Klassenanalyse- verschwindet der Kapitalist

  • Hallo,
    in einer kleinen Diskussion hier:
    ab
    http://www.neustadt-ticker.de/…baeume-weg/#comment-36776


    kam eine kleine Diskussion zur "Klassenfrage" auf, in deren Verlauf bei mir einige Unsicherheiten aufkamen:
    1. Abgrenzung Manager-Kapitalist: Manager als Lohnarbeiter via Empfang von Lohn, als Kapitalist via Kommando über fremde Arbeit?
    2. Kapitalist als "personifiziertes Kapital" wir via AG nach und nach überflüssig, Eigentümer (Aktienbesitzer) ohne Kommandogewalt, Manager als Kommandierende ohne Eigentum? Gibt es dann noch die Klasse der "Kapitalisten" oder am Ende nur noch das Kapitalverhältnis und gg. wen würde in diesem Fall der Klassenkampf geführt?
    (und wenn der "Kapitalist" als Person "verschwindet", gibt es analoges beim "Arbeiter" (wie sähe das aus? was käme da raus?))
    3. Der Lohnempfänger (Arbeiter) als Aktienbesitzer: sicher (noch?) nicht in relevanter Größenordnung, aber die Tendenz (wenn es denn überhaupt eine ist) zu etwas breiterer Streuung es Aktienbesitzes, abgesehen von Einflüssen auf's "Klassenbewußtsein" (Interessen-Widerspruch zw. Lohnarbeit und Kapital in einer Person vereint), was gäb's noch f. denkbare Konsequenzen (falls das "Szenario" überhaupt realistisch ist)?







    (ähnlich auch hier:
    http://www.neustadt-ticker.de/…llt-werden/#comment-36877
    ab 19. August 2013 um 15:29

  • Hallo Seldon,


    laß Dich nicht kirre machen ;-)


    Ein Kapitalist ist jemand, der von fremder Arbeit (ausschließlich) leben kann.


    Ob er diese fremde Arbeit selbst kommandiert ist unerheblich und war schon im 19. Jh. viel an beauftragte Manager delegiert. Weil jemand Anteilseigner an einem Kapital ist (AG), ist er in seiner (eigenen und einzelnen) Lebensstellung noch lange kein Kapitalist, es sei denn, er wäre an so vielen oder so hoch beteiligt, daß er davon (nur davon) leben kann.


    Was den Manager betrifft, so ist er im Unternehmen Lohnarbeiter und Kapitaldiener, aber ob er in der Gesellschaft Lohnabhängiger oder Kapitalist ist, entscheidet seine Gesamtsituation. Oft haben diese Manager (aber eben nicht immer) so viele und so hohe Unternehmensbeteiligungen und auch über ihre lohnabhängigen (nichtselbständigen) Einkünfte so viele Geldmittel 'übrig', daß sie sie als Kapital einsetzen und allein von diesem leben können - ist das der Fall - sind sie (gesellschaftlich) Kapitalist (und nur dann).


    Der Lohnempfänger, der den Lohn noch braucht, um sein (gesamtes) Leben zu bestreiten ist weiter eben lohnabhängig und wenn er einen Kapitalisten als Lohnabhängiger 'gefunden hat', der ihn einstellt, Lohnarbeiter.


    Die Trennung läuft nach der Stellung zu den Produktionsmitteln, danach, wovon das Leben bestritten werden kann.


    Btw. siehe bitte auch Kleinbürger/Kleinkapitalisten. Diese haben zwar oft auch fremde Arbeit 'in Nutzung', können aber noch nicht oder nicht mehr allein von dieser leben. Allein der Besitz/das Eigentum an Produktionsmitteln ist nicht die Kennzeichnung; wer für dieses arbeitet.
    Ist gar keine fremde Arbeit 'beteiligt' oder nur sehr wenige, daß es nicht für die gesamte Lebensgestaltung ausreicht, handelt es sich um 'Überbleibsel' vorkapitalistischer (eben noch nicht kapitalistischer) Produktionsweise.
    (Bauern, Handwerker, Ärzte, RÄ... also was wir heute so unter Freiberufler und kleine Selbständige fassen)


    Liebe Grüße - Wat.


    Der Kapitalist 'verschwindet' erst dann, wenn er keine fremde Arbeit mehr einstellen kann.
    1 - weil er sie nicht bezahlen kann
    oder
    2 - weil niemand mehr für Lohn (an seinem/n Produktionsmittel/n) arbeitet... was das nächste Faß aufmacht, hier stoppe ich erst einmal ;-)

  • Hallo Seldon,
    was Wat. dir schrieb ist durchaus richtig. Ich möchte noch darauf hinweisen, was dieses Verschwinden des Kapitalisten bedeutet.


    Bei Karl Marx heißt es: „In den Aktiengesellschaften ist die Leitungsfunktion des Kapitalisten getrennt vom Kapitaleigentum, also auch die Arbeit gänzlich getrennt vom Eigentum an den Produktionsmitteln und an der Mehrarbeit. Es ist dies Resultat der höchsten Entwicklung der kapitalistischen Produktion ein notwendiger Durchgangspunkt zur Rückverwandlung des Kapitals in Eigentum der Produzenten, aber nicht mehr als das Privateigentum vereinzelter Produzenten, sondern als das Eigentum ihrer als assoziierter, als unmittelbares Gesellschaftseigentum. Es ist andererseits Durchgangspunkt zur Verwandlung aller mit dem Kapitaleigentum bisher noch verknüpften Funktionen im Reproduktionsprozess in bloße Funktionen des assoziierten Produzenten, in gesellschaftliche Funktionen.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 453.
    Siehe im Karl-Marx-Lexikon: Aktiengesellschaften


    Im 19. und teilweise noch im 20. Jahrhundert verfügten die Kapitalisten noch über wichtige Kenntnisse und Fähigkeiten. Denk nur an die bekannten Namen: Krupp, Siemens, Benz oder auch Ford. Diese Leute haben selbst Erfindungen gemacht und technische Errungenschaften geschaffen. Wenn solche fähigen Leute in Aktiengesellschaft durch bezahlte Lohnarbeiter ersetzt werden, dann bedeutet das, dass alle Fähigkeiten und Kenntnisse, die die kapitalistische Produktionsweise benötigt, sich in den Händen und Köpfen der Lohnarbeiter befinden. Das nennt Karl Marx einen "Durchgangspunkt" zu einer selbstverwalteten und selbstbestimmten Produktionsweise.
    Die Kapitalisten sind aus dem Wirtschaftsablauf verschwunden. Sie haben ihre Funktionen im Reproduktionsprozess des Kapitals verloren. Aber sie sind nicht aus der Gesellschaft verschwunden. Als Kapitaleigner setzen sie die Manager ein und befehligen sie. Die Kapitalisten haben noch Macht, aber keine Funktion mehr.


    Was deine Frage nach dem Aktienbesitz von Lohnarbeitern angeht, so liegt die Zahl der privaten Aktienbesitzer in Deutschland bei gut 2 Millionen, reicht also nicht über die Klasse der Kapitalisten hinaus (siehe Grafik). Von welchem Geld sollen Lohnarbeiter auch Aktien kaufen, wenn ihr Lohn kaum zum Leben reicht?



    Gruß Wal

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