Parteien sind out!

  • Parteien wurden als Gegenentwurf zur aristokratischen „besseren Gesellschaft“ gegründet in einer Zeit, in der man noch mit Postkutschen verkehrte und der direkte persönliche Kontakt fast die einzige Kommunikationsform der Menschen war.
    Auf unterster Ebene waren Parteien Familienersatz für Alleinstehende, Geschäftsfeld für Gastwirte, Krämer und Autoren, Solidargemeinschaft für Arbeitslose, der gesellschaftliche Hoffnungsträger für „Gleichheit und Brüderlichkeit“ oder auch nur der lockere Zusammenschluss von Geschäftsfreunden und angesehenen Kunden.


    Auf Staatsebene bekämpften Parteien die obrigkeitsstaatliche Einsetzung von politischen Beamten durch Wahl von unten. Erbliche Staatsämter wurden ersetzt durch Wahlämter. Erbliche Machthaber und Fürsten durch gewählte Machthaber bzw. „Wahlfürsten“. So weit so gut.


    Soweit eine Partei sich selbst als kompletten sozialen Gegenentwurf sah, implizierte das die Ablehnung aller anderen Parteien. Solches „Parteiengezänk“ hinderte die politische Bekämpfung des aufkommenden Nationalsozialismus in Deutschland. Mit 1933 hatten sich alle Parteien mehr oder minder selbst erledigt.


    Trotz dieses historischen Versagens wurde in der Nachhitler-Verfassung der Bundesrepublik den Parteien eine wichtige Rolle zugeschrieben.



    In Deutschland verwalten rund 1,7 Millionen von oben eingesetzte Beamte die Staatsgeschäfte. Mit der juristischen Brille gesehen sind Beamte willenlose Geschöpfe, die sich ihre Weisungen und Aufträge allein von der „Legislative“, den gewählten „Volksvertretern“ holen. Von diesen gewählten Repräsentanten gibt es nach meiner Schätzung rund 170.000 auf Bundes-, Landes-, Kreis- und Ortsebene. Befüllt werden diese gewählten Staatsrepräsentanten fast ausschließlich durch die Parteien und ihre Mitglieder.
    In der Bundesrepublik ist dies der vorzügliche Zweck der Parteien: Die 170.000 Mandatsstellen des Staates zu befüllen. Auf je 10 nichtgewählte, von oben eingesetzte Beamten kommt ein von unten gewählter Staatsvertreter.


    Der Mitgliederpool, aus dem diese 170.000 Mandatsstellen von den Parteien befüllt wird, schrumpft seit Jahren. 1990 waren noch 4 Prozent aller Wahlberechtigten Mitglied einer Partei. 2011 waren noch 1,75 Prozent aller Wahlberechtigten Mitglied einer Partei. (Siehe gestrichelte Linie und rechte Skala).


    Staat und Parteien verwachsen immer mehr. Das trifft die kleinen Parteien noch mehr als die großen: Nehmen wir an, eine neue Partei nimmt in allen Wahlen die 5%-Hürde. Dann befüllt sie mindestens 8.500 Vertreterposten auf allen Ebenen des Staates.

    Wie die Grafik zeigt, erreichen kleinere Parteien – wenn es gut läuft - rund 50.000 Mitglieder. Mindestens jedes 6. Mitglied dieser Parteien sitzt dann in einem Parlament auf Orts-, Kreis-, Landes- oder Bundesebene. Und aller Erfahrung nach sind das die aktivsten und fähigsten Parteimitglieder. Was bleibt da an Parteileben noch übrig, außer den Fragen, die sich im parlamentarischen Alltag stellen? So gut wie nichts.


    Sofern neue Parteien erfolgreich sind, werden sie vom Staat vereinnahmt und schleichend verstaatlicht. Die traditionellen Parteien sind längst schon zu Instrumenten des Staates geworden: Vom Staat bezahlt, vom Staat hofiert, vom Staat beschäftigt. Jede neue Partei folgt diesem Muster. Parteien sind keine Organisationen der Gesellschaft mehr, sondern Organisationen des Staates. Parteien sind nicht mehr Instrumente der Emanzipation, sondern Instrumente des Staates,
    meint Wal Buchenberg

  • Hallo,


    Eine Dokumentation über die Entstehung der ‚Hacktivist‘-Gruppe ‚Anonymous‘ und die faszinierende Geschichte ihrer Politisierung. Einer der Aktivisten sagt (frei übersetzt): „Wir waren wie dieses große, schüchterne Kind, das plötzlich merkte, wie stark es eigentlich ist, als es jemanden ins Gesicht schlug.“


    http://www.youtube.com/watch?v=2ZUHOELgif0


    Mir gefallen auch die Selbstverständlichkeit ihres Internationalismus sowie die Verteidigung von Wikileaks. Und wichtig: Im Gegensatz zu Parteien fehlt ein ‚Zentralkomitee‘.



