Die dunkle Seite des Karl Marx!?

  • In der Onlinezeitung Scharf-Links, ist vor Kurzem ein Text über die "dunkle Seite" Marx, gemeint sind seine Äußerungen über das Judentum und sein (so dort dargestellter) Antisemitismus. Hier nachzulesen: http://www.scharf-links.de/49.0.html?&tx_ttnews%5Btt_news%5D=36997&tx_ttnews%5BbackPid%5D=56&cHash=29aa7f7225


    Ebenfalls wird behauptet, wäre Marx' Kritik an Herrschaft verkürzt, insofern er nur die Unterdrückung des Proletariats durch das Kapital kritisieren würde, Elemente wie patriarchale oder "diskursive Herrschaft" außen vor lassen würde.


    Was ist von alledem zu halten? Marx, ein zu entschuldigendes Kind seiner Zeit, oder ein antisemitisch gespeister dunkler Fleck seines Denkens?


    Grüße



    Mario Ahner

  • Eine recht gelungene Replik zum Antisemitismus-Vorwurf hier (wenn man's denn diskutieren will:
    http://www.wsws.org/de/articles/2002/05/marx-m24.html
    Zur Herrschaft sagt Husuma auf der verlinkten Seite Folgendes:
    "Ich wage zu behaupten, Marx hat zwar Kapitalismus kritisiert und die Unterdrückung eines Proletariats beklagt, jedoch nicht Herrschaft kritisiert. Marx möchte nämlich die existieren-den Missstände durch eine „Diktatur des Proletariats“ lösen. Wo bitte ist eine „Diktatur der Netten“ herrschaftskritisch? Genau. Gar nicht. Auch fehlt bei Marx eine Analyse von z.B. diskursiver Herrschaft. Marx findet ja, dass das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimmt. Also müsste sich nur die Produktion befreien, und alle sind frei. Alle Normungen, Zurichtungen, Rollenverhalten und Herrschaftselemente der kulturellen Grammatik hätten die Menschen dann über Nacht überwunden. Wer das jetzt verkürzt findet, hat begriffen, worauf ich hinaus möchte…"


    Da müßte man vllt. mal den link zum Marx-Lexikon Stichwort "Diktatur d. P." hinschicken...leider kann man auf der Seite gar nicht kommentieren...

  • Der Vorwurf des Antisemitismus sehr alt, diesen wird man aber im Werk von Marx und Engels nicht finden. Im Aufsatz "Zur Judenfrage" , eine Kritik auf zwei Schriften von Bruno Bauer, behandelt Marx die "Judenfrage" nicht als eine Frage der Juden,vielmehr verbirgt sich dahinter eine Kritik an den verwischten Unterschied zwischen einer politischen und einer gesellschaftlichen Emanzipation. (MEW 1, 377)


    Moraline Linke finden gewiß viele Passagen der Verstörung ihres gepflegten Moralins, das ist aber m.E. weniger Marx anzulasten, sondern dem absonderlich abstraktem Verständnis vom Menschsein und der Überschätzung der eigenen (klein)bürgerlichen Individualität und Existenz als Richt- und Hohlmaß für die Welt der moralinen Linken. Theoretische Anämie - in der Gestalt der bloßen Meinung - kann nicht durch säkulares Pfaffen- und Priestertum ersetzt werden, damit würde man selbst die dunkelsten Ideen und Gedankenwelten mittelalterlicher Pfaffen beleidigen, ja deren längst gebleichten Knochen, nochmals zum erbleichen bringen, als Ersatz und Scham für die "theoretische" Schamlosigkeit ihrer modernen Brüder im Geiste.


    Der schlechte Besinungsaufsatz des "Herrn Husuma", vermutlich antideutscher Provenienz, ist einfach nur lächerlich und entlarvt sein Delirium, welches er peinlicherweise als Kritik versteht, denn das, was er da kritisiert, ist die >Reflexion< seiner Gewißheit, die er für wahr hält, ohne sich die Mühe und die Ernsthaftigkeit seiner und Marxens Gedanken und Begrifflichkeiten hinzugeben, somit ist seine Kritik nur eine Offenbarung und ein Verweis auf seine eigene Kritiklosigkeit.

