der Arbeitswelt haben wir es überwiegend mit ständigem Wiederholen, mit der Reproduktion des Vorhandenen zu tun.
    Im Leben stehen wir immer vor neuen Fragestellungen, für die es keine fertigen Antworten gibt. Im Leben probieren wir herum. Im Leben (und in der Politik) handeln wir erst und denken später. Im Leben (und in der Politik) sind richtige Erkenntnisse die Folge von Erfahrung und von Praxis.
    So ist die breite Ablehnung des Staatssozialismus die Folge millionenfacher Erfahrung und Praxis. Das wollen viele Linke nicht akzeptieren. Sie meinen, das sei Folge von falschen Ideen und von "falschem Bewusstsein" oder von "antikommunistischer Manipulation".


    Alle Theorien der Linken lösen sich auf und verschwinden durch das Ausprobieren, durch das Tun der Menschen.
    „... Man sieht, wie die Lösung der theoretischen Gegensätze selbst nur auf eine praktische Art, nur durch die praktische Energie der Menschen möglich ist und ihre Lösung daher keineswegs nur eine Aufgabe der Erkenntnis, sondern eine wirkliche Lebensaufgabe ist, welche die Philosophie nicht lösen konnte, eben weil sie dieselbe als nur theoretische Aufgabe fasste.“ K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW 40, 542.


    Noch schärfer formuliert: „Die ‚Idee‘ blamierte sich immer, soweit sie von dem ‚Interesse‘ unterschieden war.“ K. Marx, Hl. Familie, MEW 2, 85.


    Kurz: Die Linken blamieren sich immer, soweit sie die Interessen der Menschen ignorieren.
    Gruß Wal

  • Nee, erst wenn einer Marx komplett auswendig vorwärts und rückwärts herunterbeten kann, um sich an Diskussionen mit der Relevanz von "Wieviele Engel passen auf eine Nadelpitze" erfolgreich zu beteiligen, hat er die Berechtigung, im Bereich der praktischen Umsetzung aktiv zu werden. X/


    Obiger Satz kann Spuren von Ironie, Sarkasmus und ähnliches enthalten. ;)


    Wie wäre es mal mit einem Abgleich Transition Towns/Bochumer Programm, welche Überschneidungen gibt es und evtl. Möglichkeiten, voneinander zu lernen? Auch wenn man in der politischen "Linie" nicht übereinstimmt und "deren" Einstellungen dem "strammen Marxisten" zu naiv oder nicht "radikal antikapitalistisch" oder "revolutionär" genug ist. Was nicht ist, kann ja noch werden. :)


    cu
    renée


    PS: Wal, dein Beitrag war noch nicht da, als ich anfing zu schreiben, ich bin der gleichen Meinung. Manche würden auch noch über die Modalitäten einer Revolution streiten, wenn sie längst vorbei ist, bloß um "recht" zu haben.

