Das "Wir" entscheidet?

  • Welche "wir" sollen das denn sein, die heute und derzeit sich in alles mögliche fügen müssen, morgen aber schon Grundgesetze umschreiben und die Verhältnisse neu einrichten? Und bis dahin Schaden von "sich" abwenden müssen, weil sie mit dem grossen Umsturzwerk noch nicht begonnen haben?


    Es zeichnet Kommunisten sogar nach deiner Definition aus, dass sie kaum Stoff für Entscheidungen sehen, die NICHT bloss jeder für sich treffen kann, vielmehr haben sie ein dramatisch zugespitztes Urteil darüber, wie nötig es ist, Entscheidungen im Konsens (so die libertären unter den Kommunisten, die Kommunalisten) auf gesellschaftlicher Stufenleiter zu treffen. Und nun schau UNS winzige Gruppe derer an, die hier im Forum schreiben: Jenseits der Befürwortung dieses Prinzips haben wir auf Anhieb so unendlich viel Meinungsverschiedenheiten, dass wir kaum nachkommen damit, sie überhaupt erst aufzulisten und uns klar zu machen. Die Konflikte liegen dabei nicht im Prinzip "ich will für mich x, müsste aber im Interesse aller y wollen...", sondern in der Unvereinbarkeit der aktuellen Inhalte der Entscheidungen, die "ich für uns alle" befürworte.
    In DIESER Hinsicht unterscheiden wir uns nicht einmal von andern politischen Gruppen, allenfalls in der Sorgfalt und langfristigen Haltbarkeit der Resultate unseres Verständigungsprozesses, wenn wir denn je welche finden werden. Eins aber ergibt sich aus der "libertär-kommunistischen" Gemeinsamkeit immerhin: Die politischen Aufgabenstellungen, die die andern zu lösen versuchen, sind nicht unsre. Wenn grössere Gruppen oder Teile der Gesellschaft sich plötzlich auf unseren Standpunkt stellen würden, müsste man eventuell überlegen, welche Art vorläufige Notprogramme für die Zeit der Verständigung man einrichtet. Aber davon sind wir unendlich weit entfernt, die libertären Kommunisten gehören derzeit wahrscheinlich zu den winzigsten unter allen winzigen politischen Minderheiten.


    The post was edited 1 time, last by franziska: Beitrag kopiert und verschoben. Namentlicher Bezug auf Roberto gelöscht. ().

  • [font='Times New Roman, Times, Georgia, serif']Welche "wir" sollen das denn sein, die heute und derzeit sich in alles mögliche fügen müssen, morgen aber schon Grundgesetze umschreiben und die Verhältnisse neu einrichten? Und bis dahin Schaden von "sich" abwenden müssen, weil sie mit dem grossen Umsturzwerk noch nicht begonnen haben?


    Hallo Franziska,
    ich habe mir erlaubt, mit deiner Antwort an Roberto einen neuen Thread aufzumachen, weil in deinem Text wertvolle Fragen und Anregungen stecken. :thumbsup:


    Zur ersten Frage: Von welchem "Wir" können und dürfen wir ausgehen? Ich glaube, da sollte man ruhig klein anfangen. Die übliche "linke Tour" (ist das Polemik? :huh: ) sieht so aus: Irgend ein Führungskader, vielleicht sogar ein Kaderzirkel denkt sich zu irgendeinem Anlass eine Aktion aus. Das wird dann der "Gefolgschaft" als Beschluss vor die Nase gesetzt. Und falls diese Aktion die Beteiligung von "Massen" (schreckliche Bezeichnung für eine unerfreuliche Sache! :cursing: ) vorsieht, dann wird "mobilisiert". Die Mobilisierung sieht meist so aus, dass nicht mit Sachargumenten, sondern mit mehr oder minder subtilem moralischen Druck gearbeitet wird: "Schreckliche Sache! Kommt alle! Tut was!" etc.
    Ich denke, diese Vorgehensweise widerspricht dem emanzipatorischen Anspruch. Ich meine, die Sache muss umgekehrt angepackt werden: Man/wir müssen immer erst Sachargumente, Daten, Beweise sammeln. Das kann man allein oder in der Gruppe tun. Diese Sachargumente, Daten, Beweise wären in dem Personenkreis zu streuen, die man ansprechen will, bzw. die von dem Konfliktpunkt betroffen sind. Dann wäre als nächster Schritt ein öffentliches und gemeinsames "Assessment" angesagt, bei dem die Fakten und Daten beurteilt und eingeschätzt werden. Auf diesem Assessment wäre gemeinsam zu überlegen, was "wir", die hier Versammelten, tun können. Möglicherweise kommen dabei Vorschläge, an die Linke längst nicht mehr denken: Gemeinsames Schreiben an einen Stadtverordneten oder an den Betriebsrat. Gemeinsamer Besuch beim Stadtverordneten oder Betriebsrat etc.
    Möglicherweise kommt man zu dem Schluss, dass "wir" nichts tun können oder nichts tun wollen. Dann haben - so meine ich - die Beweise und Daten nicht ausgereicht und waren nicht überzeugend genug. Falls das "Wir" etwas zu tun findet, dann tun das die "Wir", die dieses Tun beschlossen haben.