    ‘Occupy Wallstreet’ und die Rolle ‘Anonymous’ bei der Veröffentlichung von Polizei-Brutalität.


    http://www.youtube.com/watch?v=ApT7pPjM_b0


    Es scheint so zu sein, dass die Nadelstiche, die ‚Anonymous‘ durch die Veröffentlichung von Polizeigewalt setzen kann, durchaus wehtun können. Der Aktivist, der in diesem Film auftritt, ist ein Lohnarbeiter mit zwei Jobs und einer Mutter mit sich stapelnden Rechnungen für Gesundheitskosten.



    Mittlerweile dient ‚Anonymous‘ als Template für Propaganda und ‚konventionellem‘ Aktivismus, ohne dass ‚Hacking‘ mit strengen Sinn eine Rolle spielt. Es wird von Menschen mit unterschiedlichsten Ansätzen verwendet.


    Die einen präsentieren sich in der ‚We are 99%‘-Tradition.
    http://www.youtube.com/watch?v=dS978R0i75Y


    Die anderen präsentieren sich als Avantgarde, die es besser weiss und die Massen aufrütteln muss.
    http://www.youtube.com/watch?v=fjrkRu4gyz8
    [Anm.: Das 'Anonymous'-Template wird gelegentlich auch von Anhängern verschiedener Verschwörungstheorien (Stichwort „Illuminati“) verwendet.]



    Das Wachstum des ‚Anonymous‘-Aktivismus schafft auch Herausforderungen:


    http://www.youtube.com/watch?v=CVn9EjD0joM


    Ein Aufruf von Januar 2013 an die Aktivisten: Neueinsteiger, die nicht per se Hacker sind, müssen handwerklich besser eingearbeitet werden. Die vorhandenen Kräfte müssen fokussiert werden auf die wichtigsten Ziele, damit die Aktionen auch weiterhin Wirkung zeigen.



    Dieser Aufruf, der ganz offensichtlich versucht, die Kräfte zu bündeln, erschien im Mai 2013:


    http://www.youtube.com/watch?v=_ZKEXK4ueFY



    Auch in anderen Ländern wird das ‚Anonymous‘-Template benutzt, und man kündigt nichts weniger als die Revolution an.


    http://www.youtube.com/watch?v=oTHS6oCyu6I


    Es ist alles auf Englisch. Sorry for that!



    Ein paar unfertige Gedanken:


    Hacker besitzen in der Regel vermutlich keine Produktionsmittel, und sind somit Lohnarbeiter oder freie Selbstständige. Sie haben aber einzigartige
    Möglichkeiten, Produktionsmittel zumindest punktuell und temporär zu sabotieren oder gar zu kontrollieren. Die Kapitalisten können dies nicht verhindern,
    sondern, wenn überhaupt, nur bestrafen lassen. Sie haben darüber hinaus die einzigartige Fähigkeit, Kommunikationskanäle auch unter widrigen Umständen aufrecht zu
    erhalten, und sie arbeiten offensichtlich daran, diese Expertise zu verstreuen. Darin steckt meiner Auffassung nach ein revolutionäres Potential.


    Aus dem Kommunistischem Manifest:
    „In welchem Verhältnis stehen die Kommunisten zu den Proletariern überhaupt?
    Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den andern Arbeiterparteien.
    Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen.
    Sie stellen keine besonderen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen.
    Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, daß sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andrerseits dadurch, daß sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten.
    Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus.“


    Wieviel von dem, was hier über Kommunisten behauptet wird, trifft eigentlich nicht auf ‚Anonymous‘-Aktivisten zu?


    Diese Frage ist nicht rhetorisch gemeint.


    Gruss,
    Antonio

  • Hallo Antonio,


    leider lässt mein lahmer Netzzugang Videos kaum zu, Englisch wäre nicht das Problem.


    Wikileaks und Anonymous haben mit Sicherheit ein gewisses Potential, dem "System" einige Probleme zu bereiten. Allerdings - zu deiner Frage - sehe ich bei diesen Gruppen Folgendes nicht:


    "sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die
    Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der
    proletarischen Bewegung voraus.“

    Was aber auch auf viele andere Gruppen zutrifft, welche sich sogar "kommunistisch" auf die Fahnen geschrieben haben, ohne diesem Anspruch gerecht werden zu wollen oder zu können.