  • Wal, ich kenne bloss Leute, die schon unendlich und verzweifelt viel probiert haben, und die angesichts ihres Misslingens ratlos und erschöpft zurückschauen und sich und andre fragen, woran das gelegen hat.
    Der schlimme Punkt, über den und um den wir hier ständig herum reden, ist der: Im modernen Kapitalismus SCHEINT die Vergesellschaftung riesiger, ja weltweit arbeitsteiliger Produktionszusammenhänge zu gelingen - leider weltweit um den Preis der dauerhaften Erpressung und des Ausschlusses der meisten von Planung, wenn nicht immer wieder auch Schlimmerem für grosse Teile der Bevölkerung - Vergleichbares lässt sich sagen, soweit es um Natur geht. Die sämtlichen Alternativvorschläge wollen die Vorteile behalten, aber die Schäden möglichst reduzieren. Soweit ja ein naheliegendes Anliegen. In der Tat unterscheiden sich die Ansätze der Alternativen (zu denen die transition town Bewegung gehört) in einer wesentlichen Hinsicht nicht von "kommunalistischen" Ansätzen: In BEIDEN Fällen wird es für möglich gehalten, "schon mal" mit einer umschriebenen Fragestellung oder Problemlösung anzufangen (ein Problem, das einem aus dem RIESEN-Zusammenhang, der da draussen installiert ist, mehr oder weniger drängend entgegenkommt; neben unzähligen andern; die man jetzt, mit seinen kleinen privaten Möglichkeiten, nicht auch noch angehen kann). Die Idee, bei der man sich dann beruhigt (und die bei näherem Zusehen verblüffende Ähnlichkeit mit der (positiven) Idee der Marktwirtschaft aufweist), lautet: Möge jeder an seinem Platz (arbeitsteilig), im Rahmen seiner Möglichkeiten, sich einem solchen Problem widmen, und alle mit allen irgendwie (das ist das Zauberwort) VERNETZT sein - dann wird alles gut, naja, zumindest vieles (entscheidend) besser. Schaut man sich die Einzelprojekte an, merkt man: Sie sind KOMPLETT zugeschnitten auf die Möglichkeiten für ein Engagement, das IRGENDWIE auf ein hoch über den Köpfen schwebendes Problem (der Klimawandel, die Abholzung der Regenwälder, die Eurokrise, peak oil) zielt und zugleich sich einfach in die Lebensführung vieler Leute einbauen lässt - so wie sie nun mal grade ist. Das ist nun die Seite der LEUTE, die auf die Weise den Eindruck bekommen, "was zu tun" und zugleich "viele" zu sein. Es gibt auch noch die Seite der Aktivisten - derer, die angesichts des von ihnen so verarbeiteten Problemdrucks ihr Leben, oft unter Opfern, massiv verändert haben, was sie aus der umgebenden Gesellschaft rausfallen lässt, in Gegensatz zu ihr geraten lässt. Die führen sich, anhand der Bewegungen, die sie da anstossen, nur allzu gerne vor, dass Problemlösungen "auf (zivil)gesellschaftlicher Ebene" angegangen und angesichts des massenhaften Einsatzes und auch der Aufklärung sovieler Menschen - zuletzt bei denen ankommt, die es dann im eigentlichen und ganz grossen Stil richten müssen, Politikern, Unternehmen; im Zweifel werden sie ausgetauscht, im Zweifel geht es, angesichts des "Drucks von unten", da oben dann ganz anders weiter. Oder... dieser Druck wandelt sich gleich, ganz von selbst, in sein eigenes "Oben" und entledigt sich des alten Regimes von Bevormundung und Zwang.
    Eine neue Epoche wird aber nicht mit den Mitteln der alten erschaffen. Die IDEE der unbestimmten Vergesellschaftung vieler Einzelprojekte, die ganz von selber sich vernetzen und zusammen Sinn machen werden, ohne dass jemand dafür was tun (oder sein Leben ändern) müsste... das ist auch so eine Idee, bei der man nicht fragen darf, WIE genau das eigentlich gehen soll. Wie sonst auch in der Religion*). Also zB bei Platon. Und noch vielen andern Gläubigen (die den schlimmen Glauben, manchmal auch das Glauben überhaupt, immer nur bei den Andern, von der andern Konfession, sehen, nur nie bei ihnen selbst.)


    *) Was Religion ist, weiss auch keiner so recht zu sagen. Grade kommt jetzt die Meldung, dass 90% der Amerikaner (in Europa dürfte es nicht wesentlich anders sein: "echt" Areligiöse machen hier nach Umfragen grade mal 13% der Bevölkerung aus) sich nicht vorstellen können, dass Evolution ohne eine mitwirkende "Intelligenz" möglich war. Als ob sich das in ihren politischen Einstellungen nicht bemerkbar machen würde, wenn die Leute " bissle esoterisch aufgeladen" (Seldon-X oben) denken...

  • Hallo,


    Ich hatt's ja aufgebracht, als Frage formuliert und bin dankbar für Rückmeldungen.
    Natürlich bin ich (auch) nicht der Meinung, nur wer Marx verinnerlicht hätte, könnte, sollte, dürfte aktiv werden. Dafür reicht durchaus eine klare (oder auch unklarere) Vorstellung von den eigenen Interessen.
    Will man aber etwas verändern, ist IMHO ein Wissen um Zusammenhänge und Ursachen mehr als hilfreich, ansonsten beschäftigt man sich fruchtlos mit Symptomen. Warum und woran scheitern soviele alternative Projekte, bleiben zumindest frucht- und folgenlos, richten sich bestenfalls in Nischen ein (räumlich oder ideologisch)?
    Ohne über Ursachen zu reden, landet man oft bei Aussagen oder Anliegen wie "Alternativen vorleben", "Bewußtsein wecken", "wir brauchen anderes Denken" usw.
    Bewusstseinsänderung der Menschen herbeiführen zu wollen, ist dass nicht immer der Vorwurf gegen Kommunisten verbunden mit der Aussage, “der Mensch ist halt so”? Kommunisten wollen aber eben nicht das Bewußtsein ändern, sondern die materiellen Voraussetzungen der Gesellschaft!
    “Die Forderung das Bewusstsein zu verändern, läuft auf die Forderung hinaus, das Bestehende anders zu interpretieren, d. h. es vermittelst einer anderen Interpretation anzuerkennen.” K. Marx, Deutsche Ideologie


    Aber: "Das Sein bestimmt das Bewußtsein" oder als ein Graffitti-Spruch: “Das herrschende Bewußtsein ist das Bewußtsein der Herrschenden!”