    Es zeichnet Kommunisten sogar nach deiner Definition aus, dass sie kaum Stoff für Entscheidungen sehen, die NICHT bloss jeder für sich treffen kann, vielmehr haben sie ein dramatisch zugespitztes Urteil darüber, wie nötig es ist, Entscheidungen im Konsens (so die libertären unter den Kommunisten, die Kommunalisten) auf gesellschaftlicher Stufenleiter zu treffen.


    Diese Anforderung, Entscheidungen auf Grund von Bewusstheit und Klarheit und (möglichst) im Konsens zu treffen, wäre durch diese Vorgehensweise eingehalten.



    Und nun schau UNS winzige Gruppe derer an, die hier im Forum schreiben: Jenseits der Befürwortung dieses Prinzips haben wir auf Anhieb so unendlich viel Meinungsverschiedenheiten, dass wir kaum nachkommen damit, sie überhaupt erst aufzulisten und uns klar zu machen. Die Konflikte liegen dabei nicht im Prinzip "ich will für mich x, müsste aber im Interesse aller y wollen...", sondern in der Unvereinbarkeit der aktuellen Inhalte der Entscheidungen, die "ich für uns alle" befürworte.


    Ja, da hast du völlig recht. Das ist unsere Situation. Ich sehe diese Situation aber nicht so negativ. Auch das Marx-Forum ist ein ständiges Assessment, das öffentlich ist und prinzipiell für alle zugänglich. Ja, wir kommen nicht oft zu gemeinsamen Einschätzungen. Das ist wahr. Deshalb ist noch ein weiter Weg, bis sich einige Diskutanten im Marx-Forum vielleicht auf ein gemeinsames Tun einigen werden, das über diese theoretische, verbale Arbeit hinausgeht. Das positive ist aber: Wir lassen das gemeinsame Assessment zu. Wir lassen zu, dass andere uns kritisieren. Und wenn wir andere kritisieren, dann bemühen wir uns, die anderen nicht durch unsere Kritik zu verletzen. Das ist sehr wenig, wenn wir auf die Aufgaben schauen, die vor uns und allen Linken stehen. Das ist schon viel, wenn man sich die anderen Linken anschaut. Die allermeisten Linken sehen sich untereinander als Konkurrenten, die niedergemacht werden müssen. Die allermeisten Linken sind auf Krawall gebürstet und nicht bereit zu sachlicher Diskussion. Dann liegt es nur nahe, dass sie die sachliche Diskussion mit Nichtlinken gar nicht können, selbst wo sie es wollen.
    Dass Robert zum Beispiel aus dem Marx-Forum ausgestiegen ist, muss an inhaltlichen Differenzen zwischen mir und ihm gelegen haben. Neben diesen Differenzen gab es und gibt es aber sehr viele Gemeinsamkeiten zwischen mir und Robert. Wieso müssen jedoch inhaltliche Differenzen zum Abbruch der Diskussion führen?? ?(
    Jedenfalls haben wir (Robert und ich) es nicht geschafft, unsere Gemeinsamkeiten an erste Stelle zu rücken, und die Differenzen entweder auszuhalten oder sachlich zu klären.
    Wo Robert und ich einer Meinung sind: Der wichtigste Schritt VOR jeder Revolution und vielleicht der wichtigste Schritt ZUR Revolution ist die Wiederaneignung der Sozialversicherungskassen, die von Bismarck aus den Händen der Arbeiterbewegung geraubt worden sind - ist die Selbstverwaltung der Versicherungskassen (auf kommunaler Ebene).
    Kleinere Schritte dorthin wäre die Rekommunalisierung und Demokratisierung von Energie-, Wasser-, Transportwesen etc. Das wird in der einen oder anderen Kommune vorgemacht, andere können es dann nachmachen. Das sind Schritte und Wege in die Emanzipation, so dass die Lohnabhängigen oder das Volk über die Bedingungen ihrer Existenz ein Stück weit selbst entscheiden können. Nur wenn die Lohnabhängigen solche emanzipatorischen (Selbstverwaltungs-)Schritte erfolgreich absolviert haben, werden sie den Mut und das Selbstvertrauen haben, die Steuerung der gesamten Ökonomie in ihre Hände zu übernehmen.