  • Hallo,
    Marx kritisiert die politische Ökonomie des Kapitalismus, dessen Reichtum auf der Ausbeutung
    der Lohnarbeiter beruht. Der moderne Proletarier ist nicht unterdrückt, er geht das Lohnarbeitsverhältnis
    aus freiem Willen, allerdings unter dem Druck der materiellen Not, ein.
    Im "Kapital" geht es nicht um patriarchale, sklavenhalterische oder feudale Herrschaftsverhältnisse.
    Was "diskursive Herrschaft" sein soll, ist mir schleierhaft, ich denke es ist eine neumodische Erfindung.
    Diskurs, insofern er nicht eine Staatsgewalt im Rücken hat, bewirkt überhaupt nichts.
    mars

  • Hallo,


    Marx kritisiert in seiner Schrift „Zur Judenfrage“ zwei Arbeiten von Bruno Bauer. Marx ging es darin vor allem um die generelle Frage der Kritik des Staates und
    welche Rolle dabei die Emanzipation in speziellen (Judentum) und allgemeinen (Menschheit) spielt. Es ging ihm also um etwas viel Grundlegenderes als das Judentum selbst und erst recht nicht darum, dieses herabzuwürdigen. Marx und Engels kritisierten das Werk (von Marx) nachträglich allerdings selbst als in philosophischer Phraseologie verfasst.


    Redlicher wäre der Autor gewesen, wenn er gleich sagen würde, dass er von Marx nicht viel oder wahrscheinlich gar nichts hält. Dann könnte man über Inhalte streiten- zum Beispiel darüber was Geldwirtschaft und was Judentum bedeutet. Stattdessen tut er mit dem Aufbau von Marx zu einer unfehlbaren Ikone und im Mantel einer (wissenschaftlichen) These so, als ob Marx wegen einer dunklen Seite, eines aus seiner Sicht nicht zu leugnenden Antisemitismus, dieser Platz vielleicht nicht gebühre, ja dass man sein Werk wohl am besten gleich auf den Abfallhaufen der Geschichte schmisse. Nur ist eine Untermauerung seiner These mit aus dem Zusammenhang
    gerissenen Zitaten, anhand denen man Marx’ Antisemitismus konnotieren soll, überhaupt kein Nachweis, aus dem sich ein bewusster und systematisierter Hass auf Menschen einer anderen Kultur, hier die Juden, ableiten ließe.


    Wie unredlich außerdem die „Recherche“ des Autors ist , mag am Beispiel seines Zitats aus der „in New York erscheinenden russischen Zeitung
    'The Russian Loan'
    :
    “ deutlich werden:



    So finden wir, dass hinter jedem Tyrann ein Jude, hinter jedem Papst ein Jesuit steht. Wahrlich, die Gelüste der Unterdrücker wären hoffnungslos, die
    Möglichkeit von Kriegen unvorstellbar, gäbe es nicht eine Armee von Jesuiten, das Denken zu drosseln, und eine Hand voll Juden, die Taschen zu plündern.“



    Eine in NY erschienene Zeitung „The Russian Loan“ gab/gibt es nicht. Es handelt sich um ein Zitat aus einem Artikel, der 1856 im „New York Daily Tribune“ unter dem Titel „The Russian Loan“ veröffentlicht wurde. Marx und Engels hatten eine Zeit lang für den „NYDT“ geschrieben. Gemäß der brandenburgischen Akademie der Wissenschaften gilt es als erwiesen, dass Marx als Autor nicht an diesem Artikel beteiligt war.


    Zum Anpissen einer „Ikone“ mögen ein paar leichtfertig zusammengestellte Zitate vielleicht ausreichen, um Marx eine antisemitische oder rassistische Gesinnung nachzuweisen, sicher nicht.



