Genossenschaften im Kapitalismus

  • Ein paar provozierende Anmerkungen, die vielleicht zur Diskussion anregen ;-)


    verfasst von Robert Schlosser(R), 04.12.2012, 18:24


    Hallo Wal, hallo alle,
    erstmal danke für diesen Link auf einen interessanten Bericht. ( http://marx-forum.de/diskussion/forum_entry.php?id=7847&page=3&category=0&order=time ) Es kommt was kommen muss. Alle beschriebenen Probleme bei Zanon sind ja aus der Geschichte der Genossenschaftsbewegung in kapitalistischer Umgebung bestens bekannt. Das fängt an bei den Krediten, die nur schwer zu beschaffen sind, setzt sich fort über die Wirkung der Marktkonkurrenz auf den Betrieb und endet bei den erlernten Verhaltensweisen etc. der GenossInnen selbst.
    Alle grundsätzlichen Kritiker des Genossenschaftsgedankens sehen sich natürlich wieder bestätigt. (Selbstausbeutung etc.) Auch dann, wenn sie praktisch überhaupt keine Alternativen zu bieten haben, oder solche, für deren Scheitern ein weit höherer Preis zu zahlen war (Realsozialismus), als der des Scheiterns einzelner Genossenschaften oder ihrer Umwandlung in stinknormale kapitalistische Betriebe.


    Der „Gradualist“ und „Syndikalist“ Marx hat das Problem so beschrieben:
    „Die Kooperativfabriken der Arbeiter selbst sind, innerhalb der alten Form, das erste Durchbrechen der alten Form, obgleich sie natürlich überall, in ihrer wirklichen Organisation, alle Mängel des bestehenden Systems reproduzieren und reproduzieren müssen. Aber der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit ist innerhalb derselben aufgehoben, wenn auch zuerst nur in der Form, daß die Arbeiter als Assoziation ihr eigner Kapitalist sind, d.h. die Produktionsmittel zur Verwertung ihrer eignen Arbeit verwenden. Sie zeigen, wie, auf einer gewissen Entwicklungsstufe der materiellen Produktivkräfte und der ihr entsprechenden gesellschaftlichen Produktionsformen, naturgemäß aus einer Produktionsweise sich eine neue Produktionsweise entwickelt und herausbildet. Ohne das aus der kapitalistischen Produktionsweise entspringende Fabriksystem könnte sich nicht die Kooperativfabrik entwickeln und ebensowenig ohne das aus derselben Produktionsweise entspringende Kreditsystem. Letztres, wie es die Hauptbasis bildet zur allmählichen Verwandlung der kapitalistischen Privatunternehmungen in kapitalistische Aktiengesellschaften, bietet ebensosehr die Mittel zur allmählichen Ausdehnung der Kooperativunternehmungen auf mehr oder minder nationaler Stufenleiter. Die kapitalistischen Aktienunternehmungen sind ebensosehr wie die Kooperativfabriken als Übergangsformen aus der kapitalistischen Produktionsweise in die assoziierte zu betrachten, nur daß in den einen der Gegensatz negativ und in den andren positiv aufgehoben ist.“
    http://www.mlwerke.de/me/me25/me25_451.htm


    Das „Positive“ an dieser Art der Aufhebung gilt es allerdings festzuhalten: der Gegensatz von Kapital und Arbeit ist (innerhalb einer selbstverwalteten Genossenschaft) aufgehoben! Ich möchte hinzufügen, dass ohne das sich verallgemeinernde Streben nach dieser Art der Aufhebung des Gegensatzes von Kapital und Arbeit innerhalb eines Unternehmens – das immer wieder in genossenschaftlichen Versuchen seinen Ausdruck findet und finden wird – man jede allgemeine Perspektive der Überwindung dieses Gegensatzes auf gesellschaftlicher Ebene vergessen kann. Die politische Macht einer Partei kann das jedenfalls nicht ersetzen und will sie es doch, dann landet man eben mitten im „Realsozialismus“


    Marx schrieb auch:
    „Endlich unterliegt es keinem Zweifel, daß das Kreditsystem als ein mächtiger Hebel dienen wird während des Übergangs aus der kapitalistischen Produktionsweise in die Produktionsweise der assoziierten Arbeit; jedoch nur als ein Element im Zusammenhang mit andren großen organischen Umwälzungen der Produktionsweise selbst. Dagegen entspringen die Illusionen über die wunderwirkende Macht des Kredit- und Bankwesens, im sozialistischen Sinn, aus völliger Unkenntnis der kapitalistischen Produktionsweise und des Kreditwesens als einer ihrer Formen. Sobald die Produktionsmittel aufgehört haben, sich in Kapital zu verwandeln (worin auch die Aufhebung des Privatgrundeigentums eingeschlossen ist), hat der Kredit als solcher keinen Sinn mehr, was übrigens selbst die St.-Simonisten eingesehn haben. Solange andrerseits die kapitalistische Produktionsweise fortdauert, dauert das zinstragende Kapital als eine ihrer Formen fort und bildet in der Tat die Basis ihres Kreditsystems. Nur derselbe Sensationsschriftsteller, Proudhon, der die Warenproduktion fortbestehn lassen und das Geld aufheben wollte (25), war fähig, das Ungeheuer eines crédit gratuit zu erträumen, diese vorgebliche Realisation des frommen Wunsches des kleinbürgerlichen Standpunkts.“
    http://www.mlwerke.de/me/me25/me25_607.htm


    Folgt man diesen Gedanken – unter der Berücksichtigung solcher Probleme, wie sie sich bei Zanon auftun – dann verlangt eine Verbreiterung des Genossenschaftswesens im Kapitalismus auch die Einflussnahme auf das Kreditsystem, sprich die Banken. Allein in diesem Kontext machten heute Forderungen, die auf eine „Vergesellschaftung der Banken“ abzielen, einen Sinn. Losgelöst davon sind sie aus meiner Sicht ziemlich unsinnig und zielen heute – ob bewusst oder unbewusst – vor allem auf eine Vergesellschaftung der Verluste der Banken ab. Die braucht man aber nicht zu fordern, weil das durch den Staat sowieso betrieben wird.


