Doku: D. Behruzi: Mindestlohn auf Regierungskurs

  • Die große Koalition rückt näher. Aus Kapitalsicht ist das nur logisch: In Zeiten der Euro-Krise braucht es eine stabile Regierung, die Europa weiterhin Deutschlands Kürzungskurs aufzwingt. Mit einem Juniorpartner SPD unter Kanzlerin Angela Merkel ist das gut zu machen. Selbst in der Opposition stimmten die Sozialdemokraten in allen wichtigen (Europa-)Fragen mit der Regierung – und waren entsprechend pikiert, als Merkel ihnen im Wahlkampf mangelnde Verläßlichkeit vorwarf. Trotz solch vorgeblicher Differenzen steht die SPD-Spitze geschlossen bereit, »Verantwortung« und gutdotierte Ministerposten zu übernehmen. Das einzige Problem: Sie muß ihrer verbliebenen Basis in Arbeiterschaft und Gewerkschaften vorgaukeln, wenigstens ein bißchen was von ihrer wahlkampfbedingten Sozialrhetorik auch umzusetzen. Es braucht also ein Zückerchen: den Mindestlohn.


    Im Vorfeld der dritten Sondierungsrunde der beiden »Volksparteien« am Donnerstag machten führende Unionspolitiker deutlich, daß sie sich ein Entgegenkommen in dieser Frage durchaus vorstellen können. Schon das zeigt, wie sehr sich das gesellschaftliche Klima in den vergangenen Jahren verändert hat. Die Kampagnen von Gewerkschaften und Linkspartei haben dazu geführt, daß mittlerweile selbst drei von vier CDU-Wählern eine Lohnuntergrenze befürworten. Folgerichtig haben ver.di und NGG ihre Agitation für den gesetzlichen Mindestlohn dieser Tage noch einmal verstärkt (www.mindestlohn-jetzt.de).


    Doch die Gegenseite gibt sich noch nicht geschlagen. Die Wirtschaftsforschungsinstitute RWI, IWH, DIW und das Ifo-Institut warnten am Donnerstag vor einem flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Dieser könne in Ostdeutschland zu »einem beträchtlichen Stellenabbau« führen, da dort ein Viertel aller Beschäftigten weniger verdiene. Die Logik der neoliberalen Denkfabriken ist bezeichnend für das ärmliche Niveau der öffentlichen »Expertendebatte«: Weil viele von einem Mindestlohn profitierten, gingen viele Arbeitsplätze verloren. Das widerlegen nicht nur alle Erfahrungen in der EU – wo 21 von 28 Mitgliedsstaaten eine gesetzliche Lohnuntergrenze haben. Es ist auch völlig unsinnig zu glauben, in Ostdeutschland würden keine Haare mehr geschnitten, wenn Friseurinnen nicht mehr mit 5,60 Euro in der Stunde abgespeist werden.


    Die Argumente der neoliberalen Kritiker sind so schlecht wie eh und je. Nicht nur deshalb kann sich die SPD eine Koalitionsvereinbarung ohne Mindestlohn nicht leisten. Die entscheidende Frage ist aber: Wie wird der Mindestlohn gestaltet, und wie hoch soll er sein? Schon die von Gewerkschaften und SPD geforderten 8,50 Euro pro Stunde sind zu wenig, um Armut trotz Arbeit zu beseitigen – insbesondere im Alter. CSU-Chef Horst Seehofer und andere dringen zudem auf Ausnahmen und eine Differenzierung nach Branchen und Regionen. Ließe sich die SPD darauf ein, wäre das kein Zückerchen, sondern eine bittere Pille.


    Ungefragt eingestellt aus: http://www.jungewelt.de/2013/10-18/029.php


    Zum Vergleich: Landesweite Mindestlöhne in anderen Ländern:




    Und um gleich meinen Senf dazuzugeben:
    Ich denke, gesetzlicher Mindestlohn ist eine ähnliche Story wie die Sozialversicherungen. Der Gewerkschaftsbewegung wird dadurch ihre Selbständigkeit mehr oder minder abgekauft. Würden die Gewerkschaften zwei oder drei Jahre lang Lohnkämpfe mit Festgeldforderungen führen, die vor allem den unteren Lohnempfängern zugute kämen, wäre der Niedriglohnsumpf schnell trocken gelegt.
    Rechnen wir nach: Eine erreichte Festgelderhöhung von 120 Euro im Monat ergibt eine Erhöhung aller Stundenlöhne von 0,75 Euro. (120 Euro geteilt durch 21 Tage und geteilt durch 7,5 Stunden). Ein Niedriglohn von 7 Euro käme nach zwei solcher Lohnrunden auf 8,50 Euro und nach weiteren zwei solcher Festgeldrunden auf 10 Euro die Stunde.
    Das staatliche Eingreifen durch Mindestlohnverordnung schafft die schlimmsten kapitalistischen Übelstände im Niedriglohnsektor vielleicht nicht aus der Welt, aber außer Sichtweite, und gleichzeitig bekommen die Herrschenden ein weiteres Machtinstrument in die Hände: Je nach Konjunktur- und Klassenlage kann die Staatsbourgeoisie die Mindestlohnschleuse ein bisschen öffnen oder auch nicht. Die Staatsabhängigkeit vor allem der Armuts- und Elendsschichten in Deutschland wächst, damit wächst die Machtlosigkeit der Emanzipationsbewegungen, und die Gewerkschaftsbewegung bleibt fixiert auf die Interessenvertretung der besserbezahlten und bessergestellten Lohnarbeiterschicht,
    meint Wal

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