    Da Anonymous oder Wikileaks (und ähnliche) jedoch nicht mit einem theoretischen Anspruch angetreten sind, kann man ihnen diesen "Mangel" schwerlich vorwerfen.


    cu
    renée

  • 'Parteien sind out' halte ich fuer nonsens. Wir wissen, man benötigt einen hohen Organisationsgrad, um Forderungen durchzusetzen, Aufbau- und Verteidigungsstrukturen zu schaffen. Letzteres kann jedoch auch mit ökonomischem Druck erreicht werden, ich denke dazu braucht man nicht zwangsläufig Milizen. Ich finde viele Entwicklungen haben in der Geschichte bewiesen wie wichtig es ist eine proletarische Partei zu haben (Spanien 1939 o. die Pariser Commune zeigten bspw. die Auswirkungen dessen Fehlen), die in der Lage ist, die breite Masse der Lohnarbeiter um sich zu scharen, zu organisieren und zentralisieren.

  • Organisationsgrad und Parteien in einen Topf zu werfen, halte ich für fatal!


    Was ist denn eine Partei, was macht sie aus, wozu ist sie da?!


    Ja, eine Partei (unter vielem anderen) zentralisiert und kanalisiert - sie instrumentalisiert auch.
    Genau das kann aber wenigstens ich überhaupt nicht gebrauchen, damit komme ich nämlich mE (meiner Erfahrung, meines Wissen und meines Gewissens) niemals in einer freien Gesellschaft an, nicht mal unbedingt in einer freiheitlichen - und schon die hätte ich gern vom s.g. Hals.


    An wen werden denn oder sollen denn Forderungen gestellt werden?
    Was macht 'der' dann für wen?
    Und warum?
    Weil da 'jemand' vielleicht weniger nett Forderungen gestellt hat?
    Was gäbe es dann zu verteidigen?
    Das einstmals Eingeforderte, was da einer für andere macht?


    @ Matou-San - bei dem "ökonomischen Druck" da bin ich ganz auf Deiner Seite, was da Parteien und Forderungen allerdings zu suchen haben, entzieht sich meiner Vorstellung.
    Sei so nett und erkläre es mir bitte.


    Liebe Grüße - Wat.

  • Mit Organisationsgrad meinte ich nur, das die Arbeiter besser organisiert sein muessen als die Unternehmer. Ich weiß jetzt nicht ganz was du unter kanalisieren und instrumentalisieren verstehst, ich finde jedoch das Politik und Unternehmen immer gewisse Strukturen auf lange Sicht missbrauchen koennen. Es gibt in allen Belangen stets Pro's und Kontra's, deshalb ist nicht jedes Instrument von vornerein schlecht. Nehmen wie die Gewerkschaften als Beispiel. Nachdem die Arbeiter im frhen 19. Jhdt. herausgefunden hatten das mit der Zerstoerung von Betriebsanlagen (Maschinenstuermer) und Genossenschaften das Lebensniveau der breiten Schichten der Arbeitswelt nicht zu Freiheit und Wohlstand (ich hasse dieses Wort) fuehrt, ist man doch schnell zu den Gewerkschaften gekommen. Man hatte zu jeder Zeit auch immer mit Leuten zu kämpfen, die eher den Unternehmern zuarbeiteten und die Bewegung spalteten, aber es war dennoch ein gutes Instrument, um bspw. auf große Arbeitermassen zu treffen, sie zu erziehen und zu organisieren, z. B. fuer Streiks - ein Erfolgsrezept der Bolschewiki. Nach dem 2. WK haben die Stalinisten dann genau darauf geachtet, das man die Arbeiter mit den neuen Gewerkschaften auch steuern kann (z. B. mit Schlichtungsstellen oder der Friedenspflicht). Dennoch halte ich es für ein wichtiges Instrument. Das gleiche gilt für Parteien. Mit einer großen soz. Partei kann hoher ökonomischer Druck aufgebaut werden (Organisierung von Streiks) oder es werden Lesekreise gebildet, um das politische Verständnis zu fördern. Wenn die Arbeiter sehen das eine soz. Partei die politische Situation richtig einschätzen kann und ihnen ein politisches Programm gibt, anstatt sie rumzukommandieren, können wir uns ihre Autorität sichern. Das ist m. E. wichtig um ihr Vertrauen zu gewinnen. Es ist fuer mich auch nicht sonderlich sinnvoll komplett auf Reformismus zuverzichten und zu sagen, nein, ich will den Sozialismus als Vorbedingung des Kommunismus und lehne daher jegliche Refirmarbeit ab. Natuerlich guckt man wo man in der augenblicklichen Situation die Lage der Arbeitenden verbessern kann, Forderungen von Mindestlohn, einer existenzsichernden Rente oder die Offenlegung der Geschaeftsbuecher (damit wir sehen ob wirklich kein Geld vorhanden ist), um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wenn es die Situation zulaesst sollten wir auch fuer einen BR kämpfen (auch wenn wir wissen dass die Sozialpartnerschaft bullshit ist). Einerseits um unsere Interessen besser durchzusetzen zu können und andererseits um den Beschaeftigten zu beweisen wie Firmen darauf reagieren, zeigen das Firmeninteressen und Arbeiterinteressen auf kein Gramm vereinbar sind.


    Schönen Gruß Matou

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