Kurzer Bericht vom Treffen von AnarchistInnen in Bochum (01.12.2012)

  • verfasst von Robert Schlosser(R), 03.12.2012, 13:11


    Anwesend waren gut 20 Leute. 5 davon ältere, der Rest junge Leute. Das war schon mal sehr erfreulich. Teils reräsentierten die Anwesenden kleinere Gruppen aus verschiedenen Städten im Ruhrgebiet.


    Erst gab es noch einmal eine kurze Vorstellungsrunde, in der ich ein paar Sätze mehr sagen musste. Vor dem Treff hatte ich nämlich per Mail angefragt, ob solche „Marxisten“ wie ich überhaupt erwünscht seien. Das wurde mit ja beantwortet und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um ein offenes Treffen handele. Da aber einer der Organisatoren ein älterer, mir bekannter Aktivist aus Bochum war, hatte der mich einigen anderen als „Alt-Stalinisten“ angekündigt. Das habe ich in meiner Vorstellung „geklärt“ und dabei auch die Gelegenheit ergriffen, auf unser Bochumer Programm zu verweisen. (Das habe ich dann später auch noch für Interessierte in einigen Exemplaren ausgelegt.)


    Der Vorstellungsrunde folgte eine längere Präsentation, die über den Stand der Bemühungen um Vernetzung von AnarchistInnen informierte (regional, national und international).
    http://www.a-netz.org/
    Die „Anarchistische Föderation Rheinruhr“ besteht aus kleinen Initiativen westliches, mittleres und östliches Ruhrgebiet, die jeweils mehrere Städte umfassen, und einer Initiatve in Köln.
    http://afrheinruhr.blogsport.de/


    Der Vorstellung der organisatorischen Ansätze mit kurzen Berichten von den Initiativen (soweit anwesend) folgte die Präsentation eines 2. Entwurfs für einen „Grundsatztext“, indem gemeinsame Grundanschauungen formuliert werden sollen.


    Zum Schluss folgte noch ein Bericht über den Stand der Vorbereitungen zur anarchistischen Demo in Mannheim (22. 12. 2012), die unter dem Motto steht: „There ist no Alternative – Kapitalismus überwinden! Für eine solidarische, herrschaftsfreie Gesellschaft“.
    In dem Bericht wurde auch noch einmal deutlich, dass im Südwesten deutlich mehr anarchistische Kräfte aktiv sind, als etwa im Ruhrgebiet. Die Gegensätze unter den verschiedenen Richtungen des Anarchismus seien jedoch auch dort sehr groß. Positiv wurde hervorgehoben die Zusammenarbeit mit dem „Ums Ganze“- Bündnis, mit dem es einige Gemeinsamkeiten gebe.


    Im Verlauf des Nachmittags gab es mehrere kürzere Diskussionen:
    a) zum Verhältnis zu sich kommunistisch nennenden Kräften (in diesem Zusammenhang habe ich auch ein paar kurze Infos/Einschätzungen zur Initiative NAO gebracht, die allgemein vollständig unbekannt war!)
    b) zur Frage militanter Aktionen grundsätzlich und während der Demo in Mannheim.


    Anmerkungen zu diesen Diskussionen:
    Was mir gefallen hat, ist u.a. die – ich nenne es mal verantwortliche - Art wie hier über Militanz und Gewalt gesprochen wurde oder die grundsätzliche Kritik an bürokratisch-zentralistischer Organisation. „Strengster Zentralismus und eiserne Disziplin“ (Lenin), diese Garanten des bolschewistischen Erfolgs, von deren „freiwilliger“ Einhaltung heutige Leninisten noch immer träumen, ist eine Gruselvorstellung für AnarchistInnen, wie sie hier versammelt waren. „Antizipation“ von Herrschafts- und Gewaltfreiheit im Kampf gegen den Kapitalismus ist für sie selbstverständlich. Eine „wissenschaftliche“ begründete Notwendigkeit für „strengsten Zentralismus und eiserne Disziplin“ stößt hier zu Recht auf taube Ohren, weil beides sozialer Emanzipation nicht eben förderlich ist. Wie aus der Geschichte bekannt, ist das Erfolgsrezept des Bolschewismus denn auch eine sehr praktische Möglichkeit für Minderheiten, fehlende Mehrheiten zu ersetzen, bzw. sich an die Stelle dieser Mehrheiten zu setzen. ;-)