    In DIESER Hinsicht unterscheiden wir uns nicht einmal von andern politischen Gruppen nicht, allenfalls in der Sorgfalt und langfristigen Haltbarkeit der Resultate unseres Verständigungsprozesses, wenn wir denn je welche finden werden. Eins aber ergibt sich aus der "libertär-kommunistischen" Gemeinsamkeit immerhin: Die politischen Aufgabenstellungen, die die andern zu lösen versuchen, sind nicht unsre. Wenn grössere Gruppen oder Teile der Gesellschaft sich plötzlich auf unseren Standpunkt stellen würden, müsste man eventuell überlegen, welche Art vorläufige Notprogramme für die Zeit der Verständigung man einrichtet. Aber davon sind wir unendlich weit entfernt, die libertären Kommunisten gehören derzeit wahrscheinlich zu den winzigsten unter allen winzigen politischen Minderheiten.

    [/quote]
    Auch das sehe ich weniger pessimistisch. Jeder einzelne Mensch fühlt sich ja einzig, jedes Individuum kämpft um Verständnis und Anerkennung, jedes Individuum fühlt sich missverstanden oder unverstanden. Das gehört zum Leben. Insofern ist da nichts Besonderes an unserer linken Denkweise. Andererseits hat jede linke Strömung irgendwo einen richtigen Gesichtspunkt, der das Linkssein lohnenswert oder unterstützenswert macht. Was so an Forderungen und Zielen vorkommt: Arbeitszeitverkürzung, Räte, Frieden, Umweltschutz etc. Insofern sind wir ein paar Wassertropfen in einem linken Rinnsal, das einmal ein Strom werden will.


    Gruß Wal

  • Tja, Wal, wie könnte ich dir nicht recht geben, nachdem du vorher schon mir so schön rechtgegeben hast :thumbsup:
    Aber lass mich einen alten Lieblingspunkt von mir hinzufügen, der gerade noch gefehlt hat:
    Das sorgfältige, das systematische "assessment", die gemeinsame Prüfung, Erwägug aller Gesichtspunkte und die zwanglose gemeinsame Einschätzung (das alles sehe ich in dem Begriff enthalten) - sie enthalten, je umfangreicher sind sind, desto mehr auch Gemeinsamkeiten mit solchen, die ursprünglich nicht hier geschrieben haben. Und entweder sie lesen es hier, oder lassen es sich von uns hier oder anderswo wiederholen: Jedenfalls bietet das möglichst rationale, sorgfältig-erwägende Durcharbeiten des uns allen gemeinsamen Erfahrungs- und Problembestands immer auch eine gewisse Gewähr, dass sich viel mehr Leute am Ende dem anschliessen können, als urspürnglich die Sache unter sich ausgemacht haben. Da ist die Winzigkeit fast schon wieder ein Vorteil...


    (Und damit Wat hier nicht wieder Bevormundung wittert, verweise ich nochmal auf die wichtige Unterscheidung zwischen jenen Äusserungen, die wirklich nur jeder allein machen kann, und solchen, die sich auf (potentiell) gemeinsame "assessments", Einschätzungen, beziehen: Gemeinsam sind sie natürlich NUR so weit und so lang, wie man zwanglos darüber verständigt ist und alle ihre Gesichtspunkte jetzt oder später einbringen konnten und können.)

  • Hallo Franziska, hallo Alle,


    von einem Leser wurde ich per Email darauf hingewiesen, dass der politische Verein Klartext e.V. in der von mir beschriebenen und vorgeschlagenen Art und Weise (erst gemeinsames Assessment, dann und daraus gemeinsame Aktion) schon länger vorgeht und arbeitet.
    Diesen Hinweis gebe ich gerne weiter. Nicht ohne Grund ist dieser Verein auf der Startseite des Karl-Marx-Forums verlinkt.


    Gruß Wal

  • MÜSSEN "unsere Weggefährten" (blöder Ausdruck, fällt mir grade nix passenderes ein) eigentlich unbedingt ausgemachte "Linke" sein, die sich als solche sehen?