    Gruß
    Kim

  • Hallo Mario Ahner,


    bei Deinen berechtigten Fragen wirst Du u.a. an Hegel nicht vorbei kommen können; Du wirst feststellen, dass die kritischen Kritiker, welche Marx und Engels* eine >Verkürzung< vorwerfen, eine >natürliche Verkürzung< ihres Horizont unterworfen sind, denn allgemeines, leichtfertiges Parlieren über Emanzipation, Aufhebung und Beseitigung von Unterdrückung und andere bis zur Seichtigkeit und Hohlheit verkommene Phrasen, sind ohne die Aneignung der klassischen deutschen Philosophie - mit der Marx und Engels* mehr als nur vertraut waren - nicht zu verstehen, werden hierdurch zu bloßen, beliebigen und austauschbaren Wunschträumen, ohne tiefere gedanklichen Wurzeln und nährenden Grund, welche in der Degenerationskultur des Gartenzwerges und des Schlammbades in Woodstock ihre schillernde Auferstehung und scheinende Erfüllung im (klein)bürgerlichen Subjekt -als ideelle Chimäre der Gedankenkonstruktion des >Mensch an und für sich< - zelebrieren, um dasselbige als reales Subjekt unerlöst , ver-und zerstört, uneingelöst zu lassen.


    *Lenin, der geniale Weltenschmied, ist m.E. hierunter ebenfalls zu fassen, trotz des Gekläffs aus intellektuellen Hinterstuben.

  • Hallo,
    Warum nur Hegel und Kant, warum nicht Schelling, Fichte, Spinoza, Leibniz, Descartes, ... ?
    Von wo einer herkommt ist eine Sache, was er über Ökonomie, Staat an Erkenntnis zustande bringt eine andere.
    mars

  • Marszenner, die von Dir aufgezählten dachte ich durchaus mit, als ich auf die klassische deutsche Philosophie hinwies, selbst ein Platon und Aristoteles sind mitzudenken und können für Mario Ahner sich als fruchtbringend erweisen. Die Früchte vieler "moderner" Treibhausgewächse werden dadurch in ihrer Wurmstichigkeit und Fadheit nur offensichtlicher, bloßgestellter. Danke für den Hinweis.

  • Hallo Erich,


    ich verstehe nicht, warum man die ganze europäische Philosophie von Platon bis Hegel kennen muss, um zu wissen, wie Kapitalismus funktioniert. Warum reicht es denn nicht, Marx's Kritik der politischen Ökonomie im Wesentlichen verstanden zu haben, um das können?


    Beste Grüße
    Kim

  • ...welche Hinweise sind es, die (welche von) Mario Ahners Fragen beantworten? Schau, Erich: Wenn wir hier alle anfangen, unsere Lieblingsautoren und -hassobjekte herzuzeigen, kommen wir kaum noch zu den Argumenten. Die nehmen wir wohl alle gerne, woher sie auch kommen, wenn sie was taugen. Man sollte sie aber auch auf den Tisch legen, wenn man um sie weiss. Sich wechselseitig auf allgemeine Lesereise schicken, macht dagegen wenig Sinn.


  • @Kim,


    die Kritik der politischen Ökonomie
    ist eingebettet in die Konzeption eines historischen und
    dialektischen Materialismus als wissenschaftlicher Sozialismus, als
    Aufhebung und Verwirklichung der Philosophie und politische
    Handlungsanleitung von Theorie und Praxis. Eine Ein- und Verengung auf die Kritik der politischen Ökonomie, wäre m.E. eine
    unzulässige Verkürzung des Marxismus, die Kritik
    der politischen Ökonomie wäre hierdurch ihrer revolutionären Kritik beraubt und nicht dechiffrierbar: der Wärme-und der Kältestrom des Marxismus sind miteinander verbunden.


    Nun Kim, ich erwarte nicht, denn das
    wäre törricht, dass man als Adolf Hennecke des Geistes sich von
    Platon bis Hegel, Feuerbach und Marx etc. durch philosophische
    Bergwerke durchzuarbeiten habe, mein Hinweis war lediglich eine
    Aufforderung an Mario Ahner, seine, in meinen Augen durchaus
    berechtigten Fragen auf den Grund zu gehen und sich nicht durch
    Meinungen und Dafürhaltungen absonderlicher Kapazitäten und
    Koryphäen des Asphaltes, wie die eines Herrn Husuma & Co,
    verwirren und in die Irre führen zu lassen.

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