    Oder aber es wird an einzelnen Punkten angegriffen: Geldwirtschaft ist doof, lieber Regio-Geld, Tauschbörsen (da sind wir dann schnell bei Gesell ;)) Fortschrittsfeindlichkeit (irgendwie alles zu schnell, unbehaglich, unverständlich...lieber zurück in die romantische Agrargesellschaft...) usw.


    Mein Fazit: die positiven Schwingungen aufnehmen ;) , d.h. progressive lokale Aktivitäten mittragen, unterstützen, sich praktisch engagieren, aber immer auch den Blick "für's Ganze" behalten (soweit man den hat) und ruhig auch immer wieder mal theoretisieren. Wie man die Klippe : "Solange die Eigentumsverhältnisse nicht aufgehoben sind, ist's a la long verlorne Liebesmüh'" umschifft (falls es die so gibt), weiß ich allerdings auch nicht...


    Renees Vorschlag gefällt mir...


    und noch was zu gucken:


    3Sat Mediathek, Scobel
    Gemeingut, Gemeinwohl und Gemeinsinn


    Gemeingut, Gemeinwohl und Gemeinsinn
    Heute entsteht ein neues Verständnis von Gemeinschaftsgütern. Dabei geht es
    nicht nur um gemeinsame globale Güter wie Wasser oder Luft. Auch
    Konsumgüter wie CDs, Bücher und Filme werden zunehmend gemeinsam
    genutzt. Gerade junge Erwachsene verzichten darauf, diese Dinge physisch
    in Besitz zu nehmen.
    http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=41843

  • Hallo Seldon-X,
    meine Anspielungen auf religiöse Denkformen oben zielten auf eine Beschreibung von "Zusammenhängen und Ursachen", die eine Ergänzung zu solchen Sätzen wie dem Marxschen "die Leute wissen es nicht (was sie da tun), aber sie tun es" darstellt. Zum einen GLAUBEN sie, dabei etwas (bestimmtes, für sie nützliches) zu tun, worin sie sich täuschen können; zum andern können sie gute Gründe zu haben GLAUBEN, warum sie (dabei) ganz bewusst etwas nicht zu wissen brauchen, um ihre Zwecke zu verfolgen.
    In den von Marx inspirierten Denk-Traditionen werden die zugehörigen Glaubens-Inhalte als Ideologien bezeichnet; und die sind etwas, das sich Leute zulegen, um das, was sie "ohne zu wissen was es ist" tun, sich nachträglich, beiläufig, irgendwie als für sich und/oder andere nützlich zu erklären. Der Grund für das "sowieso" hingegen ist nichts derart flüchtig-subjektives, vielmehr ein höchst objektives, "notwendiges" Gebilde, nämlich eine Produktionsweise, in der eine dem Stand der Produktivkräfte angemessene Vergesellschaftungsform, ein Produktionsverhältnis, die Verwendung dieser Produktivkräfte organisiert. In einem abstrakten Ausruck könnte man sagen: ein System.
    Ich glaube nun, dass es die hier dauerhaft schreibenden Leute verbindet, dass sie an der Möglichkeit zweifeln, Arbeitsteilung über ein wie auch immer geartetes "System" zu organisieren - eines, das den daran Beteiligten die Verständigung und Kontrolle dessen, was sie da gemeinsam machen, erspart. Die üblichen Kandidaten für solch eine "überindividuelle" System-Lösung der "Vergesellschaftung" kennen wir ja: den Markt; den Plan und die Prozeduren, wie er zustandekommt; oder eben die oben genannte "Vernetzung".
    Wenn du nun, Seldon-X, für uns hier vorschlägst, dass wir die realen Bewegungen sorgfältig beobachten und uns von ihnen (in dem Sinn) nicht abschliessen sollten, kann man dem ja wohl nur zustimmen, aber VIEL wichtiger ist das andre, das du "Wissen um Zusammenhänge und Ursachen" nennst. Und in dem Zusammenhang das, was dir wie ein Widerspruch vorkommt: die Verhältnisse (das System?) und/oder das Bewusstsein (mithilfe der System-Änderung?) ändern. In diesen Gedanken von dir steckt allerhand System-Glaube drin - schaff das falsche System ab, dann stellt sich der gute und erwünschte System-Zustand her. Nebenfrage: Wieso gibt es Kommunisten, wie kommen denn DIE zustande, sind die auch Systemprodukte, werden die von selbst mehr? Die scheinen ja irgendwie die Katze-beisst-in-ihren-Schwanz-Figur zu konterkarieren, von der du sprichst: Die Eigentumsverhältnisse schaffen sich ihnen gemässes Bewusstsein, um sie abzuschaffen, bräuchte es ein andres, aber oje, das kann ja erst entstehen, wenn sie abgeschafft sind... So wird das wohl nix, nicht wahr? Der Schluss, den die etwas älteren Kommunisten daraus zogen, ist bekannt: Wir immerhin haben ja das richtige Bewusstsein (eigenartig - diese Ausnahme bestätigt offenbar die Regel auch noch), dann schaffen WIR schon mal ab, dann wird sich das neue Sein schon sein passendes Bewusstsein schaffen. Aber wenns SO nicht läuft - sitzt man wieder in der ausweglosen Systemfalle: System erzeugt Konformität bestätigt System usw. (alternativ: System erzeugt sogar noch den Widerstand gegen es, da kannst du nichts machen...)