    Da mir Homogenität nicht so liegt, schaue ich oft auch in recht "exotischen" Blogs und Foren herum. Es gibt auch andere Menschen, deren Selbstbild nicht unbedingt das eines "Linken" oder gar "Kommunisten" ist, aber deren Wunsch es ist, in einer "besseren Welt" zu leben. Deren Vorstellungen, wie diese auszusehen hätte oder zu organisieren wäre, unterscheidet sich kaum von dem, was hier diskutiert wird. Da sind Leute dabei, die z.B. vielleicht als "Esospinner" gesehen werden oder ähnliches.


    Sind solche Leute und Gruppen von vornherein außen vor?


    cu
    renée

  • Genau das hab ich auch beobachtet, man kann allenfalls sagen, die Gewichte sind anders verteilt: Während man hier aus der Kollektivität und ihrer Ausweitung das Zentralthema macht, ist es dort eher die ("alternative", aber eben auch "kommunistische") Lebensweise der "Gemeinschaften", die im Mittelpunkt steht.
    Als wichtigsten Überschneidungspunkt sehe ich dabei die BEDÜRFNISORIENTIERUNG dieser kollektiven Lebenseinrichtung, von der ausgehend sich das Verhältnis zu Natur und Andersdenkenden (die man irgendwann gewinnen möchte) von selbst ergibt. Je mehr hingegen andere Zielsetzungen mit im Spiel sind, zB eine Neu-Organisation der bestehenden industriellen Produktion, unter Verwendung von deren Technologien hoher und höchster Produktivität, wo die letztere für unverzichtbar erklärt wird, egal, was dafür im Leben der Produzenten geopfert wird - da entwickeln sich Überzeugungen auseinander. Und das gilt für die Gegenseite genauso: Wenn da Glaubensbotschaften umgesetzt und verbreitet wwerden sollen, jenseits der privaten Lebenseinrichtung, dann spalten sich die Lager, und wedren immer unverträglicher.
    Also: Alle Leute, die sich bedürfnisorientiert mit andern zusammentun wollen, passen vermutlich zusammen, egal aus welchem ideologischen Lager sie ursprünglich stammen.


  • Hallo renée
    Hallo franziska


    Nix außen vor, sie sind herzlich eingeladen.


    Ja, ich 'nehme' auch den Bürgerlichen, der den Stadtpark nicht wegen eines Parkplatzes plattgemacht haben will, den LKW-Fahrer, den 'nur' der x-te Kreisverkehr auf der Straße 'stinkt' und die Mutti oder Vati, denen die Schulspeisung und der Unterrichtsausfall quer liegt :thumbsup:


    Liebe Grüße - Wat.

  • Hallo Wat,
    das ist auch meine Meinung, da spätestens die Anti-AKW Bewegung gezeigt hat, dass die Klassenzugehörigkeit nicht unbedingt Aufschluss darüber gibt, ob jemand im Recht ist oder nicht. Die Frage ist aber, in welchem Zusammenhang kann man gemeinsam handeln? Und Tatsache ist leider, dass es da im Moment in der >BRD< nur Kleinkämpfe gibt, die jede Gruppe für sich ausficht und daher alle bequem vom bekannten Unwesen ("Staat") niedergehalten werden können. Ich möchte nur mal die Autonomen als Beispiel anführen. Die sind praktisch bundesweit da, sie kapieren aber nicht, dass sie dann, wenn sie diese Kapazität nutzen, um bundesweit einheitlich aufzutreten (sei es durch Flugblätter, sei es durch eine Zeitung), zu einem politischen Faktor werden, der wahrgenommen wird (es gibt nämlich nicht viele Organisationen, die das können: Parteien, Kirchen, Sozialverbände, Gewerkschaften, das war's). Bei den anderen Linken ist es teilweise noch schlimmer, weil es eben nicht darum geht, das Ausbeuterregime zu stürzen, sondern darum, die eigenen Gruppeninteressen aufrecht zu erhalten. Das ist in gewisser Weise wie die Kleinstaaterei vor der bürgerlichen Revolution und ich vermute, dass es da irgend einen Zusammenhang gibt. Leider hat die bürgerliche Revolution in Deutschland gezeigt, dass unter solchen Voraussetzungen eine Revolution nicht siegreich sein kann. Ich glaube ehrlich gesagt nicht mehr, dass sich diese Zustände hier jemals ändern werden.

    "So Ihr aber begehrt, ein wahrer Mann der Wissenschaft zu werden und nicht nur ein schäbiger Handlanger und Experimentator, so beherzigt meinen Rat und beschäftigt Euch mit sämtlichen Zweigen der Naturwissenschaft, einschließlich jenes der Mathematik" (Mary W. Shelly: Frankenstein)

  • Newly created posts will remain inaccessible for others until approved by a moderator.