    Während einer Pause konnte ich mich kurz mit 3 Leuten austauschen. Gemeinsamer Tenor: die blödsinnige Feindschaft zwischen AnarchistInnen und KommunistInnen überwinden. Soweit das kurz angesprochen werden konnte, waren wir uns auch einig, wo die Grenzen einer neuen Verständigung liegen. (Ich bin der Überzeugung, dass zwischen den leninistisch-trotzkistischen Trägern der NAO-Initiative und diesen AnarchistInnen so gut wie gar nichts geht, auch wenn einige der NAO-Leute das gerne möchten.)


    Abschließend:
    Es wurde nicht über das Bochumer Programm diskutiert. Aus meiner Sicht ist das auch nicht verwunderlich. Worum die Leute ringen und womit sie beschäftigt sind, ist das Selbstverständnis der AnarchistInnen und der Versuch gemeinsam nach außen aktiv zu werden. Da geht es ihnen grundsätzlich nicht anders, als anderen Richtungen innerhalb der radikalen Linken.
    Ich habe mich in den Email-Verteiler aufnehmen lassen und wurde, wie alle, um ein Feedback gebeten. Das habe ich geliefert. Es sah so aus:


    Hallo ...,
    als altender "marxistischer Gast", der die historisch überkommene Feindschaft zwischen Anarchismus und "Marxismus" (ein wie ich finde mehr und mehr nichtssagender Begriff) ziemlich bescheuert findet, will auch ich ein kurzes Feedback geben.
    Zunächst hat es mich sehr gefreut, dass 3/4 der Versammelten jung waren (vom Alter her fast meine EnkelInnen sein könnten ;-)).
    Euer Bestreben, die AnarchistInnen zusammenzuführen, zu organisieren, um eine gemeinsame politische Arbeit in Angriff zu nehmen, finde ich gut. Ich hoffe, es gelingt euch, dabei auch eine andere (produktive, an der Sache orientierte) Streitkultur zu entwickeln, die sich nicht in fruchtlosen "Richtungskämpfen" erschöpft. Ich hoffe außerdem, dass ihr dabei ständig über den Tellerrand schaut und aufmerksam prüft, mit wem man sonst noch zusammenarbeiten kann. Mein Eindruck von eurem Treffen war, dass ihr in dieser Richtung arbeiten wollt, was ich sehr sympathisch finde!
    Außerdem bin ich gespannt, wie eure Diskussion um programmatische Grundlagen weitergeht (Grundsatztext). Vielleicht wird es dann irgendwann auch möglich über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen uns zu diskutieren. (Spätestens dann, wenn ihr mit dem Grundsatztext, eurer Selbstverständigung, fertig seid.)
    Ich verlinke hier abschließend für Interessierte noch einmal das "Bochumer Programm", dass auch eine praktische Brücke schlagen will zwischen AnarchistInnen und "MarxistInnen", vielleicht sogar eine ganz pragmatische Perspektive bietet für die Überwindung der Gegensätze zwischen AnarchosyndikalistInnen und Anhängern des libertären Kommunalismus, für den ich viel Sympathie hege. (Das ist wie gesagt kein Grundsatztext, sondern der Vorschlag für ein ganz praktisches Programm, das Wege für eine praktische Zusammenarbeit eröffnen könnte.)


    http://www.marx-forum.de/sozialismus/Bochum.pdf


    Viele Grüße und viel Erfolg
    Robert


    p.s. Ich hoffe, die UnterzeichnerInnen des Bochumer Programms sind mit dieser Stellungnahme einverstanden. ;-)


    Link zum alten Forum:
    http://marx-forum.de/diskussion/forum_entry.php?id=7906&page=3&category=0&order=time

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