    Man kann aber auch mal genauer hinschauen, statt sich ewig mit diesem bleischweren Glaubens-Satz vom Sein usw zu begnügen. Warum zB gibts Linksradikale wie uns? Was haben wir, was die andern nicht haben? Es gibt, gleich dazu gesagt, sehr verschiedene von ihnen. Warum? Ausserhalb der Linken gibt es übrgens auch noch andre stark politisierte Menschen, oder solche, die über "die Verhältnisse" nachdenken (darunter nicht wenig Lohnabhängige) - bloss dass sie ganz andre Erklärungen dafür haben - und auch andere Vorschläge machen als Linke. Und es gibt "unpolitische" Leute.
    Es ist ziemlich eigenartig, dass das System eine Riesen-PRAXIS sein soll, und dennoch das, was sich da Leute masssenhaft dabei denken, so garnicht zählen soll. Weil halt das System so mächtig ist? Oder... weil ihr SYSTEMDENKEN (von Linken bis zu Liberalen) so mächtig ist? (Soweit Denken in dieser Praxis eine Rolle spielt. Und soweit (wieweit tut es das?) nicht - was soll man dann von SO einer Praxis halten?)

  • Ich meine, die Transition Town-Bewegung beherbergt sowohl progressive Elemente, die in Richtung Kommunismus/Kommunalisierung weisen und ein Experimentierfeld für alternative Lebensvorstellungen liefert. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr einer reaktionären Wendung, die aufgrund von esoterischen Einflüssen und anti-industrialistischen Asketismus zu einem dumpfen (Bio-)Regionalismus verkommen kann, der durchaus für Blut-und-Boden-Ideologien ein Fenster öffnet. Die Einfallsmöglichkeit faschistoider Gruppierungen bzw. dessen Entwicklung aufgrund der Eigenlogik einer solch öko-/bioregionalistischen Verzichts-Ideologie aus der Transition Town-Bewegung selbst mögen auf den ersten Blick nicht einleuchten. Es ist aber in Erinnerung zu rufen, dass Keime der faschistischen Ideologie in Deutschland aus der Natur- und Wandervogelbewegung entsprungen sind. Die Devise eines anti-zivilisatorischen "Zurück zur Natur" (bzw. eher dorthin was man aus heutiger Sicht unter ideell angenommener "richtiger Natur" versteht) trägt also durchaus problematische Züge. Darin ist aber der Knackpunkt zu sehen: Transition Town'er kritisieren oft den "Industrialismus", d.h. den technischen Fortschritt und die "Unübersichtlichkeit" der Lebensverhältnisse als solche, nicht die Produktionsverhältnisse (weshalb da viel Freidgeld-Theoreme und Proudhonismus vorherrscht).