    Solange die „Genossenschaftsbewegung“ (sofern man heute überhaupt davon sprechen kann) keine breite Bewegung der Lohnabhängigen mit dem Willen zur Aneignung wird, die Genossenschaften eben historisch und aktuell oft ausschließlich aus purer Not geboren sind - ohne den festen Willen zu sozialer Emanzipation in Selbstbestimmung - bleiben Genossenschaften entweder sehr labile Gebilde mit Selbstverwaltung oder werden zu mehr oder weniger erfolgreichen Beteiligungsgesellschaften. Das kann man auch an den Genossenschaften in Deutschland sehen.


    Die folgenden Zitate stammen aus WSI-Mitteilungen 8/12 „Zur Lage der Genossenschaften – tatsächliche Renaissance oder Wunschdenken?“
    „Im Zusammenhang der bundesrepublikanischen Wirtschaft mit fast 3,6 Mio. Unternehmen und 25,2 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist der Genossenschaftssektor mit ca. 7.600 Unternehmen, ca. 860.000 Beschäftigten und 20,7 Mio. Mitgliedern ein zwar kleiner aber stabiler Wirtschaftsfaktor (Stappel 2011).“

    „Dabei handelt es sich um Genossenschaftsbanken, ländliche, gewerbliche, Konsum- und Wohnungsgenossenschaften. Diese sind in ihren Geschäftsfeldern und ihrer Charakteristik sehr unterschiedlich ....“


    Produktivgenossenschaften:
    „Es handelt sich hierbei um Vollgenossenschaften zur Verwertung der Arbeitskraft ihrer Mitglieder. Alle anderen sind sogenannte Hilfs- oder Ergänzungsgenossenschaften im Dienst der unabhängigen Einzelwirtschaften ihrer Mitglieder. Als Grundtypen lassen sich die klassischen roduktivgenossenschaften, die konsequenten Beteiligungsunternehmen und die Selbstverwaltungsbetriebe identifizieren Flieger 2006, S. 54; Atmaca 2007, S. 549). Sie sind jeweils vor dem Hintergrund unterschiedlicher Werte und historischer Prägungen entstanden. Angaben zur Gesamtzahl Produktivgenossenschaftlich strukturierter Betriebe variieren stark. Sie kann in Deutschland auf etwa 5.000 geschätzt werden (Flieger 2006). Dabei handelt es sich nicht unbedingt um eingetragene Genossenschaften, sondern um produktivgenossenschaftlich strukturierte Unternehmen. Damit sind Selbstverwaltungsbetriebe und Mitarbeiterbeteiligungsunternehmen mit über 50 % Beteiligung der Beschäftigten gemeint.“


    Genossenschaftsbanken:
    „Den Bankgenossenschaften kommt eine herausragende Bedeutung im deutschen Genossenschaftswesen zu. 1.121 Genossenschaftsbanken sind mit rund 160.000 Beschäftigten, 13.350 Bankstellen und 17 Mio. Mitgliedern der marktmächtigste Sektor der traditionellen Genossenschaften. Sie stellen damit doppelt so viele Mitglieder wie alle anderen Genossenschaften in Deutschland zusammen. Der genossenschaftliche Finanzverbund besteht aus zwei Zentralbanken, sechs
    sogenannten Allfinanzpartnern wie der Bausparkasse Schwäbisch Hall, sechs Produktionspartnern wie dem DG Verlag und der Basis von 1156 Kreditgenossenschaften. Die durchschnittliche Mitgliederzahl dieser Genossenschaftsbanken liegt bei 14.000 und damit deutlich über der der sonstigen Genossenschaften. Diese genossenschaftliche Sparte verzeichnet den stärksten Mitgliederzuwachs. Allein im Jahr 2010 kamen knapp 300.000 neue Bankanteilseigner hinzu.“


    Abschließend noch einmal zurück zum Ausgangspunkt, den Problemen bei Zanon: jetzt nur die Probleme mit Verhaltensweisen der GenossInnen, die Produkt ihres Lebens, ihrer Erfahrung als Lohnabhängige, sind und die Kooperation, die Selbstverwaltung erschweren oder gar unmöglich machen. In dem Buch über die Kooperative „Cecosesola“ in Venezuela (erschienen bei „Die Buchmacherei“) werden diese Probleme - wie eine Praxis zur Lösung dieser Probleme - ausführlich diskutiert. Wer sich also für die hier angeschnitten Fragen interessiert, dem sei das Buch nochmals empfohlen … zusätzlich zu dem von Wal verlinkten Bericht. Wer meint, gewerkschaftlicher „Klassenkampf“ sei in jedem Fall wichtiger als Versuche selbstverwalteter Produktion, der wird da seine Bestätigung finden, wie verwerflich genossenschaftliche Betriebe sind. ;-)


    Viele Grüße
    Robert


    Link zum alten Forum:
    http://marx-forum.de/diskussion/forum_entry.php?id=7911&page=3&category=0&order=time

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