Hallo Leute,
bin im Netz auf die durchaus interessanten Ausführungen des ehemaligen Öko-Anarchisten und "Begründers" des so genannten Libertären Kommunalismus, Murray Bookchin, gestoßen. Wer mehr erfahren möchte, der folge den von mir angegebenen Link unten. Nach einiger Recherche bin ich der Meinung, dass der libertäre Kommunalismus (inzwischen in den USA nur noch Communalism genannt) die am Weitesten durchdachte Überlegung einer Demokratisierung und Kommunalisierung im Spannungsfeld zwischen marxistischer und anarchistischer Theorie darstellt (auch wenn Bookchin m.E. im klassisch anarchistischen Sinn die Marx'sche Theorie mit sozialdemokratisch-leninistischen Überlegungen oftmals in einen Topf wirft). Aber genug des vorausgehenden Blabla. Anschließend ein paar Ausschnitte, die ich für zitierungswürdig hielt, auch wenn ich jedem nur empfehlen kann den gesamten Text zu lesen.
Bookchin: Über weite Teile des 19. und fast der Hälfte des 20. Jahrhunderts waren die radikalen Ideologien in den Fabriken das altbewährte Zentrum einer vom Volk ausgehenden Macht; dort wurden die Kämpfe zwischen Lohnarbeit und Kapital ausgefochten. Die Fabrik als Ort der Machtfrage anzusehen, basierte auf der Ansicht, daß die industrielle Arbeiterklasse der hegemoniale Vertreter für einen radikalen gesellschaftlichen Wandel war und daß sie durch ihre eigenen Klasseninteressen "angetrieben" wurde, den Kapitalismus zu "stürzen" – um die Sprache des Radikalismus dieser Ära zu benutzen – meist durch bewaffnete Aufstände und revolutionäre Generalstreiks. Danach würde ein eigenes System der sozialen Verwaltung aufgebaut werden – entweder in der Form eines Arbeiterstaates (Marxismus) oder in Form von föderativen Betriebsräten (Anarchosyndikalismus). ...
Es existiert aber noch eine andere Tradition, die lange Zeit Teil des europäischen und amerikanischen Radikalismus war: der Ausbau einer libertären kommunalen Politik; einer neuen Politik, die in Kleinstädten, Stadtvierteln und Großstädten aufgebaut wurde und Bürgerversammlungen beinhaltete; eine freie Föderation von lokalen, regionalen und letztendlich kontinentalen Netzwerken. Dieses Modell, welches vor über einem Jahrhundert unter anderem durch Proudhon, Bakunin und Kropotkin (weiter)entwickelt wurde, stellt mehr als eine ideologische Tradition dar: Es tauchte wiederholt als zuverlässige und gängige Praxis bei den Comuneros im Spanien des 16. Jahrhunderts, der amerikanischen Städteversammlungsbewegung, die sich in den 1770er Jahren von Neu-England nach Charleston ausweitete, den Pariser Sektionsversammlungen der frühen 1790er Jahre und wiederholt in der Zeit zwischen der 1871er Pariser Kommune und der Madrider Bürgerbewegung in den 1960er und frühen 1970er Jahren auf. ...
Die Tatsache, daß die Sichtweise des libertären Kommunalismus unvereinbar mit der "Verstaatlichung der Wirtschaft" ist, welche nur die Rechtsbefugnis des Nationalstaates über die wirtschaftliche Macht bekräftigt, ist zu offensichtlich, um sie abzustreiten. Genauso wenig kann das Wort "libertär", wie durch die ultraliberalen Verfechter des freien Marktes (beispielsweise die Gefolgsleute von Ayn Rand und weitere) geschehen, benutzt werden, um Privateigentum und einen "freien Markt" zu rechtfertigen. Marx seinerseits zeigte eindeutig auf, daß der freie Markt zwangsläufig den oligarchischen und monopolistischen Markt mit unternehmerischen Machenschaften hervorbringt, der in jeder Hinsicht vergleichbar mit staatlicher Kontrolle ist und sich letztendlich dieser annähert. ...
Wirtschaftliche Demokratie als "Belegschaftsbesitz" und "Arbeitsplatz-Demokratie" neu zu interpretieren ist eine Hinterlist der Bourgeoisie, an der sich viele Radikale unbewußt beteiligen. Dieses führt so weit, daß wirtschaftliche Demokratie nicht mehr Freiheit von der Tyrannei der Betriebe, rationalisierter Arbeit und Planproduktion bedeutet, sondern die Beteiligung der Arbeiter am Gewinn und an der Betriebsführung, was normalerweise ausbeuterische Produktion unter Beteiligung der Arbeiter ist. ....
Der libertäre Kommunalismus stellt einen wesentlichen Fortschritt gegenüber all diesen Entwürfen dar, indem er sich für die Kommunalisierung sowie für die Führung der Wirtschaft durch die Kommunen als Teil einer Politik der öffentlichen Selbstverwaltung der Bürger ausspricht. Während die syndikalistischen Alternativen die Wirtschaft in selbstverwaltete Kollektive reprivatisieren und somit den Weg für deren Zerfall in traditionelle Formen des Privateigentums, ob nun im Kollektivbesitz oder nicht, ebnen, politisiert der libertäre Kommunalismus die Wirtschaft und bringt sie in Allgemeinbesitz. Weder Betriebe noch die Landwirtschaft werden als getrennte Belange innerhalb der kommunalen Gemeinschaft angesehen. Ebensowenig können Arbeiter, Bauern, Techniker, Ingenieure, Facharbeiter und dergleichen ihre beruflichen Identitäten von den allgemeinen Interessen der Bürger in der Kommune trennen. Das Eigentum ist als materieller Bestandteil des libertären institutionellen Rahmens, als Teil eines größeren Ganzen in die Kommune eingebunden und wird durch die bürgerliche Gesellschaft mittels Versammlungen kontrolliert, an denen die Menschen als Bürger teilnehmen, und nicht als Interessenvertreter einer berufsbezogenen Gruppe. ...
Zudem kann keine Kommune das Erreichen wirtschaftlicher Unabhängigkeit erhoffen oder sollte dies anstreben, es sei denn, sie hofft, abgekapselt und eingeschränkt zu sein, jedoch nicht autark. Daher ist es wichtig, daß die Föderation der Kommunen – die Kommune der Kommunen – sowohl wirtschaftlich als auch politisch in eine gemeinsame Sphäre von öffentlich verwalteten Ressourcen verändert wird. Gerade weil die Verwaltung der Wirtschaft eine öffentliche Handlung darstellt, wird sie nicht zu einem privatisierten Wechselspiel der Unternehmen, sondern entwickelt sich zu einem föderativen Zusammenwirken der Kommunen. Das bedeutet, daß die eigentlichen Elemente des sozialen Zusammenwirkens von realen, potentiellen oder privatisierten Bestandteilen zu institutionellen, realen, öffentlichen Bestandteilen ausgedehnt werden. Die Föderation wird per definitionem zu einem öffentlichen Projekt und dies nicht nur wegen der gemeinsamen Bedürfnisse und Ressourcen. Wenn es einen Weg gibt, die Entstehung eines Stadtstaates zu verhindern, ohne von eigennützigen, gutbürgerlichen "Kooperativen" zu sprechen, dann ist es die Kommunalisierung des politischen Lebens, welche so vollkommen ist, daß die Politik nicht nur die öffentliche Sphäre umfaßt, sondern auch die lebensnotwendigen materiellen Mittel.