  • Oje, Mario. Der "Industrialismus" ist dann aber, angesichts aller verfügbarer Reminiszenzen, mindestens genauso vereinnahmungs-verdächtig (während die Wandervögel verboten wurden, die Weisse Rose von dort her kam uswusw - da wird das Begreifen der inneren Konsequenz ersetzt durch die Logik des Tabus (und, nebenbei, die des Gerüchts, "war da nicht was?"): Wer dem Fetisch zu nahe war, ist verhext. Antikommunisten bringen auf die Weise Marx und Hitler zusammen, das geht LOCKER. Und... wer unter allen Nichtfaschisten ist den Neonazis denn näher als die prügelnde Antifa? Wer ausser den Esoterikern selbst ist derart dogmatisch-begriffslos ihnen gegenüber wie ihre Jäger, die inquisitorischen "esowatcher" von www.psiram.com ?)
    Rationale Modernitäts-Reflexion sollte man nicht mit vormodernen Einstellungen zu Welt und Gesellschaft verwechseln. Die sind allerdings verbreitet - und die radikale Linke, sofern sie sich einrichtet auf die Installation eines bleibenden Produktionsapparats (und geniale Einfälle während der kreativ genutzten "disposable time"), zeigt sich der Dynamik von moderner Wissenschaft, Technologie, Produktivitäts-Steigerung und Fortschritt in Permanenz kaum gewachsen. Wie wenig wiederum auch die alternative Bewegung dazu sich verhält, zeigt die von mir oben schon angesprochene Verwurzelung in der Stadt: Gesucht und gemacht wird, was mit dem eigenen Lebensstil, so wie er sich nun mal vorfindet, grade vereinbar ist. Was objektiv nötig ist, wird nicht für wissens- und bedenkenswert gehalten. Mit den Eliten und deren Argumenten sind diese Leute fertig, bloss suchen sie sich - so wie auch sonst, wenns um ihr Lebensheil geht - die bequemen Glaubenslehren im Internet, da gibts genug Angebote: von der Energie, die frei wird, wenn man sich traut, durch Null zu dividieren bis zur Lichtnahrung - und soviel Menschen guten Willens allerorten, die aufbrechen (das erinnert dann schon an gewisse linke Selbstbestätigungs-Phantasmen).Diese Leute wollen das Beste aus allen Welten, bilden sich ein, dass sies kriegen können (darin, sich was vorzumachen, sind sie geübt) - und rütteln schon darum nicht an den "Produktionsverhältnissen". Um das noch klarzustellen: Ich halte sie weder für dumm noch uninformiert. Eher schon für gläubig. Und das... ist ein Mangel ganz anderer Art.
    Man sollte sich mal drum kümmern.

  • Auch auf die Gefahr, daß ich mich wiederhole: Für Menschen gibt es subjektive Notwendigkeiten aber keine objektiven. Tut mir leid, das/ die kriegt mir auch niemand mehr eingeredet...
    ... und wenn etwas für mich nicht subjektiv notwendig ist, ist es auch nicht notwendig.
    Auch dann nicht, wenn sich jemand (um mich) kümmert.

  • Aaach Wat... DER Gegensatz ist leicht erledigt: Die Objektivität nehm ich gern auf meine subjektive Kappe, an der Vokabel ist nicht so schrecklich viel gelegen, es ist mehr eins von diesen Beschwörungs- und Beteuerungsworten, auf die man unter Vernünftigen leicht verzichtet. Das "Subjektive" ist auf den ersten Blick ähnlich, was immer gedacht wird, gehört (irgend)einem Subjekt (wenn auch nicht notwendig bloss einem, oft genug trostlos vielen) an; die Leute, von denen wir reden, ziehen allerdings mit Bann-Sprüchen der Art "das sehe ICH so, das ist MEINE Meinung" gern die Grenze, über die sie keinen mehr rüberlassen. Und da kriegt niemand nichts ihnen eingeredet, davon bin ich absolut (noch so ein Wort) genauso überzeugt wie du... oder mit dem Wort des Dichters:


    Dichter Dorlamm läßt nur äußerst selten
    andre Meinungen als seine gelten.
    Meinung, sagt er, kommt nun mal von mein,
    deine Meinung kann nicht meine sein.
    Meine Meinung - ja, das läßt sich hören!
    Deine Deinung könnte da nur stören.
    Und ihr andern schweigt! Du meine Güte!
    Eure Eurung steckt euch an die Hüte!
    Laßt uns schweigen, Freunde! Senkt das Banner!
    Dorlamm irrt. Doch formulieren kann er.
    (Robert Gernhardt)


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